20.04.2006

»Sterben kann man jeden Tag!«

Jeanne Moreau in DIE ZEIT DIE BLEIBT
Jeanne Moreau in Die Zeit die bleibt

Jeanne Moreau über die Filme ihres Lebens, Europa und über ihren neuen Film: Die Zeit die bleibt

Eine hypno­ti­sche Erschei­nung: Strahlend, auch wenn sie nicht lächelt, das starke Kinn nach vorn geschoben, dazu die berühmten Mund­winkel, die Verach­tung ebenso ausdrü­cken können wie Ironie. Egal wo man sie sieht, steht Jeanne Moreau im Zentrum. 78 Jahre alt ist sie mitt­ler­weile, eine Kinoikone, die seit 1940 mit Antonioni, Buñuel, Welles, Malle, Truffaut, Fass­binder und vielen mehr gear­beitet hat. Noch immer dreht sie Filme, ihr neuester, Die Zeit die bleibt (Le temps qui reste) von François Ozon kommt nun auch ins deutsche Kino. Und sie ist unterwegs. Zwischen Tokio und New York machte sie in der vergan­genen Woche in Istanbul Station, um auf dem dortigen Film­fes­tival eine fran­zö­si­sche Filmschau zu präsen­tieren – und ihren neuesten Film.

Mit Jeanne Moreau sprach Rüdiger Suchsland

artechock: Sie haben viele große Filme gemacht, auch Ihr letzter, Le temps qui reste, von François Ozon ist hervor­ra­gend. Wenn Sie François Ozon mit den vielen großen Regis­seuren verglei­chen, mit denen Sie gear­beitet haben – was ist seine Stärke?

Jeanne Moreau: Ich vergleiche niemals! Das tue ich nie.

artechock: Warum nicht?

Moreau: Weil es nicht meiner Haltung entspricht. Es ist nicht inter­es­sant, Resultate zu verglei­chen. Jeder Mensch ist total anders. Meine Entschei­dung dafür, mit Ozon zu arbeiten, ist natürlich subjektiv; sie hat etwas mit meiner Liebe zum Kino zu tun. Ich mag seine Filme, ich mag seinen Blick auf die Dinge, die Art wie er das Leben beschreibt, Emotionen und Bezie­hungen. Er hat einen Sinn für Humor; er ist sehr freund­lich und sein Verhältnis zu Leben und Tod sehr obsessiv. Das ist für mich faszi­nie­rend – denn Kino ist Kunst, es handelt, wie jede Kunst, von exis­ten­ti­ellen Fragen. Leichte Themen, einfache Gespräche führt es doch zu den tiefen Fragen, die wir an uns selbst stellen. Daher habe ich viel gelernt.

artechock: Sie lernen immer noch? Ist das Ihre Form jung zu bleiben?

Moreau: Es ist weniger eine Frage, jung zu bleiben, als wirklich zu leben! Leben zu bleiben ist, was zählt.

artechock: Trotzdem verändert sich viel. Haben heutige Filme noch Ähnlich­keit mit denje­nigen aus der Zeit, als Sie begonnen haben?

Moreau: Wenn wir heutige Filme sehen, sehen wir nicht mehr unsere Träume. Wir sehen unsere Welt, uns selbst. Und wir sehen Filme heute auch ganz anders. Denken Sie an Antonioni, Orson Welles – sie handelten von Obsession. Es geht immer um Aufstieg und Fall: Je ehrgei­ziger man ist, je mehr man wachsen möchte, je mehr man besitzen möchte, desto so tiefer ist man verdammt.

artechock: Aber auch eine Schau­spie­lerin hat ja Ehrgeiz...

Moreau: Wenn man ein inneres Leben hat und nicht nach äußerem Reichtum strebt, dann gilt: Was auch immer passiert, es macht einen größer. Aber nach der Depres­sion und nach dem Krieg wollte man im Kino auch in äußere Fanta­sie­welten flüchten, man wollte diese Filme mit Ginger Rogers und später Doris Day – nebenbei, das wird Sie über­ra­schen: Francois Truffaut fand Doris Day ganz toll, er hat sie angebetet. Auch seine Filme handelten von inneren Welten. Heute ist alles direkter, und wir inter­es­sieren uns für Tatsachen, für Infor­ma­tionen. Was bei alldem eigent­lich das Erstaun­liche ist, ist das wir noch nicht weiter gekommen sind. Immer noch redet man über Europa – wie absurd! Wir sind hier ins Istanbul, eine Wiege Europas, aber man redet darüber, ob die Türkei ein Mitglied Europas werden darf. Das finde ich sehr borniert, denn wenn man hier ist, ist jedem sofort klar, dass dies auch Europa ist. Es ist sehr traurig, wie enorm Frem­den­feind­lich­keit, Ignoranz und Natio­na­lismus wieder zuge­nommen haben, auch in Frank­reich natürlich. Wir sollten die Nationen vergessen, und endlich zugeben: Wir sind Europa, was denn sonst?
Es gibt keine Grenzen mehr, für das Kino gilt das auch. Es dreht sich um die Welt, in der wir leben, die ganze Welt, ohne Grenzen. Einer, der dem schon ziemlich früh nahe kam, war Louis Malle. Darum haben ihn die Franzosen nicht so gern gemocht. Heute sieht man ihn mit den Augen des 21. Jahr­hun­derts, darum merkt man, dass er kein Roman­tiker war, sondern falsche Romantik zerstört hat.

artechock: Kommen wir noch mal auf Le temps qui reste. Fiel es Ihnen leicht in einem Film zu spielen, der sich um den Tod dreht?

Moreau: Nein, überhaupt nicht. Aber darüber möchte ich eigent­lich nicht sprechen. Sie können sich vorstellen, dass mich das jeder im Zusam­men­hang mit diesem Film fragt. Das Leben ist ein Schatz, natürlich. Aber der Tod hat nichts mit dem Alter zu tun. Sterben kann man jeden Tag.