54. Berlinale 2004
»Ich mache die ganze Zeit Liebesgeschichten« |
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Die Nacht singt ihre Lieder | ||
(Foto: Prokino) |
Mit 20 Jahren begann er in München: Romuald Karmakar, 1965 in Wiesbaden als Sohn eines deutsch-französischen Paares geboren, fand schnell und früh die zwei Hauptthemen, die für lange Zeit seine Filme prägten: Männerbünde und ihre Rituale, sowie die düsteren Seiten der Geschichte der Deutschen im 20. Jahrhundert. Immer wieder wechselt er zwischen Spielfilm und Dokumentation (In Warheads (1989-1992) geht es um Söldner im Krieg, oder arbeitet auf der Schwelle zwischen beidem: In Das Himmler-Projekt (2000) spricht und spielt Manfred Zapatka die berüchtigte 3-Stunden-Rede Himmlers von 1943. Karmakars mit drei Bundesfilmpreisen ausgezeichneter Der Totmacher (1995) handelt – nach Originalverhörprotokollen – vom 20er-Jahre-Serienmörder Fritz Haarman. Es sind die dunklen Seiten, die Karmakar faszinieren: Reisen in Abgründe, seelische und historische Nachtstücke. Und es sind klaustrophobische Situationen: Manila (1999) nach dem Buch von Bodo Kirchhoff ist ein Kammerspiel über die Bundesrepublik, das mehr als ein Dutzend Figuren für über zwei Stunden in einer Abflughalle zusammenbringt – Dasein in der Druckkammer.)
Auf der Berlinale war Karmakar gleich doppelt vertreten: Im Wettbewerb lief Die Nacht singt ihre Lieder nach dem gleichnamigen Stück von Jon Fosse, und Land der Vernichtung, eine Dokumentation über die Orte des Holocaust in Polen.
Mit Karmakar sprach Rüdiger Suchsland.
artechock: Muss man Umwege gehen, um etwas über Deutschland zu erzählen?
Romuald Karmakar: Ja. So, wie mein Film Warheads vom Kalten Krieg über dem Umweg Afrika erzählt. Und Fosse spielt gewissermassen in einem Nirgendwo. Im Film braucht man aber Orte. Und deswegen muss ich mir auch genau vorstellen, wo diese Wohnung liegt, in der das Stück spielt.
artechock: Ihre Filme wirken oft sehr theaterhaft: Es sind klare Konstellationen, mit wenigen Darstellern, sie spielen in Innenräumen. Jetzt haben Sie erstmals sogar ein Theaterstück verfilmt. Streben Sie heimlich nach dem Theater?
Karmakar: Nein, gar nicht. Ich glaube auch, dass meine Filme trotz ihrer theaterartigen Szenarien sehr filmisch sind. Allerdings ist klar: Die Schauspieler und die Texte stehen bei mir im Zentrum, nicht Kamera und Schnitt, nicht „große“ Räume... Zudem: Die Arbeit mit den Darstellern ist mir besonders wichtig.
artechock: Worauf achten Sie hier besonders?
Karmakar: Wichtig ist, dass ein Schauspieler das spielt, was im Buch steht. Die Schauspieler müssen aus dem Papier Zelluloid machen. Sie sind die Hauptbotschafter eines Projektes. Sie tragen es nach Außen, zeigen ihr Gesicht, geben ihren Körper, alles. Bestenfalls ist es dann noch viel besser, als ich vorher dachte. Da merkt man plötzlich, dass sich ein Text, den man schon zehnmal gelesen hat, völlig anders anfühlt. Das beglückt einen dann – wenn man etwa erlebt, wie ein Frank Giering einen Text nacharbeitet, immer noch etwas Neues anbietet.
Man muss sich auf jeden Schauspieler ganz persönlich einlassen. Es gibt Schauspieler, die sind in ihrer Herangehensweise instinktiv, andere nicht. Manfred Zapatka, mit dem ich schon drei Filme gedreht habe, ist ein hochanalytischer Mensch, Götz George überhaupt nicht. Alles, was nur nach Intellekt riecht, ist für ihn furchtbar, etwas Feindliches. Im Kino muss ein Darsteller zuerst einmal visuell funktionieren.
artechock: Wie perfektionistisch sind Sie in Ihrer Arbeit? Wie stark haben Sie den Film schon vor Drehbeginn im Kopf?
Karmakar: Zwischen absoluter Freiheit und totaler Kontrolle. Man macht die Kontrolle erst einmal sehr stark, um dann eine Freiheit herzustellen. Ich habe ein klares Konzept, das auch nicht so leicht zu erschüttern ist. Das Buch ist genau ausgearbeitet.
artechock: Es gibt in dem Fosse-Stück mehrere Geschichten: Die des Milieus, die des Paares, die der Einzelpersonen. Was hat Sie motiviert, diesen Stoff auszusuchen?
Karmakar: Ich habe das Stück gesehen. Es gab mir die Idee, einen einfachen überschaubaren Film zu machen. Ich mochte das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Und eine Liebesgeschichte ohne Romantik, eine die tragisch endet.
artechock: Das ist neu für Sie...
Karmakar: Ich denke, ich mache die ganze Zeit Liebesgeschichten [Lacht]. Aber nicht im klassischen Sinn. Doch eine nicht erfüllte Liebe ist auch eine Liebe.
artechock: Fosses Stück erzählt von einer bürgerlichen Familie. Wie stellen Sie sie sich vor?
Karmakar: Das ist sehr schwer. Bevor ich das Drehbuch überhaupt begonnen habe, gab es eine Zeichnung mit dem Grundriss der Wohnung. Wo kann man hingehen. Dieser Grundriss ist geblieben, ist im Studio nachgebaut worden. Ich stelle mir dieses Paar als eines von jenen westdeutschen vor, die nach der Wende in den Prenzlauer Berg gezogen sind, und eine bestimmte Form von Aufbruch und Hoffnung verkörpern. Die Verhältnisse sind kälter geworden.
artechock: Eine Geschichte aus den Zeiten und dem Gefühl der Krise...
Karmakar: Ja. Ich möchte keine sozial Schwachen, keine Kleinbürger, ich gehe in die Mittelschicht. Denn keiner soll sich zurücklehnen und sagen können: Das hat mit mir nichts zu tun. Was ist mit den jungen Westdeutschen zehn Jahre nach dem Mauerfall? Die Eltern haben tendenziell mehr Geld, als die Kinder. Diese haben aber die Ansprüche mitvermittelt bekommen, die sie gar nicht halten können. Die Kluft zwischen Anspruch und Realität.
artechock: Ihre Filme erzählen von typisch deutschen Situationen, aber auf untypische Weise. Ähnlich wie Dominik Graf in Der Felsen nach Korsika geht, um dann dort nur Deutsche auftreten zu lassen. Muss man Umwege gehen, um etwas über Deutschland zu erzählen?
Karmakar: Ja. So, wie mein Film Warheads vom Kalten Krieg über dem Umweg Afrika erzählt. Und Fosse spielt gewissermassen in einem Nirgendwo. Im Film braucht man aber Orte. Und deswegen muss ich mir auch genau vorstellen, wo diese Wohnung liegt.
artechock: Man denkt bei diesem Stück auch an die skandinavische Tradition: Von Ibsen und Strindberg bis hin zu Bergmans Szenen einer Ehe... Was genau interessiert Sie hier? Gewaltverhältnisse? Beziehung als Krieg?
Karmakar: Ich finde es faszinierend, das diese Figuren in die Extreme gehen. Je älter ich werde, um so mehr spüre ich auch die Bedeutung von Generationszusammenhängen, und davon, ein bestimmtes Alter zu haben. Die Mörder im Dritten Reich, vor allem die intellektuellsten und radikalsten waren etwa so alt, wie ich jetzt. Es waren junge Menschen, die Deutschland in den Abgrund gestürzt haben.
artechock: Wem fühlen Sie sich unter Ihren Kollegen verbunden?
Karmakar: Keinem Gleichaltrigen. Ich fühle mich eher jemandem wie Alexander Kluge verbunden, als Hans Christian Schmid oder Tom Tykwer.
artechock: Was heißt hier „verbunden“?
Karmakar: Mir gefallen auch John-Ford-Filme, ohne dass ich Filme mache, wie der. 1982 bin ich nach Deutschland zurückgekommen. Da ist Kohl an die Macht gekommen, Fassbinder gestorben, und Achternbusch hat man den Preis verweigert. ... Alles war sehr politisch. ... Ich mag kein Hofnarr sein.
artechock: Was mögen Sie sein?
Karmakar: Kann ich nicht sagen.
artechock: Wie wichtig ist Ihnen die Reaktion des Publikums?
Karmakar: Sehr wichtig. Die Reaktionen auf Manila waren sehr hart. Kränkend. Dumm. Weil es keine angemessene Auseinandersetzung war, und nicht dem entsprach, wie dieser Film im Ausland aufgenommen wurde. Und weil viele, die mich von vorher kannten, dann keinen Dialog gesucht haben. Und weil es auch persönliche Attacken gab unter der Gürtellinie. Das Enttäuschende war die Verlogenheit.