»Die Perspektive ist polemisch, ja!« |
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Ken Loach beim Dreh zu The Wind That Shakes the Barley |
Leben und Arbeiten der unteren Klassen ist das große Thema des britischen Filmregisseurs und bekennenden Trotzkisten Ken Loach, das er seit den sechziger Jahren in zahlreichen Varianten verfolgt hat. Während er mit Filmen wie Riff-Raff, Raining Stones oder My Name Is Joe witzig-bewegende Alltagsportraits zeichnete, verknüpfte er in Land and Freedom und Carla’s Song über den spanischen bzw. nicaraguanischen Bürgerkrieg Weltgeschichte mit dem Schicksal des Einzelnen. Dies ist auch der Fall bei The Wind That Shakes the Barley, mit dem der 1936 geborene Loach im Mai 2006 den höchsten Preis seiner Karriere gewann: Die »Goldene Palme« beim Filmfestival von Cannes. Der Film erzählt anhand zweier Brüder vom Kampf um unabhängigen Krieg und dem schweren Schicksal irischer Familien in den Wirren des irischen Bürgerkriegs.
Mit dem Regisseur sprach Rüdiger Suchsland.
artechock: Ihr neuer Film The Wind That Shakes the Barley handelt von einem Befreiungskampf…
Ken Loach: Es beginnt während des Unabhängigkeitskrieges von Irland 1920. Dann kam es zu einer Volksabstimmung, bei der die Iren bei mit überwältigender Mehrheit für die Unabhängigkeit gestimmt hatten. Zunächst eskalierte der Widerstand, dann kam es zu einem Vertrag, doch danach brachen Konflikte innerhalb der siegreichen Fraktionen aus. Es gab die Möglichkeit einer Revolution, und die ist zwar gescheitert, aber die Leben der Menschen haben sich immerhin verbessert: Irland wurde eine Demokratie. Die Linke hat den Stalinismus vermieden, aber man sieht die Gefahr am Horizont. Auch wenn es viel zu kritisieren gibt, gab es immerhin Fortschritt und eine Volksbewegung, die offene Wahlen gewonnen hat.
artechock: Ist solch ein historisches Thema immer noch kontrovers?
Loach: Geschichte ist immer kontrovers. Ich bin überzeugt: Was man über die Gegenwart denkt, ist immer von der Vergangenheit bestimmt. Und alles, was damals vor 90 Jahren in Irland passiert ist, lebt heute weiter. Die Gewalt geht weiter, und es gibt nach vor sektiererische Morde. Letztlich sind das Folgen des Vertrages zwischen Irland und Großbritannien.
artechock: Erwarten Sie Streit über Ihren Film?
Loach: Ich glaube nicht, dass es besonders viele Debatten außerhalb Irlands auslösen wird. Keiner glaubt heute noch, dass der Vertrag eine besonders gute Idee war – er hat ein zu schlechtes Erbe hinterlassen. Menschen, die sich mit keiner der beiden Seiten identifizieren, wird das vielleicht eher egal sein. Allenfalls ein paar britische Hardliner werden sich vielleicht provoziert fühlen.
artechock: Auf welcher Seite liegen Ihre Sympathien? Sie ergreifen in dem Film Partei für die irischen Rebellen, gegen Ihre Loyalität als britischer Staatsbürger…
Loach: Das kommt darauf an, was Sie als »rebellisch« definieren, und was Sie als Ihre Verantwortung als Staatsbürger ansehen. Wenn Ihre Loyalität sich auf die Regierung bezieht, dann ist das alles sicher sehr angreifbar. Aber ich halte es lieber mit dem amerikanischen Philosoph Thomas Payne, der einmal gesagt hat: »Mein Land ist die Welt, und meine Religion ist es, das Gute zu tun.«
artechock: Was bedeutet das hier konkret? Sie stellen die britische Besatzung Irlands sehr drastisch dar, als eine Abfolge von Brutalitäten.
Loach: Jede Besatzungsarmee tut schreckliche Dinge. Die Perspektive des Films ist polemisch, ja. Es wäre bizarr, sie auf unrealistische Art angenehm darzustellen. Ich zeige die Briten in einer Weise, in der sie nicht gesehen werden wollen.
Man könnte den Film auch als Anspielung auf die US-amerikanische Besatzung im Irak verstehen, aber das überlasse ich dem Publikum. Die Amerikaner haben sich jedenfalls in der ganzen Welt sehr
viele Feinde gemacht. Kein Wunder, dass es Widerstand dagegen gibt. Die Anschläge vom 11.9.2001 haben keinen Lernprozess ausgelöst, sie wurden umgehend ein Teil der US-Propaganda. Sie befeuerten noch zusätzlich die aggressive Außenpolitik von Bush und den Rechten. Das ist nur ein weiterer Beleg dafür, dass individueller Terrorismus nie sein Ziel erreicht.
artechock: Ihre Filme haben oft pessimistische Enden. Dabei sind Sie Ihrer persönlichen Überzeugung nach doch ein Optimist?
Loach: Mein politischer Optimismus ist langfristig. Die Lebensumstände der Menschen in der Gegenwart sind aber ziemlich schlecht.
artechock: Sie haben bereits Filme über die Bürgerkriege in Spanien (Land and Freedom) und Nicaragua (Carla’s Song) gemacht, jetzt geht es um Irland…
Loach: Ich denke, das reicht jetzt auch mit den Bürgerkriegen. Der irische liegt schon relative weit weg. Und je weiter man in die Vergangenheit zurück reist, um so schwieriger wird es für einen Filmemacher. Denn die Veränderungen der Sprache, der Körperbewegungen und der Lebensweise sind groß. All diese Nuancen sind schwer zu vermitteln.
artechock: In Ihren Filmen beschreiben sie oft die Veränderungen, denen das Leben von Arbeitern gegenwärtig unterworfen ist – Folgen der wirtschaftlichen Globalisierung. Wie haben sich die Produktionsbedingungen für Sie selbst verändert?
Loach: Auch ich spüre die Globalisierung. Alles wird viel intensiver, Arbeitsprozesse, die man früher ruhig und gelassen anging, müssen gerafft werden. Die kommerzielle Dominanz aller Tätigkeiten, aber auch in Vertriebsfragen und bereits bei der Planung von Drehbüchern wird immer größer. Das bildet der Film keine Ausnahme. Und es scheint keinerlei politischen Willen zu geben, der dem widersteht. So ist die Macht der Studios größer denn je. Der Kampf für einen eigenständigen europäischen Film scheint nur da Erfolg zu haben, wo die Budgets klein und bescheiden bleiben, die Regisseure daher unabhängig sind. So arbeite ich selbst auch, und im Vergleich zu anderen geht es mir gut. Aber natürlich war früher vieles einfacher.
artechock: Wie waren die Dreharbeiten in Irland?
Loach: Es war sehr sehr feucht. Dauernd hat es geregnet. Man braucht wirklich eine sehr gute, wasserdichte Ausrüstung, um dort einen Film zu machen. Davon abgesehen war es sehr gut. Wir haben sieben Wochen gedreht, an fünf Tagen pro Woche. Das war alles sehr viel Arbeit, denn Kämpfe, Hinterhalte, Schießereien und all das erfordern einigen Aufwand. Die Wiederauferstehung der Vergangenheit braucht ihre Zeit. Aber es war sonst sehr angenehm, und ist stilistisch das geworden, was ich immer mache – kein Hollywood-Film.
artechock: Dies war Ihr sechster Film mit dem Drehbuch-Autor Paul Laverty. Gibt es schon wieder neue Pläne für eine Zusammenarbeit?
Loach: Ja, wir reden gerade darüber. Unser Zug ist weiter in Bewegung.