In der Blackbox |
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Nur ein kurzes Zwischenbild | ||
(Foto: IFFR | Stanley Schtinter) |
Von Dunja Bialas
Als Provokation wolle er seinen Film nicht verstanden wissen. Der Brite Stanley Schtinter hat immerhin einen illustren Cast für seinen Film versammelt. Gleich zu Anfang, zu dem sich ein roter Theater- oder Kinovorhang hebt, werden die Namen gelistet: Da stehen: Julie Christie, Stephen Dillane, Toby Jones, Stacy Martin und Hanns Zischler. Die Filmzeitschrift »Sound & Sight« nannte Schtinter einmal »witchfinder general of cultural complacency«. Mehr vergiftetes Lob geht eigentlich nicht, und so nahm sich der Meisterhexer folgerichtig ein Märchen vor, in dessen Zentrum ein Mordanschlag mit einem vergifteten Apfel steht. Sein Film geht auf das einzige Theaterstück des Schweizer Autors Robert Walser zurück, in dem erzählt wird, was geschah, nachdem Schneewittchen wieder erwachte. Untersucht wird die grausige Vorgeschichte des Mordversuchs, inklusive einer Gut-Böse-Dekonstruktion, die der wahren Identität der Beteiligten nachgeht.
Robert Walsers Dramolett wurde im Jahr 2000 vom Portugiesen João César Monteiro verfilmt. Sein Branca de Neve wurde ein handfester Skandal – die Legende geht so: Angeblich hatte Monteiro aus Versehen seinen Mantel über die Kamera gehängt, so dass unbemerkt kein Bild aufgenommen wurde. Anstatt aber die Aufnahmen zu verwerfen, machte er genau daraus einen Film: einen Schwarzfilm mit Off-Stimmen. Produzent Paulo Branco hatte für den Film über 750.000 Euro an Fördermitteln zusammengetragen und weigerte sich, das Geld zurückzuzahlen. Das wirklich schwarze Loch seien die Filme, die vom Steuerzahler finanziert würden, aber nie zu sehen seien, soll er gesagt haben, nicht aber ein Film, bei dem man nichts sieht. Andere sagten: »Ein großartiger Film für blinde Menschen.« Ein paar wenige Bilder-Inserts, auf denen etwas zu sehen war, gab es dann aber doch.
Stanley Schtinter, dessen experimentelle Filme beim Pariser Label »Lightcone« liegen, hat sich nun ausgerechnet Monteiros Version für eine Hommage vorgenommen. Gleiches Setting (ohne angeblichen Mantel): Tolle Stimmen, hochgradige Schauspieler. Keine Bilder. Nur, etwa alle zehn Minuten: grobkörnige 16mm-Ansichten von einem blauen Himmel mit weißen Wölkchen, gefilmt vom amerikanischen Independent-Kameramann Sean Price Williams, der in Mannheim sein Regiedebüt The Sweet East vorgestellt hatte und jetzt für Abel Ferraras Berlinale-Special-Film Turn in the Wound die Kamera gemacht hat. Der Independent-Dokumentarfilmer Joshua Bonetta montierte die Aufnahmen zwischen die Schwarzbilder.
Ähnlich wie bei Monteiro machte auch Schneewittchen-Produzent Gareth Evans den Bildersturm als ästhetisches Statement gegen die Bilderflut stark, während Stanley Schtinter vor allem bedauerte, dass wegen der Notausgangs-Schilder ein völliges Dunkel im Kinosaal heute unmöglich sei. Anders, als einst im Österreichischen Filmmuseum, wo man bei der Vorführung von Gregory Markopoulos’ durch lange Schwarzsequenzen verhackstückelten Filmen tatsächlich in völliger Finsternis saß – damals aber auch in völliger Stille, die Filme hatten keinen Sound, war hier immer das graue Quadrat der unbespielten Leinwand zu sehen. Viele Zuschauer verließen fluchtartig das Kino, als das Konzept des Films klar wurde. Und tatsächlich konnte es verstören, dass die wiedererkennbaren Stimmen nie ein Gesicht bekamen.
Umso stärker schärften sich die Sinne, um die ausgefeilte Sprache der in britischem Englisch vorgetragenen Dialoge zu goutieren. Alte und junge Stimmen sind klar zu unterscheiden, Hanns Zischler: wieder einmal hervorragend. Und da der Bildentzug so entscheidend durch kurze Zwischen-Wolken-Bilder unterbrochen wurde, starrte man trotz allem wie gebannt auf die Leinwand. Erinnerungen an Derek Jarmans Blue kamen auf, bei dem das Yves-Klein-Blau zu flirren und auf der Netzhaut komplementär zu werden begann, und an die komplette Dunkelheit bei Markopoulos. Eigentlich kann Schneewittchen nur als Filmkopie vorgeführt werden. Denn dann würde sich das tote Digitalschwarz beleben, durch Vorführspuren, Flusen und Artefakte. So aber wurde das graue zum grausamen Quadrat, das von einem essentiellen Bildverlust kündete.