11.07.2024

Wenn Liebe zum Kino politisch ist

Winners
Mit der parabelhaften Kraft des einfachen Erzählens früher Kiarostami-Filme: Winners
(Foto: Cinema Iran 2024)

»Cinema Iran« zeigt unter dem Motto »Aus Liebe zum Kino« im mittlerweile neunten Jahr, dass die Vitalität des iranischen Kinos trotz der Einschränkungen durch Zensur und Verfolgung der Filmemacher*innen ungebrochen ist

Von Wolfgang Lasinger

In Vorpre­miere am Mittwoch im Maxim zu sehen war Ein kleines Stück vom Kuchen von Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha. Der Film aus dem Wett­be­werb der dies­jäh­rigen Berlinale wurde mit dem inter­na­tio­nalen Kriti­ker­preis der FIPRESCI ausge­zeichnet. Das Regieduo durfte nicht aus dem Iran ausreisen, um sich in Berlin zu präsen­tieren, und sieht sich für seinen klan­destin gedrehten Film weiterhin massiven Repres­sa­lien ausge­setzt.

Der Düster­keit ihres meis­ter­haften Ballade von der weißen Kuh setzen die beiden hier in Ein kleines Stück vom Kuchen einen für iranische Verhält­nisse unge­wöhn­lich heiteren und komö­di­an­ti­schen Film entgegen, eine Art Rom-Com um die verwit­wete 70-Jährige Mahin (gespielt von der groß­ar­tigen Lily Farhad­pour).

Die schon lange an Einsam­keit leidende Prot­ago­nistin lässt sich bei einem Kränzchen mit ihren alten Freun­dinnen dazu ermuntern, es doch auch wieder mal mit einem Mann zu probieren… Und tatsäch­lich ist es dann für iranische Verhält­nisse in mehr­fa­chem Sinne unerhört, wie Mahin sich aufmacht, in einem Restau­rant für Pensio­nisten einen rüstigen Rentner aufzu­ga­beln, ihn zu sich nach Hause einzu­laden und dort zu bewirten. Und in einer wundersam-verzau­berten Nacht alte Frei­heiten aufleben zu lassen. Die Unbe­schwert­heit, die dabei beschworen wird, bleibt immer eine prekäre. Die neugie­rigen Nachbarn könnten einen ja denun­zieren. Die zärtliche Freiheit, die den Figuren hier für eine Nacht gewährt wird, beschwört ein Gegenbild herauf, das die Verbote und Bedro­hungen durch Moral- und Sitten­po­lizei im Iran fast vergessen macht, jedoch keines­wegs ganz ausblenden kann und will.

Von den Beschrän­kungen indi­vi­du­eller Freiheit durch die staat­li­chen Instanzen der isla­mi­schen Republik handelt auch Tatami von dem Israeli Guy Nattiv und der Iranerin Zar Amir Ebrahimi.

In diesem Film mit der Power eines Polit-und Sport-Thrillers geht es um die iranische Judo­kämp­ferin Leila, die mit großen Hoff­nungen an der Judo-WM in Tiflis teilnimmt: nach den ersten gewon­nenen Kämpfen bestätigt sich, dass sie in über­ra­gender Form ist und so auch Chancen auf den Welt­meister-Titel hat. Ehe sie fest­stellen muss, dass sie es nicht nur mit den Gegne­rinnen auf der Matte aufnehmen muss, sondern auch mit den Sport-Funk­ti­onären des irani­schen Verbandes und ihrer Trainerin. Da die Möglich­keit besteht, im Viertel- oder Halb­fi­nale auf eine israe­li­sche Sport­lerin zu treffen, fordern Trainerin und Verband sie auf, eine Verlet­zung vorzu­täu­schen und sich vom Wett­be­werb zurück­zu­ziehen. Der Iran erkennt Israel nicht als Staat an und untersagt seinen Sportler*innen, gegen Israelis anzu­treten, auch auf Kosten der Chance auf einen even­tu­ellen Sieg. Leila ringt mit sich, mit ihrer Trainerin, die sich beugen möchte, ringt auch mit der Angst um ihre Angehö­rigen im Iran, denen Repres­sa­lien drohen, sollte sie nicht gehorchen. Das alles treibt der Film mit seinem eleganten Schwarz-Weiß in druck­voller und inten­siver Spannung auf einen schier uner­träg­li­chen Kulmi­na­ti­ons­punkt zu.

Bei der Regie des Films arbeiten der Israeli Guy Nattiv und die Iranerin Zar Amir Ebrahimi (als Schau­spie­lerin bekannt aus Holy Spider und hier in Tatami in der Rolle der Trainerin) zusammen und setzen so ein nach­drück­li­ches Zeichen der Versöh­nung. (Sonntag, 14. Juli, 19 Uhr, Gasteig HP8 / Projektor)

Die para­bel­hafte Kraft des einfachen Erzählens früher Kiaros­tami-Filme wie Wo ist das Haus meines Freundes? nimmt Hassan Nazer in dem in Deutsch­land-Premiere gezeigten Winners auf. Die zwei Kinder Yahya und Layla finden die Oscar-Statue, die einem irani­schen Regisseur abhan­den­ge­kommen ist, und setzen alles daran, sie ihm wieder zurück­zu­er­statten. (Zur Eröffnung von Cinema Iran am Donnerstag, 11. Juli, 19 Uhr, Gasteig HP8, in Anwe­sen­heit des Regis­seurs Hassan Nazer)

Doch neben diesen klas­si­schen Erzähl­filmen von unter­schied­li­cher Tonalität sind auch offene und spie­le­ri­sche Formen des Kinos zwischen Expe­ri­ment und Essay, zwischen Perfor­mance und Doku­men­ta­tion zu entdecken.

Auch hier geht es immer wieder um Risiken, in die mit Kino und Film Befasste durch poli­ti­sche Umstände geraten. In Celluloid Under­ground begibt sich der in England im Exil lebende Filme­ma­cher und Film­his­to­riker Ehsan Koshbakht auf die Spuren seines Freundes Ahmad Jorgha­nian, des »irani­schen Henri Langlois«, wie es im Film heißt. Als Film­sammler und Filmclub-Begründer geriet dieser sowohl in Zeiten des Schahs als auch während der isla­mi­schen Republik immer wieder in Konflikt mit dem Staat, der Kino als subver­sive Kraft einzu­hegen versucht: eine mate­ri­al­in­ten­sive Doku­men­ta­tion über Cine­philie im Iran. (Freitag, 12. Juli, 18 Uhr, Gasteig HP8 / Projektor)

Careless Crime (2022) von Shahram Mokri verbindet in expe­ri­men­teller Verschrän­kung mehrere Erzäh­le­benen, die von einem verhee­renden Brand­an­schlag auf ein Kino im Jahr 1978 in der südira­ni­schen Stadt Abadan ausgeht. Shahram Mokri trans­po­niert das Geschehen aus der Zeit der irani­schen Revo­lu­tion in die Gegenwart Teherans und versucht so zu ergründen, in welcher Weise Geschichte sich wieder­holt: eine spannende Reflexion auf Kinos als konkrete Schau­plätze histo­risch-poli­ti­scher Ereig­nisse. (Freitag, 12. Juli, 20:30 Uhr, Gasteig HP8 / Projektor)

Das direkte Aufein­an­der­prallen von künst­le­ri­scher Arbeit und poli­ti­scher Aktion verarbeit der aus Teheran stammende Berliner Filme­ma­cher Ayat Najafi in The Sun Will Rise. Während der durch den Tod von Mahsa Jina Amini ausgelösten Proteste im Herbst 2022 hält er sich in Teheran auf, um Thea­ter­proben zu »Lysis­trata« von Aris­toph­anes mit der Kamera zu begleiten. Die Paral­lelen zwischen dem Stück, in dem Frauen in einen Sex-Streik treten, um die Männer vom Krieg abzu­bringen, und den Soli­da­ri­sie­rungen der Frauen auf der Straße unter dem Slogan von »Frau – Leben – Freiheit« führen in eine expe­ri­men­telle filmisch-theatrale Collage, die grund­sätz­liche Fragen des künst­le­risch-poli­ti­schen Enga­ge­ments in direkter Begegnung zwischen Schau­spieler*innen und Demons­trant*innen aushan­delt. (Samstag, 13. Juli, 18 Uhr, Gasteig HP8 / Projektor, in Anwe­sen­heit des Regis­seurs)

Auch Narges Kalhor arbeitet in Shahid mit Elementen des Perfor­ma­tiven und Thea­tralen. Die in München lebende Exil-Iranerin setzt sich in ihrem auto­fik­tio­nalen Spiel mit einer Stell­ver­tre­terin (Baharak Abdo­li­fard) selbst ins Bild. Sie schildert die Versuche, den Namens­be­stand­teil »Shahid« (was soviel wie Märtyrer bedeutet) aus ihren Papieren entfernen zu lassen. Die dafür notwen­digen Gänge zum Kreis­ver­wal­tungs­re­ferat münden in einen prozes­si­ons­haften Marsch durch die Insti­tu­tionen, bei dem sie von einem Reigen derwisch­haft anmu­tender Wieder­gänger ihres Urgroß­va­ters begleitet wird, der für den angeblich ruhm­vollen Teil ihres Namens verant­wort­lich sein soll. Der Film greift in perfor­mativ-ritu­al­haften Abläufen Situa­tionen bei den Behörden auf und führt sie in spie­le­ri­sche Konstel­la­tionen jenseits von Theater und Film über. Auch das Making-of des Films selbst wird Thema, ohne dass die Mittel des Aus-der-Rolle-Fallens bemüht oder abge­griffen wirkten. Das Ganze ist vielmehr von uner­müd­li­cher Energie, sprühendem Witz und über­bor­denden szeni­schen Einfällen voran­ge­trieben. Narges Kalhor gelingt es, eine poetisch-exis­ten­ti­elle Orts­be­stim­mung der Exil­er­fah­rung vorzu­nehmen. (Sonntag, 14. Juli, 16:30 Uhr, Gasteig HP8 / Projektor, in Anwe­sen­heit der Regis­seurin)