03.03.2005

»Ich glaube nicht an die Kraft der Gedanken«

Josef Hader in SILENTIUM
Josef Hader in Silentium
(Foto: Senator)

Interview mit Josef Hader zu Silentium

Josef Hader ist der viel­leicht bekann­teste Kaba­ret­tist Öster­reichs. Seit seinem 1991 gemeinsam mit Alfred Dorfer geschrie­benen Stück INDIEN, das zwei Jahre später verfilmt wurde, ist Hader auch als Autor berühmt. Nachdem er ab 1994 über Jahre hinweg sein Kabarett-Programm „Privat“ zum meist­ge­se­henen in Öster­reich (350 000 Zuschauer) gemacht hat, trat er in den nächsten Jahren in einigen Film­pro­duk­tionen auf, etwa in Der Überfall oder Gelbe Kirschen. Im Jahr 2000 spielte Hader erstmals den Privat­de­tektiv Simon Brenner, bei der sehr erfolg­rei­chen Verfil­mung von Wolf Haas' Krimi Komm, süßer Tod unter der Regie von Wolfgang Murn­berger. Mit Silentium ist nun ein weiterer Krimi von Haas verfilmt worden. Wieder mit dem gleichen Dreier-Team. Und wieder hat Hader neben der Darstel­lung von Brenner auch am Drehbuch mitge­ar­beitet.
Mit Josef Hader sprach Thomas Schöffner.

artechock: Ist Simon Brenner Öster­reichs morbide Antwort auf James Bond?

Josef Hader: Ein Öster­rei­cher kann wahr­schein­lich mit der Eigen­schaft morbide etwa so viel anfangen, wie ein Fisch mit dem Begriff nass. Aber der Brenner hat natürlich schon eine lange ameri­ka­ni­sche Tradition: diese runter­ge­san­delten Privat­de­tek­tive, die aus dem letzten Loch pfeifen. Das ist wohl eine ameri­ka­ni­sche Erfindung. Brenner ist halt ein bisserl stati­scher, weniger beweglich und ein wenig schlechter gelaunt die ganze Zeit.

artechock: Wie muss man sich die Arbeit am Drehbuch vorstellen, das sie ja zu dritt geschrieben haben? Wolf Haas achtete auf seine Geschichte, Wolfgang Murn­berger brachte das Visuelle ins Spiel, und Sie waren zuständig für den Spaß?

Hader: Nach Komm, süßer Tod wollte Wolf Haas keine Dreh­buch­fas­sungen mehr schreiben. Er fand es depri­mie­rend, dass entweder etwas schlechter wird als im Roman – oder besser. Aber beides gleich depri­mie­rend. Also haben der Wolfgang Murn­berger und ich alter­nie­rend Fassungen geschrieben, wobei wir für alles zuständig waren und grund­sätz­lich die Fassung vom anderen in die Tonne geworfen haben. Wolf Haas war der Jolly Jocker, der vermit­telt hat und aus der Distanz dann Ideen entwi­ckelte.

artechock: Am Ende wurde das Drehbuch gegenüber dem Roman sehr verändert. Hat Wolf Haas das als Zuge­ständnis an den Film akzep­tieren müssen?

Hader: Ich glaube nicht, dass eine Dreh­buch­fas­sung, die näher am Buch gelegen wäre, Wolf Haas mehr Spaß gemacht hätte. Außerdem ist an Silentium das besondere, dass er aus fünf ganz großen Dialogen besteht, in denen die Geschichte weiter getrieben wird. Das war nicht der Film, den wir machen wollten.

artechock: Der Film hat sehr viel Handlung. Viel­leicht werden manchmal sogar zu viel Hand­lungs­stränge angelegt, worunter die Drama­turgie dann leidet. Wurde das billigend in Kauf genommen, oder war es Stil­mittel?

Hader: Das war das Problem, wenn Wolf Haas, Wolfgang Murn­berger und ich zusammen gear­beitet haben, dann haben alle sehr viel Ideen. Ande­rer­seits sind wir sehr freund­liche Menschen, die ungern auf etwas verzichten. So passiert, dass viel­leicht drei, vier Ideen zu viel drinnen sind. Dies ist uns auch bewusst. Letztlich sagten wir, lieber zu viele als zu wenig Einfälle. Aber ich bin schon entschlossen, dass wir da beim nächsten Mal entschie­dener zur Sache gehen.

artechock: Wessen Idee war denn die Radi­ka­li­sie­rung von Sex und Gewalt im Gegensatz zum Roman?

Hader: Das ist die ästhe­ti­sche Kompetenz von Wolfgang Murn­berger. Der sagt, die Kino­center sind voll von Main­stream Filmen, wo pro Film fünf­hun­dert bis fünf­tau­send Menschen umge­bracht werden. Und Gewalt oder der Tod sind dabei niemals etwas Schlimmes. Er will bei Silentium zeigen, dass Gewalt nicht so lustig ist. Dass es unan­ge­nehm ist, wenn man sie erleidet. Aber auch unan­ge­nehm, wenn man zuschauen muss. Deshalb lässt er die Kamera manchmal zehn, fünfzehn Sekunden länger drauf, als man es norma­ler­weise machen würde.

artechock: Das Thema des Kinder­miss­brauchs, das Sie ja mit Silentium noch vor dem Skandal in St. Pölten abgedreht hatten, scheint ausführ­li­cher als im Roman.

Hader: Das liegt wohl an den Bildern. Man sieht halt die Duschszenen, und die sind ziemlich einprä­gend. Im Buch reden sie dagegen seiten­lang darüber. Es ist die Kraft des Visuellen.

artechock: Wie sieht es denn mit dem Realismus aus, etwa im Vergleich zu Komm, süßer Tod?

Hader: Was die Schil­de­rung eines Milieus angeht, ist Komm, süßer Tod natürlich der realis­ti­schere Film. Silentium will dagegen ein wenig fiktiv sein. Er versucht, ein bisschen Mythos hinein­zu­bringen, das Ganze zu überhöhen, ein bisschen Grusel­mär­chen zu erzählen.

artechock: Wie ist die harsche Kritik an der katho­li­schen Kirche einzu­ordnen? Sie waren ja selbst als Jugend­li­cher in einem erzbi­schöf­li­chen Knaben­in­ternat.

Hader: Wenn man sich dazu im Milieu auskennt, kann man natürlich kleine Bosheiten noch schöner machen. Dann hat man natürlich auch ein Gefühl für bestimmte religiöse Symbole, und dafür, wo Tabus zu Hause sind. Man kann immer dort die beste Satire machen, wo man daheim ist. Mir geht es da mehr um die Lust an der eigenen kleinen Bosheit. Persön­lich habe ich da eigent­lich nichts aufzu­ar­beiten, speziell am Katho­li­schen. Also irgend­welche Defekte, die ich gekriegt habe, weil ich mit zehn Jahren in ein Internat gekommen bin. Und ob dies alles aufge­wogen werden kann dadurch, dass ich schlecht Klavier­spielen gelernt habe, oder im Chor gesungen habe, was ich jetzt fürs Kabarett oft brauchen kann. Wie da die Bilanz ausschaut, dass möchte ich nicht beur­teilen. Ich habe aber noch viele Freunde in dem Milieu. Auch Erzieher. Das Wich­tigste ist aber viel­leicht, dass es die Siebziger Jahre waren. Und die Siebziger waren so ziemlich seit Bestehen der katho­li­schen Kirche die beste Zeit, wo man in der Kirche hat erzogen werden können. Insofern ist da bei mir keine tief sitzende Aggres­sion. Eher die Enttäu­schung, in welche Richtung sich die Kirche seit dieser Zeit entwi­ckelt hat. Die sich dann in kleinen Gemein­heiten in Silentium arti­ku­liert.

artechock: Andere würden dies viel­leicht als Blas­phemie bezeichnen. Etwa in der Szene, wo Brenner wie Jesus das Kreuz schleppt.

Hader: Versuchen Sie mal ein Kreuz zu tragen. Als Einzelner alleine. Sie können versuchen eine Methode zu finden, die nicht die klas­si­sche ist – es haut nicht hin. Es ist einfach die einzige mögliche und bequemste Form, ein Kreuz zu tragen, in dem man es so auf die Schulter nimmt. Ich halte es für einen sehr engen Begriff von Blas­phemie. Weil ich spuck nicht darauf oder so. Ich trage es nur zum Repa­rieren. Weil es wurm­sti­chig ist. Und die Kamera steht dort, dass man lachen muss. Da muss man schon stark im konser­va­tiven Eck stehen, um das als Gottes­läs­te­rung zu sehen.

artechock: Oder die Szene, in der Brenners ermor­deter Mitbe­wohner mit geöff­neten Armen blutig von der Decke herab baumelt, also wie ein umgekehrt Gekreu­zigter aufgehängt ist.

Hader: Das ist mir gar nicht aufge­fallen. Ich bin da eher von den Dreh­ar­beiten geprägt. Der Schau­spieler ist ein Freund von mir. Er wiegt ungefähr 120 Kilo. Man hat im oberen Stock extra einen Kran aufgebaut. Trotzdem hat es der Kran nicht geschafft, ihn ganz hängen zu lassen. Also haben wir gesagt, er soll sich mit der Schulter am Tisch abstützen. Natürlich musste er dafür auch die Arme ausbreiten. Blas­phe­misch ist für mich dagegen, wenn man religiöse Symbole in einer Art und Weise behandelt, die signa­li­siert, das man sie gering schätzt.

artechock: Wo meint es Silentium dann wirklich ernst?

Hader: Für mich ist viel­leicht die ärgste Szene in unserem Film, wenn der Priester in seinem Milieu der latenten unaus­ge­lebten Sexua­lität derartig ohne Gefühl sein kann, um gegenüber Brenner die Entjung­fe­rung der jungen Mädchen mit den Worten zu entschul­digen: »Denen macht es eh Spaß, nach dem zweiten oder dritten mal« In dieser Szene wird auf dras­ti­sche Art darauf hinge­wiesen, dass andauernd irgend­welche Priester ihren Kommentar abgeben, sich aber überhaupt nicht mit Sexua­lität auskennen. Vieles anderes ist im Film dagegen doch zauber­haft, etwa wenn der Junge beim Frie­dens­gruß mit der abge­schnit­tenen Hand in die Kirche kommt. »Wir reichen einander zum Zeichen des Friedens die Hände« ... Das ist ja fast liebevoll.

artechock: Das werden aber viel­leicht ein paar Zuschauer gar nicht verstehen. Muss man für SILENTIUM! nicht einiges an Vorwissen mitbringen?

Hader: Man hat immer sehr verschie­dene Möglich­keiten etwas zu verstehen. Man kann sagen, es ist ein span­nender Film, oder mich inter­es­sieren die Figuren-Konstel­la­tion, oder mich inter­es­siert jeder noch so kleine symbo­lis­ti­sche Witz über die katho­li­sche Kirche. Und man bringt niemals all das beim Zuschauer an, was man sich selber gedacht hat. Umgekehrt ist es so, dass die Zuschauer irrsinnig viel finden, was man selber gar nicht gedacht hat. So funk­tio­niert künst­le­ri­sche Vermitt­lung. Man kann Silentium jederzeit verstehen, oder irgend­welche kirch­liche Dinge zu wissen. Dann ist es halt fremd und geheim­nis­voll für einen. Letzt­end­lich ist Silentium ein Unter­hal­tungs­film. Es ist kein gesell­schafts­kri­ti­scher Film, das ist er nebenbei. Es ist kein sati­ri­scher Film über die Kirche, das ist er nebenbei. Er ist eine Mischung aus verschie­denen Genres, aus Thriller, Komödie, Groteske, und kann für verschie­dene Menschen alles mögliche sein.

artechock: Gilt dies auch für die Modell­flug­zeug-Sequenz, in der an Hitch­cocks Der unsicht­bare Dritte ange­spielt wird?

Hader: Genau. Das kann man entweder wissen, dass das ein Film-Zitat ist, oder man findet es einfach spannend, witzig oder absurd. Das ist ganz wichtig für mich, weil mich inter­es­siert keine Kunst, kein Kabarett-Programm, kein Film, kein Roman, wo man unglaub­lich viel wissen muss, um es zu verstehen. Das geht mir, ganz ehrlich gesagt, am Arsch vorbei. Wahr­schein­lich weil ich kein wirklich Intel­lek­tu­eller bin. Ich glaube nicht an die Kraft der Gedanken.

artechock: Könnte man Sie wie die Opern­stars in Silentium auch ködern oder erpressen, um Sie für einen Film zu gewinnen?

Hader: Mich kann man Gott sei Dank nicht erpressen! Weil ich mach' ja keine heilige Kunst. Also ich bin nicht in Vorabend­se­rien. Auch nicht im Haupt­abend­pro­gramm. Erpressen Sie mal jemand, der geschmack­lose Programme macht. Viel­leicht damit, dass er Weih­nachten ganz normal feiert. Das könnte viel­leicht klappen.