54. Berlinale 2004
»Ich bin wirklich davon ausgegangen: Ok, das könnte mein letzter Film sein...« |
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Sibel Kekilli und Fatih Akin beim Dreh zu Gegen die Wand |
Filmregisseur und Berlinale-Sieger Fatih Akin im Gespräch über Schwergewichtsboxer, das Kräfteeinteilen am Set, seine Vorbilder, seine Stars und warum er es leid ist, immer auf seine Herkunft angesprochen zu werden.
Er erzählt von Passagen. Durch seinen Sieg bei der Berlinale mit Gegen die Wand gehört der 1973 in Hamburg geborene Fatih Akin zur ersten Garde der deutschen Regisseure. Nach mehreren Kurzfilmen machte er 1998 mit Kurz und schmerzlos seinen ersten Spielfilm. Es folgten Im Juli (2000) und Solino (2002). Seit der Berlinale ist Akin selbst nur unterwegs. Wie seine Figuren, die immer auf der Reise sind.
Unser Interview ist passenderweise selbst eine Art Passage. Es wurde in Berlin geführt, in einem Taxi vom Prenzlauer Berg zum Bahnhof Zoo und dann dort weiter in den Gängen des Bahnhofs, gehend, auf dem Bahnsteig zum ICE nach Hamburg, den er dann gerade noch erreicht hat. In der Hand hielt Akin das Buch, das er gerade liest, zum dritten Mal übrigens, wie er versichert – eine Biographie des Boxers Muhammad Ali.
Mit Akin sprach Rüdiger Suchsland.
artechock: Fangen wir doch mal mit Matthieu Kassowitz an, dessen neuer Film zeitgleich mit Deinem startet. Sein La haine war für Dich eine besonders wichtige Erfahrung...
Fatih Akin: La haine ist tatsächlich einer der besten Filme, die ich je gesehen habe. Der war eine große Inspiration für Kurz und schmerzlos. Der hat mich überwältigt, durch seine Reinheit, die Kraft, die er hat, die Bilder, Schauspielführung, seine Ehrlichkeit. La haine hat vieles bei mir verändert. Ich habe ja dann auch bei IM JULI auch mit dem Kameramann von Kassowitz gearbeitet.
artechock: Gegen die Wand erscheint wie eine Rückkehr zu Deinen filmischen Wurzeln, zu Deinem Erstling Kurz und schmerzlos. Empfindest Du das selbst auch so?
Akin: Ich weiß, warum viele das denken, warum das so empfunden wird. Für mich ist der Film aber eine Weiterentwicklung, keine Rückkehr. Gegen die Wand ist handwerklich reifer, hat eine weniger naive Haltung.
artechock: Was meinst Du mit naiv?
Akin: Kurz und schmerzlos hatte wirklich viele Vorbilder. Vorbilder sind immer korrekt. Jeder braucht das, vor allem, wenn Du jung bist. Aber offen rauszugehen und zu sagen: Ey, ich habe die und die Vorbilder, das empfinden viele alte Hasen als eine Form der Naivität.
Das hat Gegen die Wand weniger. Gegen die Wand hat einfach keine Vorbilder. Jedenfalls keine bewußten. Mit jedem Film lernst Du. Am meisten lernst Du bei Sachen, mit denen Du Dich weniger auskennst. Mit Im Juli und Solino habe ich enorm viel gelernt. Gegen die Wand war eine Möglichkeit, das Gelernte anzuwenden und wieder eine reine Form des Ausdrucks zu finden.
Die Verwandschaft von Gegen die Wand und Kurz
und schmerzlos ist das Hauptmotiv: Ausdruck. Während Im Juli und Solino einfach nur Geschichten erzählen.
artechock: Für mich ist Gegen die Wand ein sehr echtes, nahes, körperliches Kino, auch ein – im positiven Sinn – schmutziges Kino. Wild. Im Vergleich fand ich, dass das Solino nicht war. Und Im Juli jedenfalls viel weniger. In diesem Sinn meinte ich: Zurück zu den Wurzeln.
Was würdest Du sagen: Womit hast Du Dich selbst in Gegen die Wand am meisten überrascht? Wo bist Du auf etwas ganz Neues gekommen? Wo hast Du Dich weiterentwickelt? Was waren entscheidende Erfahrungen?
Akin: Produzent zu sein war eine entscheidende Erfahrung.
artechock: Die sich auf den Film ausgewirkt hat... Darauf, wie der aussieht...
Akin: Ich denke ja. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass ich in den ersten zwei Wochen am Set ziemlich panisch war. Weil ich anfangs unter enormem Zeitdruck gestanden habe. Mit der Zeit habe ich mir das abgewöhnt.
Aber weil das ein co-produzierter Film war, und auch alles hätte in die Hose gehen können, war ich die ganze Zeit über in einem merkwürdigen Zustand: Ich war ein bisschen high.
Ich bin wirklich davon ausgegangen: Ok, das könnte mein letzter Film sein. Und wenn das schon so ist, dann mach ihn wenigstens gut. Das heißt: Teil Dir nicht die Kräfte ein. Jeder Filmemacher ist ein bißchen, wie ein Schwergewichtsboxer. Das ist so. Deswegen lese ich auch gerade eine Biographie von Muhammad Ali. Die Boxer teilen sich immer die Kräfte ein. Das musst Du als Regisseur auch. Das tust Du. Du gibst nicht jeden Tag 100 Prozent.
Du gibst einen Tag ein bißchen weniger. Die Szene ist ein bißchen leichter. Dafür gibst Du am anderen Tag ein bisschen mehr, weil Du denkst: Das ist ne zentrale Szene. Bei diesem Film war es nicht so, da war es so, dass wir jeden Tag alles gegeben haben, was auch zu enormen Erschöpfungen geführt hat – einfach aus dem Gefühl: Das könnte das letzte Mal sein.
artechock: Du hast jetzt die Berlinale gewonnen. Das war sicher überraschend – man weiß: Der Film wäre fast im „Panorama“ gelaufen. Es war alles eine sehr glückliche Entwicklung. Nach so einem Erfolg sagen immer die Leute: »Wir haben alles richtig gemacht. Super!« Gibt es etwas, wo Du sagen würdest: »Das würde ich heute anders machen. Das habe ich falsch gemacht, das ist mir nicht geglückt«?
Akin: Bisher noch nicht. Diesen Moment wird es mit Sicherheit geben, auch sehr bald geben. Wenn ich heute Kurz und schmerzlos gucke, kann ich gar nicht mehr hinsehen. Ich schimpfe nur noch denke verflixt nochmal: wie haben wir das denn aufgelöst. Und bei Im Juli und Solino ist das auch so. Bei dem ist das noch nicht so.
Obwohl ich jetzt schon im Kopf weiter bin. Das liegt aber auch daran, dass Gegen die Wand sehr frisch fertig ist – erst seit der ersten Januar-Woche. Daher denke ich noch nicht daran, was ich gerne anders gemacht hätte. Noch bin ich an dem Punkt zu sagen: Zu
dem Zeitpunkt: Besser ging’s nicht.
artechock: Wenn Du schneidest, bis Du die ganze Zeit dabei, oder?
Akin: Mein Cutter Andrew Bird und ich arbeiten seit meinem ersten Kurzfilm zusammen. Er hat diesmal den Film parallel zum Dreh geschnitten. Ich wollte aber, dass er dies sehr großzügig tut. Darum ist die erste Fassung vier Stunden lang geworden. Aber dadurch, dass ich anfangs nicht dabei war, bekam ich eine Form des Abstands geschenkt.
artechock: Ihr habt auch chronologisch gedreht?
Akin: Ja. Ich habe ja auch meine Kameraauflösung und einen ungefähren Schnittplan vor dem Dreh im Kopf. Den bin ich mit dem Cutter durchgegangen. Aber man variiert dann immer.
artechock: Deine bisherigen Filme zeigen ein Milieu, dass ziemlich nahe „an der Straße“ liegt. Da kommst Du selber gar nicht her. Woher hast Du trotzdem diese Nähe?
Akin: Nee, ich komm daher.
artechock: Kann man das sagen? Du kommst doch eher aus einer bürgerlichen Familie – nicht knapp am Abgrund, wie die beiden Figuren in Gegen die Wand. Die sind ja ganz „on the edge“, es gibt Selbstmordgefährdung, Alkoholismus...
Akin: Ich bin mit solchen Leuten aufgewachsen. Ich kenne sie. Mein Freundeskreis besteht aus solchen Leuten. Und die Eltern auch der Filmfiguren sind normale, liebevolle Leute.
Irgendjemand hat mal geschrieben, meine Helden seien alles irgendwie Muttersöhnchen. Das ist ja so. Aber das ist auch ihr Konflikt: Einerseits soll zuhause alles in Ordnung sein, soll man denken: „alles ist plietsch“, also alles läuft, wie die
Elterrn es gern hätten.
Aber kaum ist man auf der Straße, baut man nur noch Mist. Das kenn ich, da komm ich her.
artechock: Ist dieser Konflikt besonders typisch für die Deutsch-Türken?
Akin: Wie in jeder Gesellschaft gibt es auch hier einen Generationskonflikt. Hinzu kommt, dass wir ganz anders sozialisiert sind, als die Türken in der Türkei.
Diese Sozialisierung versuchen uns die Eltern weiterzugeben, die wir hier groß geworden sind, mit dem deutschen Kindergarten, deutschen Schulen, mit Formel 1. Das führt zu dem Generationenkonflikt, dem beschriebenen Verbergen.
artechock: Wenn man Dich immer wieder auf diesen deutsch-türkischen Zusammenhang und Deine Herkunft anspricht – ist das angemessen, oder eine Fehlwahrnehmung?
Akin: Fehlwahrnehmung. Beim ersten Film war es noch in Ordnung. Aber schon bei Im Juli nicht mehr. Denn der war schon der Versuch, aus diesem Zusammenhang auszubrechen. Dennoch war immer wieder diese Fixierung da. Und wenn ich nichts über Türken gemacht habe, kam die Frage: Warum nichts über Türken? Das ist schon eine Fehlwahrnehmung.
artechock: Andererseits wird auch Scorsese immer als Italoamerikaner und Katholik wahrgenommen...
Akin: Als er Mean Streets gemacht hat, war das in Ordnung, aber bei Taxi Driver schon weniger. Ich bin es halt deswegen so leid, weil ich letztendlich gar nicht an Nationalitäten glaube. Ich fühle mich als Weltbürger.
artechock: Du würdest ja auch von Dir sagen: Du bist ein deutscher Filmemacher. Oder?
Akin: Deutscher Filmemacher. Mit Sicherheit.
artechock: Und wieso dann – das habe ich mich immer gefragt, weil ich auch finde, es muss nicht so sein – wieso enden dann Deine Filme immer in irgendeiner Form von Herkunft. Es gibt immer Reisen in die Türkei, nach Italien bei Solino.
Woher kommt es, dass Du immer wieder von Reisen erzählst, die in Ursprüngen enden?
Akin: Weil die Herkunft gar nicht die Herkunft ist. Die Türkei ist eben nicht die Herkunft der Figuren meiner Filme. Sie kommen aus Deutschland. Die Türkei ist etwas Fremdes.
artechock: Aber Sibel kommt dort an, wovor sie eigentlich immer weggelaufen ist.
Akin: Genau. Aber mich interessiert nicht der Ort, sondern der Zustand: Sie hat nen Typen und sie hat ein Kind. Sie ist aber nicht glücklich damit. Ich denke, die Konstante ist die: Alle meine Figuren sind auf der Suche. Auf der Suche nach einem besseren Leben. Aber mit Ausnahme von Solino scheitern alle. Oder es bleibt offen, ob sie das bessere Leben finden. Und im Ursprungsland suchen sie Erlösung. Aber die Erlösung finden sie nicht.
artechock: Deine beiden Stars sind nach der Berlinale durch unsachliche Vorwürfe und dumme Unsachlichkeiten ins Gerede gekommen. Was wünscht Du Dir eigentlich von den deutschen Zuschauern?
Akin: Ich denke der Film und seine Hauptdarsteller sind stark genug, um das vergessen zu machen. Sie werden den Zuschauer in den Bann zu ziehen.
artechock: Macht es einen Film echter, dass man Darsteller nimmt, die ihre eigenen Abgründe haben?
Akin: Mit Sicherheit. Realismus im Film ist ja nichts weiter, als ein Stilmittel. Wenn man „echt“ sein will, dreht man einen Dokumentarfilm. Aber man kann eine gewisse Form von Realismus erzeugen, wenn man Laien nimmt, an Originalschauplätzen arbeitet.
Ich wollte nie einen Seelenstriptease haben – auch wenn ich Fassbinder liebe. Ich habe Sibels Vergangenheit sehr sehr schnell vergessen.
artechock: Was sind Deine Vorbilder als Regisseur?
Akin: Es gibt Orientierungspunkte. Das letzte Vorbild, das ich habe, ist Ali. Ich habe zwar immer Realismus gebrochen, aber jetzt im Augenblick bin ich in einer Phase des Realismus. Das liegt mir, das kann ich, und das macht mir am meisten Spaß.
artechock: Du produzierst Dich auch in Zukunft selber? Das geht ja in Richtung Autorenfilm.
Akin: Ja. Ich fühle mich letztlich Tom Tykwer, Christian Petzold, Oskar Roehler nahe – das sind Brüder im Geiste.