Stimme der Subsahara |
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Perspektivierung auf die Cause africaine | ||
(Foto: Filmmuseum München · Ousmane Sembène) |
Von Dunja Bialas
Er gilt als »Vater des afrikanischen Kinos«. Ousmane Sembène hat fast zehn Jahre nach dem bahnbrechenden Les maîtres fous des Ethnographen Jean Rouch damit begonnen, Filme über den afrikanischen Kontinent und seine Menschen zu drehen. Anders als Rouch entstammt der Senegalese selbst der Welt, die sein Sujet wurde – für Afrika ist das Anfang der Sechzigerjahre ein noch fast undenkbares Faktum – was ihn zum Wegbereiter einer Kinematographie der Subsahara machte. Sembène ist Autor von zehn Romanen. Anfang der Sechzigerjahre studierte er in Moskau Film, pendelte als Arbeiter zwischen den Kontinenten, um in Frankreich in der Fabrik von Citroën und im Hafen von Marseille zu arbeiten, und schuf in zwei Jahrzehnten über ein Dutzend Filme über die Cause africaine. Senegal wurde erst 1960 unabhängig, und so standen seine Filme – den ersten machte er 1963 – noch ganz unter dem Eindruck eines anhaltenden kolonialistischen Denkens. Frankreich war noch gar nicht so postkolonial gestimmten, und im Senegal hatte die Kolonialzeit noch frische Narben in den Seelen der Menschen hinterlassen. Aber nicht nur in der Auseinandersetzung mit dem weißen Kontinent entstanden seine Filme: Er hat sich auch unumwunden seinen Landsleuten zugewandt, ab 1968 dreht er überwiegend in den verschiedenen Idiomen von Schwarzafrika, meist in Wolof. So muss im Falle von Ousmane Sembène die berühmte Frage der indisch-amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Spivak »Can the subaltern speak?«, die sie bereits 1988 formulierte und sich seitdem hartnäckig hält, eindeutig mit »Ja« beantwortet werden.
Das Filmmuseum München zeigt nun sein aufsehenerregendes Werk, das in den Sechzigerjahren ikonische Strahlkraft entwickelte, die über Afrika hinausreichte, auch wenn Sembène seine Filme zunächst vor allem für ein afrikanisches Publikum machte. Seine Geschichten und Figuren dürfen uns fremd bleiben, sie kommen aus ohne die didaktische Vermittlung eines für die Sechzigerjahre so typischen Erklärgestus dokumentarischer Off-Kommentare, gleichzeitig halten sie auch der weißen Gesellschaft den Spiegel, wenn nicht gar den Zerrspiegel vor. Zumindest, wenn sich, wie in La noire de... (1966), die Franzosen, die sich im südfranzösischen Antibes vom Kolonialdienst erholen wollen, das Schwarzsein und die kulturelle Verschiedenheit ihres senegalesischen Kindermädchens beharrlich unter das Vorzeichen des Exotismus stellen – und für die Schwarze den Urlaub in Frankreich zum Horrortrip werden lassen.
Filme sind als universale Sprache verständlich, für Sembène war das ein wichtiger Aspekt, um überhaupt mit dem Filmemachen zuu beginnen. Er wollte direkt zu seinen Landsleuten sprechen, die seine Bücher nicht erreichen konnten, weil sie schlichtweg nicht lesen konnten. Manche seiner Novellen und Romane verfilmte er so auch. Wichtig war ihm die Unabhängigkeit von europäischen Geldgebern, er schuf Produktionsstrukturen, mit denen er aufwendige Filme ohne weißes Geld finanzieren konnte, wie den Historienfilm Camp de Thiaroye (1988) über die Kolonialtruppen, die für die Franzosen im 2. Weltkrieg in der ersten Frontlinie kämpfen mussten. Das Unabhängigkeitspostulat vom europäischen Geld wiegt bei so einem Thema natürlich schwer.
Ousmane Sembènes Themen sind der Rassismus der weißen Welt, aber auch der Alltag der Afrikaner, was Sembène stets mit großer Symbolkraft und allegorischer Aussagekraft inszeniert. In seinem ersten Film Borrom Sarret (1963) erzählt er die gleichnishafte Geschichte von einem armen Karrenführer in Dakar, der von einem Griot, dem Dorfsänger, ausgenommen wird. Eine fast kafkaeske Geschichte über die Unmöglichkeit, an Geld zu gelangen, erzählt Mandabi (1968) (mit dem schönen deutschen Titel Die Postanweisung). In anderen Filmen geht es um Reishüterinnen und Fruchtbarkeit, Impotenz und Handel und um die gefährliche Mischung von Waffen, Religion und Alkohol. Letzter Film der Reihe ist Moolaadé – Bann der Hoffnung (2004). Nur drei Jahre vor seinem Tod seziert der achtzigjährige Sembène die patriarchalen Strukturen der senegalesischen Gesellschaft, die vor allem für die Frauen den Aufbruch in ein modernes Afrika schwermachen.
Retrospektive Ousmane Sembène
Bis 17. Dezember 2024, Filmmuseum München