03.10.2024

Stimme der Subsahara

La noire de...
Perspektivierung auf die Cause africaine
(Foto: Filmmuseum München · Ousmane Sembène)

Der senegalesische Filmemacher Ousmane Sembène in einer Retrospektive im Filmmuseum München

Von Dunja Bialas

Er gilt als »Vater des afri­ka­ni­schen Kinos«. Ousmane Sembène hat fast zehn Jahre nach dem bahn­bre­chenden Les maîtres fous des Ethno­gra­phen Jean Rouch damit begonnen, Filme über den afri­ka­ni­schen Kontinent und seine Menschen zu drehen. Anders als Rouch entstammt der Sene­ga­lese selbst der Welt, die sein Sujet wurde – für Afrika ist das Anfang der Sech­zi­ger­jahre ein noch fast undenk­bares Faktum – was ihn zum Wegbe­reiter einer Kine­ma­to­gra­phie der Subsahara machte. Sembène ist Autor von zehn Romanen. Anfang der Sech­zi­ger­jahre studierte er in Moskau Film, pendelte als Arbeiter zwischen den Konti­nenten, um in Frank­reich in der Fabrik von Citroën und im Hafen von Marseille zu arbeiten, und schuf in zwei Jahr­zehnten über ein Dutzend Filme über die Cause africaine. Senegal wurde erst 1960 unab­hängig, und so standen seine Filme – den ersten machte er 1963 – noch ganz unter dem Eindruck eines anhal­tenden kolo­nia­lis­ti­schen Denkens. Frank­reich war noch gar nicht so post­ko­lo­nial gestimmten, und im Senegal hatte die Kolo­ni­al­zeit noch frische Narben in den Seelen der Menschen hinter­lassen. Aber nicht nur in der Ausein­an­der­set­zung mit dem weißen Kontinent entstanden seine Filme: Er hat sich auch unum­wunden seinen Lands­leuten zugewandt, ab 1968 dreht er über­wie­gend in den verschie­denen Idiomen von Schwarz­afrika, meist in Wolof. So muss im Falle von Ousmane Sembène die berühmte Frage der indisch-ameri­ka­ni­schen Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­lerin Spivak »Can the subaltern speak?«, die sie bereits 1988 formu­lierte und sich seitdem hart­nä­ckig hält, eindeutig mit »Ja« beant­wortet werden.

Das Film­mu­seum München zeigt nun sein aufse­hen­er­re­gendes Werk, das in den Sech­zi­ger­jahren ikonische Strahl­kraft entwi­ckelte, die über Afrika hinaus­reichte, auch wenn Sembène seine Filme zunächst vor allem für ein afri­ka­ni­sches Publikum machte. Seine Geschichten und Figuren dürfen uns fremd bleiben, sie kommen aus ohne die didak­ti­sche Vermitt­lung eines für die Sech­zi­ger­jahre so typischen Erklär­gestus doku­men­ta­ri­scher Off-Kommen­tare, gleich­zeitig halten sie auch der weißen Gesell­schaft den Spiegel, wenn nicht gar den Zerr­spiegel vor. Zumindest, wenn sich, wie in La noire de... (1966), die Franzosen, die sich im südfran­zö­si­schen Antibes vom Kolo­ni­al­dienst erholen wollen, das Schwarz­sein und die kultu­relle Verschie­den­heit ihres sene­ga­le­si­schen Kinder­mäd­chens beharr­lich unter das Vorzei­chen des Exotismus stellen – und für die Schwarze den Urlaub in Frank­reich zum Horror­trip werden lassen.

Filme sind als univer­sale Sprache vers­tänd­lich, für Sembène war das ein wichtiger Aspekt, um überhaupt mit dem Filme­ma­chen zuu beginnen. Er wollte direkt zu seinen Lands­leuten sprechen, die seine Bücher nicht erreichen konnten, weil sie schlichtweg nicht lesen konnten. Manche seiner Novellen und Romane verfilmte er so auch. Wichtig war ihm die Unab­hän­gig­keit von europäi­schen Geld­ge­bern, er schuf Produk­ti­ons­struk­turen, mit denen er aufwen­dige Filme ohne weißes Geld finan­zieren konnte, wie den Histo­ri­en­film Camp de Thiaroye (1988) über die Kolo­ni­al­truppen, die für die Franzosen im 2. Weltkrieg in der ersten Front­linie kämpfen mussten. Das Unab­hän­gig­keits­pos­tulat vom europäi­schen Geld wiegt bei so einem Thema natürlich schwer.

Ousmane Sembènes Themen sind der Rassismus der weißen Welt, aber auch der Alltag der Afrikaner, was Sembène stets mit großer Symbol­kraft und alle­go­ri­scher Aussa­ge­kraft insze­niert. In seinem ersten Film Borrom Sarret (1963) erzählt er die gleich­nis­hafte Geschichte von einem armen Karren­führer in Dakar, der von einem Griot, dem Dorf­sänger, ausge­nommen wird. Eine fast kafkaeske Geschichte über die Unmög­lich­keit, an Geld zu gelangen, erzählt Mandabi (1968) (mit dem schönen deutschen Titel Die Post­an­wei­sung). In anderen Filmen geht es um Reis­hü­te­rinnen und Frucht­bar­keit, Impotenz und Handel und um die gefähr­liche Mischung von Waffen, Religion und Alkohol. Letzter Film der Reihe ist Moolaadé – Bann der Hoffnung (2004). Nur drei Jahre vor seinem Tod seziert der acht­zig­jäh­rige Sembène die patri­ar­chalen Struk­turen der sene­ga­le­si­schen Gesell­schaft, die vor allem für die Frauen den Aufbruch in ein modernes Afrika schwer­ma­chen.

Retro­spek­tive Ousmane Sembène
Bis 17. Dezember 2024, Film­mu­seum München