»Das Beste ist ein Zustand freudiger Hoffnungslosigkeit« |
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Lemke und seine Unterwäschelügen | ||
(Foto: Klaus Lemke) |
Dass Fußball und Film ein merkwürdiges Paar sind, ist keine neue Erkenntnis. Es gibt zwar ein paar gute Fußball-Dokus, aber keinen einzigen guten Spielfilm über Fußball, keinen der das Drama und die Intensität eines guten Spiels auf die Leinwand bringen kann, ohne zu verlieren. Und vor allem kicken Schauspieler immer viel schlechter als die echtem Stars auf dem grünen Rasen. Andererseits suchen die Menschen in beidem das Gleiche: Das große Drama, Intensität, Steigerung des Lebens.
»Kino war mal besser als Fußball«, sagt Klaus Lemke, heute sei es umgekehrt. Lemke, Jahrgang 1940 wurde vor Fassbinder und Herzog ab Mitte der sechziger Jahre mit ein paar anderen zur Leitfigur einer Gegenbewegung des »Neuen Deutschen Films«. So entstanden moderne Klassiker wie Brandstifter, 48 Stunden bis Acapulco, Negresco, Rocker, Arabische Nächte, Unterwäschelügen und rund 40 weitere Werke. Bis heute dreht Lemke Film um Film, oft mit Laien und immer ohne
Fördergelder, daneben macht er Werbung und Musikvideos – ein unabhängiger Popkünstler zwischen Hamburg und München, wo beim Filmfest sein neuer Film Unterwäschelügen gezeigt wurde, und er seit Anfang Juli seinen nächsten Film zu drehen begonnen hat.
Ende Mai bereits führten wir ein gewohnt offenes Gespräch über Kino, Fußball, die damals noch bevorstehende EM, und den Rest des Lebens, unplugged.
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland.
artechock: Wie geht es Dir gerade, was machst Du?
Klaus Lemke: Nee nee, so können wir nicht anfangen. Lass uns über was anderes reden. Selbstverständlich bin ich auch für Spontaneität, aber ich will mich nicht wiederholen. Die Sachen müssen wirklich neu sein, ich will die Leute unter Strom setzen, sonst hat das überhaupt keinen Sinn.
Sonst könnte ich auch in Talk-Shows gehen, da kann man einfach so dumm quatschen. Aber man muss böse sein – alles andere wäre falsche
Einschätzung der Situation.
Reden wir besser von Deinem Film übers deutsche Kino, den habe ich mir gerade vor ein paar Tagen angesehen – gratuliere! Das war hochspannend. Das hat mich wieder an meine frühen Begegnungen mit diesen Filmen erinnert.
Zum Beispiel Metropolis finde ich unsäglich bescheuert, aber Murnau toll, der Held von meinem Film 48 Stunden bis Acapulco heißt deshalb Frank Murnau. M finde ich genial. Aber nicht wegen dem Mörder oder Fritz Lang, sondern wie Gustav Gründgens darin spielt: Plötzlich brennen 1000 Kerzen in einem und man weiß nicht warum. Der ist wirklich Hollywood, das könnte »True Detective« heute sein. Das Kino war Kirmes, das war nicht
diese Veredelungstechnik, die heute stattfindet.
Der beste Moment waren diese Szenen aus Menschen am Sonntag: Das Mädchen aus Menschen am Sonntag wie sie auf der Decke liegt, und lächelt. Die ist längst tot, wie das alles tot ist, und plötzlich kommt aus der Vergangenheit dieser eine Moment – diese
Gier nach Authentizität hat mein ganzes Leben bestimmt. Wenn man irgendetwas sagen will über meine Filme, ist es diese Gier nach dem einen Moment. Wenn man irgendetwas haben will vom Kino – dieser Moment ist das Glücklichste, was man überhaupt im Film haben kann. Mit diesem Blick passiert etwas mit mir: Als würden sich gewisse Erinnerungen an mich erinnern.
artechock: Hast Du diese Filme seinerzeit in München gesehen? Du hast hier in dieser Stadt ja angefangen, Künstler zu werden...
Lemke: Ich hatte eine sehr hübsche Freundin als ich 19, 20 war und Everding war der Intendant der Kammerspiele und der mochte mich, so hatte ich es geschafft, dass ich dritter Regieassistent an den Kammerspielen wurde – ohne jede Ahnung. Und zu der Zeit kam Kortner zurück aus Hollywood, und inszenierte Büchners »Leonce und Lena« mit der Kückelmann und Boysen in der Hauptrolle. Kortner war der Star, mein Vater hat ihn als Student auf
der Bühne gesehen.
Kortner war ein richtiges Tier, so wie Fellini sich Casanova vorgestellt hat, ein rasender Knallkopf, ein vollkommen unangenehmer Mensch. Ich hab Abendregie machen müssen und in der dritten Vorstellung hat er gesehen, dass ich – es musste schnell gehen – ein Glas um einen Viertelmeter falsch hingestellt hatte, da brüllt er in der Vorstellung: »Lemke gefeuert!«
Dann später lud mich Everding zu einer Vorstellung eines 16mm-Films aus der Weimarer
Republik ein, in dem Kortner mitspielte. Everding erzählte, dass Kortner drei Freundinnen und Schulden hatte, Geld brauchte, und darum zig Filme gleichzeitig machte. An dem Abend war auch Klaus Kinski da, der ein anständiger Mensch war, und der sah plötzlich diesen Kortner, der nichts anderes macht, als pausenlos sein Gesicht auf das Unerträglichste zu verziehen. Der haute so auf den Putz, dass sich Kinski daran ein Beispiel genommen hat, sie perfektioniert und mit dieser Masche, diesem
Expressionismus zu Weltruhm gekommen ist.
Hollywood ist ein Nichtspiel, das Gegenteil, darum konnten weder Kortner und Kinski in Hollywood nichts werden.
artechock: Was siehst Du noch in den alten Filmen aus der Vorkriegszeit?
Lemke: Ich sehe da immer dass die Leute in einem Gefängnis sitzen, und da raus wollen aus dem Zwang, das Theater nachzumachen – aber die kommen nicht raus. Es endet immer wieder damit, dass so ein bescheuerter Regisseur, um sich nicht zu blamieren, alles so macht, wie es im Theater gemacht wird. Die meisten Filme sind so fest in den Griffen des Plots, das keine Luft zum Atmen bleibt. Dieser Jailbreak, der auch im Kino nach dem Krieg
drin ist.
Es ist diese Veredelungsmaschinerie: Leute mit Gefühlen zuschmieren, die weder der Schauspieler noch der Regisseur noch das Publikum hat – aber es sieht so aus, wie »Film«, man denkt es, wäre Film. Das ganze Ding ist einfach das, dass die Leute hilflose Sklaven eines rigorosen Plots werden, der dem ganzen Film jede Luft zum Atmen nimmt. Die Schauspieler stehen rum wie Requisiten und werden Textaufsager.
artechock: Heute ist Kino anders...
Lemke: Aber nicht bei uns. Das Narrative in Deutschland ist zugeschnitten auf eine ältere Generation, denen man keine modernen Erzählformen zumuten kann, sonst schalten die auch noch den Fernseher aus. Aber das moderne Narrativ ist eines, das direkt ist, wo der Autor so wenig Macht über die Figuren hat, wie später auch der Zuschauer keine Macht darüber hat, was der Film mit einem anfängt.
Der Weg ins Irrationale ist das moderne Kino.
Aber das haben wir wieder mal hemmungslos verpasst.
Eine Stimme in mir sagt mir, dass das noch zehn Jahre so weitergeht, und dann ist es aus. Da sind wir genauso doof wie die deutschen Musiker, dieser verfluchte, verpestete Dreck, der sich hier Musiker nennt. So wie die Filmregisseure, die nur für ein paar »packende Themen« Förderung kriegen, und sich an den Tropf hängen – alles eine vollkommen verrottete Situation.
Der deutsche Film ist gelähmt wie Hamlet: Durch das
untergründige Einverständnis mit dem Vater. Die nächste Regie-Generation steigt ins Grab runter, nach zwei Filmen sind sie für immer weg.
artechock: Wie war die Situation damals, als Du angefangen hast? Wenn man Dominik Grafs Film Verfluchte Liebe sieht...
Lemke: Nein, es war ganz anders: Als ich Acapulco drehte und Negresco hatten wir überhaupt nicht die geringste Hoffnung, dass das jemanden interessieren würde. Denn es gab ja noch ein echtes deutsches Kino, das blühte und ökonomisch funktionierte. Damals hatten Kinobesitzer Villen in Grünwald und Pelze. Sie waren Könige. Heute ist der deutsche Film auf der Klassenfahrt in die Toskana hängengeblieben.
artechock: Kannst Du irgendetwas mit den Filmen Deiner Kollegen von damals anfangen. Mit Werner Herzog zum Beispiel?
Lemke: Herzog ist das Letzte, der totale Witz – bis auf die Dokumentarfilme ist das unerträglich. Ich werd' verrückt, wenn ich das sehe. Also dieser Wüstenfilm mit Nicole Kidman... Merkt das niemand? Das Pferd ist tot, was er da reitet.
Na gut, auf andere Leute schimpfen ist natürlich ganz falsch. Aguirre ist phantastisch. Umwerfend. Man
weiß nicht, was der Film mit einem macht – das ist echtes Kino. Denn gegen diese geballte Irrationalität des Lebens, in dem wir leben, gibt es nur eines: Die Dinge noch etwas unerklärbarer machen, und dadurch die Leute unter Strom setzen, weil sie kaum noch verstehen, worum es geht. Denn ein Film ist auch kein Kreuzworträtsel, wo am Schluss alles zusammenpasst. So wird es aber gelehrt.
Nun sind Regisseure eh nicht die hellsten Kerzen auf der Torte. Zum Film gehen in
Deutschland Leute, die zu doof sind für Anwalt. Wo der Vater sagt: Also für BWL bist du auch etwas zu blöd, geh zum Film, da bist Du Dein Leben lang versorgt.
Film ist ein Kulturgut. In dem Moment, wo Film Kultur wird, darf der Staat eingreifen und das Ding künstlich am Leben erhalten. Film ist eine Dienstleistung, wenn es das nicht ist, ist es gar nichts.
artechock: Naja, aber es ist doch eine noch andere Dienstleistung, als Kellnern oder Kochen oder findest Du nicht?
Lemke: Digger – es geht darum, dass die Leute sich, wenn sie ins Kino gehen, hinterher ein bisschen besser zu sich passen, je besser ihnen ein Film gefällt, um so besser gefallen die sich – und das ist die Dienstleistung. Es geht doch nicht um den Film. Es geht darum, was der Film mit den Leuten macht, die zugucken.
Und seit Jahren machen deutsche Filme gar nichts mehr mit den Leuten. Das sind Filme über Filme über Filme. Es gibt
Ausnahmen: Was ich über Wild höre, ist großartig. Da gehe ich jetzt rein.
Da muss man aber schon wieder Angst haben, weil die Begeisterung plötzlich so wahnsinnig einhellig ist.
artechock: Wenn gutes Kino nichts mit Theater zu tun hat, dann vielleicht mit Musik? Ist Kino musikalisch? Musik ist Dir ja immer sehr wichtig...
Lemke: Von Gorgio Moroder bekam ich meine erste große Lehrstunde über Musik: Ich lernte ihn in München kennen, als sich noch alle noch fragten, wer ist denn dieser merkwürdige Südtiroler hier. Der wollte uns zeigen, wo es lang geht. Ich war in diesen Studios in Schwabylon, da waren die Lautsprecher so groß wie Panzer, und es gab ein unfassbar gigantisches Mischpult. Und nach der Mischung nahm er mich runter in sein Auto, legte die
Kasette ein, und sagte: »Wenn es im Autoradio nicht klingt, dann klingt es überhaupt nicht.«
Das kannst Du übertragen auf Film: Wenn ein Film nicht schon auf Handy klappt, dann auch nicht auf Riesenleinwand. Wenn du nicht gut mit 30.000 Euro erzählen kannst, dann schaffst du das auch nicht mit 3 Millionen. Denn das eigentliche beim Film hat nichts mit Geld zu tun. Das ist ja das große Wunder.
Es hat vielleicht etwas zu tun mit Größenwahn, mit Drogen, mit Erneuerung durch
Verausgabung, mit absolutem Risiko und das Wesentliche ist das Scheitern. Nur Scheitern macht kreativ.
Man kann sich nur auf seine Fehler verlassen. Und die muss man lieben und pflegen. Man muss immer das machen, was falsch ist. Denn alles was richtig ist, ist ausgelutscht, ist total vorbei.
artechock: Jetzt bald ist Fußball-EM. Ich weiß, dass Du gern Fußball anguckst... Neulich beim Championsleague-Spiel habe ich gedacht: Fußballer sind doch eigentlich wie Deine Schauspieler...
Lemke: Ja. Fußballer sind große Schauspieler. Die sind Tiere. Kluge Tiere, Instinkttiere. Und die Jungs wissen das. Worum es geht ist an verbotenen Früchten naschen. Es ist der Größenwahnsinn, und wie lange man ihn durchhält. Fußball ist eines der seltenen Dinge, die eine ganze Gesellschaft in Bann halten können.
artechock: Und Dich als Regisseur könnte man sowohl mit dem Trainer vergleichen wie mit einem Spielmacher?
Lemke: Fußball ist Galaxien weit vom Kino entfernt. Wirklich interessant sind nur die Tricks, mit denen man sich selber überrascht. Fußball ist genau die Inkarnation dieses Satzes. Das sollte auch Film sein und Musik, aber das ist es eben nicht. Wir sind am Arsch. Über Fußball zu reden, tut mir so weh, weil Fußball so richtig ist und so kommerziell und so modern ist, und wir von dieser Modernität so unfassbar weit weg sind, dass ich richtig Tränen in die Augen kriege – nein, stimmt nicht. [Lacht]
artechock: Darum gucken ja auch Leute Fußball, die sich für Kino interessieren...
Lemke: Weil sie nicht wissen, wie es ausgeht. Darum mache ich das in meinen Filmen so: Wenn die Leute da einen Satz sagen, wissen sie nie, wie er ausgeht. Das führt dann plötzlich dazu, dass die Leute im Publikum sich identifizieren, und in die Köpfe der Figuren reingehen, wie man es beim Fußball auch macht.
Und eine halbe Stunde nach dem Kino sind die Leute immer noch ein bisschen in den Köpfen drin. Man ist in dieser Leidenschaft drin.
Dann kommt die entscheidende Phase, wenn man wieder man selbst wird in der U-Bahn. Das ist das ganze Leben.
artechock: Spielt auch Angst eine Rolle?
Lemke: Wenn man da richtig dick drin ist, gibt es keine Angst. Sobald man kämpft, wenn man im Set steht, gibt es keine Angst. Angst gibt es nur, wenn man zuviel Zeit hat zum Nachdenken. Elfmeterschießen. Zuviel Nachdenken, das ist der größte Fehler im Leben. Das ist auch wie beim Fußball: Soll ich jetzt abgeben? Geht der andere nach vorne?
Die Frage ist doch immer: Wie lang halte ich das Ding am Fuß? Was macht der andere? Das ist jedesmal
eine tausendfache Entscheidung, die nur unbewusst getroffen werden kann – kein Trainer kann denen das beibringen. Denn nur die Töne wirken bei Musik, die man nur zu hören glaubt. Das ist ein Spiel der vollkommenen Imagination, wie es auch Film sein sollte, aber in Deutschland nur noch Fußball ist.
Das ist auch mit dem Siegen im Fußball so: Man ist nur so lange gut, wie man es sich eigentlich nicht erklären kann. Trotz allen Training. Nur solange man keine Erklärung hat. So
entstehen auch gute Filme. Sobald man erklären kann, was man da gerade gemacht hat, ist es schon tot.
artechock: Brecht hat gesagt, dass Sport ehrlicher ist – dass da das Publikum immer etwas für sein Gekd bekommt. Im Gegensatz zum Theater...
Lemke: Du hast im Kino nicht die Zuschauer wie im Theater. Aber der Unterschied zwischen Fußball und Theater ist der, dass man nicht weiß, wie es ausgeht. Beim Theater weiß man das nach drei Minuten. Es geht um Risiko, um sich aussetzen, für Publikum wie Spieler, um Scheitern.
Die Bayern gewinnen zwar alles, aber sie könnten auch mal richtig was auf die Fresse kriegen. Das würde auch viele befriedigen. So wie Borussia Dortmund sich aus der
Krise gezogen hat – würden das die Bayern auch schaffen? Wahrscheinlich nicht.
artechock: Du hast auch mal einen Fußballfilm gemacht...
Lemke: Aber das war eigentlich ein Fickfilm. Einer meiner schönsten Filme, 2006. Finale. Als die Deutschen da im Halbfinale verloren hatten gegen Italien, haben die Leute geweint und über Nacht ein neues Leben angefangen, das die Intensität dieses ganzen Medienwahnsinns noch in sich trug. Das war toll. Ich hab ein merkwürdiges Verhältnis zu Löw: Ein
Trainer der in die Toskana zum Urlaubmachen fährt, kann nicht dicht sein. Es gibt nichts Schlimmeres als die Toskana. Und wie er den jetzt den Stürmer Kruse fertig macht
Der Kruse ist ein Traum! Glücksspieler, Risiko, emotional. Oder Vidal.
In den Dreißiger, vierziger Jahren war Film das, was Fußball heute ist – Vidal wäre damals Filmstar gewesen. Der ist eine wunderbare Filmfigur. Weil er auch noch die Leute verarscht. Bombentyp.
artechock: Du musst es ja eigentlich gut finden, dass der Kapitalismus den Fußball im Griff hat...
Lemke: Nein, ich hab ihn mal von fern gesehen. Ich habe mal John Ford getroffen. Als ich in Venedig war, gab es eine Hommage für Ford, da war er schon schwerkrank, aber ein paar Regisseure durften ihn am Krankenbett besuchen. Da sah man ihn, wie man aussieht, wenn man sehr alt ist. Und um ihn herum lagen ganz viele unterschriebene Traveller-Checks. Wir wussten nicht, ob wir die nehmen sollten – aber wir haben uns kaum getraut, zu atmen.
artechock: Weißt du, was ich einen der interessantesten Momente im Fußball finde: Es gibt Momente, bei denen eine Mannschaft klar führt, und Du weißt: Die werden noch verlieren. Oder diese Wechselfehler: Tuchels Wechsel gegen Liverpool, oder Heynckes seinerzeit gegen Chelsea: Das waren gegnerische Tore mit Ansage. Wie erklärst du Dir sowas?
Lemke: Die Dinge laufen nur solange gut, wie sie ihre eigene Logik aus sich selbst gewinnen. Das heißt: Die beste Art, dem Leben, diesem vollkommen Irrationalen auf dem Spielfeld entgegenzutreten, ist ein Zustand freudiger Hoffnungslosigkeit. Nicht mit 3:1 denken, man hätte schon gewonnen. Nur weil man gute Kritiken hat, denkt man, man hätte einen guten Film gemacht.
Vor ein paar Wochen gegen Turin hat Bayern beschissen gespielt,
aber der Trainer von Turin hat doppelt gewechselt, und dadurch seine Leute aus dem Tritt gebracht. Auch wenn da zwei müde waren, war es kein Grund.
Aber ich glaube, das Guardiola zu cool für den ideologischen Overdrive ist, der diese Leute verdirbt.
artechock: Mir ist der Guardiola unsympathisch...
Lemke: Ich weiß nicht. Ich bin Deiner Meinung. Aber nur...
artechock: ... ich mag lieber diese Heißmacher unter den Trainern...
Lemke: Siehst Du, wie gern wir dabei wären bei diesen Leuten? Wir reden so begeistert darüber und so metaphysisch, wir sind in so einem Spannungsfeld drin, das sollte doch bei Film genauso groß sein.
Serien leisten das noch. »Mad Men« war ein Moment der kompletten Erleuchtung: Das wurde ja mal alles erfunden, was wir jetzt hinnehmen als unsere komplette Welt. Film kann nicht mehr sein als die Vorschau auf das, was es verspricht und dann
nicht halten kann. Fußball hält es.
artechock: Fußball entspricht eigentlich der klassischen Ästhetik. Das war eine Ästhetik der genialen Eingebung. Und des Eingriffs der Götter. Es geht darum, den Wurf zu haben. Nimm Michelangelo an der Sixtinischen Kapelle: »fresco« heißt eben frisch – da musst es einmal jetzt und hier machen, sonst kannst Du das Ding wieder runterklopfen...
Lemke: Genau darum gehts. Ich versuche, genau so zu filmen, so, wie eine Performance und ein Fußballspiel geht. Indem ich aufpasse, dass die Schauspieler nicht einen Satz auswendig lernen. Diese Gier nach Authentizität und dem Dämon, der dahinter steckt.
Dieser eine Moment ist das einzige, das uns das Leben erträglich macht. Nur so etwas kann uns befreien aus dem Gefängnis eines falschen Lebens. Wir leben alle ein falsches Leben, haben
wir immer getan. Aber es gibt Momente für einen Jailbreak. Das kann die Kunst sein. Als ich zum ersten Mal Prince hörte, war das ein Blick in eine andere Welt.
Dafür gibt es keine Worte – so atomar nimmt man das an, und dann geht es wieder zurück in einen selbst. Da passiert dann der schöpferische Moment. ... Naja, ich und der schöpferische Moment. [Lacht]
artechock: Das ist eben der Punkt, warum ich Guardiola nicht mag: Der versucht das, was Du beschreibst, in Gesetze zu gießen, und mit einer eisernen Methode eine perfekte Maschine zu bauen, ohne das letzte Körnchen Sand im Getriebe. Guardiola hat so ein perfektes Pertetuum Mobile im Kopf, da wird dann noch etwas geölt, und hier ein Rädchen festgezurrt, und da etwas locker und dort eine Feder ausgetauscht,
Es gibt im Augenblick eine Diskussion, ob Fußball verweiblicht und so ein Pussy-Ding wird...
Lemke: Beim FC Bayern hassen die den Guardiola alle, das kriegt man in München ganz gut mit. Aber Fußballer sind böse Tiere, die möglicherweise so behandelt werden müssen. Ich glaube, dass Guardiola im Hinterkopf die Idee hat, dass ein Spiel sich idealerweise selbst spielen sollte, wenn er sie trainiert hat. Und so muss auch Film sein: Kein Plot, sondern Spontaneität. Die Spieler werden immer mehr zu Gladiatoren und Tieren, und im
Publikum sind immer mehr Luschen.
Was alles zusammenhält, ist das Spiel. Was nicht heißt, dass da nicht auch Gedanken dahinter sind. Der Klopp sagt seinen Spielern, dass sie auch aus Niederlagen etwas ziehen können. Dem würde es nicht passieren, dass er falsch wechselt, weil er auf Instinkt hört.
artechock: Auch die Trainer sind ein Parallele zum Kino: Früher war da einer mit seinem Assistenten. Heute haben die Torwarttrainer, Fitnesstrainer der die Laktatwerte misst, Taktiktrainer, natürlich einen Psychologen, der dann Gruppensitzungen im Kreis macht. So ähnlich wird Film doch heute bei uns auch gemacht...
Lemke: Aber das muss man machen weil man ja die Fördergelder kriegt. Ich glaube auch, dass dieser Kontrollwahn Schwachsinn ist. Ich hoffe immer, dass meine Filme klüger sind, als ich. Ich stehe genau so ratlos vor jeder Stunde, die ich erlebe.
artechock: Glaubst Du eigentlich an Gott?
Lemke: Nein, aber Gott ist ein wunderbares Narrativ.