Noch einmal »Mr. Cowboy« |
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Johan Heldenbergh (links) und Felix Van Groeningen vor dem City-Kino in München | ||
(Foto: Natascha Gerold) |
»Dat Team draait goed«, sagt man im Niederländischen, wenn ein Team gut funktioniert, egal ob beim Sport oder im Berufsalltag. Bei Felix Van Groeningen, dem Regisseur von The Broken Circle und seinem Hauptdarsteller Johan Heldenbergh trifft der Spruch ins Schwarze. Zum einen kennen und verstehen sich die beiden sehr gut, zum anderen hat ihre Zusammenarbeit diesseits und jenseits der belgischen Grenzen bereits Anerkennung gefunden, unter anderem mit Die Beschissenheit der Dinge, in dem Heldenbergh den spiel- und trinkfreudigen Onkel Braem spielt. Den größten Erfolg bislang können sie jedoch mit The Broken Circle verbuchen, der die Herzen der belgischen und holländischen Zuschauer im Sturm erobert und auch bei der diesjährigen Berlinale den Publikumspreis gewonnen hat.
Das Gespräch führte Natascha Gerold.
artechock: Der Film basiert auf dem Theaterstück »The Broken Circle Breakdown Featuring the Cover-ups of Alabama«, das von Johan stammt und in dem er auch, wie im Film, den Protagonisten spielt. Ist es nicht ungleich schwieriger, aus einem Stück einen Film zu machen als aus einem Roman wie „Die Beschissenheit der Dinge“?
Felix Van Groeningen: Bei der Adaption eines Stücks ist manches einfacher, aber auch schwieriger. Ein Vorteil ist die in etwa gleiche Dauer: wenn man den Text dieses Stücks umsetzt in Szenen, läuft das ungefähr auf Spielfilmlänge hinaus; ich musste nicht so oft entscheiden, wovon ich mich für den Film verabschieden muss. Lässt man bei der Umsetzung eines Romans alles drin was einem gefällt, hat man in der ersten Drehbuch-Version schnell einen Film von vier oder fünf Stunden …. Der Nachteil ist, dass es Momente in Johans Stück gibt, die auf der Bühne fantastisch funktionierten, sich filmisch aber einfach nicht umsetzen ließen. Es besteht aus vielen Monologen, und wir haben viel Zeit darauf verwandt, sie auf verschiedene Art im Film unterzubringen. So einen Monolog kannst Du einmal, aber nicht zehnmal machen, denn sonst hättest Du ein verfilmtes Theaterstück. Für den Rest haben wir Version für Version andere Lösungen gefunden, das Gesprochene in Szenen und Situationen umgewandelt.
artechock: Im Zusammenhang mit Die Beschissenheit der Dinge hast Du erwähnt, wie wichtig der jeweilige Drehort ist, den man als Hintergrund erschafft, vor dem sich alles abspielt. War das auch bei diesem Film so?
Van Groeningen: Ich wusste zunächst nicht, wo was passiert, welches Erscheinungsbild man den Figuren gibt – das alles wächst sehr langsam und in vielen Gesprächen mit dem Team. Der Kleidungsstil von Elise zum Beispiel sollte zunächst viel braver und schlichter sein, aber letztendlich wurde klar, dass wir sie sexyer zeigen mussten als die Bühnenfigur.
artechock: Wo habt Ihr gedreht?
Van Groeningen: In der Umgebung von Gent, sie ist aber nicht eindeutig der Stadt zuzuordnen.
Johan Heldenbergh: Es ist der Genter Hafenbereich, die Gegend kennen nicht so viele Leute.
artechock: Johan, Du hast Felix Dein Stück, Dein Baby überlassen. War es da überhaupt möglich, sich nicht in den Schaffensprozess des Regisseurs einzumischen?
Heldenbergh: Um bei der Baby-Metapher zu bleiben – wenn Du ins Kino willst und Dir für den Abend einen Babysitter organisierst, gibt es die Sorte, bei denen Du lieber gleich ganz klare Regeln im Vorfeld abmachst. Und dann gibt es jene, bei denen Dein Kind fast noch besser aufgehoben ist als bei Dir selbst. Felix gehört zur zweiten Gruppe. Ich vertraue ihm hundertprozentig. Darüber hinaus hätte ich auch nicht genügend Abstand vom Stück gehabt, um »gute Ratschläge« für den Film zu erteilen. Ich bin auch kein Film-, sondern Bühnenmensch.
Van Groeningen: Ich bewundere Johan echt dafür, dass er in seiner Filmrolle alles geben, und sich doch gleichzeitig so rausgehalten konnte.
artechock: Johan, 130 Mal hast Du Didier auf der Bühne gegeben. Und dann nochmal im Film. Dann eine große Tournee mit der Band. Das heißt: Immer wieder die Gefühlsachterbahn aufs Neue. Wann glaubst Du lässt Dich das Ganze mal los?
Heldenbergh: Ich hab The Broken Circle zuletzt bei der Berlinale gesehen, in diesem schönen Kinosaal mit Publikum. Da hab ich beschlossen: ich will den Film nie mehr sehen. Während der Vorführung ließ ich die fünf Jahre Revue passieren, in denen ich Didier spielte, mit all den Emotionen – jetzt reicht es. No more Mr. Cowboy. Es waren sehr heftige Jahre, vor allem wegen des Stücks: Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag musste ich spielen, Sonntag saß ich heulend am Frühstückstisch. Das kann man nicht einfach von sich abschütteln. Aber jetzt ist es vorbei.
artechock: Viele flämische Filme sind aufgeladen mit religiösen Symbolen: In Rundskop von Michaël R. Roskam begleiten sie Schlüsselszenen, Die Beschissenheit der Dinge zeigt die Mutter mit Hingabe Kreuz und Marienstatue in der Kirche abstauben, in The Broken Circle sind sie erst recht unübersehbar. Ist die kritische Auseinandersetzung mit der Kirche etwas Typisches im flämischen Film?
Van Groeningen: Für mich persönlich überhaupt nicht. Für die Figuren in Die Beschissenheit... spielte Religiosität keine große Rolle, da war es einfach visuell dankbar. Diese Art von tiefer Religiosität habe ich nicht durchlebt, aber in meiner Jugend mitbekommen. Und dass das Thema in diesem Film so eine Bedeutung hat, ist einfach Johans Schuld (lacht).
Heldenbergh: Ist es etwas typisch Flämisches? Hugo Claus, der große flämische Autor, hat sein ganzes Leben gegen die Katholische Kirche geschrieben; selbst als er dachte, er hat damit abgeschlossen, hat er noch 20 Jahre weitergekämpft. Diese Auseinandersetzung gehört wohl auch zu unserer Kultur. Allein durch die Tatsache, dass wir Flamen Katholiken und keine Protestanten sind, die im 16. Jahrhundert ihren Kampf mit der Kirche hatten. Für die ist das abgeschlossen. Bei uns ist die Kirche auch noch so omnipräsent, ähnlich wie in Italien, Frankreich oder Spanien, hast Du die Kirche im Dorf, drei Kneipen drumherum, ein paar Häuser. Auf der einen Seite kultivieren wir das, auf der anderen Seite rebellieren wir dagegen und haben noch Bilder, die wir stürmen können.
artechock: Didier hat eine Riesenwut auf die Kirche – ist diese Wut die Botschaft des Films?
Heldenbergh: Nein, es ist seine Art, mit dem umzugehen, was geschehen ist. Ich habe die Figur Didier auch für mich selbst erfunden, bin Atheist wie er und stehe zu jedem Wort, das ich da geschrieben habe.
artechock: Ein Schweizer Kritiker hat prophezeit, dass es bald eine amerikanische Fassung von The Broken Circle geben wird…
Van Groeningen: Das denke ich nicht. Wir werden den Film zwar in den USA bei einem Festival vorstellen, vielleicht findet er von da aus ja seinen Weg. Ich denke jedoch, dass er zu schwer ist für den amerikanischen Markt. Aber wir sind auch so zufrieden mit dem bisher Erreichten. Wenn die Amerikaner den Film machen wollen müssen sie „fucking“ viel zahlen (lacht).
artechock: Apropos Amerika: Ohne die Bluegrass-Musik wären Film und Stück nicht denkbar. Warum ausgerechnet Bluegrass?
Heldenbergh: Weil diese Musik wie ein umgedrehter Spiegel zu Didiers atheistischer Einstellung funktioniert. Er beschimpft Gott, singt aber gleichzeitig »Nimm mich mit« – dieser Kontrast funktioniert dramaturgisch sehr gut. Und weil es akustische, ehrliche Musik ist, die man im unmittelbar im Hier und Jetzt machen kann.
Van Groeningen: Mich fasziniert diese Vielseitigkeit: melancholische Balladen, sehr traurige Lieder, die durch Mark und Bein gehen, aber auch die superschnellen Songs, die voller Leben sind, wo die Musiker sich gegenseitig anfeuern.
artechock: Sagt mal, habt Ihr eigentlich ein Problem mit Elvis? In der Beschissenheit bekommt der King seine Breitseite, in diesem Film wird er gar als „Schwuchtel“ diffamiert.
Heldenbergh: Für so »nen Country-Menschen wie Didier ist er das auch. Aber ganz im Ernst – ich bin der größte Elvis-Fan der Welt. Und zwar ab dem Zeitpunkt, wo es keinen Rock«n’Roll-Elvis mehr gab und er mit seinen Las-Vegas-Shows anfing. Vom schmalzigen Schwafel-Elvis kann ich alles mitsingen! (singt) »Don’t cry daddy …«