Cinema Moralia – Folge 334
»Die Hasser schreien ganz schön laut.« |
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Szene aus Claude Lanzmanns Pourquoi Israël (1972) | ||
(Foto: absolut Medien) |
»Du kannst sagen, Bibi Netanjahu hat recht oder unrecht. Das ist mir ehrlich gesagt egal. Aber wenn mein Sohn nicht mit einer Kippa herumlaufen kann, wenn ich ihm sagen muss, dass er seinen Davidstern in der U-Bahn verstecken soll – oder wenn meine Freunde ihre Klingelschilder wechseln müssen, weil sie jüdische Nachnamen haben –, dann geht dies zu weit. Für mich ist dies keine politische Frage.« – Guy Katz, Organisator von Run for their lives
»Die Deutschen haben nach dem Hamas-Angriff empathielos reagiert.« – Michel Friedman
»Es gibt das Problem, dass man angreifen muss, wenn man nicht sterben will, und dass man zugleich diesen Angriff nach Möglichkeit vermeiden will.«
Ohne die Armee würde Israel nicht mehr existieren. – Claude Lanzmann
Allen unseren jüdischen Freunden und Lesern gratulieren wir zum Neujahrfest Rosch ha-Schana, und wünschen ein schönes, besseres Neues Jahr. Shana Tova! Rosch ha-Schana, das in diesem Jahr am Abend des Mittwoch begonnen hat und bis Freitag dauert. Das Fest fällt damit in die Woche des Gedenkens an das schlimmste Massaker an Juden seit 1945.
Die Massaker vom 7. Oktober 2023 haben natürlich vor allem Israelis und Juden in aller Welt getroffen. Aber sie haben in der Folge auch Deutschland getroffen und verändert. Es hat die deutsche Kultur verändert und damit den deutschen Film. Es ist weiterhin unklar, wie es eigentlich auf Dauer weitergehen kann – im Wissen um den latenten Antisemitismus breiter Teile der Kulturszene, um schockierenden Antijudaismus und Israel-Feindschaft in gar nicht so kleinen Kreisen unter
den Machern und dem Publikum. Berlin ist ein Schwerpunkt davon, keine Frage. Es gibt in jeder anderen Stadt Deutschlands weniger Antisemitismus als dort. Ausgerechnet.
Aber es gibt Antisemitismus auch in anderen Städten.
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»Zu sagen, dass das zurückliegende Jahr uns viel abverlangt hat, wäre eine grobe Untertreibung«, schreibt Charlotte Knobloch, Münchnerin und Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, jetzt in der noch aktuellen, sehr besonderen Ausgabe der Jüdischen Allgemeinen, die sich vor allem dem Rückblick auf das vergangene Jahr widmet, und viele Artikel zum 7. Oktober und seinen Facetten enthält.
»Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals eine Bedrohungslage derart dauerhaft und intensiv auf die Schmerzpunkte der jüdischen Gemeinschaft eingewirkt hätte«, schreibt Knobloch weiter. »An der Schwelle zum neuen Jahr hält das alte uns weiterhin fest im Griff, der 7. Oktober ist bis heute nicht zu Ende.«
Knobloch äußert auch sehr nachvollziehbar ihr »wütendes Unverständnis« gegenüber dem Verhalten der Münchner Behörden: »Mit der propalästinensisch genannten, faktisch aber vor allem anti-israelischen Zeltstadt auf dem Professor-Huber-Platz hat sich ein prominenter Ort mitten in der Stadt zu einem Hotspot des Hasses auf Israel entwickelt. Dass dieses 'Protestcamp' von den Betreibern seither wiederholt verlängert wurde und die Behörden dagegen selbst dann keine
Eingriffsmöglichkeit sahen, als dort – wie im Sommer geschehen – Israel ›Organraub‹ vorgeworfen wurde wie einst Europas Juden der Ritualmord, hat mich sprachlos zurückgelassen.« – und auch das ist Kultur, öffentliche Kultur, gelebte Gesellschaft.
Wozu all die Filme, die angeblich unsere Gedenkkultur repräsentieren, wenn genau das hier beschriebene Verhalten gleichzeitig in Deutschland stattfindet, ohne dass dagegen irgendetwas unternommen
wird?
Unser Kampf für das »Nie wieder!« und gegen Faschismus bleibt ein Lippenbekenntnis, wenn sich der Islamofaschismus und Linksfaschismus unwidersprochen in Deutschlands breit machen dürfen und hinter einem schrägen Verständnis von »Versammlungsfreiheit« verstecken.
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Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit – damit ist nicht nur die AfD gemeint. Die allerdings auch. Das hat der langjährige SZ-Redakteur Heribert Prantl jetzt im Deutschlandfunk gut herausgearbeitet und die politischen Institutionen dringend ermahnt: »Wer die Grundrechte missbraucht,
den darf der Staat bekämpfen.«
Es genüge nicht, von wehrhafter Demokratie nur zu reden. Sie müsse sich dann schon auch wehren.
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»Die große Masse der Deutschen sagt nichts gegen Judenhass«, ist Guy Katz überzeugt. Katz ist Co-Organisator einer großen Demonstration, die am Sonntag, 6. Oktober in München stattfinden soll, und die von allen demokratischen Parteien, von SPD, FDP, Grünen und CSU, gemeinsam getragen wird. »Es geht darum, dass sich Juden und Nichtjuden endlich zusammen gegen den Antisemitismus aussprechen.« Er glaube, so Katz, »dass der Linksextremismus und der islamistische Extremismus für uns Juden viel gefährlicher sind.« Weil dort Antisemitismus in der maskierten Form der Israelkritik und Palästina-Solidarität geradezu Mode geworden ist.
Die Mehrheit sage »gar nichts, weder für uns noch gegen uns«. Das sei das eigentliche Problem. Das wolle man am 6. Oktober ändern. »Warum ist das so? Ich weiß es nicht. ... Ich glaube, die Deutschen trauen sich aktuell nicht zu, etwas zu sagen. Sie wollen keine Fehler machen und sagen dann lieber nichts. Ich glaube zwar nicht, dass die Mehrheit hier israelfeindlich ist. Aber die Hasser schreien ganz schön laut.«
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Ob der Judenhass auch in München Berliner Formen annehme, wird Katz gefragt. Es gebe weniger Vorfälle, aber auch in München kam es zu entsprechenden Angriffen. »Aber die Landesregierung und die Polizei haben die Lage besser im Griff. Der Antisemitismusbeauftragte der Polizei arbeitet richtig hart. Es gibt einen Antisemitismusbeauftragten der bayerischen Justiz, der ganz tolle Arbeit macht. ›Trotzdem haben wir Vorfälle an Unis. ... Mit den Uni-Präsidenten spreche ich. Sie sagen, sie könnten nichts machen. Das ist auch bei den Professoren so: Die meisten sagen nichts, obwohl sie längst den Mund hätten aufmachen müssen. Es ist wie beim Rest der Bevölkerung.‹«
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Vor genau 50 Jahren starb Oskar Schindler. An ihn und seinen Nachlass erinnert jetzt das Bundesarchiv. Steven Spielbergs 31 Jahre alter Film läuft kommende Woche (9.10., 19:30 in Darmstadt) und ist derzeit auf diversen Streaming-Plattformen verfügbar. Es lohnt sich, wo und wie auch immer.
Weiterhin im Kino zu sehen ist auch RP Kahls Die Ermittlung. Zum Beispiel morgen, 3.10., in Frankfurt im originalen Gerichtsgebäude des dortigen Auschwitz-Prozeß.
Am kommenden Mittwoch läuft im Hamburger Zeise Kino ab 18 Uhr die Komplettfassung des Films. Im Anschluss spreche ich vor Ort mit dem Regisseur und
der Schauspielerin Barbara Philipp.
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Kinobetreiber, die außer diesen Filmen den Mut haben, auch noch andere Filme aus Israel und »zur Lage« zu zeigen, denen empfehlen wir zum Beispiel zwei zeitlose Werke von Claude Lanzmann. Der hat sich nämlich außer der Ermordung der europäischen Juden in zwei Dokumentarfilmen auch dem Staat Israel gewidmet:
Pourquoi Israël – ohne Fragezeichen – von 1973, ein Lagebild 25 Jahre nach Gründung des jüdischen Staates verdient unbedingt eine Wiederaufführung, ebenso wie Tsahal von 1994, also genau vor 30 Jahren. Darin geht es um die IDF und ihre Soldaten, und vor allem um die Frage der Wehrhaftigkeit von Juden.
Lanzmann sagte selbst dazu: »Daher handelt es sich bei Tsahal um die Fortsetzung von Shoah. Im Zentrum von Tsahal steht das Problem, dass man angreifen muss, wenn man nicht sterben will, und dass man zugleich
diesen Angriff nach Möglichkeit vermeiden will.
Ohne Tsahal hätte sich die Frage nach dem Frieden zwischen Israel und seinen ehemaligen Feinden niemals gestellt: Israel würde nicht mehr existieren. Dieser Film fühlt sich nicht der Tagesaktualität verpflichtet, sondern fügt sich ein in den langen Zeitablauf der Geschichte. Er trägt zum tiefen Verständnis dessen bei, was von israelischer
Seite aus die Ereignisse von heute vorbereitet und möglich gemacht hat. Er erzählt den langen Weg Israels bis hin zur Anerkennung durch sechs große Kriege hindurch und 46 Jahre permanenter Alarmbereitschaft. Dieser lange Weg wird eines Tages vielleicht zum Abschied von den Waffen führen mit allen damit verbundenen Chancen, Hoffungen und Risiken.«
Claude Lanzmann
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Pünktlich zum jüdischen Neujahrsfest ist in Berlin die Herbstsaison der hiesigen Antisemiten und Israelhasser angebrochen: Ausfälle gegen jüdische Studenten werden wieder nahezu täglich gemeldet, zur perversen Folklore der Hauptstadt gehören auch die sogenannten »propalästinensischen« Demonstrationen. Dass es dann auch noch, wie am gestrigen Dienstag, zu Jubel und »Widerstand« und »Allahu Akbar«-Rufen kommt, ist selbst für hiesige Verhältnisse unalltäglich.
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Aber bei so etwas bleibt es nicht in Berlin. Jetzt ist der Berliner Kultursenator Joe Chialo zunächst bei der Eröffnung eines Kulturfestivals derart tätlich und verbal angegriffen worden, dass er nur unter Polizeischutz den Ort verlassen konnte. Es folgte ein Angriff auf sein Privathaus, das mit roter Farbe und unter anderem dem Slogan »Genocide Joe Chialo« besprüht wurde.
Verantwortlich gemacht werden Israelhasser und Antisemiten, die dem Senator seinen Einsatz für eine
Antisemitismusklausel vorhalten.
Zu dieser weiteren Eskalation erklärte der PEN:
»Inakzeptabel sind nicht nur diese gewalttätigen Übergriffe, inakzeptabel ist auch der mit blutroter Farbe an die Hauswand gesprühte Vorwurf, Chialo würde einen 'Genozid' unterstützen. Im Rahmen des Bücherfests diskutierte der Kultursenator im Juni auf einer Veranstaltung des PEN Berlin u.a. mit dessen Sprecher Deniz Yücel. Dieser übte dabei einmal mehr deutliche Kritik an der 'Antisemitismus-Klausel', die Chialo Ende vorigen Jahres eingeführt und nach der Kritik von
Kulturschaffenden und Verfassungsrechtlern wieder zurückgezogen hatte. Auch gegenüber Versuchen, eine solche Klausel in veränderter Form vorzulegen, zeigte sich Yücel skeptisch. Der Meinungsunterschied wurde respektvoll mit Argumenten ausgetragen. Fäuste und Farbbeutel sind keine Argumente – und infame Verleumdung ist es auch nicht.
'Ich halte Joe Chialos Bestreben, effektiv gegen Antisemitismus vorzugehen, für ehrenwert, wenngleich ich nicht immer seine
Vorschläge und seine Lagebeurteilung teile', sagte Yücel. 'Aber ich schätze seine Bereitschaft, sich der Kritik zu stellen und im Gespräch mit Kulturschaffenden nach Lösungen zu suchen.' ... Und noch mal: Wir streiten gerne mit Joe Chialo, welche Mittel bei der Bekämpfung des Antisemitismus angemessen und wirkungsvoll sind und sich mit dem Grundgesetz, der Kunstfreiheit und dem Ideal vereinbaren lassen – und wie man in diese Diskussion auch die moderaten
palästinensischen Stimmen einbeziehen kann und vermeidet, jede Kritik an der Netanjahu-Regierung unter Verdacht zu stellen.
Aber wenn Joe Chialo tätlich angegriffen wird, wenn sogar seine Familie in Mitleidenschaft gezogen wird, dann gibt es nichts zu diskutieren. Dann stehen wir an seiner Seite.«
Man wünschte sich, ähnliches mit ähnlicher Klarheit auch aus anderen Kreisen des Kulturbetriebs zu hören.