07.07.2011
28. Filmfest München 2011

»„Einfache Unterhaltung“ gibt es nicht«

Wiebke Puls und Anne Schäfer in JASMIN
Wiebke Puls und Anne Schäfer in Jasmin
(Foto: Camino)

Ein Gespräch mit Jan Fehse (Regisseur), Christian Lyra (Autor, Produzent) und Felix Parson (Produzent) zu ihrem Film Jasmin

Der Film Jasmin zeigt ein vier­tä­giges Gespräch zwischen einer jungen Frau (Anne Schäfer) und einer Gerichts­psych­ia­terin (Wiebke Puls). Erstellt wird ein Gutachten über einen Kindsmord und einen miss­glückten Selbst­mord – beides wird der jungen Frau zur Last gelegt. Allmäh­lich erkennt man, wie es zu diesen Taten kommen musste.

Mit den Machern von Jasmin sprach Doris Kuhn.

artechock: Was ist die Entste­hungs­ge­schichte des Trios, das Jasmin gedreht hat?

Christian Lyra: 1987 Gründung des Fußball­ver­eins FC/DC, Lyra spielt mit. 500 Jahre später, Nachwuchs wird gesucht. Ich spielte mittwochs mit dem Felix zusammen

Felix Parson: Das war ‘98, da war ich 18.

Lyra: 18 Jahre alt, ich denk mir, guter Typ, mag der beim FC/DC mitspielen? Jan war auch FC/DC Spieler.

artechock: Du hast auch beim FC/DC gespielt?

Jan Fehse: Ja, aber sehr viel kürzer. Ab 2003, als ich aus Berlin wieder nach München kam.

Lyra: Der Vater vom Felix ist ein Kumpel von Hias, Christos und den ganzen Leuten. Die spielten mittwochs Fußball, was ich nach einem Kreuz­band­riss wahr­ge­nommen habe, um mich wieder für den harten FC/DC fit zu machen. So kam der Felix zum FC/DC. Dann hat er seine Kumpels vom Land in den Verein geholt.

artechock: Du kommst vom Land?

Parson: Ich habe die ersten vier Jahre meines Lebens in München gewohnt, dann wurde ich aufs Land verfrachtet.

Lyra: Weil die Stadt Angst hatte.

Parson: Ja, die Stadt hatte Angst vor mir, aber mit 18 bin ich wieder zurück gezogen. Da gings. Bis dahin bin ich neben einer großen Wiese aufge­wachsen, auf der ich jeden Tag Fußball spielen konnte bis es dunkel wurde. Nur so war ich überhaupt zu ertragen.

artechock: Wie ist der Übergang vom Fußball zum Film?

Parson: Beim FC/DC spielen schon immer viele Menschen, die mit Film zu tun haben. Ich war ja damals Bank­kauf­mann. Ich habe zumindest eine Ausbil­dung dazu gemacht, nach dem Abi. Ich kam mit Schlips und Anzug zu den Spielen.

Lyra: Ich habe noch eine Visi­ten­karte von ihm.

Parson: „Service­be­rater Felix Parson“!

Gelächter.

Parson: Ich hab das dann ganz schnell sein lassen, nämlich an dem Tag meiner münd­li­chen Prüfung.

artechock: Der münd­li­chen Prüfung zum Bank­kauf­mann?

Parson: Genau. Das war der letzte Tag, an dem ich teil­ge­nommen habe an dieser Berufs­ver­an­stal­tung. Naja, ich hatte schon immer bisschen Einblick in die Film­branche, also hab ich eine Firma gegründet, Smac Media. Christian schrieb Dreh­bücher, und von Jan wußte ich irgend­wann auch, was er so treibt, wenn er nicht auf dem Fußball­platz steht. Dazu kam der Wunsch, mal Fiction zu machen, einen richtigen Spielfilm zu drehen. Also ging ich zu Christian – und habe dir gesagt?

Lyra: Dass Du einen Film machen willst. Ob ich dafür eine Idee hätte. Ich sagte, ja, aber eins müssen wir vorher festlegen, bitte: Lass uns den Film frei finan­zieren. Die Kultur braucht No-Budget-Filme! Felix sagte, er stemmt das. Ich habe überlegt, was man für einen No-Budget Betrag machen könnte. Da landet man dann schnell bei einem Zimmer, zwei Menschen, Konflikt­si­tua­tion.

artechock: Nochmal kurz zu Felix – Du hast mit dieser Firma hier vorher schon Filme gedreht?

Parson: Smac Media produ­ziert seit vier Jahren Doku­men­tar­filme, Repor­tagen, kleine Serien, aber nichts im fiktio­nalen Bereich. Ich kam also zu Christian, und Christian sagte, ok, ich habe diese Idee für ein Kammer­spiel, das wäre eine Sache, die sich viel­leicht im Rahmen dieses Budgets reali­sieren lässt. Ein paar Tage zuvor hatte ich Jan auf der Straße getroffen – und habe dir gesagt?

Fehse: Könntest Du dir vorstellen, bei einem kleinen Film Regie zu machen, auch wenn es nicht viel Geld gibt. Oder so.

Parson: Darauf hat der Jan natürlich gesagt: Ja klar. Wie man das halt an einem Sommertag tut. Zwei Tage später hat er von Christian das Buch bekommen und von mir den Anruf: Ja dann mach doch mal. Das war die Ausgangs­lage.

artechock: Das heißt aber, dass ihr In jeder Sekunde nicht zu dritt gemacht habt.

Lyra: Nein. In jeder Sekunde war so: Der Jan ist im Lind­wurm­stü­berl zu mir gekommen und hat gesagt, er ist so erfolg­reich als Kame­ra­mann, er will mal wieder scheitern und Regie machen.

artechock: Gut für den Charakter.

Fehse: Für den hatten wir als Grundidee sowas wie 21 Grams.

Lyra: Dann hatten wir das Glück, dass Sven und Bernd Burge­meister sich anschlossen. Das waren Partner, mit denen wir bei den Förde­rungen bestehen konnten.

artechock: Da gab es also Förderung?

Lyra: Ja. Das ist ein richtig normaler Herstel­lungsweg gewesen.

Fehse: Das Budget betrug dann über eine Million.

artechock: Was habt ihr für ein Verhältnis zu München? Die Stadt ist immer prominent in euren Filmen, sogar in diesem Kammer­spiel Jasmin.

Fehse: Ich mochte München als ich jung war nicht so wahn­sinnig gern. Es gab zwar immer Orte, wo man sich wohl­fühlte, Tanzlokal, Substanz, aber trotzdem gefiel mir die Stadt nicht besonders. Ich bin ja dann auch nach Berlin gegangen, weil ich hier raus wollte. Aber ich kam 2002 zurück nach München, und seitdem habe ich meinen Frieden mit der Stadt gemacht und finde es hier wunder­schön. Es sind aller­dings diese Viertel wie Giesing oder Sendling, wo ich München schön finde, nicht Schwabing z.B. Das sieht man auch in den Filmen.

Lyra: Ich bin als Kind ständig umgezogen. Immer wenn ich Wurzeln geschlagen habe, musste ich wo anders hin. Mit 15 bin ich hier gelandet und bin nach Voll­jäh­rig­keit hier geblieben. Da habe ich 20 Jahre in der Baader­straße gelebt. Ich hatte eine Freundin, die ist zurück nach England, eine Freundin, die ist nach Berlin gegangen – ich bin immer hier geblieben. Ich mag das hier.

artechock: Aber der junge nicht­kom­mer­zi­elle Film geht doch gern nach Berlin.

Fehse: Das wird immer so darge­stellt, als ob das obli­ga­to­risch sei, nach Berlin zu gehen, weil man nur da unab­hän­gige Filme machen könne. Das finde ich so schön, dass wir mit In jeder Sekunde schon bewiesen haben und jetzt mit Jasmin wieder, dass das hier genauso geht. Jasmin ist zwar in der Entste­hung viel anar­chi­scher, trotzdem haben wir in München diesen Film machen können, noch dazu mit diesen angeblich so konser­va­tiven baye­ri­schen Partnern wie dem BR oder der FFF. Die waren bei beiden Filmen dabei, obwohl es echt schwie­rige Stoffe waren.

artechock: Mir geht es um die Stadt selber. Um München im Bild. Es heißt doch so oft, München schaut Scheiße aus.

Fehse: Nein, Moment, Köln sieht Scheiße aus.

Parson: München, oder ganz Bayern, hat natürlich diese Post­kar­ten­mo­tive. Da wird immer vor der Oper gedreht oder auf der Maxi­mi­li­anstraße, aber die Stadt hat viel mehr zu bieten. Es gibt Plätze, die ein ganz anderes Bild von München wider­spie­geln. Das ist bloß in unserem Film nicht zu sehen –

artechock und Fehse: Doch, Ober­gie­sing.

Parson: Ok, natürlich. Also es gibt ein anderes Bild von München, und ich habe nicht das Problem, dass München Scheiße wäre, oder Hochglanz, oder dass es angeblich eine versnobte Stadt ist, in der Kunst keinen Raum findet.

Lyra: In den 80er Jahren sind alle nach Berlin gefahren. Ich also auch ein paar Mal. Wenn ich dann dort war, fand ich es lang­weilig, weil alle sich so einig waren. Alle redeten von Projekten, die nie gemacht wurden. Hier in München muss man arbeiten. Man muss gegen das Geschleckte, Etablierte anar­beiten, das ist eine Super­mo­ti­va­tion. Außerdem muss man richtig viel Miete zahlen, muss wirklich schauen, wie man über die Runden kommt, und dafür muss man eben auch arbeiten. Ich finde das förder­lich, diese Spießig­keit einer­seits – und ande­rer­seits ist München einfach wahn­sinnig schön.

artechock: Ihr habt an München eine urbane Seite gefunden, die richtig gut aussieht.

Fehse: Ich habe schon zu Hoch­schul­zeiten als Kame­ra­mann hier gedreht, da haben wir München aussehen lassen wie New York. Das war ein Film, der spielte viel auf Ausfall­straßen, Park­plätzen, das geht alles in München. Die Auswahl in Berlin ist viel­leicht größer, aber wenn man sich Mühe gibt, kann München ganz anders aussehen als man es aus diesen ganzen Schwa­binger Filmen kennt.

artechock: Ihr sagt, ihr macht sperrige Filme. Das trifft auf Jasmin noch mehr zu als auf In jeder Sekunde. Was ist mit Film als Unter­hal­tungs­me­dium?

Fehse: Das wurde ich neulich schon gefragt.

artechock: Danke.

Fehse: Ich finde das ok.

Gegacker.

Lyra: (flüstert) Da weiß ich ganz viele Antworten!

Fehse: Ich sag jetzt eine, dann kannst Du noch Zwanzig andere geben: Es ist natürlich so, dass diese Conve­ni­ence-Filme, die klas­si­scher funk­tio­nieren oder ein Happy End haben, dass die den Zuschauer nicht mit einer offenen Frage entlassen, sondern ihn mit einem abge­schlos­senen, sauberen Filmende beruhigt nach Hause schicken. Solche Filme werden häufig gedreht – weil sie einfacher zu finan­zieren sind, weil sie kommer­ziell besser gehen. Aber ich dachte, wenn ich jetzt anfange, Filme zu machen, will ich nicht das tun, was sowieso schon ganz viele tun. Ich finde es span­nender, ein Feld zu beackern, auf dem nur wenige andere sind. Dazu kommt, dass ich solche Filme gern anschaue. Mir geht es oft so, dass mich zuviel heile Welt in Filmen eher depri­miert. Dann fürchte ich, dass nur ich ein Freak bin, der das Leben nicht sonder­lich hoff­nungs­froh sieht. Aber wenn ich Filme sehe, in denen andere Leute auch zu kämpfen haben, dann weiß ich, ich bin nicht der Einzige, dem es so geht.

Lyra: Ich würde wider­spre­chen.

Parson: Jetzt geht das wieder los.

Fehse: Können wir das bitte getrennt machen, Dolly? Können wir das jetzt hier schnell fertig machen, und dann kann der Lyra rein?

Parson: Ja. Aaaah.

Tumult, Gelächter.

Lyra: Dieser vermeint­liche einfache Unter­hal­tungs­wert – also, „einfache Unter­hal­tung“ gibt es nicht. Unter­hal­tung –

Fehse: Ich hab Conve­ni­ence-Filme gesagt.

Lyra: Jajaja. Ich behaupte, dass hinter den Filmen, die es schaffen, Menschen zu unter­halten, große Arbeit steckt. Das ist Handwerk, das machen Voll­profis, und das ist richtig schwierig.

Fehse: Das würde ich nie bestreiten. Davon lebe ich. Ich mache Conve­ni­ence-Filme als Kame­ra­mann, Herr Bello und so. Das ist ein schwie­riges Handwerk. Ich will auch nicht werten. Ich sage nur, von diesen Filmen gibt es viele, und das machen viele, und das andere taucht so wenig auf. Ich will der Mann­schaft helfen, die gerade zurück­liegt.

Lyra: Ok. Aber wenn wir einen Stoff hätten, der unter­hal­tend ist und gleich­zeitig quali­tativ eine große Stärke hätte, dann würden wir den auch machen. Wir wollen auch in Zukunft andere Filme machen.

artechock: Ange­nommen ihr hättet eine tolle Komödie an der Hand?

Lyra: Ich lag neulich nachts wach und dachte über die Rede nach, die ich auf der Premiere halten wollte. Da hatte ich die Idee, dass ich dann ganz am Schluss sage: Und übrigens, unser nächster Film wird eine Komödie.

Fehse: Aber auch da gibt es Abstu­fungen. Ich weiß nicht, ob ich eine Komödie wie Kokowääh als Regisseur bedienen könnte. Diesen Humor. Aber es gibt ja noch hundert andere Arten von Komödien, die sich zwischen Hangover und Fargo bewegen, und davon liebe ich viele. Bloß diese ganz klas­si­sche Heile-Welt-Romantic-Comedy, ob ich dazu viel beitragen kann, das weiß ich nicht.

Lyra: Ich habe jahrelang für eine Film­pro­duk­tion an einer Romantic Comedy geschrieben. Ich habe fest­ge­stellt, dass es für mich das Schwie­rigste ist, so etwas zu schreiben. Man hat eine Szene fertig und findet die selbst zum Brüllen lustig. Dann sagen die Produ­zenten, das sei schon lustig, aber die Leute da draußen fänden das gar nicht. Dann kommen sie mit einem Stapel DVDs wieder, der besteht aus erfolg­rei­chen deutschen RomComs. Die schaue ich mir an und werde rot. Für diese Sorte Humor schäme ich mich.

Parson: Zurück zur Ausgangs­frage. Ich hatte wie gesagt den Wunsch, Fiction zu machen. Und was macht man, wenn man wenig Geld hat? Natürlich wäre eine Komödie irgendwie möglich, aber man will am Ende doch einen Film haben, der auch als Visi­ten­karte dienen kann. Mit einem Film wie Jasmin hat man viel­leicht später die Chance, genug Geld zu bekommen, um eine Komödie zu machen.

Fehse: Außerdem soll man Filme über ein Thema machen, mit dem man sich auskennt. Christian kennt sich mit der Psych­ia­trie aus, mir ist die Stimmung vertraut.

Parson: Meine Mutter hat in der Nußbaum­straße (Anm.: Adresse der Klinik für Psych­ia­trie und Psycho­the­rapie in München) gear­beitet. Ich habe sie da oft besucht.

artechock: Gab es Vorbilder?

Fehse: Für mich nicht. Es gibt Leute, die machen Filme aus ihrem Wissen über Film­ge­schichte heraus. Ich hingegen bin, was Filme angeht, eher ein intui­tiver Mensch. Ich lese ein Drehbuch, dann entstehen Bilder dazu, und irgend­wann habe ich eine Idee, wie ich das gern machen würde. Ich kann mir Filme auch schlecht merken. Insofern würde ich nicht sagen, dass es für mich ein Vorbild gab. Ich habe das Buch gelesen und gedacht, das inter­es­siert mich, da wüßte ich, wie ich das umsetzen will.

Lyra: Für mich sind, was solche Arbeiten betrifft, die Vorbilder definitiv Doku­men­ta­risten, der forschende Blick von Frederick Wiseman etwa. Ich weiß noch, wie wir uns, ganz jung, mal im Werk­statt­kino Full Metal Jacket ange­schaut haben. Danach meinte Romuald Karmakar nur: Alles Quatsch! Du musst La section Anderson von Pierre Schoen­doerffer angucken. Das ist ein Doku­men­tar­film. Und diesen Anspruch, alles so realis­tisch wie möglich zu machen, den habe ich seither. Das geht nur, wenn man gute Infor­manten hat, denen man das Buch zu lesen geben kann, wie Dr. Pfeiffer in Haar oder Dr. Dose. Dann nähert sich der Stoff der psych­ia­tri­schen Realität.

Fehse: Hm, Vorbilder, natürlich habe ich mir Karmakars Der Totmacher genommen und rein­ge­schaut. Aber bei ihm war es ein histo­ri­scher Fall, Jasmin ist ein fiktio­naler Stoff. Außerdem wollte ich auch formal etwas anderes. Bei Romuald gibt es Kreis­fahrten mit der Kamera, da wird die filmische Klaviatur bemüht, während wir den Ansatz hatten, alles möglichst reduziert zu halten.

Lyra: Aber bei Filmen wie dem Totmacher kriegt man die Finan­zie­rung besser hin. Da kommt der Schühly mit dem Götz George, und zack gibt es eine Förderung, und irgend­wann hat man die Millionen zusammen, die man braucht.

artechock: Ok, also jetzt – welche Rolle spielt das Geld?

Parson: Mit die größte. Man braucht ja schon Geld, um nur ein Kamera-Equipment zu leihen. Dann muss man ein Team bezahlen. Wir hielten das so, dass jeder gleich viel bekam, egal, was er gemacht hat, vom Setfahrer bis zum DOP. Und das war bloß eine Aufwands­ent­schä­di­gung, mehr war das nicht.

Lyra: Trotzdem hatten wir Top-Leute.

Fehse: Wir haben bewusst geplant, im Dezember zu drehen, da ist wenig los; ein Team wie das unsere kriegt man im Sommer gar nicht zusammen. Wenn man aber fragt, ob die im Dezember mal fünf Tage Zeit haben für etwas Kleines, dann bekommt man unter Umständen wahn­sinnig gute Leute für vergleichs­weise wenig Geld.

Parson: Das hat nur funk­tio­niert, weil der Jan durch seine Tätigkeit als Kame­ra­mann die ganzen Jungs kannte.

Lyra: Es sind viele Leute dazu­ge­kommen, die die Story sehr okay fanden und deshalb mitmachten, das muss man auch sagen. Es hat sich zusam­men­ge­setzt wie ein Riesen­puzzle.

artechock: Aber die Vorgabe, den Film als No-Budget-Produk­tion zu machen, um unab­hängig zu sein, wurde die einge­halten und ging das auch?

Parson: Jan hat Bettina Ricklefs das Buch zu lesen gegeben und sie hat über Nacht zugesagt. Das hat uns zu einer Finanz­spritze verholfen, die uns sehr gut getan hat.

Lyra: Aber das Tolle war, dass wir hingingen und sagten: Wir machen diesen Film. Wollt ihr mitmachen?

Fehse: Nicht »Bitte bitte dürfen wir« und »wir brauchen aber«. Das Besondere an der Entste­hungs­ge­schichte von Jasmin war diese Haltung: Wir machen das sowieso. Aber solltet ihr uns Geld geben, haben wir mehr Luft und können mehr machen. Das ist viel besser, als wenn man Bitt­steller ist und sagt: Wenn ihr uns nicht helft, dann platzt unser Projekt.

Parson: Die Reaktion war entspre­chend anders. Nicht: Wir geben denen Geld, dann können die das machen, sondern: Wenn wir denen jetzt Geld geben, dann können wir da dabei sein. Das ist ein Riesen­un­ter­schied.

artechock: Hättet ihr es ohne die Partner geschafft?

Parson: Ob wir es so hinge­kriegt hätten, weiß ich nicht, aber wir hätten es auf jeden Fall gemacht.

artechock: Das bedeutet doch, dass man die eigene Vorstel­lung vom Filme­ma­chen noch verwirk­li­chen kann, obwohl die ganze Welt immer schreit, das sei unmöglich.

Fehse: Es kommt auf den Stoff an. Jasmin war ein Stoff, der sich dafür angeboten hat. Es gibt andere Dreh­bücher, bei denen hat man nicht die Möglich­keit, sie mit fünf Drehtagen und zwei Schau­spie­lern zu reali­sieren.

Parson: Ja, es heißt, alles sei so schwierig. Aber es ist nur so lange schwierig, bis man es versucht, und bei vielen Projekten wird einfach nie der Versuch unter­nommen.

Lyra: Aber man muss, um so etwas zu machen, Entbeh­rungen auf sich nehmen. Man muss oft parallel anderswo arbeiten, um seine eigenen Projekte durch­ziehen zu können.

Fehse: Die Verwirk­li­chung von Jasmin war außerdem nur deswegen möglich, weil die Leute auf ihr normales Gehalt verzichtet haben, auf Equipment-Miete verzichtet haben, solche Sachen. Man nützt die Leute also aus, und das sollte man nur machen, wenn man sicher ist, der Stoff sei es wert. Dauerhaft geht so etwas nicht. Es muss wirklich ein Film sein, bei dem die Leute glauben, es sei wichtig, dass der gedreht wird, und deshalb einver­standen sind, unter solchen Bedin­gungen zu arbeiten.

artechock: Du sagst, es muss ein Stoff sein, für den es sich lohnt: Wie kamt ihr auf die Geschichte von Jasmin?

Lyra: Dolly, Du erinnerst dich, ich fuhr einen gelben VW als ich Zivil­dienst gemacht habe, mit dem bin ich immer nach Haar in die Psych­ia­trie –

Parson: Jetzt kommt wieder der Lyra mit »back in the days when I was younger«.

artechock: Machs kurz.

Lyra: Nein, man muss doch ausholen.

Fehse: Ja, es klingt so schön.

Gegacker.

Lyra: Also letzt­end­lich steckt sehr viel Arbeit in dem Buch. Ich bin während einer Recherche auf Fälle von Müttern gestoßen, die ihre Kinder ermordet haben. Das las ich und dachte mir: Das muss man erzählen. Oder das, was dann danach passiert, eigent­lich.

Fehse: Mein Fach­wissen ist viel geringer als Lyras. Mein Zugang zu dem Stoff ist ein anderer. Mich ärgert es, dass bei solchen Taten die Volks­mei­nung so schnell überkocht und sofort zu klaren Urteilen führt. Mir ging es darum, zu zeigen, dass jemand eine unglaub­liche Tat begehen kann, von der man viel­leicht selber gar nicht soweit entfernt ist – wenn es blöd genug läuft, wenn ungüns­tige Konstel­la­tionen aufein­ander treffen. Ich wollte erreichen, dass man weniger über­heb­lich ist und nicht behauptet, so etwas könnte niemals passieren. Gut wäre, wenn man Mitleid mit der Frau hat und wom öglich Vers­tändnis für sie aufbringt.

artechock: Die Berater aus der Psych­ia­trie sagen, der Fall sei realis­tisch?

Lyra: Auf jeden Fall. Sie haben das Buch gelesen und sagen beide, diese fiktive Biogra­phie über­schneide sich mit etlichen ihrer Fälle.

artechock: Denkt ihr ans Publikum? Denkt ihr an Erfolg?

Fehse: Ich denke sehr ans Publikum. Ich denke, ein Film, der nicht für Publikum gemacht wird, ist totaler Schwach­sinn. Fragt sich nur, wer das Publikum ist, und für mich ist das nicht immer die größt­mög­liche Anzahl von Zuschauern, sondern manchmal bloß ein Spar­ten­pu­blikum. Mir ist klar, dass wir mit einem Film wie Jasmin manche Menschen nicht erreichen.

artechock: Du wolltest einen Film für das Spar­ten­pu­blikum Psych­ia­trie machen?

Fehse: Nein. Ich wollte Leute anspre­chen, die aus so einem Film rausgehen und sagen, der beschäf­tigt mich, der hat mir etwas gegeben. Und davon gibt es mehr, als man denkt.

Parson: Und was den Erfolg angeht: Natürlich möchten wir einen Verleih. Natürlich einen Kinostart. Es wäre auch wunder­schön, einen Preis zu bekommen.

artechock: Noch irgendwas, was ihr dringend sagen müsst?

Parson: Viel­leicht machen wir eine AH-Mann­schaft auf, im nächsten Jahr.