06.11.2002

»Ich bin eine Art Triebtäter!«

Ein sehr offenes Gespräch mit Michael Kötz über das Überleben im Dschungel von 700 Festivals, das deutsche Kino und die Zukunft des Films

Am Donnerstag, 7.11. wird zum 51. Mal das »Inter­na­tio­nale Film­fes­tival Mannheim-Heidel­berg« eröffnet. Unter den über 50 Filmen im neun­tä­gigen Programm (bis zum 16.11.) findet sich in diesem Jahr ein Polen-Schwer­punkt und eine nahezu komplette Werkschau des chine­si­schen Regis­seurs Zhang Yimou (u.a. Rotes Kornfeld). Seit 1992 leitet der promo­vierte Film­wis­sen­schaftler Michael Kötz das Festival. Unter seiner Ägide wurde es verjüngt, die Zuschau­er­zahlen vervier­facht, und die „Mannheim Meetings“ für Produ­zenten einge­führt, um das Festival zum inter­na­tio­nalen Bran­chen­treff auszu­bauen.
Von Rüdiger Suchsland

artechock: Nach dem großen Jubiläum im Vorjahr wird 2002 wieder ein 'normales' Festival. Allgemein hat die Feier­stim­mung ja ein bisschen nach­ge­lassen. Was ist dieses Jahr das Neue in Mannheim-Heidel­berg?

Michael Kötz: Ich will mal so sagen: Unsere Stärke besteht darin Newcomer-Filme zu zeigen, und keine Kompro­misse zu machen. Darin sind wie einzig­artig. Mir fällt kein weiteres Festival ein, dass dies so konse­quent betreibt, nicht einmal weltweit. Sundance hat es versucht.
Wir zeigen nur Newcomer-Filme und vertrauen darauf, dass die Qualität der Filme, die wir da entdecken auch schon die ganze Qualität des Festivals ausmachen. Das ist genau­ge­nommen sehr riskant:

artechock: Also ein Festival für Entde­ckungen...

Kötz: Ja! Ein Festival für junge Regis­seure, die kaum jemand kennt. Wir haben damit keinen einzigen großen Namen als Magnet. Weder für die Branche, noch fürs Publikum. Alles hängt von der Qualität ab. Wir müssen uns nach oben verglei­chen, nicht nach unten. Also: Die Besucher dürfen nicht sagen: Für Mannheim-Heidel­berg ganz nett, sondern sie müssen sagen: Das ist so hoch­karätig, dass man sich in Berlin und Cannes auch freuen würde, wenn man diese Filme hätte. Das müssen wir bringen!

artechock: Ist Mannheim-Heidel­berg also das europäi­sche Sundance?

Kötz: Ganz genau. Ich weiß nur nicht, ob ich Sundance so weit loben würde... [Lacht] Mal ehrlich! Ich weiß, es klingt ja arrogant. Aber außer Sundance fällt mir tatsäch­lich kein weiteres ein. Natürlich sagen sie alle, sie seien ein „Inde­pen­dent-Showcase“. Sogar das Filmfest Hamburg. Natürlich zeigen sie alle irgend­welche Newcomer, das ist auch klar. Aber niemals ausschließ­lich und in dem sie sich wirklich darauf verlassen, dass das, was sie da ausge­bud­delt haben, trägt; das es wirklich so gut ist, dass das Festival davon lebt und dass jeder der da ist sagt: Es hat sich gelohnt, dahin zu fahren. Das Risiko geht keiner sonst ein. Ich kenne keinen. Manche können es sich auch nicht leisten, die würde man sofort raus­schmeißen. Thes­sa­lo­niki oder San Sebastian oder Rotterdam müssen eine andere Aufgabe erfüllen, dass sind die einzigen inter­na­tio­nalen Festivals ihrer Länder.
In dem Punkt hat es einen Vorteil, dass es in Deutsch­land so viele Festivals gibt. Wir können uns diese Spezia­li­sie­rung leisten. Ober­hausen zeigt nur Kurzfilme, Leipzig nur Doku­men­ta­tionen – und es funk­tio­niert.
Die Abgren­zung zu den vielen anderes Festivals ist nicht nur der Verzicht auf große Namen, sondern auch, dass es sich um echte Premieren handelt. Das ist kein Snobismus...

artechock: Was heißt »echt«?

Kötz: Am besten Welt­pre­mieren, möglichst inter­na­tio­nale, in jedem Fall europäi­sche Premieren. Das heißt, es geht um Filme, die nicht schon woanders zu sehen waren. Wir haben eine Ausschluß­liste, die auch schon inter­na­tional bekannt ist: Wir zeigen die Filme im Wett­be­werb von Mannheim-Heidel­berg, möglichst auch in der Reihe „inter­na­tional disco­veries“ nur, wenn sie auf keiner Sektion der großen Festivals liefen. Wir spielen die Filme auch nicht, wenn sie auf einem deutschen Festival liefen.

Leider ist die FIAP ein Schnarch­verein, der sich weigert, endlich Ordnung in das Festi­val­chaos zu bringen, darum machen wir das halt selber. Das hat vor allem den Sinn, das es sich wirklich in jedem Fall für die Profis – Einkäufer für Film und TV-Anstalten, Verleiher, Jour­na­listen – lohnt, hierher zu fahren. Es gibt 600-700 Festivals und davon mindes­tens 80 relevante – das ist Irrsinn! Kein Mensch kommt, wenn es auch nur den Anschein besitzt, es sei unnötig, dahin zu fahren. Es fährt schon keiner mehr 10 Tage nach Cannes. Ich weiß auch, dass die nicht 10 Tage nach Mannheim-Heidel­berg fahren. Deswegen gehört es zu unserem Service jeden Film zu jeder Zeit sehen zu können, möglichst im Kino, aber notfalls auf VHS-Kassetten an beson­deren Sicht­plätzen. Haupt­sache, sie kommen überhaupt. Immerhin haben wir Fach­be­su­cher aus 30, 40 Ländern, und steigern das jedes Jahr. Aber das hat auch den Hinter­grund: Wenn die nicht kommen, dann bekommen wir umgekehrt die guten Filme nicht mehr.

Das ist also der Grund. Das hat nichts mit Snobismus zu tun oder dem falschen Ehrgeiz, ein kleines Cannes in Baden-Würt­tem­berg veran­stalten zu wollen. Sondern es ist eine Conditio sine qua non für dieses Festival. Weil heute – so bedau­er­lich das ist – niemand mehr Filme nur um der Kunst allein macht. Sondern es hängt eine Kette von Geschäften daran. Die Medi­en­in­dus­trie ist die neue Schwer­indus­trie, deswegen kriegt man Premieren nur, wenn Folge­ge­schäfte im Hinter­grund laufen. Wenn davon nicht einiges läuft, spricht sich das herum und das war’s. Dann kann man hier in zwei Jahren dicht­ma­chen.
Ich habe zu Beginn meiner Laufbahn mal eine berühmte Bran­chen­frau aus New York gefragt, was sie von Mannheim hält, und sie hat geant­wortet: »The industry is not there.« Damit war für sie klar: Das bringt’s nicht. Und für mich: Die muss kommen. Das mussten wir ändern.
So: Das ist der eine Grund.

Fürs Publikum wäre das egal. Dem Publikum ist es absolut egal, ob der Film in Cannes war oder Venedig, weil sie da nämlich nicht gewesen sind.
Für die Zuschauer meine ich mit „echten Premieren“ etwas anderes: Dass diese Film eine Authen­ti­zität haben, dass sie einem nicht so vorkommen, als hätte man alles schon 100 Mal gesehen. Sondern sie sollen Einzelstücke sein, man soll das Gefühl haben, ein Autor... – wir reden von Autoren­film, es ist mir egal, ob dieser Begriff veraltet ist, völlig zu Unrecht. Der Begriff müsste eigent­lich ganz modern sein, und jedes Jahr noch moderner werden. Es ist ein völliger Unsinn, dass der in die Defensive geraten ist. Das verdanken wir diesen Yuppie-80er und 90er-Jahren. Weil manche Leute damals glaubten: Damit kann man keine Kohle machen.
Und schon haben sich alle angepasst, leider auch eine Menge soge­nannter Intel­lek­tu­eller, die es überhaupt nicht nötig gehabt hätten.

Also mit anderen Worten: Ich liebe den Autoren­film. Aber nicht, weil ich ein alter 68er-Mohikaner bin, der nichts mit Geld zu tun haben will. Ich habe gar nichts gegen Umsätze. Aber ich habe was gegen Umsätze durch dummes Zeug. Und ich habe was dagegen, dass Menschen für dumm verkauft werden – ich bin immer noch ein poli­ti­scher Mensch. Autoren­film hat zudem eine Riesen­spanne von fast-nur-kommer­ziell bis Fast-versteht-uns-keiner-mehr.
Ich möchte, dass das Publikum nicht abge­speist wird mit Filmen, mit denen einer nur Geld machen will, also statt­dessen auch Würstchen produ­zieren könnte. Ich mag aber auch keine schlechten Würstchen.

artechock: Wie haben sich die Zuschau­er­zahlen in Mannheim-Heidel­berg entwi­ckelt?

Kötz: Wir haben vor 10 Jahren bei ungefähr 10. bis 12.000 ange­fangen, und sind jetzt bei 60.000 Eintritten. Also drei bis viermal soviel. Am Anfang waren die Kinos abends nur selten voll, jetzt immer. Am Anfang war sogar das Stadthaus in Mannheim schlecht besucht. Aber was sollen Zahlen?

artechock: Sie sagen etwas aus. Immerhin hat Mannheim-Heidel­berg mehr Zuschauer als etwa Hamburg, obwohl dort die Stadt größer ist, und das Publikum – denkt man – sich eher für ein Film­fes­tival begeis­tern müsste. Das ist erstaun­lich...

Kötz: Die machen da was falsch – das ist meine Antwort. Wobei ich gar nicht gegen Hamburg stänkern will...

artechock: Stänker ruhig gegen Hamburg...

Kötz: Nein. Lass uns doch mal unspe­zi­fisch sagen, generell zu Festivals: Ich habe viel gelernt in meinem Job. Ich war ja davor Jour­na­list, Film­kri­tiker. Und habe natürlich anfangs gedacht: klar weiß ich, was ein guter Film ist. Und das kann man ja auch privat wissen und man kann es auch in der Zeitung verbre­zeln, nur ein gutes Programm kann man so nicht machen. Da muss man Mitstreiter suchen, die mit aussuchen, entscheiden, und einen notfalls auch mal über­stimmen. Denn man hat zum Beispiel persön­liche Aver­sionen gegen dies und jenes. Soll man deshalb dem Publikum vorent­halten?

Was ich vor allen Dingen begriffen habe: Man muss das lieben, was man macht. Sonst kann man das alles vergessen. Ich bin sozusagen eine Art Trieb­täter. Wenn das fehlt, setzt man keine Kräfte frei. Und es gibt offen­sicht­lich viele Kollegen, die lieben das nicht wirklich, was sie machen. Die lieben eher ihr Gehalt dabei, oder das sie einmal im Jahr groß raus­kommen und auf der Bühne stehen – was ich auch nicht schlecht finde. Ich mag das sogar ganz gerne. Aber das ist nicht der Grund. Ich nehme das mit, aber es reicht nicht aus als Moti­va­tion. Und nur, wenn man das mag, was man da tut, wird ein Film­fes­tival auch gut, das ist leider so. Sonst fängt man an zu kalku­lieren und zu berechnen, und die Zuschauer merken das. Ein Festival braucht das Vertrauen der Zuschauer.
Jetzt machen wir immer Umfragen, und stellen fest: mindes­tens ein Drittel der Zuschauer kommt blanko. Die kommen einfach. Weil sie uns vertrauen. Das ist genial. Und deswegen sind die Kinos voll.
Das zweite: Es gibt ja in Deutsch­land 40, 50 Festivals. Da sind Leute dabei, die fast ehren­amt­lich, mit sehr wenig Geld ein wunder­bares Programm machen. Natürlich haben die nicht wie wir lauter Premieren, das schaffen die gar nicht, aber sie machen eine tolle Arbeit – und wären für manches größere Festival die bessere Besetzung. Weil sie nämlich auch lieben, was sie tun. Aber sie haben einen schweren Stand: Sie machen Programm­kino in konzen­trierter Form und werden von den Sales-Agents und Verlei­hern abkas­siert – und aus deren Sicht auch mit Recht und Notwen­dig­keit. Während manche größeren wie Hamburg oder München eigent­lich wenig Origi­nelles machen, aber dauernd in der Presse vorkommen. Ich meine nicht, dass das nicht nette Menschen sind und dass sie sich nicht auch Mühe geben. Aber sie nutzen die Stärke, die sie hätten, gar nicht aus. Sie wagen nichts, sondern machen so eine bequeme Tour. Man kann es auch polemisch sagen: Sie geben jede Menge Steu­er­gelder aus, um heimliche Verleih­sub­ven­tion zu betreiben, bezahlen mit Steu­er­gel­dern die Hotel­suite und den Hair­dresser, damit irgendwas im »Stern« drinsteht, dass der Star xy auf diesem Filmfest war, weil er das Filmfest so toll fand. In Wirk­lich­keit war das der PR-Start und der Verleiher hat das Filmfest benutzt, um sich diese Kosten schon mal zu sparen. Ich weiß nicht, warum das sein muss...

artechock: In DM gerechnet hat das Filmfest München einen offi­zi­ellen Etat von knapp 6 Millionen...

Kötz: Ich möchte wissen, wie die das ausgeben! Das ist mir ein Rätsel. Ich habe 1,2 Millionen EURO für zwei Tage mehr, und bei nur einem deutschen Film, also lauter hohen Reise­kosten. Alle Regis­seure kommen und wohnen natürlich auch im Hotel. Wenn ich das Dreifache hätte, da könnte man sich schöne Sachen einfallen lassen... Unser Konkur­rent, das Festival in Locarno, das immer ein Festival für Newcomer war, es jetzt aber nicht mehr ist, hat sechs Millionen Euro zur Verfügung und leistet auch nicht mehr. Wir drehen jeden Euro sieben Mal um, bevor wir ihn ausgeben. Das Festival müsste, um jetzt mal eine realis­ti­sche Zahl zu sagen, einen Etat von 3,5 Millionen Euro haben, dann könnte man auch ein paar Leute an stellen und nicht immer nur auf Zeit­ver­trags­basis mitar­beiten lassen.

artechock: Aber was schon umgekehrt auch eine Frage ist: Hat man es nicht in einer Stadt wie Mannheim leichter, so ein unab­hän­giges Festival aufzu­ziehen, wie in München oder Hamburg?

Kötz: Da hast Du recht! Die haben es bestimmt schwerer. Meine Vorgänger und ich haben hier einen unge­heuren Spielraum: Die Städte Mannheim und Heidel­berg geben das Geld aus reinem Idea­lismus. Das Land Baden-Würt­tem­berg auch, obwohl die natürlich – was ja auch ok ist – ein bisschen Regio­nal­po­litik betreiben – wenn auch nicht so krass wie NRW. Es ist nahezu Idea­lismus. Denn das Festival hat in den Städten keine Bran­chen­lobby zu bedienen. Die machen das aus Über­zeu­gung, eine wichtige kultu­relle Sache zu subven­tio­nieren. Man hat ande­rer­seits dauernd das Problem, dass man die Städte auch über­zeugen muss, dass sie bei knappen Kassen immer noch idea­lis­tisch bleiben. Das fällt denen gele­gent­lich schwer – was wiederum vers­tänd­lich ist. Das ist aber dann auch der Job.
Auf der anderen Seite: In München, Hamburg, Berlin, Köln hat man vor Ort eine Lobby. Das Geld ist einfacher zu beschaffen. Ande­rer­seits gibt es dann auch die ganze Wucht der Träg­heiten und Dumm­heiten, die in der Branche so vorhanden sind.

Alexander Kluge hat mal gesagt: Er hat nichts gegen Kaufleute, aber er hat etwas gegen dumme Kaufleute. Das ist auch mein Problem; in jedem Bereich, aber besonders bei Film­kauf­leuten. Denn die bilden sich auch noch ein, dass sie wissen, was die Menschen wollen. Und sie wissen’s selten. Die denken immer, dass alle so denken wie sie und im Grunde einen genauso schlechten Geschmack haben. Wie soll denn einer Kunst­filme verleihen und im Kino zeigen, der nie frei­willig selber einen anschauen würde.? Das wird aber nie ausge­spro­chen. Und das gibt’s nur im Film­be­reich! Man stelle sich mal einen Opernhaus-Inten­danten vor, der keine komplexen Opern mag. Das gibt’s nicht. Aber im Kino­be­reich gibt’s jede Menge Leute, die überhaupt nicht wissen, was sie mit, sagen wir, Godard anfangen sollen. Die wissen viel­leicht auch gar nicht, wer das ist. Natürlich zeigen die den nicht! Es sei denn, irgendein Verleiher mit viel Werbe­auf­wand sagt denen: Das bringt zwei Millionen Zuschauer. Dann machen sie’s viel­leicht. Aber sie gehen selber nicht rein, um zu gucken, was sie da zeigen. Besser nicht. Weil sie’s nicht verstehen würden. Und das erklärt eigent­lich sehr viel. Aber es sagt kaum jemand in dieser Branche ...

artechock: Manche Kritiker viel­leicht...

Kötz: Ja, Kritiker, die aber in der Branche nicht ernst genommen werden. Was dieser Film­branche fehlt, was aber in anderen Branchen völlig selbst­ver­s­tänd­lich ist, ist, dass Leute mit einem gewissen Geist und Sach­kenntnis und auch Bran­chen­wissen mal ein paar Wahr­heiten sagen. Die schonen sich alle, weil sie sich sagen: wenn ich jetzt sowas sage, dann werden die nie meine Filme spielen. Diese Dummheit zeigt sich auch beim Thema Film­för­de­rung: Da wird es dann ernst, denn das sind wirklich Steu­er­gelder. Aber das wäre ein anderes Thema.

artechock: Da können wir aber gleich anschließen. Denn manche Leute im Land sind ja der Ansicht, dass das Festival Mannheim-Heidel­berg etwas gegen deutsche Filme hat. Lange Zeit gab es gar keinen Film. In diesem Jahr immerhin einen. Aber bei rund 50 Filmen ist der deutsche Film nicht gerade über­re­prä­sen­tiert...

Kötz: Die Frage ist schnell beant­wortet: Mannheim-Heidel­berg hat nichts gegen deutsche Filme, aber die deutschen Film­pro­du­zenten haben etwas gegen Mannheim-Heidel­berg. Jeden­falls in der Mehrheit. Offen­sicht­lich.
Dafür gibt es einen histo­ri­schen Grund: In den 80ern, als alle anfingen – Stichwort Yuppie-Zeitalter – endlich mit diesen „Problem­filmen“ aufhören zu wollen, weil man damit nicht genug Umsatz macht, als der Rausch der großen Umsatz­zahlen anfing, der ja gerade triumphal baden geht, da hat meine Vorgän­gerin starr nichts mit Geld zu tun haben wollen. Damit war sie zwar tapfer, es war aber trotzdem falsch. Man muss natürlich erst recht etwas mit Geld zu tun haben wollen, wo es um intel­li­gente Kino geht. Mannheim war nicht der Ort für die Bezie­hungs­film­chen und ähnliches jener Zeit. Und Mannheim ist auch nicht, wie etwa Hof dafür bekannt, dass man dort irgend­wel­chen netten Nächte verbringen kann – was ja auch noch eine Rolle spielt. Und dann liegt es auch nicht, wie Locarno an einem netten See mit Palmen, sondern ist auch eine Indus­trie­stadt. Das zusammen war alles relativ tödlich für das genießende Yuppie-Zeitalter. Das war der histo­ri­sche Grund.

Hinzu­kommt: In der Branche ist Michael Kötz nicht dafür bekannt, dass er jetzt frei­willig besonders gern über ein Film­fes­tival ein Motto schreiben würde »Das Schönste am Film sind die Frauen« – wie das 'mal in München hieß. Weil ich mir dabei so blöd vorkäme... Und das zusammen war einfach schlecht.

Aber jetzt kommen bessere Zeiten: Wir bekamen einen Anruf von einem jungen Regisseur aus den neuen Bundes­län­dern, der fand: Mannheim ist doch ein renom­miertes Festival, die nehmen die Sache ernst, da will ich meinen Film hinbringen.
Der kam von sich aus: Ein sehr begabter Regisseur, der bisher Theater gemacht hat. Der Film ist nicht perfekt, aber ein hohes Talent. Und damit haben wir plötzlich bei uns im Land einen Effekt, an den wir inter­na­tional völlig gewöhnt sind.
Denn um es klar zu sagen: Wenn wir einen Film wollen, den Hamburg auch will, dann hat Hamburg ganz schlechte Karten. Es ist inter­na­tional völlig umgekehrt: Ein absurdes Verhältnis zwischen der Wahr­neh­mung Mannheim-Heidel­bergs im Ausland und aus der Perspek­tive München-Hamburg. Schon ab der Schweiz sind wir sehr anerkannt. Es ist absurd, aber ich kann es auch nicht ändern. Obwohl es einen schon wurmt. Wir fühlen uns eindeutig ungerecht behandelt.

artechock: Gibt es keine Pläne, das zu ändern?

Kötz: Es gab einen wunder­baren Plan. Vor zwei Jahren meldeten sich die deutschen Arthouse-Verleiher, um eine Art deutsche Arthouse-Messe zu veran­stalten. Die hatten die Schnauze voll, dass ihnen die Großen immer die Schau stehlen. Und fanden Mannheim-Heidel­berg wäre doch ein toller Ort dafür. Womit sie völlig recht hatten. Wir haben uns auch sofort ins Zeug gelegt. Ja und dann kam ein Kino­be­sitzer – mir ist wirklich grade der Name entfallen, sonst würde ich ihn auch nennen-, der hat dann ein Interview herum­ge­reicht, wo ich darüber geklagt hatte, dass die Programm­ki­no­be­treiber keine richtige Programm­ho­heit mehr haben, nicht mehr zeigen können, was sie zeigen wollen. Das hat er als Beleg dafür genommen, dass ich gegen die Programm­ki­noleute sei. Der doppelte intel­lek­tu­elle Ritt­berger bei beschränktem IQ.
Aber der hat die so lange belabert, bis er sich durch­ge­setzt hatte. Sonst hätten wir diesen Schau­platz für die deutsche Verleihszene intel­li­gen­terer Filme gemacht.

artechock: Ich kenne ja auch gute deutsche Filme, die noch nirgendwo gelaufen sind. Mannheim wäre doch der beste Ort, ein Gegenbild zu setzen: Es gibt auch anderes deutsche Kino. Hof kann das nicht leisten, München ist zu bran­chen­hörig, zu fixiert auf die finan­zie­renden TV-Sender.

Kötz: Natürlich gibt es gute deutsche Filme. Aber die nehmen sich dann auch oft das Forum der Berlinale und Holighaus' neue Reihe in Berlin oder Saar­brü­cken. Da gibt es Konkur­renz, da kommen wir immer zu spät. Aber stra­te­gisch versuchen wir dieses Vorurteil gegen Mannheim-Heidel­berg innerhalb der Branche sozusagen von hinten aufzu­rollen. Es gibt nämlich ande­rer­seits, trotz aller Vorur­teile kaum einen deutschen Film­pro­du­zenten, der nicht schon von den »Mannheim Meetings« gehört hätte mit ihren wunder­baren Geschäfts­mög­lich­keiten, und der dann nicht ange­fangen hätte, sich zu sagen: Hof ist viel­leicht netter, aber Mannheim ist effek­tiver ...

artechock: Das letzte Jahr war ja sehr erfolg­reich: Insgesamt fünf Filme, also knapp 20 Prozent der Wett­be­werbs-Filme haben einen deutschen Verleih bekommen, dazu kommen inter­na­tio­nale Verkäufe. Elling hatte großen Erfolg, Kira wurde nicht nur zum besten Film des Jahres von der FIPRESCI (der inter­na­tio­nalen Film­kri­ti­ker­ver­ei­ni­gung) ernannt, der Film hat auch einen Verleih bekommen. Ist das typisch, oder gibt es hier auch steigende Tendenzen?

Kötz: Das ist schon seit ein paar Jahren so. Und dass nicht mehr Filme ins Kino kommen, liegt leider daran, dass nicht mehr gewagt wird von Verlei­her­seite her. Es liegt leider auch am Publikum. Das ist ein Kapitel, das wäre mehrere Promo­ti­ons­ar­beiten wert: Warum wir so viele Zuschauer haben, die in solche Filme gehen, und warum sie das den Rest des Jahres über das nicht tun. Jeden­falls faktisch nicht. Aber viel­leicht würden sie es, wenn man sich andere Dinge einfallen ließe.

artechock: Gibt es in Mannheim eigent­lich Programm­kinos?

Kötz: Ja, das „Atlantis“ und das „Odeon“ in denen wir auch spielen. Aber das sind ganz typische Programm­kinos der Gegenwart, die werden immer kommer­zi­eller. Das ist ganz merk­würdig. Irgendwas läuft da schief.

artechock: Kino­be­treiber beklagen rück­läu­fige Zuschau­er­zahlen. Die Ufa-Kette, immerhin die dritt­grösste Kinokette Deutsch­lands, meldet Insolvenz an. Steckt das Kino in der Krise, wollen die Menschen keine Filme mehr sehen?

Kötz: Dem Kino geht es ganz gut in Deutsch­land. Es gibt genügend Zuschauer, aber eine schlei­chende Krise ist dennoch fest­stellbar. Ich will jetzt aber nicht über den Main­stream reden, Ufa-Kinos zeigen ja Main­stream, und der läuft schon ganz gut, hat auch eigene Marketing-Stra­te­gien, mit denen man auf Probleme effektiv reagieren kann. Mir geht es um den Kunstfilm, den soge­nannten Arthaus-Film­be­reich, um die Autoren­filme. Hier ist, jeden­falls in Deutsch­land, viel falsch gemacht worden.

Die Zuschauer haben das Vertrauen in Arthaus-Filme verloren, in die Kinos, die Programm­kinos zum Beispiel. Wenn die Programm­kinos nicht mitspielen, können die Verleiher auch die schönsten Filme nicht unter­bringen. Es gibt viele, die sagen, es liege an den Zuschauern, die keine kompli­zierten Filme mehr sehen wollten. Aller­dings haben wir ja beim Festival immer die Kinos voll, wie Sie wissen, obwohl unsere Filme durchaus auch kompli­ziert sein können. Aber es sind immer Filme von Autoren mit einer persön­li­chen Hand­schrift – es sind eben genau die Filme, von denen es heißt, sie laufen im Kino nicht richtig. Das ist doch ein Wider­spruch. Die Stan­dard­ant­wort auf diesen Wider­spruch lautet: Das ist der Event­cha­rakter des Festivals, da läuft das, im Alltag nicht. Ich will jetzt nicht schwören, dass diese Antwort falsch ist, aber viel­leicht könnte man mal Überlegen, welche Gründe es noch geben könnte.

artechock: Und welche kämen in Frage?

Kötz: Zunächst der ange­spro­chene Vertrau­ens­schwund. Die Programm­kinos haben aufgehört, konse­quent inter­es­sante und gute Filme zu zeigen. Sie haben sie durch­mischt mit halb guten Filmen, von denen man sich aber kommer­ziell mehr verspro­chen hat, so dass heute der Zuschauer nicht mehr damit rechnen kann, dass ihm wirklich Filme geboten werden, die es sich lohnt anzu­schauen. Auf unserem Festival glauben es die Zuschauer aber, und wenn man das aufs Kino überträgt, müsste man versuchen zu erreichen, dass der Zuschauer das dort wieder glauben kann.

artechock: Welche Rolle spielt dabei die Konkur­renz des Fern­se­hens? Der Regisseur und Produzent Nico Hofmann meint, die deutschen TV-Filme seien gera­de­wegs Welt­klasse. Nur was fürs Kino produ­ziert werde, sei nicht mehr so berau­schend. Ist das ein stärkeres Problem geworden?

Kötz: Fernsehen und Kino laufen parallel zuein­ander. Es gibt schon auf der Herstel­lungs­ebene enge Zusam­men­hänge, es entstehen keine Arthouse-Filme ohne Fern­seh­geld, und alle laufen irgend­wann auch im Fernsehen. Das ist die gängige Verwer­tungs­schiene. Auf der Rezep­ti­ons­ebene aber, also was den Zuschauer betrifft, laufen sie völlig unab­hängig. Man kann einen Film im Fernsehen zeigen und danach ins Kino bringen, das haben schon viele Verleiher fest­ge­stellt, es ist erstaun­lich. Nico Hofmann hat Recht, unsere Fern­seh­pro­duk­tionen – jeden­falls die von ARD und ZDF – sind großartig. Sie haben nach wie vor hohes Niveau. Wir haben das beste Fernsehen der Welt, das muss man klar und deutlich sagen – wegen ARD und ZDF, nicht so sehr wegen der Privaten, da haben wir ein durch­schnitt­li­ches. Aber es ist eben was anderes als das Kino, und das meine ich mit verlo­renem Vertrauen. Der Zuschauer hat ein gewisses Vertrauen in die Reihe „Tatort“. Er weiß, da kommt etwas, das immer ein gewisses Niveau hat. Man hat ein Vertrauen herge­stellt zu dieser Art von Fernsehen, und das Kino hat dieses Vertrauen verloren.

artechock: Wie wäre das Vertrauen zurück­zu­ge­winnen, mit welchen Filmen?

Kötz: Ich glaube, entgegen dem Trend, entgegen dem, was als Trend behauptet wird, im Gegenteil dazu also, glaube ich, dass man Vertrauen gewinnt, indem man den Zuschauer ernst nimmt und von ihm annimmt, dass er hoch­karä­tige Sachen sehen will, auch kompli­zierte Sachen, auch Sachen wo er schluch­zend nach Hause geht, die nicht einfach nur lustig sind und die nicht nach 08/15-Muster gestrickt sind.
Man muss das vom Zuschauer annehmen, und das traut sich keiner mehr. Filme müssen sinnlich-klug sein, sonst sind sie nicht inter­es­sant. Sie müssen eine hohe Sinn­lich­keit haben, und sie können dabei intel­li­gent sein, mit Tiefe. Wir stellen beim Festival durch unsere rigorose Auswahl sicher, dass solche Filme laufen.

artechock: So ginge das Festival mit gutem Beispiel voran...

Kötz: Absolut richtig, wir schaffen etwas, das doch auch in größerem Maßstab zu schaffen sein müsste. Und zwar für das Publikum als auch für die Film­wirt­schaft... Denn auch die Film­wirt­schaft ist darauf ange­wiesen, dass diese Quali­täts­filme funk­tio­nieren. Es gibt sehr viele, die davon leben, dass sie herge­stellt und verliehen und vertrieben werden, und die warten natürlich auch nur darauf, dass das Kino endlich wieder frei wird für diese besseren Filme. Es gibt keine Programm­kinos mehr im Grunde genommen, das ist Main­stream auf einer etwas intel­lek­tu­el­leren Ebene, aber es ist kein Programm­kino mehr. Dabei war die Idee ja gerade gewesen, vertrau­ens­bil­dende Maßnahmen durch Programm zu erzielen, also durch gedank­liche, program­ma­ti­sche Arbeit der Kinoleute, nicht einfach durch Abspielen aktueller Hits. Und nun kommt das Zweite, was man machen muss in diesem Reich des intel­li­genten Kinos. Man muss aufhören, auf Event­kultur, Hypes und Marke­ting­tricks und sonstige Vermark­tungs­lügen zu setzen.
Die Leute haben es satt, da bin ich ganz sicher. Das gehört auch zum Vertrauen, sicher zu sein, dass man hier nicht betrogen wird und mit irgend­wel­chen falschen Argu­menten ins Kino gelockt wird.

artechock: Ihr schafft es bei Euerm Festival, dass fast alle Regis­seure kommen. Bei 34 Newcomern plus Kurz­fil­mern kommen rund 40 Regis­seure. Kommen die wegen des Marktes, oder weil es auch ein Publi­kums­fes­tival ist?

Kötz: Die Regis­seure kommen, weil sie dabei sein wollen, wenn ihr Film urauf­ge­führt wird. Für jeden Künstler ist es mehr wert, 400 begeis­terte Leute im Kino zu haben, als 400.000, die es im Fernsehen einschalten. Das eine ist das Konkrete, das andere ist abstrakt. Man bekommt einen Bogen mit den Einschalt­quoten – so what? Dann rufst Du Deine Freunde an, ob die’s auch gerne gesehen haben, wenn nicht, war’s ein Flop.
Die Regis­seure lieben Mannheim-Heidel­berg. Manchmal sind sie sogar richtig verknallt. Wir haben kaum einen gehabt, der davon enttäuscht war. Und diese Mund-zu-Mund-Propa­ganda ist unser größtes Kapital. Die merken, wie wir das machen, dass der Direktor keine Vorzim­mer­dame hat, dass hier notfalls jeder selbst Hand anlegt.
Sie fühlen sich hier wie auf einer Party, bei der sie im Mittel­punkt stehen, weil sie gerade Geburtstag haben...

artechock: In diesem Jahr gibt es erstmals einen „Distri­bu­tion Market“. Was hat es denn mit diesem neuen Markt auf sich?

Kötz: Wir machen die „Mannheim Meetings“ für Produ­zenten schon ein paar Jahre. Es ist so, dass ein Produzent, der noch einen Kopro­du­zenten sucht, weil er sein Projekt noch nicht voll finan­ziert hat, hier fündig werden kann. Natürlich schaffen die das im Prinzip auch ohne die „Mannheim Meetings“. Der Punkt ist nur, dass wir es ihnen sehr einfach machen. Sie müssen nur noch ankreuzen, wen sie treffen wollen. Wir veran­stalten rund 400 one-to-one-meetings a 30 Minuten. Dann sind sie zwei, drei Tage hier, und treffen 35, 40 Leute. Sie wissen ganz schnell, ob das was wird. Man muss ja Vertrauen haben, sich kennen­lernen, sonst nutzt der beste Vertrag nichts. So etwas ähnliches gibt es zwar auch in Rotterdam, aber der entschei­dende Unter­schied ist, dass wir auch den Kleinen eine Chance geben, nicht so von großen Namen beein­druckt sind.

Letztes Jahr habe ich mir überlegt, das Modell auf den Bereich Verleih und Verkauf zu über­tragen. Weil natürlich jeder Sales-Agent eine Kunden­datei hat, aber nicht immer ist die wirklich gut, bezie­hungs­weise auf dem neuesten Stand. Weil der Agent natürlich nicht immer wirklich weiß, ob es in Bulgarien nicht viel­leicht auch schon einen neuen Arthouse-Verleih gibt. Wir kriegen das aber raus. Wir können die anschreiben, und Inter­essen vorson­dieren. Und dann bieten wir an: Wir orga­ni­sieren für Euch ein Gespräch. Ihr könnt auch Filme angucken. Wir machen es den Leuten also einfacher, wir ersparen Weltreisen und Recher­chen, wir geben zusätz­liche Anre­gungen.

Wie wir das bei Produ­zenten machen, machen wir es jetzt auch für Film­rechtehändler, Einkäufer und Verleiher. Sogar das ZDF hat sich schon ange­meldet. Obwohl man bei denen denkt: Die können doch warten, bis sie alle vorbei­kommen. Aber da ist einer neugierig und sagt sich: Die kommen viel­leicht doch nicht alle vorbei. Und da hat er auch recht.
Das ist alles! Es ist eigent­lich ein ganz simples Modell.
Aber dieser »Distri­bu­tion Market« ist weltweit etwas Neues. Das hat noch gar keiner gemacht. Und dafür habe ich dann auch gleich EU-Förder­geld in Brüssel bekommen. Ohne das geht es nicht, einen Teil müssen wir aber aus unserem allge­meinen Etat bezahlen.

artechock: Unter was läuft diese Förderung?

Kötz: Das MEDIA II – Programm, Promotion-Distri­bu­tion. Die fördern uns mit fast 120.000 EURO.

artechock: Das ist ja wie eine Messe. Ist es so, dass die Teil­nehmer dann auch Euch Geld bezahlen, zumindest im Fall eines erfolg­rei­chen Vertrages, oder ist das eine naive Vorstel­lung?

Kötz: Wenn es richtig gut läuft, fange ich damit an. Aber das ist nicht so einfach, denn die kleineren Verleiher sind nicht gerade sehr finanz­stark. Bei den „Mannheim Meetings“ haben wir am Anfang die Flüge bezahlt, die Hotel­zimmer – jetzt tun wir das nicht mehr. Beim „Distri­bu­tion Market“ werden sie jetzt alle einge­laden. Immer am Anfang. Das muss sich rumspre­chen, wenn es sich nicht rumspricht, funk­tio­niert es nicht. Und die ersten, die gleich kommen, ohne das es das schon mal gab, sind einfach auch die Mutigsten. Die werden belohnt für den Mut. Das muss einfach ins Rollen kommen. Und fürs MEDIA-Programm der EU machen wir perfekt das, was das MEDIA-Programm machen will. Deswegen bekommen wir Geld. Denn der „Distri­bu­tion Market“ ist europäisch, während die „Mannheim Meetings“ weltweit sind, wenn auch natur­gemäß viele Europäer kommen. Dieses MEDIA-Programm ist übrigens ein sehr intel­li­genter Verein, richtig abge­fuchst. Die prüfen sehr sorg­fältig. Jeder der glaubt, dass er die mit irgend­wel­chen Bluffs rein­kommen kann, hat sich tief geschnitten. Die wissen mindes­tens das, was der Antrag­steller weiß, meistens mehr. Und sie arbeiten richtig, halten sich nicht lange mit irgend­wel­chen Reprä­sen­ta­ti­ons­sa­chen auf. Wenn man da hinkommt und einen Kaffee will, dann muss man sich den unten am Automaten holen, da kommt keine Sekre­tärin und serviert ihn im Vorzimmer. Es sieht nach wirk­li­cher Arbeit aus.

artechock: Wo soll es in einigen Jahren mit diesen Einrich­tungen hingehen?

Kötz: Ich glaube dass der „Distri­bu­tion Market“ eine echte Bedarfs­lücke füllt. Ob das auch alle merken, weiß ich nicht. Es ist ein Expe­ri­ment. Wir haben schon positives Feedback bekommen. Wenn wir Glück haben, spricht es sich schnell herum, dass es sich lohnt, dahin zu gehen. Aber leider ist die Branche sehr kurzlebig. Und ein Sales-Agent, der umsonst hier war, der kommt erst mal drei Jahre nicht. Jetzt in der Vorbe­rei­tung habe ich auch begriffen, warum das bisher kein anderer gemacht hat. Weil es gefähr­lich ist.

artechock: Kommen wir mal zum dies­jäh­rigen Programm. Man hört, Dein Lieb­lings­film sei dieser japa­ni­sche Selbst­mörder-Film Growing, Glowing?

Kötz: [Lacht] Nein, kein Lieb­lings­film. Das ist ein schau­riges Teil. Aber es ist einfach ein intel­li­genter Film. Was ich ihm vorwerfe, ist, dass er am Schluss noch mal diesen Selbst­mord zeigt. Aber es ist gar kein Film über Internet-arran­gierten Massen­selbst­mord, sondern über die seltsame pubertäre Lebens­mü­dig­keit. Das Werther-Syndrom. Aber gleich­zeitig ein Film über japa­ni­sche Kultur. Also so weit ich es verstehe. Aber ich ahne es. Ich habe neulich Japaner gefragt, warum die Filme, die wir sehen, immer so bizarr sind, wenn es um Erotik geht. Die Antwort war, dass Sex und Liebe nichts mitein­ander zu tun haben in Japan. Man kann sich dann auch nicht schämen, Das ist die Abwe­sen­heit des christ­li­chen Denkens und seines enormen Einflusses. Das kann man in diesem Film wahr­nehmen. Deswegen hat er philo­so­phi­sche Bedeutung. Zugleich hat er psycho­lo­gi­sche Bedeutung in der Schil­de­rung dieses Zustandes, und er hat eine hohe Erleb­nis­qua­lität. Ein inter­es­santer Trip in eine andere Kultur. Bei uns würde so etwas viel­leicht auf den Index kommen, aber es würde gar keiner schreiben, das würde an der Selbst­zensur scheitern.

artechock: Und er stammt von einem ganz jungen Regisseur...

Kötz: Ja, der ist knalljung und wahr­schein­lich voll betroffen. Aber statt sich umzu­bringen, hat er doch einen Film gemacht.

artechock: Welche anderen Filme sind wichtig? Ihr setzt auch poli­ti­sche Schwer­punkte...

Kötz: Ja, das „Cinema Attac“ ist ein Spiel mit dem Publikum. Der Name ist ein Witz, aber wie immer auch toternst. Globa­li­sie­rung im Kino kennen wir alle. Was der Autoren­film mal war, brauchen wir wieder: Ästhe­tisch unver­schämte Filme, inter­es­sante Grenz­filme. Auch inter­na­tional findet man das aber kaum. Darum greifen wir in die Kiste der älteren Filme, um zu erinnern, was es mal gab, dass es diese Attac-Qualität mal gab.

artechock: Es gibt einen Polen-Schwer­punkt...

Kötz: Ja, der ist toll. Polni­sches Kino war ja schon früher sehr gut. Dann kam ein Bruch, und jetzt knüpfen junge Regis­seure an diese Tradition von Wajda, Zanussi, Holland an. Aber es ist ein frisches Kino, dass etwas eigenes hat, neu ist und trotzdem an die alten Filme erinnert.

artechock: Spürt man Zeitgeist in den Filmen ?

Kötz: Zeitgeist finde ich eine wichtige Kategorie. Ich glaube, dass es ihn gibt, und dass man ihn an Filmen ablesen kann. Mehrere Filme haben etwas mit Selbst­mord zu tun. Politik spielt auch eine Rolle, als Gegen­stand und als Schau­platz. Ansonsten haben wir ein unglaub­li­ches Spektrum: Spanien, Brasilien, Finnland, Grie­chen­land... Aber Lieb­lings­filme möchte ich nicht verraten

artechock: Warum gibt es keinen Doku­men­tar­film­preis mehr? Damit hat Mannheim schließ­lich einmal ange­fangen... Ist das die endgül­tige Versen­kung der Tradition?

Kötz: Ja, das ist schon tragisch. Aber wir können ja nicht als Newcomer-Festival so lange warten, bis der letzte begriffen hat, dass es klas­si­sche Doku­men­tar­filme heute nicht mehr gibt. Durch die neuen Techniken kann ich den Bundes­kanzler sagen lassen, was er nie gesagt hat – und keiner merkt es. Wir brauchen einen neuen Begriff von Authen­ti­zität und von Realität. Viele unserer Filme spielen damit, dass es ein Doku­men­tar­film sein könnte. In einem Film, L’enfant d’amour sagt ein Kind einmal: »Mutter, wunder' Dich nicht, aber das Kame­ra­team ist gerade da.« Das ist ein inter­es­santer, erfri­schender Umgang mit dem Problem.
Es wird oft mit Doku­men­ta­tion und Essay und Fiktion gespielt, etwa in dem Stadtfilm Tokyo Noise. Oder Seven Days in Teheran: Ein Spielfilm, der so tut, als würde er doku­men­ta­risch ein Filmteam begleiten, dass im Iran eine Reportage dreht. Alles echt, nichts gebaut, trotzdem ist es fiktiv.

artechock: Also immer wieder die Imitation von Authen­ti­zität, künst­liche Authen­ti­zität?

Kötz: Ja. Ein wichtiges Thema, das durch die neuen Techniken kommt, und durch die Präsenz von Medien. Wir greifen das auf, zeigen Filme, die spannend sind, und schaffen das klas­si­sche Genre des Doku­men­tar­films ab, bevor es die Spatzen von den Dächern pfeifen. Jeder unserer Filme ist ein Doku­men­tar­film. Und »Dokument« ist eine Funktion.

artechock: Dann gibt es die erste richtige Werkschau von Zhang Yimou...

Kötz: Bei uns hat die Hommage die Funktion, den jungen Regis­seuren einen Meister gegen­ü­ber­zu­stellen. Es geht natürlich auch um die intensive Wirkung, die es hat, die Filme eines Autors zusammen zu sehen – eine Aufgabe, die eigent­lich die kommu­nalen Kinos erledigen müssten. Das tun sie aber nicht.

artechock: Mannheim ist ein wichtiges Festival in Deutsch­land, aber gewiß das Wich­tigste in Baden-Würt­tem­berg. Jetzt gibt es in Ludwigs­burg fast zeit­gleich plötzlich auch ein Festival...

Kötz: Profes­sio­nell gesehen bedeutet es gar nichts. Nur regio­nal­po­li­tisch ist das viel­leicht ein Problem. Denn manche Regio­nal­po­li­tiker halten etwas offenbar auto­ma­tisch für bedeutend, wenn es näher an Stuttgart liegt. Weil sie die inter­na­tio­nale Perspek­tive gar nicht drauf­haben.
Aber ich verstehe nicht, warum die etwas machen, was keiner braucht. Trotz 200.000 Mark Preisgeld hat den Preis immer ein Film bekommen, der schon auf 17 Festivals lief. Das ist nur peinlich. Die Branche ist nicht so blöd. Und ich fürchte, man hat Christel Drawer nur mit ins Boot genommen, damit jemand schuld ist, wenn es nicht hinhaut.

artechock: Welche Bedeutung kommt eigent­lich bei alldem der Film­för­de­rung zu, die ja die bishe­rigen Kultur­staats­mi­nister alle refor­mieren wollten?

Kötz: Natürlich eine entschei­dende. Ich halte sie für falsch, auch wenn sie noch so üblich geworden ist – diese furcht­bare Vermi­schung von Kommerz und künst­le­ri­scher Qualität im Film­be­reich. So als wären das dicke Freunde. Wir hätten gar keine Kunst im Bereich der Musik oder Literatur, wenn es nicht schon seit ewigen Zeiten einen unauf­lös­li­chen Gegensatz gegeben hätte zwischen Ökonomie und Quali­täts­an­spruch der Kunst. Ich kann die Kunst nicht danach beur­teilen, wie viel Leute sie anschauen oder konsu­mieren wollen. Das ist Unsinn. Warum sollte nicht ein Land nur Qualität fördern und aufhören, die Halb­qua­lität und die kunst­ge­werb­li­chen Filme auch noch zu fördern?

artechock: Wobei man trotzdem noch sagen kann, dass der Film sowohl Kunst als auch Unter­hal­tungs­me­dium ist...

Kötz: Kunst muss sowieso unter­halten. Basta. Wenn man dem künst­le­risch anspruchs­vollen Film sagt, er soll aber auch unter­hal­tend sein, dann fängt das Unglück an. Sagen wir ihm einfach, er soll gut sein. Holen Sie sich Fachleute, die sagen können, wann ein Film gut sein wird. Und dann wird das unter­haltsam sein. Es muss Schluss sein mit dieser Vermi­schung. Die hat uns ins Elend geritten in Deutsch­land, und es endete mit diesen ganzen Börsen­gängen. Als dann der Blödsinn zusam­men­brach, habe ich gedacht: Jetzt werden sie es begreifen. Nichts tun sie bislang.

artechock: Welche Anfor­de­rungen sollte man denn an einen guten Film stellen dürfen?

Kötz: Ich bin ja nicht Teil einer Lobby, ich denke einfach über die Sache nach auf der Basis unserer Erfah­rungen mit dem Festival. Aber ich frage mich: Warum gibt es nicht eine Art Label für den guten Film? Und ein Gremium, das Quali­täts­filme von Schrott unter­scheidet? Wenn das geschähe, könnte man dem Film einfach nur Punkte geben, einen Stern, zwei Sterne, drei Sterne. Wer drei Sterne hat, der kriegt die höchste Förde­rungs­summe, wer zwei hat, die halbe, wer einen Stern hat nur noch ein bisschen was, und wer gar keinen hat, kriegt kein Geld, weder für die Produk­tion, noch für den Verleih, noch wenn er den Film im Kino zeigt. Ist doch simpel, oder? Wir brauchen ein Erken­nungs­zei­chen, das wäre auch für den Zuschauer gut.

artechock: Es gibt ja beispiels­weise die evan­ge­li­sche Film­be­wer­tung, die Prädikate vergibt, was wäre dazu der wesent­liche Unter­schied?

Kötz: Das wären keine ideellen Prädikate, wie die der Kirchen. Es geht bei dieser Label- oder Marken­idee darum, fürs kauf­män­ni­sche Umgehen mit Film ein hand­festes Zeichen zu schaffen. Das sind sozusagen Wert­gut­scheine für den Handel. Ich weiß, wenn ich diesen Film produ­ziere und ich bekomme dafür diese drei Sterne, dann werde ich 100 Prozent der möglichen Förderung kriegen, um ihn zu verleihen, und ich werde, wenn ich Kino mache und diesen Film zeige, 100 Prozent der möglichen Förderung kriegen. Und wenn ich nur einen Stern habe, werde ich eben nur dreißig Prozent kriegen, wenn ich gar keinen habe, nichts. Das weiß ich vorher. In ein solches am besten bei der Film­för­de­rung selbst instal­liertes Gremium müssen aller­dings keine Lobby-Experten sitzen, die Inter­essen vertreten, keine Lobby­isten, sondern solche, die ins Kino verliebt sind, wirkliche Experten, die unbedingt auch große Erfah­rungen haben müssen mit solchen Beur­tei­lungen.

artechock: Man müsste sich ja erst mal drauf vers­tän­digen können, dass dem Film und der Film­för­de­rung eben eine besondere Bedeutung zuzu­messen ist, eine gesell­schaft­lich funk­tio­nale. Wie würdest Du diesen Zusam­men­hang oder diese Funktion des Films defi­nieren?

Kötz: In Deutsch­land wird immer noch mindes­tens 300 Mal so viel Steu­er­geld aus gegeben für Theater und Oper wie für Film. Alle Film­för­de­rungen zusam­men­ge­nommen sind ein 300-stel dessen, diese Relation ist komplett absurd. Film kann Kunst sein, das Zelluloid hat die selben Poten­ziale wie die Bühne oder ein Orches­ter­graben, mindes­tens dieselben. Wenn ich das begreife, kann ich nicht sagen: Ich schließe das vom Auftrag eines Staates, sich um die Kunst zu kümmern und sie zu pflegen und zu schützen, aus. Also braucht man Förderung und hat sie legi­ti­miert. Nur muss diese Förderung aufhören, halb­sei­dene Sachen, im Grunde kommer­zi­elle Sachen zu fördern. Noch ein paar Zusatz­ko­pien bezahlt für den Der Schuh des Manitu mit Steu­er­gel­dern – da wird einem doch schlecht. Konsalik bekam ja auch keine Steu­er­gelder für einen neuen Roman...

artechock: Bislang ist es ja leider so, dass man auf Festivals Filme mit viel Interesse sieht, die aber viel zu selten einen Verleih finden. Wie sieht die Erfolgs­bi­lanz des Festivals Mannheim-Heidel­berg aus?

Kötz: Wir haben jedes Jahr immerhin drei, vier Filme, die ins Kino kommen. Das kommen sie manchmal mit beschei­denem Erfolg und manchmal mit größerem Erfolg, aber dass er bescheiden ist, heißt nicht, dass der Film nicht sehr gut war. Der Verleiher hat einfach nicht mehr wirt­schaft­li­ches Potenzial. Und einen Film mit drei Kopien zu starten ist ange­sichts der drei- oder fünf­hun­dert Kopien eines mittleren Main­stream-Films sehr bescheiden, oft wirkungslos. Da braucht man eben Hilfe...

artechock: Sind mit dem Selbst­ver­s­tändnis, dem Konzept, mit dem Mannheim in der Vergan­gen­heit erfolg­reich war, auch die Weichen für künftigen Erfolg gestellt?

Kötz: Unsere Konzen­tra­tion auf Newcomer, die noch auf keinem großen Festival liefen, auch nicht in Cannes oder einem Neben­pro­gramm der Berlinale, funk­tio­niert. Wir haben jedes Jahr mehr gute Filme zur Verfügung, als wir zeigen können. Wir haben nicht den leisesten Anflug einer Krise.

artechock: Wäre es nicht trotzdem denkbar, als Aushän­ge­schild einen hoch dotierten Haupt­preis zu etablieren? In Mannheim-Heidel­berg wurde ja statt­dessen erst einmal das Preisgeld einge­spart...

Kötz: Wir haben nicht einen Film weniger angeboten bekommen, weil die Preise nicht mehr dotiert sind. Es hat auch nie in den letzten fünf Jahren einer gefragt, ob die Preise dotiert sind und wieviel man gewinnen kann. Das inter­es­siert die Filme­ma­cher nicht. Man geht auf ein Festival, wenn es eine große und hohe Repu­ta­tion hat, weil das förder­lich ist, um ins Fernsehen zu kommen, Einkäufer oder Verleiher auf sich aufmerksam zu machen oder Geld für den nächsten Film zu bekommen.

Dennoch: Für das, was wir machen, was wir dem Land geben, was wir auch der Bundes­re­gie­rung geben, ist unser Etat sehr niedrig, ist das alles sehr wenig Geld – auch wenn wir in den letzten zehn Jahren den Etat verdrei­facht haben. Dafür machen wir nun mal auch sehr viel. Und wir sind eben das einzige inter­na­tio­nale Kultur­er­eignis der Region. Ich sage nicht, das Mann­heimer Natio­nal­theater sei unbe­deu­tend. Es inter­es­siert aber in Frank­reich niemanden, uns dagegen findet man auch in Brasilien inter­es­sant. Wenn Sie nach Rio fliegen und jemanden vom Fernsehen treffen, dann kennt der von Mannheim wirklich nur unser Film­fes­tival.