01.10.1998

»There is no beauty without the wound«

Im Atelier
Love is the Devil

Ein Gespräch mit John Maybury zu Love is the Devil

Love Is the Devil: Study for a Portrait of Francis Bacon ist das Spielfilm-Debüt von Regisseur und Dreh­buch­autor John Maybury (40), der in den 70er Jahren begann, Filme über die Londoner Punk-Szene zu drehen und seither eine Reihe expe­ri­men­teller Arbeiten fertig­ge­stellt hat. Außerdem führte er bei Musik­vi­deos Regie.

Interview und Über­set­zung: Nadine Lange

artechock: Wie kam es zu Love is the Devil?

John Maybury: Die BBC hat mich angerufen und gefragt, ob ich einen Film über Francis Bacon machen möchte. Und ich habe gesagt: Ja, natürlich. Aller­dings wollten sie einen biogra­phi­schen Film. Das hat zunächst dazu geführt, daß ich das Projekt doch zurück­wies. Denn ich wollte etwas anderes: Meine Lieb­lings­bilder von Bacon sind die von George Dyer. Sie sind voller Leiden­schaft und Schönheit. Mich inter­es­sierte diese eine, besondere Beziehung zwischen den beiden, weil sie fast eine arche­ty­pi­sche Beziehung zwischen einem Künstler und seinem Model darstellt. Außerdem inter­es­sierte mich George als Charakter, denn vieles, was ich in ihm sah, erkannte ich in mir wieder.

artechock: Was hat Sie an der Beziehung zwischen Bacon und Dyer inter­es­siert?

Maybury: Das Inter­es­sante daran ist, daß sexuell gesehen Bacon ein Masochist ist und Dyer ein Sadist, psycho­lo­gisch ist es aber genau umgekehrt. Es ist der Konflikt zwischen körper­lich und geistig völlig verschieden Verhält­nissen. Ich war selber in sado-maso­chis­ti­schen Bezie­hungen und meist ist es so, daß der Masochist immer die Kontrolle hat.
Klasse spielt ebenfalls eine wichtige Rolle: Die Ober­schicht und die Arbei­ter­klasse hatten in England immer eine sexuelle Anzie­hungs­kraft aufein­ander und in gewisser Weise ähneln sie sich auch.

artechock: Wie sahen die Recher­chen aus?

Maybury: Wir haben zuerst die Rechte an Daniel Farsons Buch „The Gilded Gutter Life of Francis Bacon“ gekauft. Dann bin ich mit Daniel rumge­zogen: Wir gingen in Bacons Lieb­lingsbar „The Colony Room“, trafen andere Freunde des Malers und haben uns oft sehr betrunken. Natürlich habe ich auch alles über Bacon gelesen, was ich bekommen konnte, alle Doku­men­ta­tionen über ihn gesehen und Radio­auf­nahmen aus den 60er und 70er Jahren angehört.

artechock: Sie haben viel mit Derek Jarman zusam­men­ge­ar­beitet. Inwiefern hat er Sie beein­flußt?

Maybury: Ich habe an seinen Filmen Jubilee von 1977 und The Last of England mitge­ar­beitet und die Ausstat­tung von War Requiem über­nommen. Sein Einfluß auf mich war nicht so sehr auf meine Arbeit bezogen, sondern auf mein privates Leben und meinen Geist. Faule Jour­na­listen behaupten, Sachen von mir sehen aus wie Jarman-Filme. Das ist genauso simpel und dumm wie zu sagen, Jarman-Filme sehen aus wie Greenaway-Filme. Für mich war Derek ein Lehrer und ein Freund – niemals mein Liebhaber. Wir haben mal versucht, mitein­ander zu schlafen, aber das hat nicht funk­tio­niert. Er war ein wunder­voller und wichtiger Mann in meinem Leben und ich vermisse ihn.

artechock: Sind die State­ments von Bacon, die über einige Szenen des Films gelegt wurden, Original-Zitate?

Maybury: Nein, die Nach­laß­ver­walter von Francis Bacon drohten, mich zu verklagen, wenn seine Worte im Film vorge­kommen wären und erlaubten auch nicht, daß irgend­eines seiner Bilder gezeigt würde. In Daniel Farsons Buch waren aller­dings Zitate, die ich verwenden durfte. Auf der anderen Seite para­phra­sierte ich Bacon oder schrieb Dinge, die er gesagt hat, in meiner Sprache um.

artechock: »There is no beauty without the wound.« Was bedeutet das für Sie?

Maybury: Was Bacons Bilder so schön macht ist, daß er die Qual und den Kampf des Lebens porträ­tiert. Er hat einmal gesagt, er wolle einen schrei­enden Mund malen, der aussieht wie ein Sonnen­un­ter­gang von Monet. Ich denke, Schwule und Lesben verstehen dieses Zitat, denn in gewisser Weise sind unsere Leben verwundet. Sie enthalten aber auch große Kraft und viel Poesie.

artechock: Teilweise erinnert Ihre Film­sprache an Bacons Art zu malen. Wie haben Sie das gemacht?

Maybury: Ich entschied mich, keine groß­ar­tigen Special-Effects benutzen. Das wäre sehr einfach und schäbig gewesen. Ich wollte tradi­tio­nelle, altmo­di­sche Techniken verwenden. Es sollte pures Kino sein. So haben wir z.B. durch einen Aschen­be­cher oder ein Glas gefilmt oder verrückte Linsen benutzt, die einen Teil des Bildes unscharf machen. Eigent­lich war Francis Bacon der Art-Director des Films, denn seine Bilder sagten mir, wie ich zu drehen hatte: Die Klaus­tro­phobie, die Farbig­keit und die Verzer­rung liegt in seinen Gemälden.

artechock: Francis Bacon wird von Derek Jacobi gespielt. Warum fiel die Wahl auf ihn?

Maybury: Zuerst hatte ich Malcom McDowell als Bacon vorge­sehen. Ich hatte die Vorstel­lung, daß Alex DeLarge aus A Clockwork Orange und der anar­chis­ti­sche Teenager, den er in If... spielt, zusam­men­ge­nommen Francis Bacon ergeben könnten. McDowell sagte zu, doch kurz vor Vertrags­un­ter­zeich­nung stieg er plötzlich aus. Ich weiß bis heute nicht warum. Mein Agent schlug dann Derek Jacobi vor, aber ich dachte, er ist viel zu wichtig, viel zu großartig. Trotzdem schickte ich ihm das Skript, und es gefiel ihm sehr gut. Also nahm er die Rolle an. Es ist bemer­kens­wert, wie sehr Jacobi im Film Bacon ähnelt, zumal er in Wirk­lich­keit überhaupt nicht so aussieht. So hat er zum Beispiel Bacons Körper­sprache perfekt rüber­ge­bracht.

artechock: Wie kamen Daniel Craig und Tilda Swinton ins Team?

Maybury: Tilda ist eine alte Freundin von mir. Sie hat in meinem letzten Film mitge­spielt und war auch 1992 bei Man To Man dabei, in dem sie eine Frau spielt, die als Mann lebt. Auf Daniel Craig kam ich, als ich mir Sachen von Malcom McDowell ansah: Er trat in der TV-Serie „Our Friends From The North“ auf, und in jeder Szene, in der er zu sehen war, schaute ich ständig nur auf den anderen Mann neben ihm. Das war Daniel Craig. Von Anfang an war klar, daß mir der Darsteller von George Dyer gefallen mußte. Ich mußte ihn sexy finden. Und er ist sexy. Ich habe die ganze Zeit wie verrückt mit ihm geflirtet. Und ich habe ihn gewarnt: Es kann passieren, daß du zu einer schwulen Ikone wirst. Er antwor­tete: Das ist mir recht. Zur Zeit ist er übrigens mit der deutschen Schau­spie­lerin Heike Makatsch zusammen.

artechock: Haben Sie unter­schied­liche Reak­tionen von homo­se­xu­ellen und hete­ro­se­xu­ellen Zuschau­erInnen auf Love is the Devil bekommen?

Maybury: Bis jetzt noch nicht. Ich glaube, jeder, der schon mal in einer Beziehung war, kann Teile der Geschichte wieder­erkennen. Natürlich hoffe ich, daß der Film Schwule und Lesben anzieht, aber ich möchte auch, daß Heteros ihn sehen. Dies ist mein erster Versuch, mich zum konven­tio­nellen Kino hinzu­be­wegen und eine möglichst großes Publikum anzu­spre­chen. Meine früheren Filme waren ja fast außschließ­lich an schwul­les­bi­sche Zuschau­erInnen gerichtet. In Zukunft möchte ich auch wieder Filme für dieses Publikum machen, denn es ist mein Publikum. Ander­seits will ich mich nicht begrenzen. Selbst­be­schrän­kung sehe ich als ein Haupt­pro­blem schwul­les­bi­schen Kinos. Wir leben schließ­lich in dieser Welt und nicht auf einer süßen, kleinen, glück­li­chen Regen­bogen-Insel. Was mich besonders in England am schwul­les­bi­schen Filmen deprimiet ist, daß soviel verleugnet wird. AIDS war zum Beispiel in den letzten Jahren meine Realität; ich habe so viele Freunde verloren. Da kann ich doch nicht so tun, als wäre alles wunderbar und glücklich.