28. DOK.fest München 2013
»Man muss auch schauspielen können« |
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Wolfram Huke Fürs Interview hat er sich selbstverständlich angezogen und auf einen Stuhl gesetzt |
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(Foto: Wolfram Huke) |
Zum Glück haben Mütter auch manchmal Unrecht. Oder wenigstens zum Teil. Denn so traurig, wie Frau Huke den Film Love Alien ihres Sohnes Wolfram wähnt, ist er ganz und gar nicht geworden. Trübsal wird überstimmt von pointiertem Sprachwitz, fröhlicher Musik, gekonntem Schnitt und einer klugen Herangehensweise an ein Thema, das selten besprochen, aber von nicht wenigen Menschen durchlitten wird: Sie hatten noch nie eine Beziehung – mit allem was dazugehört. Regisseur Wolfram Huke ist einer von ihnen.
Natascha Gerold sprach mit ihm über die Reaktionen auf seinen Film Love Alien und sein Making-of.
artechock: Herr Huke, in Ihrem Film zeigen so viel von sich selbst – öffnen sich Menschen Ihnen dann auch persönlich, nachdem sie den Film gesehen haben?
Wolfram Huke: Durchaus. Ich bekomme lange E-Mails, Leute erzählen mir, dass sie viel Bekanntes in Love Alien wiederentdecken, was ein schöner Effekt ist. Überhaupt, dass die Menschen offenbar das Bedürfnis haben, darüber zu reden. Es gibt auch Journalisten, die dem Film sehr kritisch gegenüberstehen. Aber das Interessante und eigentlich Wichtigere ist, dass sie – anders als sonst bei Pressevorführungen – hinterher immer noch in Gruppen zusammengestanden und diskutiert haben.
artechock: Bei Ihrem Film lachen die Zuschauer an ganz unterschiedlichen Stellen. Denken Sie auch über die unterschiedlichen Reaktionen nach, die der Film hervorruft?
Huke: Es ist ein schwermütiges Thema und es liegt nahe, dass man es nicht sehen will, wenn der Film selbst zu deprimierend wird. Da hätte ich auch Probleme gehabt, ihn zu schneiden. Weil das einem schnell zu viel werden kann, haben wir schon versucht, eine gewisse Leichtigkeit und Distanz hineinzubekommen, und es scheint für manche Leute zu funktionieren. Neulich war ich aber bei einer Vorführung dabei, da wurde kein einziges Mal gelacht.
artechock: Wo war das?
Huke: In Nürnberg.
artechock: Warum haben die Leute da nicht gelacht?
Huke: Ich weiß es nicht, vielleicht hatte es mit der Größe des Publikums zu tun. Es war ein kleiner, relativ intimer Kreis. Und vielleicht braucht es immer jemanden, der den Anfang mit dem Lachen macht.
artechock: »Bei dokumentarischer Inszenierung wird es schwierig, wenn die gezeigte Person über ihre Wirkung sichtbar nachdenkt«, sagt Dok.fest-Leiter Daniel Sponsel, der selbst Dokumtentarfilmer ist und Sie für Love Alien dramaturgisch beraten hat. Sprich: man muss schauspielen können. Haben Sie gewusst, dass Sie es können?
Huke: Nein, es war ein Experiment, das hätte auch furchtbar schiefgehen können. Dann hätte ich etwas anderes daraus gemacht, mich vielleicht rausgelassen. Es gibt schon Leute, die das nicht als authentisch empfinden. Da kommen dann Fragen wie »Wieviel Inszenierung steckt denn da drin?« oder »Mal unter uns, Herr Huke, das ist doch nicht echt, oder?« Die ersten, die solche Zweifel äußersten, waren interessanterweise Leute von RTL II – von einem Sender, bei dem eigentlich nichts echt ist. Es ist eine Banalität im Dokumentarfilm: jede Anwesenheit von Beobachtung und Kamera verändert was. Das heißt aber nicht, dass es inszeniert sein muss. Dazu bräuchte es genaue Anweisungen des Regisseurs. Alles andere würde man vielleicht eher »arrangieren« nennen. Es gibt eben Zwischenstufen von Arrangierung bis hin zur Inszenierung.
artechock: Die Drehzeit umfasste ein Jahr – von Ihrem 29. bis Ihrem 30. Geburtstag. Daraus entstanden 150 Stunden Material, die es zu sichten und zu bearbeiten galt. Wo packt man da seine Ideen hin, die man während der Drehzeit hatte?
Huke: Viele Ideen habe ich während des Jahres aufgeschrieben. Ich habe aber nichts bewusst mit dem vorhandenen Material ausprobiert in der Zeit. Da hätte ich noch mehr die Gefahr gesehen, dass ich spiele und weniger »ich selbst zu sein« sozusagen. Das war keine Faulheit, ich hatte die ganze Arbeit ja hinterher. Wir haben eineinhalb Monate nur gesichtet, Vollzeit. Ich hatte eine tolle Cutterin in Berlin, so dass ich das nicht allein schneiden musste. Sie hat auch viel eigenständig gemacht, wenn ich nicht vor Ort war. Sie hat mir dann ihre Ideen gezeigt und ich konnte entschieden. Für diese Zusammenarbeit bin ich sehr dankbar. Denn ich weiß nicht, ob man nicht doch ein bisschen verrückt wird, wenn man so einen Film über sich selbst dreht und den dann auch noch allein schneidet.
artechock: Ihre Texte aus dem Off erinnern in ihrer lakonisch-leichten, aber doch kraftvollen Art an Woody Allen. Sind die spontan entstanden?
Huke: Nein, an denen haben wir schon gearbeitet. Es sollte einen Sprechertext geben, weil es Dinge gab, die ich nicht zeigen konnte oder ein bisschen erklären musste. Was wir nicht wollten, war Selbstinterpretation in den Texten, ich erzähle nicht, wie und warum es mir so oder so geht. Außerdem wollte ich keinem vorschreiben, was er über mich zu denken hat.
artechock: Neben den Texten ist auch die Musik das Gegengewicht zum schwermütigen Thema …
Huke: … die habe ich zusammen mit meinem alten Schulfreund Ben (Benedikt Hansen, Anm. d. Red.) komponiert. Wir haben früher in Bands zusammengespielt, er ist inzwischen Filmkomponist. Ich hatte nichts Konkretes im Kopf, nur ein Gefühl, wie die Musik werden soll. Als der Film weitgehend fertig war, haben wir zehn Tage improvisiert und das behalten, was schön war. Ben musste sich erstmal darauf einlassen, wenn ich etwas anderes haben wollte, denn normalerweise ist er der Komponist. Ein Stück ist von ihm, das man kurz vor Schluss hört, ein Walzer ist von mir – den Rest haben wir zusammen gemacht.
artechock: Auf der Suche nach Hilfe erhalten Sie so Angebote wie »Sprechen Sie mit Ihrem inneren Kind« oder »Du bist ein Produkt, Du musst Dich gut verkaufen« – Überraschend, wie wenig Inspirierendes da eigentlich dabei war …
Huke: Man ist ja auch sowieso immer »selber verantwortlich«. Ich wollte den beiden Styling-Beraterinnen die Funktion des gesellschaftlichen Blicks auf mich geben: Was sagen denn zwei hübsche unbekannte Mädels zu so ‘nem Typen wie mir? Es läuft eigentlich alles auf die Generalaussage hinaus: „Du musst etwas tun, dann klappt es schon“, beziehungsweise, „Jammer nicht rum, Du bist selber schuld“ – auch bei der Psychologin, gleichwohl sie in den Sitzungen auch wichtige Dinge hinterfragt und angesprochen hat, beispielsweise die Rollenverteilung in der Familie oder gewisse Kindheitserlebnisse, wo aus ihrer Erfahrung oft bestimmte Probleme herrühren können. Ich will mich nicht aus der Verantwortung ziehen, auch im Bezug auf mein Äußeres. Die Gesellschaft suggeriert allerdings, dass die Verantwortung komplett beim Einzelnen liegt. Und dem würde ich halt auch nicht zustimmen.