Die Leinwandmaler |
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Der Maler mit weder Muse noch Modell (Bad Painter) | ||
(Foto: IFFR | Albert Oehlen) |
Von Dunja Bialas
Purpurn ergießt sich das Meer über die Leinwand. Wellen, Wogen, Gischt, lila, lilablassblau, dunkellila. Der Sturm wühlt das Wasser auf, die Fahrt im Schiff ist ungewiss. Sie dauert, das Meer wogt und wütet. Dreaminess macht sich breit, Realitätsverlust, alle auf dem Schiff verfallen der Schlafkrankheit, nur nicht Agus, die zwischen den liegenden Körpern auf dem Deck herumgeht. Dann: Ankunft auf der Azoreninsel Faial. Das Grün der Vegetation erschüttert, komplementär zum Purpur brennt es sich in die Retina, großflächig und prächtig, ein helles, frohlockendes Grün, Vitalität, Saft. Was für ein Auftakt, was für ein Film! 16mm, grobes Korn, Doppelbelichtungen, Farbergüsse, somnambul. In einem Wort: Leinwandmalerei.
Lois Patiño, der Gallego von der rauen galicischen Küste im äußersten Nordwestspanien, taucht in Ariel tief in die Natur ein und feiert sie in prächtigen Bildern, gefilmt von Ion de Sosa. Das erinnert an seinen entfesselten Costa da morte, den er an der galicischen Küste gedreht hatte, mit wilder Brandung und hochspritzender Gischt. Der Sturm liegt auch allen Bildern von Ariel zugrunde. Shakespeares »The Tempest« ist die Inspirationsquelle, nach dem Kurzfilm Sycorax, den er mit dem Argentinier Matías Piñeiro gemacht hat, über die Sturm-Hexe. Piñeiro erscheint teilweise in den Credits als Co-Regisseur, aber nicht in allen Datenbanken. Wir nehmen eine Collaboration an, denn Shakespeare und das Erzählen von verwobenen Geschichten ist eher die Sache von Piñeiro, der eine ganze Serie mit Shakespeare-Filmen gemacht hat: »The Shakespeare Reads«. Egal aber ob mit oder ohne Piñeiro: Bei Patiño animiert der Luftgeist Ariel die Leinwandbilder.
Aber so geradlinig geht es nicht. Nach der bewegten Überfahrt übers Meer Ankunft auf einer Insel. Es beginnt ein Spiel im Spiel, ein Spiegel im Spiegel, der Shakespeare, das Stück, radikal hinter sich lässt. Zunächst, was ist das für eine Insel: Die gibt es zwei Mal, als Spiegelinsel, alle Dinge spielen / spiegeln sich jeweils auf entgegengesetzte Weise ab, was auf der einen geschieht, passiert auch auf der anderen. Außerdem: Viele Tage vergehen hier binnen weniger Stunden. Die Zeitbeschleunigung jedoch manifestiert sich eher durch Zeitlosigkeit und Stillstand, jeden Tag geht es einfach wieder von vorne los: das Acting in den Stücken von Shakespeare. Denn die ganze Insel ist ein Theater, in den Buchten, am Strand, in der Lichtung, überall spielen Figuren die Stücke von Shakespeare, unermüdlich, gefangen in einem ewigen Spiel.
Die Protagonistin vom Schiff ist die argentinische Schauspielerin Agus (Agustina Muñoz), die auf der Insel ein Engagement zu einem Shakespeare-Stück erwartet. So zumindest wurde ihr es im Casting gesagt. Allein, es gibt kein außerhalb der Fiktion auf dieser Insel, auch niemanden, der sich an ein Casting erinnern kann, oder gar an ein Schauspiel. Das Spiel fällt hier mit der Realität ineins, weshalb Agus am Ende als einzige die Metafiktionalitätskompetenz hat, um das Spiel als Spiel zu durchschauen. Sie trifft auf Caliban, den Sohn von Sycorax, und auf Ariel. Den animistischen Geist spielt Irene Escolar, die mit Hauptrollen in Jonas Truebas You Have to Come and See It und Itsaso Aranas Las chicas están bien zur Generation eines aufregenden, neuen spanischen Kinos gehört. Hier, in Ariel, sind alle Menschen Figuren, die den Köpfen entsprungen sind, Hirngespinste, die in der Fiktion gefangen sind. »We must destroy the book and free all characters«, so Agus’ wahnwitziger Plan.
Die Metafiktionalität und das erwünschte Ende der Fiktion sind die Windungen, in die hinein sich der Plot verdreht und verwirrt, um den Naturalismus der Darstellung zu durchbrechen, um die Fiktionalität auszustellen, aber auch, um die Sehnsucht nach dem Realen hineinzubringen. Patiño hat zum ersten Mal mit professionellen Schauspielern gearbeitet, hat sie den logischen Lücken seines Plots ausgesetzt, in denen sich, ähnlich wie in Samsara, Fluchtlinien in andere Erzählderivate bahnen. Patiño ist ein Naturfilmer, er ist esoterisch, intellektuell, dekonstruktiv und doch simpel und über die Maße die Sinne und die Gedanken anstiftend. Werden die Figuren befreit?
Was ist real, was ist Spiel? Auch Albert Oehlen interessiert der Blick hinter den Spiegel, in seiner Selbstbefragung und Autokarikatur Bad Painter. Alles beginnt mit einem Body-Horror-Moment. Ein Quirl dreht sich in einer Augenhöhle, bekommt den losen Augapfel zu fassen, spiralt ihn heraus. Das schmerzt. Dann Auftritt Udo Kier, türkisfarbener Blick. Er spielt einen Maler, Albert Oehlen (zu verorten an der Kunstakademie Düsseldorf, sein Bruder Markus Oehlen lehrt an der Akademie der Bildenden Künste München).
Albert Oehlen, mit Udo Kiers stechendem Blick, steht vor einer weißen Malerleinwand. Setzt einen dicken Pinselstrich. »A fleck is already a painting«, triumphiert er. Doch er hadert mit den Farben, mag kein Gelb, kalauert: »I feel pain when I paint. Pain-ting!« Er ist in L.A., residiert in einer Villa auf den Hügeln, begegnet seiner Mutter in Gestalt der Grace Zabriskie, die mit ihrer Schauspielpräsenz unmittelbar an David Lynch denken lässt. Den Raum und die Bilder behandelt der Regisseur Oehlen jedoch nicht in einer lynchesken Logik, mehr als wären sie selbst Farben, die er nebeneinander fügt. Eine Interviewerin befragt ihn. Sie wird gespielt von Kim Gordon, der Sonic-Youth-Sängerin. Charlotte Taschen, Tochter des Taschen-Verlag-Gründers Benedikt, die aber tatsächlich eine Schauspielerin ist, spielt mit langen Wimpern und endlosen Beinen Charlie, des Malers Freundin und Elevin – die ihn aus seinem Männlichkeitsstolz und seiner Künstlerhybris herunterholt.
Die Oberfläche des Films durchtränkt Oehlen also immer mit einer weiteren Realitäts- und Fiktionalitätsebene, nie verharrt der Film beim Dargestellten oder Gesagten. Das ist unglaublich komisch, leicht, wenn der Künstler, Alter Ego des echten Künstlers Albert Oehlen, stets an sich selbst zweifelt (was, wenn das Bild, das während des Films entsteht, misslänge?), sich selbst ausstellt und irgendwie auch fürchterlich eitel ist, aber immer sympathisch, gebrochen, ohne dass die Ironie zu sehr überhand nähme. »Ich bin es nicht«, sagt Oehlen nach dem Film im großen Rotterdamer Pathé-IMAX, der Maler im Film sei ein überfrachtetes Klischee. Oehlen lässt es sich aber nicht nehmen, hinter der Kamera sichtbar zu werden, wie der Painter vor der Leinwand eben.
Albert Oehlen hatte in Co-Regie mit Oliver Hirschbiegel gearbeitet, jetzt hat er zum ersten Mal allein Regie geführt; sein Bad Painter ist wiederum ein Spiegelfilm zu Der Maler (2021), in dem Charlotte Rampling das Voiceover gesprochen hat. Den Film hat er einfach umgestülpt, erzählt er; der Voiceover-Text erscheint nun als Dialog, den die Figuren sprechen; der Dialog damals ist jetzt das Voiceover von Kim Gordon. Wie dem auch sei: Herausgekommen ist ein großer Spaß, zu dem Udo Kier viel beiträgt, und ein intellektuelles Spiel, das durchgängig seine Haltung der Uneigentlichkeit manifestiert und das künstliche Maluniversum perspektiviert. Und: Bad Painter reimt sich natürlich auch auf Bad Director, auf vielfältige Weise.