13.02.2025

Die Leinwandmaler

Bad Painter
Der Maler mit weder Muse noch Modell (Bad Painter)
(Foto: IFFR | Albert Oehlen)

Landschaften zu Farbe: »Ariel« des argentinisch-galicischen Duos Piñeiro / Patiño und Albert Oehlens »Bad Painter« auf dem 54. Filmfestival Rotterdam zeichnen großflächige Film-Gemälde auf die Leinwand

Von Dunja Bialas

In der Fiktion gefangen: Ariel (Lois Patiño)

Purpurn ergießt sich das Meer über die Leinwand. Wellen, Wogen, Gischt, lila, lilab­lass­blau, dunkel­lila. Der Sturm wühlt das Wasser auf, die Fahrt im Schiff ist ungewiss. Sie dauert, das Meer wogt und wütet. Drea­m­i­ness macht sich breit, Reali­täts­ver­lust, alle auf dem Schiff verfallen der Schlaf­krank­heit, nur nicht Agus, die zwischen den liegenden Körpern auf dem Deck herumgeht. Dann: Ankunft auf der Azoren­insel Faial. Das Grün der Vege­ta­tion erschüt­tert, komple­mentär zum Purpur brennt es sich in die Retina, großflächig und prächtig, ein helles, froh­lo­ckendes Grün, Vitalität, Saft. Was für ein Auftakt, was für ein Film! 16mm, grobes Korn, Doppel­be­lich­tungen, Farber­güsse, somnambul. In einem Wort: Lein­wand­ma­lerei.

Ariel
Gali­ons­figur Agustina Muñoz (Foto: IFFR | Lois Patiño)

Lois Patiño, der Gallego von der rauen gali­cis­chen Küste im äußersten Nord­west­spa­nien, taucht in Ariel tief in die Natur ein und feiert sie in präch­tigen Bildern, gefilmt von Ion de Sosa. Das erinnert an seinen entfes­selten Costa da morte, den er an der gali­cis­chen Küste gedreht hatte, mit wilder Brandung und hoch­sprit­zender Gischt. Der Sturm liegt auch allen Bildern von Ariel zugrunde. Shake­speares »The Tempest« ist die Inspi­ra­ti­ons­quelle, nach dem Kurzfilm Sycorax, den er mit dem Argen­ti­nier Matías Piñeiro gemacht hat, über die Sturm-Hexe. Piñeiro erscheint teilweise in den Credits als Co-Regisseur, aber nicht in allen Daten­banken. Wir nehmen eine Colla­bo­ra­tion an, denn Shake­speare und das Erzählen von verwo­benen Geschichten ist eher die Sache von Piñeiro, der eine ganze Serie mit Shake­speare-Filmen gemacht hat: »The Shake­speare Reads«. Egal aber ob mit oder ohne Piñeiro: Bei Patiño animiert der Luftgeist Ariel die Lein­wand­bilder.

Aber so gerad­linig geht es nicht. Nach der bewegten Überfahrt übers Meer Ankunft auf einer Insel. Es beginnt ein Spiel im Spiel, ein Spiegel im Spiegel, der Shake­speare, das Stück, radikal hinter sich lässt. Zunächst, was ist das für eine Insel: Die gibt es zwei Mal, als Spie­gel­insel, alle Dinge spielen / spiegeln sich jeweils auf entge­gen­ge­setzte Weise ab, was auf der einen geschieht, passiert auch auf der anderen. Außerdem: Viele Tage vergehen hier binnen weniger Stunden. Die Zeit­be­schleu­ni­gung jedoch mani­fes­tiert sich eher durch Zeit­lo­sig­keit und Still­stand, jeden Tag geht es einfach wieder von vorne los: das Acting in den Stücken von Shake­speare. Denn die ganze Insel ist ein Theater, in den Buchten, am Strand, in der Lichtung, überall spielen Figuren die Stücke von Shake­speare, uner­müd­lich, gefangen in einem ewigen Spiel.

Die Prot­ago­nistin vom Schiff ist die argen­ti­ni­sche Schau­spie­lerin Agus (Agustina Muñoz), die auf der Insel ein Enga­ge­ment zu einem Shake­speare-Stück erwartet. So zumindest wurde ihr es im Casting gesagt. Allein, es gibt kein außerhalb der Fiktion auf dieser Insel, auch niemanden, der sich an ein Casting erinnern kann, oder gar an ein Schau­spiel. Das Spiel fällt hier mit der Realität ineins, weshalb Agus am Ende als einzige die Meta­fik­tio­na­li­täts­kom­pe­tenz hat, um das Spiel als Spiel zu durch­schauen. Sie trifft auf Caliban, den Sohn von Sycorax, und auf Ariel. Den animis­ti­schen Geist spielt Irene Escolar, die mit Haupt­rollen in Jonas Truebas You Have to Come and See It und Itsaso Aranas Las chicas están bien zur Gene­ra­tion eines aufre­genden, neuen spani­schen Kinos gehört. Hier, in Ariel, sind alle Menschen Figuren, die den Köpfen entsprungen sind, Hirn­ge­spinste, die in der Fiktion gefangen sind. »We must destroy the book and free all charac­ters«, so Agus’ wahn­wit­ziger Plan.

Die Meta­fik­tio­na­lität und das erwünschte Ende der Fiktion sind die Windungen, in die hinein sich der Plot verdreht und verwirrt, um den Natu­ra­lismus der Darstel­lung zu durch­bre­chen, um die Fiktio­na­lität auszu­stellen, aber auch, um die Sehnsucht nach dem Realen hinein­zu­bringen. Patiño hat zum ersten Mal mit profes­sio­nellen Schau­spie­lern gear­beitet, hat sie den logischen Lücken seines Plots ausge­setzt, in denen sich, ähnlich wie in Samsara, Flucht­li­nien in andere Erzähl­de­ri­vate bahnen. Patiño ist ein Natur­filmer, er ist esote­risch, intel­lek­tuell, dekon­struktiv und doch simpel und über die Maße die Sinne und die Gedanken anstif­tend. Werden die Figuren befreit?

Auto­ka­ri­katur: Bad Painter (Albert Oehlen)

Was ist real, was ist Spiel? Auch Albert Oehlen inter­es­siert der Blick hinter den Spiegel, in seiner Selbst­be­fra­gung und Auto­ka­ri­katur Bad Painter. Alles beginnt mit einem Body-Horror-Moment. Ein Quirl dreht sich in einer Augen­höhle, bekommt den losen Augapfel zu fassen, spiralt ihn heraus. Das schmerzt. Dann Auftritt Udo Kier, türkis­far­bener Blick. Er spielt einen Maler, Albert Oehlen (zu verorten an der Kunst­aka­demie Düssel­dorf, sein Bruder Markus Oehlen lehrt an der Akademie der Bildenden Künste München).

Bad Painter
Udo Kier mit Maler­blick (Foto: IFFR | Albert Oehlen)

Albert Oehlen, mit Udo Kiers stechendem Blick, steht vor einer weißen Maler­lein­wand. Setzt einen dicken Pinsel­strich. »A fleck is already a painting«, trium­phiert er. Doch er hadert mit den Farben, mag kein Gelb, kalauert: »I feel pain when I paint. Pain-ting!« Er ist in L.A., residiert in einer Villa auf den Hügeln, begegnet seiner Mutter in Gestalt der Grace Zabriskie, die mit ihrer Schau­spiel­prä­senz unmit­telbar an David Lynch denken lässt. Den Raum und die Bilder behandelt der Regisseur Oehlen jedoch nicht in einer lynche­sken Logik, mehr als wären sie selbst Farben, die er neben­ein­ander fügt. Eine Inter­viewerin befragt ihn. Sie wird gespielt von Kim Gordon, der Sonic-Youth-Sängerin. Charlotte Taschen, Tochter des Taschen-Verlag-Gründers Benedikt, die aber tatsäch­lich eine Schau­spie­lerin ist, spielt mit langen Wimpern und endlosen Beinen Charlie, des Malers Freundin und Elevin – die ihn aus seinem Männ­lich­keits­stolz und seiner Künst­ler­hy­bris herun­ter­holt.

Die Ober­fläche des Films durch­tränkt Oehlen also immer mit einer weiteren Realitäts- und Fiktio­na­li­täts­ebene, nie verharrt der Film beim Darge­stellten oder Gesagten. Das ist unglaub­lich komisch, leicht, wenn der Künstler, Alter Ego des echten Künstlers Albert Oehlen, stets an sich selbst zweifelt (was, wenn das Bild, das während des Films entsteht, misslänge?), sich selbst ausstellt und irgendwie auch fürch­ter­lich eitel ist, aber immer sympa­thisch, gebrochen, ohne dass die Ironie zu sehr überhand nähme. »Ich bin es nicht«, sagt Oehlen nach dem Film im großen Rotter­damer Pathé-IMAX, der Maler im Film sei ein über­frach­tetes Klischee. Oehlen lässt es sich aber nicht nehmen, hinter der Kamera sichtbar zu werden, wie der Painter vor der Leinwand eben.

Albert Oehlen hatte in Co-Regie mit Oliver Hirsch­biegel gear­beitet, jetzt hat er zum ersten Mal allein Regie geführt; sein Bad Painter ist wiederum ein Spie­gel­film zu Der Maler (2021), in dem Charlotte Rampling das Voiceover gespro­chen hat. Den Film hat er einfach umge­stülpt, erzählt er; der Voiceover-Text erscheint nun als Dialog, den die Figuren sprechen; der Dialog damals ist jetzt das Voiceover von Kim Gordon. Wie dem auch sei: Heraus­ge­kommen ist ein großer Spaß, zu dem Udo Kier viel beiträgt, und ein intel­lek­tu­elles Spiel, das durch­gängig seine Haltung der Unei­gent­lich­keit mani­fes­tiert und das künst­liche Maluni­versum perspek­ti­viert. Und: Bad Painter reimt sich natürlich auch auf Bad Director, auf viel­fäl­tige Weise.