»Die Frauen lieben die Männer, aber mehr als Dekoration« |
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Uisenma Borchu in Schwarze Milch | ||
(Foto: Alpenrepublik / Sven Zellner) |
Das Gespräch führte Dunja Bialas
Vor vier Jahren debütierte Uisenma Borchu mit Schau mich nicht so an und überraschte die Kritik und die Zuschauer mit einer frech-emanzipatorischen Figur, die ihre Sexualität offensiv, tabulos und in provozierender Weise einsetzt. Ihr Sparring-Partner war damals Josef Bierbichler, den Borchu locker zu zähmen wusste. Nach dem Bayerischen Filmpreis, den sie mit einer flammenden Rede gegen Rassismus verband, und dem Preis der Fipresci auf dem Filmfest München inszenierte Borchu das Stück »Nachts, als die Sonne für mich schien« in den Münchner Kammerspielen. Jetzt kehrt sie mit ihrem zweiten Film in die Kinos zurück.
Schwarze Milch erzählt von zwei mongolischen Schwestern, die in unterschiedlichen Hemisphären aufwuchsen. Die eine ging nach Deutschland, in »ein starkes Land«, wie es einmal im Film heißt, die andere wuchs bei den Nomaden auf. Im Film besucht die westliche Schwester die östliche und erlebt eine Welt, die ihr unfeministisch und in den Traditionen gefangen vorkommt. Sie beginnt, ein wenig Unruhe zu stiften.
Auch diesmal spielt Uisenma Borchu die rebellische Figur der westlichen Schwester. 1984 in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar geboren, verließ sie mit ihren Eltern die damalige sozialistische Volksrepublik und wuchs in einer DDR-Plattenbauwohnung auf. Heute lebt sie in München. Ihre Herkunft als „Ossi“ hört man im Interview nur, wenn sie „ebend“ sagt, mit „d“. Ihre Figur heißt im Film hingegen „Wessi“: Für die Mongolen ist sie eine aus dem Westen. Borchu hat an der Hochschule für Fernsehen und Film in München studiert. Schwarze Milch ist ihr zweiter Film.
artechock: Dein neuer Film Schwarze Milch hat unterschiedliche Ebenen. Die fiktionale der Geschichte, die dokumentarische mit den Ziegen, Schafen und dem Alltag in der Jurten-Siedlung. Außerdem tauchst du selbst als Figur auf, gibst dem Ganzen einen autobiographischen Touch. Worin genau siehst du diese autobiographische Ebene?
Uisenma Borchu: Schwarze Milch ist entstanden, weil ich „Arroganz“ als Thema ganz stark empfunden habe. Seitdem ich in Deutschland lebe, habe ich eine Arroganz beobachten können, immer, wenn sich Menschen aus unterschiedlichen Kulturen begegnen. Die eigene Welt und Sprache werden dann der anderen übergestülpt. Daraus entstehen viele Konflikte, und das wollte ich unbedingt bei diesen zwei Schwestern erzählen. Auch ich bringe diese Arroganz sicherlich mit, selbst wenn ich mich wieder in »der Gobi« befinde. Klar kann man über die Rassisten hier in Deutschland meckern, aber wenn du selbst in so einer Situation des Kulturenzusammenpralls steckst, musst du dich fragen: Inwiefern bin ich selbst ein Rassist geworden? So muss ich erst einmal einer Nomadenfrau erklären, was eine emanzipierte Frau ist. Das ist eine Ignoranz gegenüber dem Leben des Gegenüber, die bei der Arroganz immer mitschwingt. Wichtig ist, sich selbst immer wieder in Frage zu stellen. Damit bin ich groß geworden, weil ich mich, zerrissen zwischen zwei Ländern, nie richtig einordnen konnte.
artechock: Ist die Emanzipation überhaupt etwas, was bei den Nomaden eine Rolle spielen könnte?
Borchu: Die Wessi stellt die Ossi in Frage und sagt zu ihr: Was wartest du hier auf deinen Mann? Auch ich habe das gefragt, als Regisseurin. Und dann guckt mich die Nomadin an und sagt: Was für einen Druck hast du denn? Was ist denn das eigentlich, die Zeit? Die Frau von heute leidet unter einem Zeitdruck, das kennt eine Nomadenfrau nicht. Die Nomadenfrau dagegen muss in der rauen Welt bestehen, überleben. Mit Wind und Wetter. Da ist sie ganz auf sich gestellt und muss eine sehr starke Frau sein. Meine Großmütter und Urgroßmütter waren starke Individuen, die nach der Tradition gelebt haben und trotzdem emanzipiert waren. Heute kommt einem das nicht als Emanzipation vor. Aber was sie emanzipiert hat, war, dass sie sich ihre eigenen Gedanken gemacht haben und ihre Gedanken auch umgesetzt haben. Deshalb ist für mich die Mongolei immer ein Mutterland gewesen, weil dort die Frauen die größere Rolle gespielt haben.
artechock: Weil sie immer da waren, anders als die Männer, die immer unterwegs waren?
Borchu: Die mongolischen Frauen lieben die Männer, aber mehr als Dekoration. Die starken, wirklich wichtigen Entscheidungen kamen immer von den Frauen. Terbisch, eine Figur in Schwarze Milch, ist für mich ein Symbol für diesen typischen Nomadenmann. Er redet nicht viel, er lässt die Leute, wie sie sind.
artechock: Terbisch ist eine äußerst spannende Figur. Terbisch Demberel, der ihn spielt, ist ein Laie, ein »authentischer« Nomade. Wie hast du ihn gefunden, und inwiefern hast du dich von ihm inspirieren lassen?
Borchu: Ich habe Terbisch 2016, zwei Jahre vor dem Dreh, kennengelernt. Er ist tatsächlich ein Einsiedler, ein Außenseiter, der alleine für sich lebt. Ab und zu hat er Frauen, und von den anderen Nomaden wird er als komisch klassifiziert. Ein schwarzgebrannter Nomade, der keinen Halt hat und sogar noch nach Gold sucht. Für mich war er von Anfang an ein Künstler. Er ist auch noch sehr fotogen, nichts kann ihn aus der Ruhe bringen. Für mich war klar, dass er in meinem Film vorkommen wird.
artechock: Mit deinen Laiendarstellern kreierst du eine ganz besondere Atmosphäre. Wie waren die Dreharbeiten?
Borchu: Unser Team war ganz klein, nur drei Mann. Das konnte gut funktionieren, ohne dass meine Darsteller in eine Schamwelt hineinkommen und sich denken »oh Gott, ein Filmteam!« Es war sehr intim. Es war auch wichtig, ein festes Drehbuch zu haben, denn automatisch wird viel improvisiert, wenn du mit Nomaden drehst. Ich gehe da viel Risiko ein, um auch Authentisches von den Nomaden zu bekommen. Wir haben in den Wochen vor dem Dreh mit ihnen abgeklärt, welche Dinge und auch welche Tiere wir mitbenutzen dürfen. Die Nomaden, bei denen wir gedreht haben, haben uns vielleicht auch gar nicht richtig ernst genommen, uns, das niedliche Filmteam. Entscheidend war aber, ihnen das Gefühl zu geben, dass der Film überhaupt nicht wichtig ist. Die Zeit miteinander war wichtig. Sie durften nicht spüren, dass der Film Priorität hat, da hätte ich mich geschämt. Der Film ist dein Problem! Das steht an letzter Stelle. Erst müssen sie mich als Menschen sehen, als Mit-Nomadin sozusagen. Oft haben wir erst ab 16 Uhr gedreht, dafür ging es dann auch superschnell. Weil du da nicht unbedingt sagen kannst: »So, und das machen wir jetzt noch mal!« Wenn du mit Nomaden drehst, musst du sein wie Wasser.
artechock: Dann gibt es noch eine stark symbolhafte, mythische Ebene in deinem Film, auch der Filmtitel Schwarze Milch gehört dazu. Ein fremder Mann dringt in die Jurte der beiden Schwestern ein, wie der schwarze Wolf, der dann später real wird und Schafe reißt. Eine der Schwestern wird vergewaltigt, vorher aber beschwört sie noch die „schwarze Milch“, die ihr Kraft gibt. Ist das ein konkreter Mythos, den du erzählst? Und damit verbunden die starke Angriffslust: Ich opfere mich, aber von mir bekommst du nur die schwarze Milch?
Borchu: Ich habe die mongolischen Mythen und Märchen als Kind gerne gehört. Die Wüste ist eine Landschaft, die mir viel Geheimnisvolles gegeben hat, etwas Unheimliches, wo es Amazonen gibt oder Hexen. Alle Kinder hatten Angst vor ihnen, weil sie so große Brüste hatten, die sie sich über die Schulter werfen konnten. Heute verstehe ich diese Geschichten noch einmal ganz anders. Das waren starke, selbstbestimmte Frauen, Kämpferinnen. Diese Hexengeschichten wollte ich in Schwarze Milch hineinweben und sie gewissermaßen ehren. Und sie in eine Situation übertragen, wo die Frau von heute sexuelle Gewalt erlebt. Es interessiert mich als Filmemacherin nicht, die Frau leiden zu sehen und wie sie penetriert wird. Ihre wahre Kraft ist zu rebellieren, innerlich. Zwar geschieht körperlich etwas mit ihr, aber das Innerste von ihr kann der Typ nicht nehmen und auch nicht berühren. Das ist ihre verborgene Kraft. Für mich ist diese Kraft schwarz, ich weiß ich nicht wie ich darauf beim Schreiben gekommen bin. Diese Kraft ist etwas Uriges. Schwarze Milch habe ich aus einer Rebellion heraus geschrieben. Alle sagen immer: eine Frau bekommt Kinder, die hat weiße Milch, alles klar! Aber ich sage: es ist eben nicht alles klar. Die Milch, egal ob schwarz oder weiß, ist eine ultimative Kraft, das schätzen wir zu wenig. Sogar die Frau schätzt das zu wenig.
artechock: Und dann gibt es auch noch die Vereinigung mit einem sehr viel älteren Mann. Siehst du darin eine besondere Symbolkraft?
Borchu: Mich reizt vor allem, dass die Frau – und ich auch – immer eine bestimmte Rolle übernimmt. Ein bestimmtes System durchspielt, von dem man dann komplett geprägt ist. Das kann dann physisch absolut normal sein, genau das zu machen, was eben nicht der Normalfall ist. Es geht nicht nach Aussehen, es geht nicht darum, ob man vielleicht körperlich zusammenpasst, weil man das gleiche Alter hat. Es geht um pure Instinkte, die wachgerufen werden. Das hat dann gar nichts mehr mit dem Alter zu tun. Das hat etwas mit einem Aufstand zu tun. Wenn man drangsaliert wird und immer in so eine Box reingeschoben wird, dann macht man genau das Gegenteil. Weil es eben geht, und weil die Gefühle stimmen.
artechock: Deine Figur widersetzt sich auch in der westlichen Welt, da ist auch diese Rebellion spürbar, gegen deinen Partner, den Franz Rogowski spielt. Und dann ist da noch die Rebellion in der Jurten-Gemeinschaft, indem du dir den Außenseiter Terbisch aussuchst. Jedes Mal aktiviert Wessi die Störelemente. Es ist interessant, dass in deinem Film überhaupt keine Romantisierung der Nomaden zu verspüren ist, wie sonst, wenn aus der westlichen Perspektive erzählt wird. Das sind übrigens auch immer Frauen, oft Französinnen, die dann so eine Art ethnographische Erfüllung finden wie zuletzt in Eine größere Welt. Bei dir dagegen ist Rebellion und Widerstand zu verspüren.
Borchu: Ich glaube, diese romantisierenden Filme sind Rasterfilme. Da gibt es esoterische Frauen, die auf die Weite und die Nomaden stehen, auf den Schamanismus. Das ist auch eine Geschäftsidee! Und verrät den Blick, der sich nicht weiter mit dem Land und den Menschen beschäftigt hat. Ich habe von Anfang an zu Sven Zellner, meinem Kameramann, gesagt: Wir werden auf keinen Fall Landschaftsaufnahmen machen! Die Mongolei wird für diese Romantisierung die ganze Zeit ausgebeutet. Ich aber bin eine junge Frau und will mich nicht mit so was verarschen lassen. Mir geht es um etwas ganz anderes. Mein Blick ist ehrlich, auch wenn er natürlich subjektiv ist, auf das Land, aus dem ich komme. Harmonie kann ich überhaupt nicht finden, in keiner Welt, in der ich bisher gelebt habe. Es ist auch traurig, wenn die Schwestern da sitzen und in die weite Unbekannte blicken und nicht wissen, was auf sie zukommt.
artechock: Spannend ist, dass deine Figur versucht, das Vorgefundene zu verändern. Wessi kritisiert, provoziert, durch ihr Verhalten. Allein ihr Rauchen provoziert! Dann sagt sie ihrer Schwester: Bade doch in Stutenmilch! Was sie dann heimlich ausprobiert. Da gibt es starke Veränderungen, zugleich macht auch Wessi große Veränderungen durch. Wenn es Harmonie gibt, dann mit den Tieren. Das unaufgeregte Zusammensein mit den Tieren, auch mit dem Tod.
Borchu: Das ist das einzige, was dir in dieser rauen Welt Ruhe gibt. Tiere sind universell, die Tiere und die Natur bestimmen das Leben der Nomaden. Egal, wo du die Nomaden triffst, sie sind immer in sich ruhend und in sich gekehrt. Sie wissen immer, was wichtig ist: sich nach der Natur zu orientieren. Wenn sie das nicht mehr machen, bedeutet das den Tod, weil sie nichts mehr zu essen haben. In der industriellen Welt beachtet man die Natur nicht mehr. Deshalb drehen wir alle irgendwann am Rad. Ich bin auch total industrialisiert. Wenn ich dann in der Wüste bin und reflektiere, wie die Nomaden aufstehen, wie sie mit den Tieren und auch zueinander sind, dann fühle ich, dass ich eigentlich überhaupt keine Bedeutung habe. Das ist schön, wenn man sich keine Bedeutung mehr geben muss. Das ist so erleichternd!
artechock: Du hast noch eine, wie ich finde, witzige Ebene eingebaut, durch die Namensgebung der Schwestern, die einfach nur „Wessi“ und „Ossi“ heißen. Das kommt mir fast ironisch vor. Aus der DDR kommend bist du ja eigentlich ein Ossi.
Borchu: Ja, ich fand das witzig, denn ich bin ja ostdeutsch geprägt. Wenn wir dann in die Mongolei gefahren sind, waren wir für die Verwandten immer die Wessis. Man hat sich immer mit Platitüden abgegeben und die Menschen schnell beurteilt. Ich wollte den Schwestern einfach diese banalen geopolitischen Namen verpassen. Ich stehe nicht so darauf, auch noch passende mongolische Namen zu finden, ich wollte das einfach halten. Du wirst immer vereinfacht. Ich war immer einfach nur „Schlitzauge“ oder der Ausländer. Punkt, aus, fertig. Mehr bist du einfach nicht.
artechock: Welches Thema wirst du in Zukunft weiterverfolgen? Wirst du wieder in der Mongolei drehen?
Borchu: Mein nächster Film wird zumindest wieder in Europa spielen. Das Thema, das mich sehr interessiert, hat sich vor wenigen Tagen bei der Berliner Premiere von Schwarze Milch wieder gezeigt. Eine Mongolin kam auf mich zu und meinte, dass es nicht stimmen würde, wie ich die Nomadinnen darstelle, und auch Vergewaltigungen in der Wüste gäbe es nicht. Frauen versuchen auch heute, obwohl sie aufgeklärt sind, kleinzureden, was sie erleben. Alles wird verharmlost und weggespült, weil immer das eigene Ich kritisiert wird. Warum wird die sexuelle Gewalt gegen Frauen verharmlost, auch von den Frauen? Wir verschließen die Augen. Das möchte ich weiter erforschen.