Leinwand-Kater |
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Großer Spaß mit Boštjan Hladniks Kill Me Gently | ||
(Foto: goEast | Boštjan Hladnik) |
Von Paula Ruppert
Einmal im Jahr dreht sich in Wiesbaden auf dem goEast-Filmfestival des mittel- und osteuropäischen Films eine Woche lang alles um Osteuropa. Und wem dabei neben dem ein oder anderen Film nun auch die gängigen Klischees von fleischlastigem Essen und gutem Alkohol in den Kopf kommen, hat nicht ganz unrecht. Natürlich stehen Kino und Filme im Zentrum, aber auch das Programm außerhalb der Kinosäle ist ausgeprägt. Hier also nun ein paar Impressionen zum »Drumherum« um die diesjährigen Filme.
So gab es zwei Parties, die nicht nur zum Tanzen, sondern auch zum gemütlichen, ungezwungenen Beisammensein einluden und die Möglichkeit boten, neue Leute kennenzulernen und sich mit ihnen auszutauschen. Und das auch noch für einen guten Zweck, denn eine der Parties stand im Zeichen der Solidarität mit der Ukraine, der gesamte Erlös wurde an humanitäre Hilfsorganisationen gespendet.
Eine weitere Gelegenheit, sich mit den anderen Gästen des Festivals auszutauschen, bot »Rhine, Wine and Rhymez«, eine Schifffahrt auf dem Rhein. Das Besondere dabei: Ausgewählte Festivalgäste trugen in ihrer Muttersprache Gedichte vor, die sie besonders geprägt oder beeinflusst haben. Diese werden anschließend auch ins Englische übersetzt, sodass man die Inhalte auch verstehen kann, wenn man der jeweiligen Sprache nicht mächtig ist. Auch das Wetter spielte mit und zeigte sich mit strahlendem Sonnenschein und kaum Wind von seiner besten Seite, sodass die Sprachmelodien und lyrischen Töne der Poesien von einem traumhaften Blick auf das Wasser und die angrenzenden Ufer begleitet und untermalt wurden. Passend zum Fluss wurde während der Bootsfahrt auch der diesjährige RheinMain-Kurzfilmpreis verliehen (Gewinnerfilm: Qirim von Kateryna Khramtsova), um den wieder mehrere Werke konkurrierten, die in das Leben in ehemaligen Sowjetrepubliken Einblick geben. Meistens stehen in diesen Werken benachteiligte Bevölkerungsgruppen und ethnische Minderheiten im Zentrum, die sonst wenig Raum auf den Leinwänden finden.
In der ungezwungenen und gleichzeitig herzlichen Atmosphäre auf dem Schiff hatte man den Eindruck, es kämen nicht nur Gespräche zwischen den einzelnen Filmschaffenden zusammen, sondern es entstehe auch im weiteren Sinne ein Dialog zwischen Ost und West. Und wer wollte, konnte das Ganze mit einer guten Portion Eis ausklingen lassen, bevor es von der strahlenden Sonne am Rheinufer wieder in die wohlige Dunkelheit des Kinosaals ging.
Auch Vorausblicke auf die Filme von morgen konnte man erhaschen, wenn man am Montagmorgen im Festivalzentrum beim Project Market Pitch vorbeischaute. Dort stellten die Teilnehmenden des East-West Talent Labs – ein Fortbildungsprogramm des Festivals für aufstrebende Filmschaffende aus Mittel- und Osteuropa – ihre Filmprojekte vor und konnten den »Pitch the Doc-Award« gewinnen, einen Sachpreis im Wert von 500 Euro. Die Projekte waren allesamt dokumentarisch. Abgesehen davon gab es die unterschiedlichsten Projekte in den unterschiedlichsten Entwicklungsstadien. Themen dabei waren zum Beispiel eine ukrainische feministische Aktivistin, die in Polen eine Hilfe-Hotline zu sexualisierter Gewalt betreibt, der Krieg in der Ukraine aus der Sicht einer zurückgebliebenen Mutter sowie der Werdegang eines Autos. Nicht nur die Themen waren interessant, sondern auch die Art und Weise, wie die jungen Filmschaffenden ihre Projekte vorstellten – wobei manch eine/r sich noch etwas im Zeitmanagement üben müsste. Den Preis der Fachjury erhielt die Aserbaidschanerin Atanur Nabiyeva, deren Projekt »Echoes of Avey« ihre persönlichen Kindheitserinnerungen und Umweltzerstörung zusammenbringen möchte.
Und dann gab es noch: das Symposium, die wichtigste Veranstaltung von goEast. Es fand an mehreren Vormittagen in Form von Vorträgen und Podiumsdiskussionen statt und hatte dieses Jahr »Die 'anderen' Queers« zum Thema. Auch nur eine der Veranstaltungen des Symposiums inhaltlich adäquat wiederzugeben würde den Rahmen hier schon sprengen. Dabei standen konkrete Filme im Zentrum der Betrachtungen, wie beispielsweise jugoslawische Filme aus den 1950ern, aber auch außerfilmische Aspekte wie Archivierung und Aktivismus.
Selbstverständlich war auch das Filmprogramm in Teilen ergänzend auf das Symposium abgestimmt. Und so gab es mehrere Kurzfilmabende, die teils eher durchschnittliche Filme, aber durchaus auch wahre Kleinode (hierunter fallen zum Beispiel The Gay Life In Krško von Nico Woche, ein kurzweiliger Dokumentarfilm, und Katarina Rešeks Sisters, dessen Figuren trotz der Kürze des Films beachtenswerte Tiefe aufweisen) zu bieten hatten. Ebenfalls sehenswert ist der ungarische Dokumentarfilm Fairy Garden von Gergő Somogyvári, dessen ruhige und betrachtende Erzählweise die Geschichte einer jungen Transfrau erzählt, die bei einem Obdachlosen Obhut gefunden hat.
Der letzte zum Symposium gehörende Film, die jugoslawische Produktion Kill Me Gently (1979) von Boštjan Hladnik, war unterhaltsam, bunt, etwas absurd, spielte mit Erzählebenen und Plot-Twists, die Leichenquote hätte man eher bei Tarantino erwartet, und außerdem war starkes Ohrwurm-Potential geboten. Alles in allem ein höchst lohnenswerter Film, der auf der großen Leinwand eine Wucht war und einen glücklich sowie mit Eindrücken und Ideen überladen im Kinosessel zurückließ. Und so lässt sich wohl auch das goEast-Filmfestival beschreiben – eine Flut aus neuen Impressionen und Ideen, die gleichzeitig nicht über-, sondern erfüllen.