»The video-library is a hoax« |
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Wie eine Fata Morgana: Bomba Bernal | ||
(Foto: IFFR | Khavn) |
Von Dunja Bialas
»Wir zahlen nur mit Bargeld, das ist wirklich problematisch hier.« Der philippinische Filmemacher Khavn trägt einen paradiesvogelbunten, langen Mantel, aus schwerem Stoff gefertigt, auf dem sich großflächig Muster breit machen. Auf der Nase eine silberglitzernde Brille, offensichtlich ohne Gläser. Sie gehört zu seinem Outfit. Khavn fällt auf und aus dem Raster, selbst beim Zahlen: Er misstraut den Banken.
Unsicheres, wenn nicht kriminelles Bankenwesen hat eine lange Tradition auf den Philippinen, erklärt die Filmproduzentin Achinette Villamor. Wir sitzen in einem Café beim Frühstück, es ist unser letzter Tag, wir plaudern über dies und das, so lange, bis der Toast kommt. Dass in Rotterdam überall »PIN only« geschrieben steht, amüsiert uns. Achinette wäre vor einigen Jahren fast verhungert, weil sie nirgendwo etwas zu essen bekommen hat. Sagt sie. Seit Corona hat sich die Digitalisierung nun auch komplett aufs Festival übertragen, positiv wirkt sich das bei der Ticketbestellung aus. Und, wie leider zu erwarten: negativ ist das für die Arbeitskonditionen. Nirgendwo gibt es mehr ruhige Schreibplätze, vor allem aber schmerzt der Wegfall der Video-Library. Der dunkle Raum im obersten Stockwerk des Doelen war eine wichtige Anlaufstelle, um Filme aus dem elftägigen Programm zu gucken, die außerhalb der eigenen Präsenzzeit liefen, oder auch einfach für einzelne Filmtitel durch das Kurzfilmprogramm zu browsen. Wichtig war die Library auch, um Kollegen und Kolleginnen aufzufinden, die ausschließlich in der geräumigen Dunkelkammer saßen.
Wir fragen uns: Wo sind sie alle hin? Den Sichtungsraum gibt es nicht mehr. Sitzen sie jetzt alle in ihren Hotelzimmern? Jeder für sich? Denn das W-LAN im Festivalzentrum, das hat der Praxistest gezeigt, ist für den Stream zu schwach, die Filme starten nicht. Achinette will aber gehört haben, dass es dieses Jahr doch wieder eine Video-Library geben soll, im 4. Stock, ganz oben im Doelen, wie früher.
Wenig später bekomme ich die Nachricht auf mein Handy: »The video-library is a hoax.«
Khavn, Regisseur von mittlerweile 57 Filmen, hat auch dieses Jahr einen neuen Film nach Rotterdam mitgebracht. Bomba Bernal sammelt Found Footage eines kuriosen philippinischen Filmgenres. Das sprechend benannte »Bomba« ist Porno für das breite Publikum. Explizite Sexszenen rhythmisieren einen kaum noch als Plot zu bezeichnenden Handlungsverlauf im 15-Minuten-Takt. Peak der sexuellen Freizügigkeit waren die Sechzigerjahre, die Filme absoluter Mainstream. Khavn ließ eine KI die Datensätze von vielen (digital aufgefundenen) Bomba-Filmen durchsuchen, pickte sich alle Sex-Szenen heraus und kompilierte sie für Bomba Bernal zu einem spaßvoll-ernüchternden Lust-Reigen. Auf der Tonspur kommentiert der philippinische Filmemacher Ishmael Bernal, der 1996 verstarb. Khavn hat seine Stimme durch KI wiederbelebt, und lässt ihn einen Text sprechen, der wiederum aus vielen seiner Texte zusammengesetzt ist.
Die Verausgabung im Porn wird so als Ermüdung der philippinischen Seele unter der Dikatur verständlich und für den Nonsense, in den die Bevölkerung unter Ferdinand Marcos gedrängt wird; aber auch für den Widerstand des Filmlandes gegen die Filmindustrie der Amerikaner und die alten Kolonialherren. Ficken für den Seelenfrieden also, irgendwie.
Bomba Bernal mit seiner filmhistorischen Ausrichtung lief in »Cinema Regained« von Olaf Möller. Der deutsche Kurator konnte unter der Festivalchefin Vanja Kaludjercic die Reihe ausbauen, die im Vorwort zum Festivalkatalog – übrigens unverzichtbar, die Webiste ist ein fail… – die Wichtigkeit von »Cinema Regained«, aber auch »Harbour« (über die wir bereits anlässlich von Ghost Trail berichteten) betont, und zwar als ästhetische Diversität: »I hope that Harbour and Cinema Regained serve as examples of what diversity can mean: how a range of ideas and visions can coexist in one space, where differences spark new ideas more than similarities ever could.«
Das Stichwort »diversity« machte abends im WORM die Runde, als sich die Berlinale ins Gespräch schob. Er kenne etliche Filme aus dem neuen »Perspectives«-Programm, so ein portugiesischer Kurator, sie seien vordergründig divers und machten dem Panorama Konkurrenz. Nach Encounters als Konkurrenz zum Forum nun jetzt ein thematischer Wettstreit?
Perspectives als Newcomer-Reihe könnte aber auch als Affront gegenüber dem seit 55 Jahren bestehenden internationalen Filmfestival von Rotterdam gelten. Mit seinem »Tiger«-Wettbewerb hat es sich – neben der Ausrichtung auf den asiatischen Raum, was der Historie der Hafenstadt geschuldet ist – den aufkommenden Stimmen eines neuen und aufregenden Kinos verschrieben: den sogenannten Newcomern. Wenn nun die Berlinale nur zwei Wochen nach Rotterdam ebenfalls nach Filmen des Nachwuchses in der Weltpremiere verlangt, scheint sich ein neues Gerangel abzuzeichnen.
Mit Rotterdam aber – no hard feelings – kann die Berlinale auf andere Weise nicht mithalten. Das Programm ist riesig, mit Filmen für den Arthouse-Mainstream, die hierzulande schon längst im Kino laufen, mit der Reihe »Harbour« für alle, die sich auch auf nicht konsumierbare Filme einlassen wollen, mit »Cinema Regained« für die Cineasten.
Während Rotterdam im Hauptprogramm auch experimentelle Filme zeigt – Ariel des Argentiniers Matías Piñeiro und des Gallego Lois Patiño war ein Highlight, über das hier noch berichtet wird –, wird mit dem WORM dem Cinema Expanded ein ganzer Ort gewidmet.
Immersiver »Sound/Vision« führt in Live-Performances das oft hypnotische Zusammenspiel von Visuals (oft auf 16mm und von mehreren Projektoren) mit Musik vor. Die österreichische Performancekünstlerin und Experimentalfilmemacherin Billy Roisz zeigte am gestrigen Mittwoch »Lunar Dust«, eine Zusammenkunft von Video, elektronischer Musik und Zimbeln, die Musik kam von DJ dieb13 – ein Trip mit allen Sinnen.
Weil wir vorhin von den philippinischen Banken sprachen: auch die Schweizer Casinos sind zwielichtig. Der österreichische Regisseur Daniel Hoesl (zuletzt: Veni Vidi Vici) hat in der italienischen Exklave Campione d’Italia am Lago di Lugano das größte Casino Europas portraitiert. Auffällig leer sind die Straßen um den erst 2007 errichteten Neubau, der die kleine Stadt dominiert. Hoesl filmt in Schwarzweiß, lässt so die Illusion von beeindruckendem Brutalismus entstehen. Eine Off-Stimme offenbart die wechselhafte Geschichte des Casinos in der Kadenz eines eindrücklich wiederholten »Rien ne va plus«: Nach Skandalen um Prostituierte und Geldwäsche ging es 2018 pleite und in den Leerstand.
Mittlerweile wird dort zwar wieder gespielt, Hoesl aber suggeriert die Zeit des Dornröschenschlafs – »und es ist immer noch nicht viel los dort«, verrät er nach dem Film. Er nutzt die Doppelbedeutung des italienischen »casinò/o«, das Spielbank, aber auch Chaos meint. Es geht um die Anhäufung von immer mehr Reichtum, und aus dem Off spricht die imaginäre invisible hand (Sandra Ceccarelli) aus den Lehren von Adam Smith. Die Erzählerin taucht auch im Bild auf, wie ein Nachhall der strengen »Soldate Jeannette«, einem der frühen Filme von Hoesl, wenn sie sich eine Halskette mit beiden Händen anlegt. Sie habe das System von innen gesehen, wollte es durchschauen, raunt sie, und zur Essenz des Spiels vordringen. Die sei das Spiel selbst, ein unendliches Spiel, in dem es keinen Gewinn gibt und aus dem man nicht herauskommt. Eine eindrückliche Geste des Spiels, als wir im Inneren des Casinos sind: Die Hände eines Spielers (Andreas Spechtl) – Dostojewskis »Spieler« hat Teile des Textes beigesteuert – klammern sich an den Roulettetisch, verkrampfen, in der Erwartung, dass die Kugel endlich zum Stillstand kommt. Beim Texte verwebenden, Ready-made-Drehbuch mitgeschrieben hat der Dramaturg Thomas Köck (Münchner Kammerspiele), der für Textstrenge sorgt.
Er habe sich an den Filmen der Nouvelle Vague orientiert, sagt Daniel Hoesl, an Alain Resnais’ L’année dernière à Marienbad, zu dem Alain Robbe-Grillet, Autor des Nouveau Roman, ein enigmatisches Drehbuch geschrieben hat. Man denkt beim Sehen auch an Jacques Demys La baie des anges, vermisst ein wenig den hellblonden Schopf von Jeanne Moreau, wenn sie bei Tagesanbruch aus dem Casino flieht. Wichtig sei für Hoesl außerdem das Denken Gilles Deleuze’ gewesen, um Fluchtlinien der Bedeutung zu schaffen, von einem Text zum anderen. Das ergibt viel Holz, als Rezeptionsweise für seinen essayistischen Film schickte er aber voran: »Stop making sense.«
Statt der Talking Heads singt im Film die österreichische Band »Ja, Panik« von den Hirngespinsten, die das Spiel antreiben. Die Faszination des Spiels, ganz allgemein, liegt in der »fabrication of an imagination«. Das darf auch für das Kino gelten. Und am Ende auch für Festivals: Nichts ist real.