13.02.2025
75. Berlinale 2025

»Licht« am Ende des Tunnels?

Das LIcht, Tykwer
»Licht«, der neue Film des deutschen Regiestars Tom Tykwer ist als Eröffnungsfilm gut gewählt...
(Foto: Frederic Batier/X Verleih)

Der Trost von Fremden: Deja-vus bei der Berlinale – Alles wird mal wieder neu, nur die Probleme bleiben erstmal die alten; Berlinale Tagebuch, Folge 1

Von Rüdiger Suchsland

Am Donnerstag Abend werden sie eröffnet: Die 75. Berliner Film­fest­spiele – und das mit einer inter­es­santen Perso­nalie: Die Luxem­bur­gerin Désirée Nosbusch, Schau­spie­lerin, TV-Host, neuer­dings auch Regis­seurin – ihr Regie­debüt Poison kam gerade ins Kino –, und auch in Deutsch­land schon seit Jahr­zehnten ein Star, führt an diesem Donners­tag­abend als Mode­ra­torin durch die Eröff­nungs­gala im Berlinale-Palast am Potsdamer Platz.

Damit verbunden ist auch über Bande ein char­manter Wink zur eigenen Berlinale-Retro­spek­tive und zum artechock-Sitz nach München: Denn für keinen Kinofilm ist Nosbusch auch annähernd so berühmt wie für den singulären und seiner­zeit gründlich verkannten Film  Der Fan vom kürzlich leider verstor­benen Eckhart Schmidt. Der Film wäre ein wieder zu entde­ckender Klassiker, und außerdem eine gute Ergänzung für die dies­jäh­rige Berlinale-Retro­spek­tive, die – Wild schräg blutig – deutschen Genre­fil­mern der Siebziger Jahre gewidmet ist.
Der Fan stammt aus dem falschen Jahrzehnt, atmet schon den Geist und die Coolness der German New Wave und hat mit »Rheingold«-Popper Bodo Staiger einen hervor­ra­genden zweiten Haupt­dar­steller. Eckhart Schmidt darf natürlich trotzdem nicht fehlen. Von ihm läuft dafür Männer sind zum Lieben da von 1970.

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Dieser Eröff­nungs­abend ist aber nicht nur für Nosbusch eine Premiere, es ist auch das erste Festival unter der Ägide der Ameri­ka­nerin Tricia Tuttle, die die Berlinale-Leitung im letzten Frühjahr vom vieler­orts unge­liebten Leitungsduo Carlo Chatrian und Mariette Rissen­beek übernahm. Vor Tuttle liegen viele ungelöste Probleme und Heraus­for­de­rungen.

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Das Licht, der neue Film des deutschen Regie­stars Tom Tykwer (Lola rennt), ist als Eröff­nungs­film gut gewählt. Der unter­halt­same Film läuft außer Konkur­renz und bietet in mehrerer Hinsicht ein Deja-vu: Tatsäch­lich eröffnete auch Tuttles Vorvor­gänger Dieter Kosslick vor 22 Jahren »seine« erste Berlinale mit einem Film von Tom Tykwer: Heaven, die erste inter­na­tio­nale Produk­tion des Regis­seurs. Und auch die beiden Haupt­dar­steller Nicolette Krebitz und Lars Eidinger sind alte Berlinale-Bekannte: Krebitz zeigte hier mehrere eigene Regie­ar­beiten, zuletzt A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe im Wett­be­werb, und der Berliner Bühnen­star Eidinger ist gefühlt seit 20 Jahren sowieso ein Dauergast des Festivals.

Auch sonst setzt die neue Berlinale-Chefin in vielem auf alte Gesichter: Schau­spie­lerin Tilda Swinton in der Jury, Leonie Benesch, Marion Cotillard, Ed Norton und Roger Pattinson in Haupt­rollen, US-Regisseur Richard Linklater, sein rumä­ni­scher Kollege Radu Jude, die fran­zö­si­sche Autoren­fil­merin Lucile Hadzi­ha­li­lovic um nur einige wenige zu nennen, die dem Berliner wohl­be­kannt sind.

Auch sonst wirkt das Programm etwas offener und liebe­voller kuratiert als zuletzt. Wer sich für deutsches Kino inter­es­siert, der kann in der Retro­spek­tive unbe­kannte Genre­perlen entdecken, wie einen Vampir­film von Hans Geis­sen­dörfer.

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Viel­leicht sei es ja eine Strategie der neuen Leiterin, »Inte­gra­ti­ons­fi­guren« einzu­laden, mutmaßte dieser Tage das Stadt­ma­gazin »Tip«.

Denn tatsäch­lich sind die Heraus­for­de­rungen groß: Die letzte Dekade waren sehr unruhige Jahre für die Berlinale wie für die Stadt Berlin und die bundes­deut­sche Kultur­po­litik, die den größten Teil des Festi­val­etats finan­ziert. Das wich­tigste deutsche Film­fes­tival– und in eigener Wahr­neh­mung eines der drei wich­tigsten »A-Festivals« der Welt – hatte seit den letzten Jahren des Kino-Popu­listen Kosslick mit mit einem zuneh­menden Bedeu­tungs­ver­lust zu kämpfen. Hinzu kamen bereits vor der Corona-Pandemie Probleme mit dem Budget und akuter Raum­mangel. Ein ganzer Kino­kom­plex mit acht großen Sälen wurde am Potsdamer Platz geschlossen.
In diesem Jahr mussten auch noch das tradi­ti­ons­reiche Arsenal-Kino, eines der zwei Film­mu­seen der Stadt und die deutsche Kinematik mit beiden Sälen schließen. Hinzu kommt das allge­meine Kinosterben, das auch die deutsche Haupt­stadt erfasst hat. Die Folge sind eine starke Reduktion der Pres­se­vor­füh­rungen sowie eine Zersplit­te­rung der Berlinale-Säle über die ganze Vier-Millionen- Metropole. Letzteres kann man zwar im PR-Jargon als neue Vielfalt und mehr Publikums- Zugäng­lich­keit verkaufen, für die regel­mäßigen Festi­val­gäste und Profes­sio­nellen aus aller Welt dominiert trotzdem der Eindruck eines unguten Zentrums­ver­lusts.

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Hinzu kommt Inhalt­li­ches: Im Vorjahr wurde die Berlinale durch Debatten um Einla­dungen für rechts­extreme Politiker, interne Anti­se­mi­tismus-Vorfälle und eine durch isra­el­feind­liche Äuße­rungen skan­dalöse Preis­ver­lei­hung erschüt­tert. Nicht alles daran hat die Berlinale zu verschulden. es trifft aber ein Festival, dass sich gern als besonders »politisch« vermarktet, besonders stark.

Das berührt ein gene­relles Problem gegen­wär­tiger Kultur­po­litik, die weit über die Berlinale hinaus­geht: Programm- wie Perso­nal­ent­schei­dungen sind immer mehr durch Kriterien der Teilhabe und »Reprä­sen­ta­tion« geprägt, weniger durch ästhe­ti­sche Qualität oder Exzellenz. Damit steht zunehmend der univer­sa­lis­ti­sche Kern zur Dispo­si­tion, der den meisten Kultur­in­sti­tu­tionen und auch den Grün­dungs­akten inter­na­tio­naler Film­fes­ti­vals zugrunde lag.

Histo­risch gesehen sind Film­fes­ti­vals ein Projekt der klas­si­schen Moderne und Ausdruck einer empha­ti­schen Besetzung des öffent­li­chen Raums, des Selbst­ver­s­tänd­nisses demo­kra­ti­scher Gesell­schaften der Nach­kriegs­zeit nach 1945. Mit ihnen war die Hoffnung verbunden, gesell­schaft­liche und poli­ti­sche Spaltung durch kultu­relle Vers­tän­di­gung und künst­le­ri­schen Fort­schritt zu über­winden.

Dieses univer­sa­lis­ti­sche Konzept ist erkennbar in eine Krise geraten. Iden­ti­täts­po­litik und Kultu­ra­li­sie­rung, also die Verla­ge­rung poli­ti­scher und ökono­mi­scher Konflikte in Fragen von Lebens­stil und Welt­an­schauung auf das Feld von Kunst und Kultur, treffen den Auftrag von Festivals ins Mark. Plötzlich sollen sie alle Seiten der Gesell­schaft »abbilden«, und sich in aktuellen poli­ti­schen Fragen, ob der Klima­de­batte oder inter­na­tio­nalen Konflikten posi­tio­nieren. Und zwar »richtig«.

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Ein weiteres Problem ist der schrump­fende Etat: Zuletzt waren lang­jäh­rige Spon­so­ring-Partner abge­sprungen. Tuttle wird den Spagat meistern müssen, bei weniger Filmen und höheren Kosten die Einnahmen zu steigern.
In jedem Fall muss sich die Berlinale dem Kuratel der Politik entziehen, und zurück­finden zur ästhe­ti­schen Qualität, zu einem Gleich­ge­wicht zwischen Cine­philie und Eventkino. Sie muss versuchen, sich eine eigene Agenda zu setzen.

Alles wird neu bei der Berlinale – und mit der neuen Leiterin gibt es zumindest »Licht« am Ende des Tunnels.