19.02.2004
54. Berlinale 2004

»Ich mache die ganze Zeit Liebesgeschichten«

Szenenbild »Die Nacht singt ihre Lieder«
Die Nacht singt ihre Lieder
(Foto: Prokino)

Romuald Karmakar über seine Arbeit und seinen neuen Film Die Nacht singt ihre Lieder nach Jon Fosse

Mit 20 Jahren begann er in München: Romuald Karmakar, 1965 in Wiesbaden als Sohn eines deutsch-fran­zö­si­schen Paares geboren, fand schnell und früh die zwei Haupt­themen, die für lange Zeit seine Filme prägten: Männer­bünde und ihre Rituale, sowie die düsteren Seiten der Geschichte der Deutschen im 20. Jahr­hun­dert. Immer wieder wechselt er zwischen Spielfilm und Doku­men­ta­tion (In Warheads (1989-1992) geht es um Söldner im Krieg, oder arbeitet auf der Schwelle zwischen beidem: In Das Himmler-Projekt (2000) spricht und spielt Manfred Zapatka die berüch­tigte 3-Stunden-Rede Himmlers von 1943. Karmakars mit drei Bundes­film­preisen ausge­zeich­neter Der Totmacher (1995) handelt – nach Origi­nal­ver­hör­pro­to­kollen – vom 20er-Jahre-Seri­en­mörder Fritz Haarman. Es sind die dunklen Seiten, die Karmakar faszi­nieren: Reisen in Abgründe, seelische und histo­ri­sche Nacht­s­tücke. Und es sind klaus­tro­pho­bi­sche Situa­tionen: Manila (1999) nach dem Buch von Bodo Kirchhoff ist ein Kammer­spiel über die Bundes­re­pu­blik, das mehr als ein Dutzend Figuren für über zwei Stunden in einer Abflug­halle zusam­men­bringt – Dasein in der Druck­kammer.)

Auf der Berlinale war Karmakar gleich doppelt vertreten: Im Wett­be­werb lief Die Nacht singt ihre Lieder nach dem gleich­na­migen Stück von Jon Fosse, und Land der Vernich­tung, eine Doku­men­ta­tion über die Orte des Holocaust in Polen.
Mit Karmakar sprach Rüdiger Suchsland.

artechock: Muss man Umwege gehen, um etwas über Deutsch­land zu erzählen?

Romuald Karmakar: Ja. So, wie mein Film Warheads vom Kalten Krieg über dem Umweg Afrika erzählt. Und Fosse spielt gewis­ser­massen in einem Nirgendwo. Im Film braucht man aber Orte. Und deswegen muss ich mir auch genau vorstellen, wo diese Wohnung liegt, in der das Stück spielt.

artechock: Ihre Filme wirken oft sehr thea­ter­haft: Es sind klare Konstel­la­tionen, mit wenigen Darstel­lern, sie spielen in Innen­räumen. Jetzt haben Sie erstmals sogar ein Thea­ter­s­tück verfilmt. Streben Sie heimlich nach dem Theater?

Karmakar: Nein, gar nicht. Ich glaube auch, dass meine Filme trotz ihrer thea­ter­ar­tigen Szenarien sehr filmisch sind. Aller­dings ist klar: Die Schau­spieler und die Texte stehen bei mir im Zentrum, nicht Kamera und Schnitt, nicht „große“ Räume... Zudem: Die Arbeit mit den Darstel­lern ist mir besonders wichtig.

artechock: Worauf achten Sie hier besonders?

Karmakar: Wichtig ist, dass ein Schau­spieler das spielt, was im Buch steht. Die Schau­spieler müssen aus dem Papier Zelluloid machen. Sie sind die Haupt­bot­schafter eines Projektes. Sie tragen es nach Außen, zeigen ihr Gesicht, geben ihren Körper, alles. Besten­falls ist es dann noch viel besser, als ich vorher dachte. Da merkt man plötzlich, dass sich ein Text, den man schon zehnmal gelesen hat, völlig anders anfühlt. Das beglückt einen dann – wenn man etwa erlebt, wie ein Frank Giering einen Text nach­ar­beitet, immer noch etwas Neues anbietet.

Man muss sich auf jeden Schau­spieler ganz persön­lich einlassen. Es gibt Schau­spieler, die sind in ihrer Heran­ge­hens­weise instinktiv, andere nicht. Manfred Zapatka, mit dem ich schon drei Filme gedreht habe, ist ein hoch­ana­ly­ti­scher Mensch, Götz George überhaupt nicht. Alles, was nur nach Intellekt riecht, ist für ihn furchtbar, etwas Feind­li­ches. Im Kino muss ein Darsteller zuerst einmal visuell funk­tio­nieren.

artechock: Wie perfek­tio­nis­tisch sind Sie in Ihrer Arbeit? Wie stark haben Sie den Film schon vor Dreh­be­ginn im Kopf?

Karmakar: Zwischen absoluter Freiheit und totaler Kontrolle. Man macht die Kontrolle erst einmal sehr stark, um dann eine Freiheit herzu­stellen. Ich habe ein klares Konzept, das auch nicht so leicht zu erschüt­tern ist. Das Buch ist genau ausge­ar­beitet.

artechock: Es gibt in dem Fosse-Stück mehrere Geschichten: Die des Milieus, die des Paares, die der Einzel­per­sonen. Was hat Sie motiviert, diesen Stoff auszu­su­chen?

Karmakar: Ich habe das Stück gesehen. Es gab mir die Idee, einen einfachen über­schau­baren Film zu machen. Ich mochte das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Und eine Liebes­ge­schichte ohne Romantik, eine die tragisch endet.

artechock: Das ist neu für Sie...

Karmakar: Ich denke, ich mache die ganze Zeit Liebes­ge­schichten [Lacht]. Aber nicht im klas­si­schen Sinn. Doch eine nicht erfüllte Liebe ist auch eine Liebe.

artechock: Fosses Stück erzählt von einer bürger­li­chen Familie. Wie stellen Sie sie sich vor?

Karmakar: Das ist sehr schwer. Bevor ich das Drehbuch überhaupt begonnen habe, gab es eine Zeichnung mit dem Grundriss der Wohnung. Wo kann man hingehen. Dieser Grundriss ist geblieben, ist im Studio nach­ge­baut worden. Ich stelle mir dieses Paar als eines von jenen west­deut­schen vor, die nach der Wende in den Prenz­lauer Berg gezogen sind, und eine bestimmte Form von Aufbruch und Hoffnung verkör­pern. Die Verhält­nisse sind kälter geworden.

artechock: Eine Geschichte aus den Zeiten und dem Gefühl der Krise...

Karmakar: Ja. Ich möchte keine sozial Schwachen, keine Klein­bürger, ich gehe in die Mittel­schicht. Denn keiner soll sich zurück­lehnen und sagen können: Das hat mit mir nichts zu tun. Was ist mit den jungen West­deut­schen zehn Jahre nach dem Mauerfall? Die Eltern haben tenden­ziell mehr Geld, als die Kinder. Diese haben aber die Ansprüche mitver­mit­telt bekommen, die sie gar nicht halten können. Die Kluft zwischen Anspruch und Realität.

artechock: Ihre Filme erzählen von typisch deutschen Situa­tionen, aber auf unty­pi­sche Weise. Ähnlich wie Dominik Graf in Der Felsen nach Korsika geht, um dann dort nur Deutsche auftreten zu lassen. Muss man Umwege gehen, um etwas über Deutsch­land zu erzählen?

Karmakar: Ja. So, wie mein Film Warheads vom Kalten Krieg über dem Umweg Afrika erzählt. Und Fosse spielt gewis­ser­massen in einem Nirgendwo. Im Film braucht man aber Orte. Und deswegen muss ich mir auch genau vorstellen, wo diese Wohnung liegt.

artechock: Man denkt bei diesem Stück auch an die skan­di­na­vi­sche Tradition: Von Ibsen und Strind­berg bis hin zu Bergmans Szenen einer Ehe... Was genau inter­es­siert Sie hier? Gewalt­ver­hält­nisse? Beziehung als Krieg?

Karmakar: Ich finde es faszi­nie­rend, das diese Figuren in die Extreme gehen. Je älter ich werde, um so mehr spüre ich auch die Bedeutung von Gene­ra­ti­ons­zu­sam­men­hängen, und davon, ein bestimmtes Alter zu haben. Die Mörder im Dritten Reich, vor allem die intel­lek­tu­ellsten und radi­kalsten waren etwa so alt, wie ich jetzt. Es waren junge Menschen, die Deutsch­land in den Abgrund gestürzt haben.

artechock: Wem fühlen Sie sich unter Ihren Kollegen verbunden?

Karmakar: Keinem Gleich­alt­rigen. Ich fühle mich eher jemandem wie Alexander Kluge verbunden, als Hans Christian Schmid oder Tom Tykwer.

artechock: Was heißt hier „verbunden“?

Karmakar: Mir gefallen auch John-Ford-Filme, ohne dass ich Filme mache, wie der. 1982 bin ich nach Deutsch­land zurück­ge­kommen. Da ist Kohl an die Macht gekommen, Fass­binder gestorben, und Achtern­busch hat man den Preis verwei­gert. ... Alles war sehr politisch. ... Ich mag kein Hofnarr sein.

artechock: Was mögen Sie sein?

Karmakar: Kann ich nicht sagen.

artechock: Wie wichtig ist Ihnen die Reaktion des Publikums?

Karmakar: Sehr wichtig. Die Reak­tionen auf Manila waren sehr hart. Kränkend. Dumm. Weil es keine ange­mes­sene Ausein­an­der­set­zung war, und nicht dem entsprach, wie dieser Film im Ausland aufge­nommen wurde. Und weil viele, die mich von vorher kannten, dann keinen Dialog gesucht haben. Und weil es auch persön­liche Attacken gab unter der Gürtel­linie. Das Enttäu­schende war die Verlo­gen­heit.