28.12.2006

»Die Perspektive ist polemisch, ja!«

Ken Loach beim Dreh zu THE WIND THAT SHAKES THE BARLEY
Ken Loach beim Dreh zu
The Wind That Shakes the Barley

Der britische Regisseur Ken Loach über seinen neuen Film und Politik im Kino

Leben und Arbeiten der unteren Klassen ist das große Thema des briti­schen Film­re­gis­seurs und beken­nenden Trotz­kisten Ken Loach, das er seit den sechziger Jahren in zahl­rei­chen Varianten verfolgt hat. Während er mit Filmen wie Riff-Raff, Raining Stones oder My Name Is Joe witzig-bewegende Alltags­por­traits zeichnete, verknüpfte er in Land and Freedom und Carla’s Song über den spani­schen bzw. nica­ra­gua­ni­schen Bürger­krieg Welt­ge­schichte mit dem Schicksal des Einzelnen. Dies ist auch der Fall bei The Wind That Shakes the Barley, mit dem der 1936 geborene Loach im Mai 2006 den höchsten Preis seiner Karriere gewann: Die »Goldene Palme« beim Film­fes­tival von Cannes. Der Film erzählt anhand zweier Brüder vom Kampf um unab­hän­gigen Krieg und dem schweren Schicksal irischer Familien in den Wirren des irischen Bürger­kriegs.

Mit dem Regisseur sprach Rüdiger Suchsland.

artechock: Ihr neuer Film The Wind That Shakes the Barley handelt von einem Befrei­ungs­kampf…

Ken Loach: Es beginnt während des Unab­hän­gig­keits­krieges von Irland 1920. Dann kam es zu einer Volks­ab­stim­mung, bei der die Iren bei mit über­wäl­ti­gender Mehrheit für die Unab­hän­gig­keit gestimmt hatten. Zunächst eska­lierte der Wider­stand, dann kam es zu einem Vertrag, doch danach brachen Konflikte innerhalb der sieg­rei­chen Frak­tionen aus. Es gab die Möglich­keit einer Revo­lu­tion, und die ist zwar geschei­tert, aber die Leben der Menschen haben sich immerhin verbes­sert: Irland wurde eine Demo­kratie. Die Linke hat den Stali­nismus vermieden, aber man sieht die Gefahr am Horizont. Auch wenn es viel zu kriti­sieren gibt, gab es immerhin Fort­schritt und eine Volks­be­we­gung, die offene Wahlen gewonnen hat.

artechock: Ist solch ein histo­ri­sches Thema immer noch kontro­vers?

Loach: Geschichte ist immer kontro­vers. Ich bin überzeugt: Was man über die Gegenwart denkt, ist immer von der Vergan­gen­heit bestimmt. Und alles, was damals vor 90 Jahren in Irland passiert ist, lebt heute weiter. Die Gewalt geht weiter, und es gibt nach vor sektie­re­ri­sche Morde. Letztlich sind das Folgen des Vertrages zwischen Irland und Groß­bri­tan­nien.

artechock: Erwarten Sie Streit über Ihren Film?

Loach: Ich glaube nicht, dass es besonders viele Debatten außerhalb Irlands auslösen wird. Keiner glaubt heute noch, dass der Vertrag eine besonders gute Idee war – er hat ein zu schlechtes Erbe hinter­lassen. Menschen, die sich mit keiner der beiden Seiten iden­ti­fi­zieren, wird das viel­leicht eher egal sein. Allen­falls ein paar britische Hardliner werden sich viel­leicht provo­ziert fühlen.

artechock: Auf welcher Seite liegen Ihre Sympa­thien? Sie ergreifen in dem Film Partei für die irischen Rebellen, gegen Ihre Loyalität als briti­scher Staats­bürger…

Loach: Das kommt darauf an, was Sie als »rebel­lisch« defi­nieren, und was Sie als Ihre Verant­wor­tung als Staats­bürger ansehen. Wenn Ihre Loyalität sich auf die Regierung bezieht, dann ist das alles sicher sehr angreifbar. Aber ich halte es lieber mit dem ameri­ka­ni­schen Philosoph Thomas Payne, der einmal gesagt hat: »Mein Land ist die Welt, und meine Religion ist es, das Gute zu tun.«

artechock: Was bedeutet das hier konkret? Sie stellen die britische Besatzung Irlands sehr drastisch dar, als eine Abfolge von Bruta­li­täten.

Loach: Jede Besat­zungs­armee tut schreck­liche Dinge. Die Perspek­tive des Films ist polemisch, ja. Es wäre bizarr, sie auf unrea­lis­ti­sche Art angenehm darzu­stellen. Ich zeige die Briten in einer Weise, in der sie nicht gesehen werden wollen.
Man könnte den Film auch als Anspie­lung auf die US-ameri­ka­ni­sche Besatzung im Irak verstehen, aber das überlasse ich dem Publikum. Die Ameri­kaner haben sich jeden­falls in der ganzen Welt sehr viele Feinde gemacht. Kein Wunder, dass es Wider­stand dagegen gibt. Die Anschläge vom 11.9.2001 haben keinen Lern­pro­zess ausgelöst, sie wurden umgehend ein Teil der US-Propa­ganda. Sie befeu­erten noch zusätz­lich die aggres­sive Außen­po­litik von Bush und den Rechten. Das ist nur ein weiterer Beleg dafür, dass indi­vi­du­eller Terro­rismus nie sein Ziel erreicht.

artechock: Ihre Filme haben oft pessi­mis­ti­sche Enden. Dabei sind Sie Ihrer persön­li­chen Über­zeu­gung nach doch ein Optimist?

Loach: Mein poli­ti­scher Opti­mismus ist lang­fristig. Die Lebens­um­stände der Menschen in der Gegenwart sind aber ziemlich schlecht.

artechock: Sie haben bereits Filme über die Bürger­kriege in Spanien (Land and Freedom) und Nicaragua (Carla’s Song) gemacht, jetzt geht es um Irland…

Loach: Ich denke, das reicht jetzt auch mit den Bürger­kriegen. Der irische liegt schon relative weit weg. Und je weiter man in die Vergan­gen­heit zurück reist, um so schwie­riger wird es für einen Filme­ma­cher. Denn die Verän­de­rungen der Sprache, der Körper­be­we­gungen und der Lebens­weise sind groß. All diese Nuancen sind schwer zu vermit­teln.

artechock: In Ihren Filmen beschreiben sie oft die Verän­de­rungen, denen das Leben von Arbeitern gegen­wärtig unter­worfen ist – Folgen der wirt­schaft­li­chen Globa­li­sie­rung. Wie haben sich die Produk­ti­ons­be­din­gungen für Sie selbst verändert?

Loach: Auch ich spüre die Globa­li­sie­rung. Alles wird viel inten­siver, Arbeits­pro­zesse, die man früher ruhig und gelassen anging, müssen gerafft werden. Die kommer­zi­elle Dominanz aller Tätig­keiten, aber auch in Vertriebs­fragen und bereits bei der Planung von Dreh­büchern wird immer größer. Das bildet der Film keine Ausnahme. Und es scheint keinerlei poli­ti­schen Willen zu geben, der dem wider­steht. So ist die Macht der Studios größer denn je. Der Kampf für einen eigen­s­tän­digen europäi­schen Film scheint nur da Erfolg zu haben, wo die Budgets klein und bescheiden bleiben, die Regis­seure daher unab­hängig sind. So arbeite ich selbst auch, und im Vergleich zu anderen geht es mir gut. Aber natürlich war früher vieles einfacher.

artechock: Wie waren die Dreh­ar­beiten in Irland?

Loach: Es war sehr sehr feucht. Dauernd hat es geregnet. Man braucht wirklich eine sehr gute, wasser­dichte Ausrüs­tung, um dort einen Film zu machen. Davon abgesehen war es sehr gut. Wir haben sieben Wochen gedreht, an fünf Tagen pro Woche. Das war alles sehr viel Arbeit, denn Kämpfe, Hinter­halte, Schieße­reien und all das erfordern einigen Aufwand. Die Wieder­auf­er­ste­hung der Vergan­gen­heit braucht ihre Zeit. Aber es war sonst sehr angenehm, und ist stilis­tisch das geworden, was ich immer mache – kein Hollywood-Film.

artechock: Dies war Ihr sechster Film mit dem Drehbuch-Autor Paul Laverty. Gibt es schon wieder neue Pläne für eine Zusam­men­ar­beit?

Loach: Ja, wir reden gerade darüber. Unser Zug ist weiter in Bewegung.