54. Berlinale 2004
»Wir sind der Kirchentag für die Audiovisuelle Gemeinde!« |
||
Mit Dieter Kosslick im Land des Lächelns |
Seit 2002 ist Dieter Kosslick, davor Leiter der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen, Leiter des wichtigsten deutschen Filmfestivals, der Berlinale.
Mit Dieter Kosslick sprach Rüdiger Suchsland.
artechock: Herr Kosslick, Ihre dritte Berlinale steht bevor. Einer der ersten Schritte, als Sie antraten, war es, die Zusammenarbeit der verschiedenen Sektionen zu verbessern. Ist das gelungen?
Dieter Kosslick: Ja, die Zusammenarbeit ist gut und wird immer besser. Wir suchen die Filme gemeinsam aus. Ich glaube, dass man dies in diesem Jahr wirklich merkt. Zum Beispiel: Filme aus dem Panorama und aus dem Forum ergänzen in diesem Jahr einige Filme des Wettbewerbs. Ich denke, aufmerksame Beobachter werden merken, dass die Synchronisation der Reihen Formen annimmt.
artechock: Was war für das Programm der Berlinale, besonders für den Wettbewerb in diesem Jahr besonders wichtig? Nach welchen Kriterien suchen Sie die Filme aus?
Kosslick: Jeder Film muss etwas ganz Spezielles haben, damit er hier im Wettbewerb landen kann. Das können Schauspielerleistungen sein, die Regie und die Art der Inszenierung, die Geschichte – manchmal auch alles zusammen.
Dann gibt es natürlich auch in jedem Jahr Themen, die sich herauskristallisieren. Wir wollen verstärkt nach Lateinamerika blicken – dort gibt es derzeit eine Reihe von besonders guten Filmen. Aus
Anlass der vielen Jubiläen – In Südafrika fanden vor zehn Jahren die ersten freien Wahlen statt, am 4. Februar 1997 trat die Verfassung in Kraft – ist in diesem Jahr auch Südafrika besonders wichtig.
artechock: Solche Jubiläen sind ja eher äußerlich. Gibt es denn in Südafrika genug Werke, die qualitativ überzeugen?
Kosslick: Die letzte Beurteilung von Qualität überlassen wir der Jury, bzw. den Filmkritikern und dem Publikum. Wir können mit der Auswahl nur ein Angebot machen. Wir denken, die Filme sind sehr gut. Schwerpunkte entstehen auch durch Verfügbarkeit. Ich darf und will die Filme nicht öffentlich bewerten – aber ich bin sehr optimistisch, dass der Wettbewerbsfilm von John Boorman über Südafrika von den meisten Leuten so eingeschätzt werden wird, wie von mir. Man wird staunen.
artechock: Diese Berlinale wird überdies die erste sein, bei dem Sie mit vielen Institutionen von Außen kooperieren. Sie arbeiten mit dem Hebbel-Theater und der Philharmonie zusammen...
Kosslick: Wir haben auch den Talent-Campus, das Einstein-Forum, die American Academy, die Friedrich-Ebert-Stiftung, das Haus der Kulturen der Welt. Und auch im anderen, kommerzielleren Bereich: Die Bunte, die Gala, »Duck, Pomp and Circumstances«. Und bevor Sie jetzt sagen: Der macht aus der Berlinale ein KaDeWe, antworte ich: Nein, wir werden nur breiter in unseren spezifischen Kooperationen. Wir probieren auch Einiges aus. Wenn es gut läuft, werden wir es wiederholen.
artechock: Muss das ein Festival heute tun? Der Einwand liegt nahe, dass die Filme selbst tendenziell unwichtiger werden...
Kosslick: Naja. Wenn Sie die Andachtskapelle in St.Andechs mit dem Katholischen Kirchentag vergleichen, dann ist die Berlinale der Kirchentag für die Audiovisuelle Gemeinde! Hier kann man auch erleuchtet werden. Wir haben immer noch 800 Filme, darunter fast 400 in den einzelnen Sektionen. Die Sektionen wurden klarer gefasst. Durchs Gesamtprogramm ziehen sie rote Fäden.
Auf Ihre Frage, ob dies ein Festival tun muss, antworte ich: Die
Berlinale ist eines der größten Medienevents zumindest in Deutschland. Wir müssen ein Programm machen, das mit den Filmen auch gesellschaftspolitisches Bewusstsein fördert – mit unseren Diskussionsprogrammen –, das den Nachwuchs fördert. Es gibt den Talent-Campus und die „Perspektive Deutsches Kino“ –, und wir müssen ein Fest für alle unterschiedlichen gesellschaftlichen Zielgruppen sein. Glanz und Glamour gehören hier genauso dazu wie
intellektuelle Auseinandersetzung.
artechock: Ist diese Kooperation mit neuen Partnern auch aus finanziellen Gründen nötig geworden? Schon im Vorjahr mussten Sie sparen, haben das Festival um einen Tag verkürzt ...
Kosslick: Sparen müssen wir alle. Ohne die Kooperationspartner und Sponsoren könnten wir die Berlinale auf diesem Niveau nicht halten. Wir bekommen nicht mehr öffentliches Geld. Es hat auch keinen Sinn, sich an die Klagemauer zu stellen – wir müssen schauen, wie wir das finanzieren und zugleich die Profile der Berlinale schärfen. Zum Beispiel: Unsere Reihe mit „Marshall-Plan-Filmen“, die im Zeughauskino im Deutschen
Historischen Museum laufen soll und von VW unterstützt wird. Wir haben dazu ein Programm unter dem Motto „Selling Democracy“. Das ist politisch hochaktuell – wer denken kann, kann sich dazu vieles denken.
Also: Wir klagen nicht. Wir schreiben auch keine roten Zahlen, sondern wir wirtschaften gut und sehen zu, dass das keiner zu stark spürt, der aufs Festival kommt. Bei den Buffets habe ich schon gekürzt, obwohl für einige Buffets wichtiger sind als so mancher
Film.
artechock: Solange Sie nicht die Filme reduzieren ...
Kosslick: Nein, dass tun wir nur da, wo es zu viele waren. Wir hatten 400 und haben jetzt 360 – das reicht; mehr kann sowieso kein Mensch ansehen.
Natürlich ist das alles auch ein Ritt auf dem Vulkan. Aber in den letzten zwei Jahren haben wir erst mal um Sponsoren kämpfen müssen. Und wir haben jetzt bis zum Ende meines Vertrages 2006 Sponsoren, mit denen wir auch gemeinsam neue Ideen entwickeln können.
Worüber wir nachdenken, ist:
Wie gelingt es uns, die historische Chance zu nutzen, dass 2005 die Filmmärkte „American Filmmarket“ und MIFED verlegt werden und die Berlinale plötzlich im Zentrum zwischen „American Filmmarket“ und Cannes landet? Da würden wir Investitionsmittel in Höhe von 1 Million Euro brauchen. Aber um es mal zu vergleichen: Die MIFED hat gerade 7 Millionen investiert, um in die Pool Position zu kommen. Soviel haben wir nicht, aber wir müssen die Chance nutzen.
artechock: Wenn Sie mal hoffen dürfen: Was erhoffen Sie von der Politik?
Kosslick: Da reden Sie mit dem Richtigen und befragen den „Proband 001“. Seit ich hier bin, gehört der Laden dem Bund. Für die Berlinale war das hervorragend, weil wir nicht mit der Berliner Finanzkrise belastet wurden. Dafür habe ich schon drei Kulturminister in dieser Zeit gehabt, die uns gottseidank alle unterstützt haben. Ich habe ein ungebrochenes Verhältnis zur Politik und auch genügend Erfahrung, um damit zurecht zu kommen. Das ist für die Berlinale bisher gut gelaufen. Inhaltlich reingeredet hat uns niemand. Ich bin sicher, dass das so bleibt – und erhoffe natürlich Unterstützung dabei, unser Niveau zu halten.
artechock: Cannes und Venedig haben beide ihre eigenen Probleme. Wie sehen Sie Berlin im Vergleich?
Kosslick: Zu Venedig kann ich gar nichts sagen. Geht man von de Hadelns neuesten Interviews aus, wird er zum audiovisuellen Che Guevara der Lagune. Von Cannes weiß ich, dass man uns ernst nimmt, sogar so ernst, dass es manchmal um dieselben Filme geht – was ich aber natürlich nicht beweisen kann. Aber ich will auch nicht verschweigen, dass uns ganz kurz vor Toresschluss noch ein wichtiger Film abgesprungen ist. Mal sehen, wo er
gezeigt wird.
Ansonsten haben wir völlig unterschiedliche Profile. Und unsere eigene Position ist ausgebaut worden. Wir fühlen uns in ihr sehr wohl und denken, wir sind von den Filmen her auf dem richtigen Weg. Wir wollen möglichst die besten Filme, wollen ein intellektuelles Festival bleiben, wollen den Markt ausbauen, wollen unser besonderes Publikumsprofil behalten. Und wir sind das Festival, das die deutsche Filmkultur und Filmindustrie international ganz nach vorn bringen
will.
Das sind unsere fünf Essentials. Und die werden wir beibehalten. Wir sind ein sehr modernes Festival, und Cannes ist die Nummer Eins.
artechock: Stichwort deutscher Film: Wie ist der auf der Berlinale vertreten?
Kosslick: Neben dem Karmakar-Film Die Nacht singt ihre Lieder gibt es noch Gegen die Wand von Fatih Akin im Wettbewerb. Mit zusammen 56 Produktionen in allen Reihen und Sektionen bekommt der deutsche Film die stärkste Präsenz auf der Berlinale bisher.
artechock: Aber im Wettbewerb sind nur zwei Filme. Mit vier hatten Sie angefangen. Nur Zufall oder eine absteigende Tendenz?
Kosslick: Die absteigende Tendenz ist nur scheinbar. Wir hätten ganz gerne drei gezeigt, aber das klappte nicht. Wir haben ein wenig Pech, weil nicht alles fertig ist. Wenn die Berlinale dieses Jahr im Juni stattfinden würde, hätten wir, schätze ich mal, mindestens fünf deutsche Filme im Wettbewerb.
artechock: Was haben Sie abgesehen von Auswahlfilmen noch im Kino gesehen? Was mögen Sie, welche Tendenzen im Weltkino sind Ihnen wichtig?
Kosslick: Lost in Translation von Sofia Coppola ist ein ganz großartiger Film. Es wäre schön gewesen, wenn der in Berlin gelaufen wäre. Ich schätze neben den großen Filmen auch die kleinen, besser gesagt: Den „kleinen großen Film“ mit riesiger Schlagkraft, wie 2003 Blind Shaft. Das ist schon immer mein Steckenpferd gewesen. Wir haben sehr viele Filme dieser Art gesehen. Die haben wir auch im neuen Wettbewerb. Da kommen die neuen Talente her. Diese Filme zu programmieren, braucht man etwas Mut, denn sie sind natürlich nicht immer perfekt.
Unser Blick geht dieses Jahr besonders nach Afrika und Lateinamerika. In den vergangenen Jahren waren diese Länder bei der Berlinale etwas unterbelichtet. Da sind
wir – um mit der Börsensprachen zu reden – dieses Jahr gut aufgestellt.