09.05.2024

Leinwand-Kater

Kill Me Gently
Großer Spaß mit Boštjan Hladniks Kill Me Gently
(Foto: goEast | Boštjan Hladnik)

Guter Alkohol, Poesie auf dem Dampfer und ein mehrtägiges Symposium: Mit seinem Rahmenprogramm setzte goEast auf die schöne Kunst der Überforderung

Von Paula Ruppert

Einmal im Jahr dreht sich in Wiesbaden auf dem goEast-Film­fes­tival des mittel- und osteu­ropäi­schen Films eine Woche lang alles um Osteuropa. Und wem dabei neben dem ein oder anderen Film nun auch die gängigen Klischees von fleisch­las­tigem Essen und gutem Alkohol in den Kopf kommen, hat nicht ganz unrecht. Natürlich stehen Kino und Filme im Zentrum, aber auch das Programm außerhalb der Kinosäle ist ausge­prägt. Hier also nun ein paar Impres­sionen zum »Drumherum« um die dies­jäh­rigen Filme.

So gab es zwei Parties, die nicht nur zum Tanzen, sondern auch zum gemüt­li­chen, unge­zwun­genen Beisam­men­sein einluden und die Möglich­keit boten, neue Leute kennen­zu­lernen und sich mit ihnen auszu­tau­schen. Und das auch noch für einen guten Zweck, denn eine der Parties stand im Zeichen der Soli­da­rität mit der Ukraine, der gesamte Erlös wurde an huma­ni­täre Hilfs­or­ga­ni­sa­tionen gespendet.

Eine weitere Gele­gen­heit, sich mit den anderen Gästen des Festivals auszu­tau­schen, bot »Rhine, Wine and Rhymez«, eine Schiff­fahrt auf dem Rhein. Das Besondere dabei: Ausge­wählte Festi­val­gäste trugen in ihrer Mutter­sprache Gedichte vor, die sie besonders geprägt oder beein­flusst haben. Diese werden anschließend auch ins Englische übersetzt, sodass man die Inhalte auch verstehen kann, wenn man der jewei­ligen Sprache nicht mächtig ist. Auch das Wetter spielte mit und zeigte sich mit strah­lendem Sonnen­schein und kaum Wind von seiner besten Seite, sodass die Sprach­me­lo­dien und lyrischen Töne der Poesien von einem traum­haften Blick auf das Wasser und die angren­zenden Ufer begleitet und untermalt wurden. Passend zum Fluss wurde während der Boots­fahrt auch der dies­jäh­rige RheinMain-Kurz­film­preis verliehen (Gewin­ner­film: Qirim von Kateryna Khramtsova), um den wieder mehrere Werke konkur­rierten, die in das Leben in ehema­ligen Sowjet­re­pu­bliken Einblick geben. Meistens stehen in diesen Werken benach­tei­ligte Bevöl­ke­rungs­gruppen und ethnische Minder­heiten im Zentrum, die sonst wenig Raum auf den Lein­wänden finden.

In der unge­zwun­genen und gleich­zeitig herz­li­chen Atmo­sphäre auf dem Schiff hatte man den Eindruck, es kämen nicht nur Gespräche zwischen den einzelnen Film­schaf­fenden zusammen, sondern es entstehe auch im weiteren Sinne ein Dialog zwischen Ost und West. Und wer wollte, konnte das Ganze mit einer guten Portion Eis ausklingen lassen, bevor es von der strah­lenden Sonne am Rheinufer wieder in die wohlige Dunkel­heit des Kinosaals ging.

Auch Voraus­blicke auf die Filme von morgen konnte man erhaschen, wenn man am Montag­morgen im Festi­val­zen­trum beim Project Market Pitch vorbei­schaute. Dort stellten die Teil­neh­menden des East-West Talent Labs – ein Fort­bil­dungs­pro­gramm des Festivals für aufstre­bende Film­schaf­fende aus Mittel- und Osteuropa – ihre Film­pro­jekte vor und konnten den »Pitch the Doc-Award« gewinnen, einen Sachpreis im Wert von 500 Euro. Die Projekte waren allesamt doku­men­ta­risch. Abgesehen davon gab es die unter­schied­lichsten Projekte in den unter­schied­lichsten Entwick­lungs­sta­dien. Themen dabei waren zum Beispiel eine ukrai­ni­sche femi­nis­ti­sche Akti­vistin, die in Polen eine Hilfe-Hotline zu sexua­li­sierter Gewalt betreibt, der Krieg in der Ukraine aus der Sicht einer zurück­ge­blie­benen Mutter sowie der Werdegang eines Autos. Nicht nur die Themen waren inter­es­sant, sondern auch die Art und Weise, wie die jungen Film­schaf­fenden ihre Projekte vorstellten – wobei manch eine/r sich noch etwas im Zeit­ma­nage­ment üben müsste. Den Preis der Fachjury erhielt die Aser­bai­dscha­nerin Atanur Nabiyeva, deren Projekt »Echoes of Avey« ihre persön­li­chen Kind­heits­er­in­ne­rungen und Umwelt­zer­störung zusam­men­bringen möchte.

Und dann gab es noch: das Symposium, die wich­tigste Veran­stal­tung von goEast. Es fand an mehreren Vormit­tagen in Form von Vorträgen und Podi­ums­dis­kus­sionen statt und hatte dieses Jahr »Die 'anderen' Queers« zum Thema. Auch nur eine der Veran­stal­tungen des Sympo­siums inhalt­lich adäquat wieder­zu­geben würde den Rahmen hier schon sprengen. Dabei standen konkrete Filme im Zentrum der Betrach­tungen, wie beispiels­weise jugo­sla­wi­sche Filme aus den 1950ern, aber auch außer­fil­mi­sche Aspekte wie Archi­vie­rung und Akti­vismus.

Selbst­ver­s­tänd­lich war auch das Film­pro­gramm in Teilen ergänzend auf das Symposium abge­stimmt. Und so gab es mehrere Kurz­film­abende, die teils eher durch­schnitt­liche Filme, aber durchaus auch wahre Kleinode (hierunter fallen zum Beispiel The Gay Life In Krško von Nico Woche, ein kurz­wei­liger Doku­men­tar­film, und Katarina Rešeks Sisters, dessen Figuren trotz der Kürze des Films beach­tens­werte Tiefe aufweisen) zu bieten hatten. Ebenfalls sehens­wert ist der unga­ri­sche Doku­men­tar­film Fairy Garden von Gergő Somo­gy­vári, dessen ruhige und betrach­tende Erzähl­weise die Geschichte einer jungen Transfrau erzählt, die bei einem Obdach­losen Obhut gefunden hat.

Der letzte zum Symposium gehörende Film, die jugo­sla­wi­sche Produk­tion Kill Me Gently (1979) von Boštjan Hladnik, war unter­haltsam, bunt, etwas absurd, spielte mit Erzäh­le­benen und Plot-Twists, die Leichen­quote hätte man eher bei Tarantino erwartet, und außerdem war starkes Ohrwurm-Potential geboten. Alles in allem ein höchst lohnens­werter Film, der auf der großen Leinwand eine Wucht war und einen glücklich sowie mit Eindrü­cken und Ideen überladen im Kino­sessel zurück­ließ. Und so lässt sich wohl auch das goEast-Film­fes­tival beschreiben – eine Flut aus neuen Impres­sionen und Ideen, die gleich­zeitig nicht über-, sondern erfüllen.