Poetischer Materialismus |
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Verstörung im Rechteck: Din 18035 | ||
(Foto: Diagonale | Simona Obholzer) |
Anderes Sehen oder anders sehen: Experimentellem, avantgardistischem Kino geht es darum, Gewohnheiten und Konventionen der Wahrnehmung und des Erzählens zu hinterfragen und aufzubrechen. Auf der Diagonale in Graz wird diese Art von Film als »innovativ« bezeichnet. In sieben Programmen gab es wieder eine reichhaltige Auswahl, der es jedoch weniger um Innovation im Sinne des technischen Fortschritts geht. Sondern um ästhetische Radikalität und Diversität, die sich an den materialen, formalen und medialen Bedingtheiten des Films abarbeitet.
Der Diagonale-Preis der Stadt Graz für »Innovatives Kino« ging dieses Jahr an Simona Obholzer für DIN 18035. Ihr 13-minütiger Film kann als exemplarisches Beispiel für die Sorte experimentellen Kinos angeführt werden, das auf die Wirklichkeit einen sezierenden Blick wirft. Die im Titel ihres Kurzfilms angesprochene Norm bezieht sich auf Sportplätze wie etwa ein Fußballspielfeld. In präzisen Einstellungen auf Sand, Kies und Rasenstücke wird das Anlegen eines solchen Spielfeldes gezeigt. Die Kamera erfasst in exakt kadrierten Ausschnitten die Einzelheiten, die fragmentarisch sind und einen Überblick verweigern. Die beteiligten Arbeiter bleiben außerhalb des Bildes. Die Vorgänge sind also komplett versachlicht. Aber es gibt in der Sachlichkeit eine eigenartige Irritation: Von der Planierraupe etwa wird die Kante der Schaufel knapp am oberen Bildrand noch erfasst, und das nicht parallel, sondern leicht angeschnitten – hier ist bei aller normgerechten Geometrie etwas aus dem Lot. Das Kalkül der formalen Präzision befremdet, weil es immer wieder Schiefheiten exponiert. Auch die Montage der Bilder folgt den Arbeitsschritten im Rhythmus nur scheinbar, es kommt immer zu leichten Verschiebungen.
Montage und Kadrierung stellen in ihrer Rigorosität auf schmerzhafte Weise die Zurichtungen des Geländes und der Materialien aus: die Einstellungen gehorchen dem Takt einer Norm und verfehlen damit genau das, was lebendige, produktive Tätigkeit ausmacht. So wird Formalismus zu Kommentar und Kritik, die unmittelbar anschaulich sind. Der Film löst sich vom repräsentativen Darstellungsgestus und schlägt um in ästhetische Gestalt: Konkretes wird abstrakt, Abstraktes wird konkret – das ist filmische Poesie, das ist genuines experimentelles Filmemachen.
Eine solche Arbeit am Sichtbaren auf dokumentarischer Basis, wie sie für eine wichtige Linie des Experimentellen charakteristisch ist, prägt auch Valley Pride von Lukas Marxt. Er widmet sich dem industriellen Gemüseanbau in Kalifornien. Ernte und transport- und verkaufsfertige Abpackung direkt auf dem Feld gehen Hand in Hand, gigantische Maschinen vor Ort ermöglichen es, die gerade vom Feld gepflückten Brokkoli sofort in Plastikfolie einzuschweißen und in die Kisten mit der Firmenaufschrift »Ocean Mist« zu sortieren. Die dabei eingesetzten Menschen werden als anonyme migrantische, meist illegale Hilfskräfte von zugerüsteter Landschaft und Apparatur geradezu verschlungen.
Die industrialisierte Landwirtschaft findet ihre Entsprechung in Marxts technisch perfekten Bildern – immer ein bisschen der Verführung des Spektakulären erliegend, entbinden diese Aufnahmen, teilweise mit Drohnen, auch die Ahnung von einer neuen Form des Erhabenen, des für den Menschen Inkommensurablen. Die menschliche Hybris der Naturbeherrschung mittels Technik findet auf formaler Ebene eine Entsprechung, wird aber auch durchschaubar und ausgestellt. So zeugt Valley Pride davon, wie die menschliche Arbeit von der Produktionsmaschinerie absorbiert wird und ihr doch widersteht, indem sie Spuren hinterlässt, Spuren des Humanen, die aufgehoben sind in der filmischen Aufbereitung.
Der sichtbaren Natur wendet sich Hannes Böck in seinen Vordergrundstudien mehr vom Fotografischen her zu. Er hat sich dabei anregen lassen von den »Studien nach der Natur für Maler und Architekten« von Georg Maria Eckert aus dem 19. Jahrhundert, der in seinen fotografischen Vordergrundstudien wie »Laubwerk – Holunderlaub« oder »Ranken, Farnkraut, Schilf und Felsen – Farnkrautgruppe mit Felsblock« Texturen in der Natur herausarbeiten wollte. Diese sollten wiederum als Basis, als Skizze, als Material- und Motivarchiv für zeichnerische und malerische Ausgestaltung dienen.
In 25 etwa gleichlangen fixen Einstellungen (man darf an James Benning denken, wie im Q&A erfragt wurde) bietet Böck nun Laubwerk, Wurzelwerk, Farne, Gräser oder Geäst vor dem Himmel, alles flächig gehalten sind und jede Tiefenwirkung vermeidend. In dieser Vordergründigkeit wird die Stofflichkeit, die Materialität des Sichtbaren spürbar, die Motive werden aufgelöst in eine unabschließbare Semiose, die vor jeglicher Bedeutungszuschreibung liegt. Was sich dabei auch offenbart, ist die Unhintergehbarkeit der Kadrierung der filmischen Einstellung. Die Absicht, die Ausschnitte aus dem Landschaftskontinuum willkürlich zu wählen, findet ihre Grenzen in der Rahmung. Schiere sinnliche Präsenz, beglaubigt von der Kontinuität des Tons, ist das Ergebnis. Die materiale Bedingtheit, die mitschwingt, lässt dieses sinnliche Erscheinen jedoch immer als prekäres erkennen.
Materialreize, seien sie nun auf digitale oder analoge Formen zurückzuführen, machen ein wesentliches Faszinosum der experimentellen Filme aus, die in Graz zu sehen waren.
Eva Giolos Silent Conversations fangen auf 16mm ohne Ton jeweils 20 Sekunden lang mehrere Szenen der Umarmung ein, einfache, schlichte Momente des Sich-Umfassens, einer Kommunikation der reinen Zwischenmenschlichkeit. Die Körnigkeit des Materials scheint dabei den körperlichen Kontakt weniger als optischen denn als taktilen Eindruck zu bewahren.
Siegfried A. Fruhaufs Mare Imbrium (der Titel benennt eine der auf dem Mond erkennbaren, als »Meer« bezeichneten Oberflächenstrukturen) überführt seine digitalen optischen Reize, die er der nächtlichen Reflexion des Mondlichts auf der Wasseroberfläche abgewinnt, in ein Flirren von hellen Lichtpunkten auf schwarzer Fläche, die mit einem akustischen Sirren in Resonanz stehen. Sehen und Hören intensivieren sich als sich selbst genügende Akte. Eine Art sphärischer Musik suggeriert einen Moment ekstatischer Entrücktheit, der Mond und Auge verschmelzen lässt, ehe das Rund in der Mitte der Leinwand sich als Leere entpuppt, als Negativform für etwas, das wieder erscheinen kann. Fruhauf lässt dabei eine analoge Aufnahme im digitalen Format aufgehen. »Die fotochemische Schicht eines Filmstreifens wurde von Wasser zerstört und legt sich nun wie ein Schleier über die digitale Aufnahme,« so kommentiert Fruhauf. Reflexion im konkreten physikalischen Sinn der Spiegelung wird zu einer metaphysischen Spekulation.
Diese Doppelung aus Sinnlichem und Abstraktem vermag gerade der Experimentalfilm mit seinem poetischen Materialismus als Essenz des Kinos zu vermitteln. Die Diagonale in Graz bot mit ihren »Innovativen Filmen« dieses Jahr dafür reichlich Anschauungsmaterial.