»Die Kamera lügt fortwährend. Genau dafür ist sie da!« |
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John Malkovich in Robert Schwentkes Seneca | ||
(Foto: Filmgalerie 451) |
Seneca – die Rolle des römischen Philosophen und Erziehers des Kaisers Nero – hat der in den USA lebende deutsche Autorenfilmer Robert Schwentke (Der Hauptmann) nach langjähriger Recherche seinem Hauptdarsteller John Malkovich auf den Leib geschrieben. Seneca – On the Creation of Earthquakes ist ein eigensinniger Film und alles andere als eine Geschichtslektion oder eine stoizistische Alltagsübung à la »Seneca für Manager«.
In diesem auch stilistisch überraschenden Kinowerk wird aktuelle Politik mit römischer Geschichte überschrieben. Und deutsche Schauspieler verschiedener Generationen wie Lilith Stangenberg, Wolfram Koch, Louis Hofmann treffen auf Europäer wie Geraldine Chaplin und Julian Sands.
Im Zentrum aber steht nur einer: John Malkovich, in der Titelrolle. Wir haben exklusiv mit Malkovich über diesen Film und über seine Karriere, über das Verhältnis von Theater und Kino und über den Umgang mit Alter und Vergänglichkeit gesprochen.
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland
artechock: Beginnen wir mit Seneca. Wie kamen Sie zu diesem Projekt? Regisseur Robert Schwentke hat gesagt, dass er immer Sie vor Augen hatte, als er an dieses Projekt gedacht und die Rolle geschrieben hat. Als Sie Robert Schwentke auf die Rolle angesprochen hat, gab es da schon ein Skript oder war das nur eine lose Idee?
John Malkovich: Wenn ich mich richtig erinnere, gab es schon ein Drehbuch, aber nur eine der ersten Fassungen. Ich mochte das Projekt. Es war verführerisch. Es war spektakulär und eine riesige Menge Arbeit. Nicht nur quantitativ, sondern auch von der Qualität und dem Gedankenreichtum dieses Films.
Es ist kein einfacher Film und es ist kein Projekt, das einfach zu finanzieren ist. In jeder Hinsicht schwierig.
artechock: Was hat Sie an dieser Rolle interessiert?
Malkovich: Ich habe mit Robert schon öfter zusammengearbeitet. Er ist sehr intelligent, sehr talentiert, sehr kultiviert, ich mochte seinen Film Der Hauptmann sehr.
Natürlich war klar, dass dieser Film ganz anders ist, aber ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass es da im Kern etwas sehr Interessantes gab.
Meine Art, mit
Regisseuren zu arbeiten, liegt an den Regisseuren. Es kommt darauf an, was sie wollen: Wenn sie möchten, dass ich mit ihnen über das Drehbuch rede, dass ich mir zu bestimmten Szenen und Dialogen Notizen mache, und dies mit ihnen austausche, dann mache ich das sehr gerne. Ich bin sehr froh, wenn man über ein Drehbuch so sprechen kann, dass man gemeinsam versucht herauszufinden, was da im Drehbuch drin liegt. Aber wenn Regisseure anders arbeiten, ist mir das auch recht. In diesem Fall war
es so, dass ich das Drehbuch in mehreren Fassung gelesen habe und Robert meine Eindrücke geschildert habe.
artechock: Was ist dieser Seneca-Charakter für Sie? Wir wissen, dass die historische Figur ein Philosoph war, dass er Ideen entwickelt hat, in denen es um den Umgang mit dem Tod geht. Zugleich war er – auch das zeigt der Film – auch in die Tagespolitik eingebunden: Politikberater und Redenschreiber. Ein Coach der Macht. Wie haben Sie sich dieser Figur genährt?
Malkovich: Seneca war offensichtlich ein ziemlich schlauer Mann, der ziemlich gut mit Sprache umgehen konnte. Im Drehbuch wird es so dargestellt, dass Kaiser Nero ohne seinen Einfluss noch gefährlicher und exzessiv und gestört gewesen wäre. Das wäre bestimmt auch Senecas Ausrede gewesen, wenn man ihn gefragt hätte.
Bevor wir mit der Arbeit angefangen haben, hatte ich keine besonderen Ansichten und keinen besonderen Bezug zu Seneca.
Aber wenn wir vom historischen Seneca sprechen, dann müssen wir zugeben, dass er in einer Zeit lebte, die mit unserer eigenen Epoche nichts zu tun hat – sie könnte unseren eigenen Erfahrungen nicht ferner liegen.
artechock: Ist das wirklich so? Regisseur Robert Schwentke würde ja anders argumentieren: Er sieht eine Parallele zwischen den USA unter Donald Trump und seinen Consultants zu jener Zeit von Nero...
Malkovich: [Lacht.] Jaja, ich weiß, dass Trump alle möglichen Leute um sich herum töten wollte und alle anderen ins Gefängnis sperren – vielleicht hatten seine Ratgeber mehr Erfolg als die von Seneca [lacht].
Nein im Ernst: Ich weiß, dass es gerade eine totalitäre Bewegung in der Welt gibt. Aber ich bin nicht ganz sicher, ob sie aus dieser Ecke kommt – um offen zu sein.
Ich fand es darum nicht nötig, die Figur von Nero und
Seneca zu sehr an die Situation in den USA vor einigen Jahren – während der Präsidentschaft von Donald Trump – anzuknüpfen. Ich habe, offen gesagt, den Punkt nie gesehen, die angeblichen Ähnlichkeiten zwischen Trump und Nero. Ganz offensichtlich gibt es große Unterschiede.
Aber ich mag andererseits auch einige der anachronistischen Momente, die der Film hat. Da ich vom Theater komme, ist das für mich nicht besonders ungewöhnlich. Nur im Kino ist man das nicht so
gewohnt.
artechock: Robert Schwentke hat ein sehr kritisches Bild von Seneca. Ist das auch Ihre Sichtweise?
Malkovich: Nein, ich denke ein Coach zu sein, ein Rhetoriklehrer, ist sehr gefährlich, erst recht wenn der Schüler ein Nero ist. Ich kann niemandem Lektionen erteilen. Ich denke, dass es ein Kampf für jeden Mensch ist, herauszufinden, wie sie selber sein sollten und wie sie sie selbst sein können. Man denkt da nicht an zukünftige Generationen.
artechock: Vielleicht hatten mächtige Leute schon immer solche Menschen um sich herum, wie Sie jetzt einen spielen: Opportunisten und Speichellecker, Menschen, die klüger sind, als diese Männer an der Macht. Die aber Kompromisse eingehen, sich anpassen und nicht das sagen, was sie wirklich denken. Sie machen Kompromisse für ihr eigenes Wohlergehen, für ihre Karriere, für Geld natürlich... So einen Typen spielen Sie, oder?
Malkovich: Ja, schon. Seneca ist ein Kollaborateur. Im Gegensatz zu heute, wo man vielleicht Instagram-Follower verlieren kann, oder für bestimmte Aussagen „gecancelt“ wird, konnte man damals natürlich für so etwas sofort enthauptet werden.
Ich finde darum, dass es problematisch ist, diese ganzen Vergleiche zur Gegenwart zu ziehen. Auch wenn natürlich autoritäre und totalitäre Instinkte die Menschheitsgeschichte immer
umgeben haben, und uns auch heute umgeben.
Ich habe es immer unangemessen gefunden, sich so zu benehmen, wie jene Leute, die heute finden, es sei ihre Pflicht und ihr Recht, anderen Menschen vorzuschreiben, wie sie leben sollten, was sie denken sollten, was sie tun und lassen sollten, was sie glauben sollen. Dieser Impuls geht quer durch die Geschichte und quer durch alle Lager des sogenannten »politischen Spektrums«. Dieses Spektrum ist letztlich immer ein ideologisches Spektrum.
Es ist ein Ersatz für Religion. Ich finde die Vorstellung, dass ein Mensch einem anderen sagt, wie er sein soll, wie er sich benehmen soll, wie das Leben ist, was man glauben soll, immer ein bisschen faschistisch. Das steht einem Menschen einfach nicht zu.
Ich möchte das von anderen nicht gesagt bekommen. Natürlich ist es ein Verrat an der eigenen Selbsteinschätzung und Selbstbestimmung, wenn man gesagt bekommt, wie man sich bewegen soll und wie man sich benehmen soll – was ich
damit sagen will: Man kann Ideologen und Totalitäre unter jedem Stein finden.
artechock: Wie wichtig ist Angst für diese Leute? Auch der Seneca des Films hat Angst, gleichzeitig ist er weniger feige, als die Leute um ihn herum, als seine sogenannten Freunde. In den 24 Stunden, die wir in diesem Film sehen, gibt es diese unmittelbare Bedrohung und die Furcht vor dem Tod.
Was sind Ihrer Ansicht nach die zeitlosen Fragen in diesem Film, und was sind die ganz zeitgemäßen Motive?
Malkovich: Ich glaube, das Zeitlose ist die Frage: Wann werden die Kompromisse, die man macht, zu viele? Ist es einer zu viel oder sind es 3000? Passiert es täglich oder nur am Morgen?
Für mich ist das Leben ein Kompromiss und natürlich gibt es da auch einen Anteil Korruption. Das ist ziemlich zeitlos. Das Nachdenken über solche Fragen überlässt man aber besser den Philosophen und den Theologen. Ich glaube nicht, dass normale Menschen
(„everyday people“) sich damit allzu viel auseinandersetzen sollten. Manche kümmert es sowieso nicht, andere ertragen es nicht.
Was wahrscheinlich ein Phänomen unserer Zeit und Epoche ist, ist die Plötzlichkeit und Gewissheit des Preises, den man bezahlen muss, wenn man keine Kompromisse macht.
An bestimmten Epochen und Orten der Geschichte – Lenins Sowjetunion, Pol Pots Kambodscha und Hitlers Deutschland – hatte jedes Wort potentiell eine tödliche
Konsequenz. Das ist ganz das Gegenteil zu unserer Gegenwart, in der es sehr viel Blablabla gibt. Mit den sozialen Medien wird alles erweitert und verbreitert, aber das ist eine Erweiterung in die Folgenlosigkeit.
Also: Es gibt in diesem Film Ähnlichkeiten zur Gegenwart, wie auch große Unterschiede.
artechock: Sie haben jetzt von Politik gesprochen. Gibt es auch Ähnlichkeiten zur Kunstwelt? Seneca war auch ein Künstler, er hat Stücke geschrieben, und Sie sind ein Künstler. Ich weiß nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass Sie manchmal mit sehr autoritären Personen zu tun hatten, mit toxischen Charakteren... War das so?
Malkovich: Nun ich hatte ein paar sehr wenige Kollegen in meinem Leben, die ich vielleicht „toxisch“ nennen würde. Jedenfalls waren sie unangenehm oder, noch höflicher gesagt: nicht sehr ideale Kollegen.
Ich habe das in der Regel versucht, zu vermeiden. Meine Biografie als Künstler war im Großen und Ganzen sehr glücklich. Aus den wenigen Momenten, in denen ich es nicht vermeiden konnte, folgte zumindest, dass ich mit diesen
Leuten nicht wieder zusammenarbeite.
Im Großen und Ganzen hatte ich großartige Kollegen, und habe dies auch gegenwärtig.
artechock: Sie sind in diesem Film in fast jeder Szene zu sehen. Als Schauspieler mit so viel Präsenz – wie dosieren Sie ihren Ausdruck, wie variieren Sie?
Malkovich: Jede Szene ist anders und jede Kameraeinstellung ist anders. Jede Aufnahme enthält etwas Neues, abhängig von der Linse und von dem, was der Kameramann macht. Ich denke von Szene zu Szene, von Einstellung zur Einstellung. Es ist sehr sehr schwierig, als Schauspieler im Film die Kontinuität im Auge zu behalten. Man muss sich auf den Moment konzentrieren. Ich glaube, dass es vor allem der Job des Regisseurs ist, darauf zu achten. Mein Job ist es, aus jeder Szene das Beste herauszuholen und in jeder Einstellung in jedem Moment präsent zu sein.
artechock: Praktische Frage: Sie haben so viel Text in diesem Film. Wie lange haben Sie sich damit beschäftigt, die ganzen Texte zu lernen?
Malkovich: Wenn wir die ganzen verschiedenen Drehbuchfassungen mal weglassen und die Besprechungen über das Drehbuch, dann hat es vielleicht vier Monate gedauert. Zwei Monate allein, um den Text einfach zu lernen, denn es sind ungefähr 90 Seiten Monologe. Dann die verschiedenen Vorbereitungen. Und natürlich habe ich am Dreh auch Hilfe gebraucht.
artechock: Sie machen sehr viel Theater. Zugleich sind Sie eine Persönlichkeit des Filmbusiness. Gibt es Ihrer Ansicht nach einen großen Unterschied zwischen den beiden Welten?
Malkovich: Yeah! Das Theater ist ein lebendiges Ding. Es ist durchlässig und organisch, es pulsiert. Alle Theaterstücke, in jedem Fall alle guten Stücke haben eines gemeinsam: Präsenz. Das betrifft auch das Publikum. Es erlebt eine Inszenierung im Hier und Jetzt.
Beim Kino ist das naturgemäß ganz anders: Man sieht den Film irgendwann. In gewisser Weise lebt er nicht und ist unorganisch. Kino ist eine Plastikkunst. Es ist etwas
Gemachtes.
Es geht darum, den Zufall und Instinkt auszuschließen, das Ephemere.
Für mich sind Kino und Theater nicht einmal entfernte Verwandte, nicht einmal Cousins. Bei beidem gibt es einen Set, ein Drehbuch und Schauspieler, aber die Erfahrung ist eine vollkommen andere.
artechock: Das klingt, als würden Sie das Theater bevorzugen. Was macht für Sie das Kino interessant?
Malkovich: Das möchte ich so gar nicht sagen! Ich bevorzuge nicht das Theater. Nur sind beide Kunstformen komplett verschieden.
Ich erinnere mich, dass ich, als ich anfing Filme zu machen, immer gesagt bekommen habe: »Die Kamera lügt nicht.« Mit der Zeit habe ich irgendwann herausgefunden, dass sie genau das tut. Die Kamera lügt fortwährend. Genau dafür ist sie da. Die Möglichkeit dieser Art von Lüge gibt es im Theater überhaupt
nicht.
Es sind beides Formen der Kreativität. Das Theater hat seine Grenzen, das Kino hat auch seine Grenzen. Darum würde ich niemals sagen, dass ich eine Präferenz habe. Aber ich bin in dem einen Kunstmedium aufgewachsen und praktisch ausgebildet worden. In das andere bin ich als erwachsener Mann hineingekommen.
Das Filmschauspiel habe ich mit der Zeit gelernt, während ich es praktiziert habe. Ich habe gelernt, das zu mögen, was die Filme machen, was das verlangt oder
fordert von uns.
Ich hatte großartige Zeiten sowohl beim Film, wie beim Theater, aber sie sind beide sehr verschiedene Kunstformen.
artechock: Haben Sie das Gefühl, über die Kunst gegen die Vergänglichkeit und den Tod anzukämpfen? Seneca ist ja ein Film über Vergänglichkeit und die Kunst des Sterbens, und darüber, wie Menschen mit ihrem eigenen Sterben umgehen … Man könnte sagen: Filme bewahren Ihr Aussehen und Ihre Jugend für immer. Und in 100 Jahren werden Menschen einen Film mit John Malkovich ansehen können. Ein Theaterstück nicht. Sie sind ewig durch das Kino. Auf der anderen Seite fühlen Sie sich möglicherweise lebendiger, wenn Sie vor Publikum auf einer Bühne stehen und jetzt und hier auftreten...
Malkovich: Ich würde sagen, diese Beschreibung ist akkurat. Aber ich würde auch sagen, dass ich nicht jemand bin, dem es wichtig ist, dass man sich an mich erinnert.
Ich habe sicherlich kein bewusstes Bedürfnis danach – und ich finde es ein bisschen absurd, auch nur darüber zu reden – irgendeine Art von Erbe für die Nachwelt oder etwas Ähnliches zu hinterlassen.
Aber ja: Auf dem Theater tut man genau das, was man gerade in
diesem Moment tut und was man nicht verändern kann. Etwas, das nicht in irgendeiner Form im Nachhinein in etwas anderes ummontiert wird – sondern es ist etwas, das einfach in der Erinnerung des Publikums existiert oder eben überhaupt nicht. Und selbst das, was in der Erinnerung existiert, wird vielleicht falsch erinnert.
Jeder kreative Ausdruck ist, wenn schon nicht auf dem Tod basierend und vom Tode besessen, so doch sich zumindest des Todes bewusst. Das Ende wird kommen, egal
ob wir das nun mögen oder nicht.
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich mir jemals nicht des eigenen Todes bewusst gewesen bin, und des Vergehens der Zeit.
Wenn wir jung sind, sind wir ziemlich vergesslich. Aber je älter wir werden, umso mehr sind wir uns das Vergehens der Zeit bewusst und der immer weniger Zeit, die uns noch bleibt. So sollte es auch sein, denke ich.
artechock: Wie geht es Ihnen, wenn Sie einen sehr alten Film sehen? Nehmen wir zum Beispiel einen Film von der Stummfilm-Diva Louise Brooks. Darin sehen Sie dann viele junge Menschen, die heute längst gestorben sind oder in jedem Fall uralt. All das, was Sie da sehen, wird niemals wieder existieren. Das heißt, Sie sehen dort ganz unmittelbar auch das Vergehen der Zeit. Berührt Sie das?
Malkovich: Auf alle Fälle! Es ist berührend, aber nicht meinetwegen, sondern ihretwegen, wegen der Menschen, die wir dort auf der Leinwand sehen.
Aber so ist das Leben: Die Welt stirbt fortwährend und fortwährend wird irgendetwas neugeboren. Nichts bleibt für immer.
artechock: Sie sind also auf Ihre Art ein Stoiker?
Malkovich: Ja. Aber ähnlich wie bei Seneca ist das vielleicht etwas leichter gesagt als getan. Ich muss jetzt auch an Beckett denken, bei dem heißt es: »Du bist auf der Erde. Dagegen gibt es keine Medizin.«
Ich habe darüber neulich mit meiner Frau gesprochen Wir haben jetzt ein kleines Enkelkind. Und zum ersten Mal habe ich in der letzten Zeit gedacht: »Oh shit! Ich wäre gerne zehn Jahre jünger oder wenigstens fünf Jahre jünger –
nicht unbedingt wegen irgendetwas, was ich selbst bisher nicht getan hätte und gerne noch tun würde, sondern um unser Enkelkind ein bisschen älter zu erleben. Und in unserem Fall wird das wahrscheinlich nicht passieren. Aber auch hier gilt: So ist das Leben. Aber vielleicht klappt es …«
artechock: Sehen Sie sich eigentlich ab und zu Ihre eigenen früheren Filme an?
Malkovich: Nein, nie!
artechock: Sie haben also keine sentimentalen Gefühle sich selbst gegenüber?
Malkovich: Nein. Das ist mal sicher. Wenn mich Freunde fragen, warum ich bei den Filmen, bei denen ich mitspiele, nicht Regie führe, dann antworte ich immer: Das würde bedeuten, dass der Schauspieler, den ich am wenigsten mag, für den Regisseur arbeiten würde, den ich am wenigsten mag.
Es ist nicht so, dass ich das nicht ansehen könnte. Bei dem Film Seneca habe ich mir schon ein paar Sachen angeschaut, weil es wichtig war, mit dem Regisseur Robert Schwentke über die Art zu reden, wie wir die Rolle angehen. Aber das Meiste sehe ich wirklich nicht.
artechock: In diesem Film haben Sie mit vielen deutschen Schauspielern zusammengearbeitet. Sie müssen auf sehr verschiedene Arten spielen. Manche von ihnen haben sehr viel Bühnenerfahrung.
Was hat Sie daran besonders überrascht und vielleicht beeindruckt?
Malkovich: Eine der eindrucksvollsten Eigenschaften an ihnen ist ihre körperliche Präsenz und die Verkörperlichung von Dingen und Gefühlen und Gedanken. Sie sind sehr körperlich. Das ist fantastisch.
Ich war viele Jahre lang Mitglied einer Theaterkompanie, die seltsam genug einen deutschen Namen hatte: »The Steppenwolf«. Das war auch ein sehr physisches Theater. Aber wie die Deutschen an einem körperlichen Ausdruck arbeiten,
ist besonders und etwas, das ich ausgezeichnet fand.
Sie hatten es bestimmt nicht leicht, weil ich in meiner Rolle sehr lange Monologe hatte und tagelang vor mich hin gebrabbelt habe – und sie mussten zuhören und die Wirkung der Worte in ihrem Ausdruck spiegeln. Für mich wäre das der Traumjob, weil ich relativ faul bin. Aber ich denke nicht, dass das besonders einfach ist. Und sie waren wunderbar. Diejenige, mit der ich vor allem zusammen gespielt habe, und die meiste Interaktion
hatte, war Lilith Stangenberg. Ich denke, sie ist absolut fantastisch. So smart und schnell und instinktiv und lustig und schlau und originell. Sie ist frei. Sie ist eine Wild Card.
Einer, den ich früher sehr bewundert habe, ist der leider verstorbene große Volker Spengler. Das war die lustigste Person, die ich je gekannt habe. Er hat mich jeden Tag sehr zum Lachen gebracht.
artechock: Haben Sie Ihre Film-Ehefrau Lilith Stangenberg oder Volker Spengler je auf der Volksbühne gesehen?
Malkovich: Nein, leider nicht.
artechock: Sind Sie nun mit dem fertigen Film zufrieden? Entspricht er jetzt Ihren Vorstellungen?
Malkovich: Ja sehr. Es ist aber nicht wichtig, was ich mir vorstelle. Auch das Drehbuch ist nicht wichtig. Wie gesagt gab es mehrere Fassungen, es ist dazu da, immer wieder geändert zu werden.
Es gibt den Film, den man sich vorstellt; es gibt den Film, den man schreibt; es gibt den Film, den man dreht. Aber der einzige Film, der dann wirklich existiert und zählt, das ist der Film, den man schneidet. Alles andere bedeutet überhaupt nichts.
Insofern kann man einen Film immer erst dann beurteilen, wenn er fertig ist.