»Es war nicht so, dass wir richtig wussten, was wir da tun« |
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Phoenix heißt der neue Film von Petzold. Wie (fast) immer mit Nina Hoss | ||
(Foto: Christian Schulz · Schrammfilm) |
»Ich war schon einmal in San Sebastián« erzählt Christian Petzold, »1977, mit 17 Jahren, da habe ich hier auf dem Bahnhof übernachtet.« Auf der Zugfahrt nach Portugal, wo er als junger Linker das Land der Nelkenrevolution besuchen wollte, schlenderte er damals durch die Straßen: »Ich hab die tollen alten Häuser gesehen und mir gedacht: So etwas wirst Du Dir nie leisten können. Und jetzt bin ich hier – aber ich bezahle es ja nicht.« meint er und lacht. Ein wenig, glaubt man zu spüren, wundert Petzold sich selbst über die Merkwürdigkeiten und Wendungen, die das Leben parat hält, und von denen er auch in seinen Filmen wie Yella oder zuletzt Barbara immer wieder erzählt. Gerade eben war er im modernistischen »Kursaal«, dem direkt am Meer gelegenen Zentrums des Internationalen Filmfestivals über den roten Teppich gegangen – im ausverkauften Saal hatten dann die 1400 Zuschauer dem Berliner Regisseur tosend applaudiert; schon vor Filmbeginn ist das baskische Publikum wohlwollend.
Jetzt läuft der Film und währenddessen sitzen wir in einem alten Café direkt gegenüber und haben eine gute Stunde Zeit zu reden. Frische Seeluft durchweht die Straßen, die Sonne geht unter und die runden Tische sind gut gefüllt. Das Leben in San Sebastián pulsiert. Petzold raucht, trinkt Cola, und spricht über die modernistische Architektur des kantigen Gebäudes: »Ein toller Raum, erkennbar von Mies van der Rohe inspiriert. Das ist das Deutschland, das wir vertrieben und vergessen haben.« Davon erzähle sein Film. »Genau wie von Audi, die hier Sponsor sind und in deren Limousinen wir Regisseure vorgefahren werden. Das Wirtschaftswunder aus dem Audi entstand, nimmt in der Zeit seinen Anfang.«
Phoenix ist ein historischer Film, in dessen Zentrum die von Nina Hoss berauschend gespielte Nelly steht, eine Überlebende aus den deutschen Lagern, die traumatisiert zurückkommt, und erst langsam wieder ins Leben findet. Dies ist aber auch eine universale Geschichte über Identität und Liebesverrat
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland.
artechock: Es gibt viele deutsche Filme, die sich mit der NS-Zeit und der unmittelbaren Nachkriegszeit befassen, aber wenige, die anständig damit umgehen. Welche waren Dir für Phoenix besonders wichtig?
Christian Petzold: Die Mörder sind unter uns war so ein Film, der mich schwer beeindruckt hat und Peter Lorres Der Verlorene. Beide Filme haben gezeigt: Eine notwendige Form von Kino war nicht möglich. Stattdessen gab es dann Komödien mit Walter Giller, es gab
Heimatfilme statt Heimkehrerfilme.
In ganz vielen Filmen kann man sehen, dass die Nazi-Gespenster da weiterhin auftauchen. Wenn man an Falsche Bewegung von Wenders denkt oder selbst May Spills Zur Sache, Schätzchen – da merkt man, wie verknöchert die Welt ist. Das sieht ja aus wie der
„Phoenix-Club“ in meinem Film. Man muss tanzen, sich lockern, aber kann es nicht richtig – ist noch zuviel Zackiges in den Knochen drin.
Es begann eigentlich erst um 1980 als Harun Farocki und Hartmut Bitomsky Filme machten wie Bilder der Welt und Inschrift des Krieges, oder Deutschlandbilder von Bitomsky. Das hängt bestimmt mit Theweleit „Männerphantasien“ zusammen, dass man plötzlich überhaupt mal das ganze Rhizom wie die es damals nannten – Nationalsozialismus, Faschismus, Freikorps, verlorene Revolution 1918, Kleinbürgerherrschaft, AfD – mal im Zusammenhang sag und mal andere Bilder und andere Erzählungen bekam. Und trotzdem gibt es keine Geschichten über Heimkehrer.
artechock: Mit Heimkehrfilmen meinst Du die Opfer und Emigranten?
Petzold: Ja, Filme über heimkehrende Soldaten und Kriegsgefangene gab es natürlich. Aber die Überlebenden bekamen kein Wort des Trostes. Deshalb war Shoah so ein Schock und selbst die Serie Holocaust. Andere Länder haben ihr eigenes verwundetes und schuldiges Land betrachtet, und haben daraus andere Bilder gewonnen, wie
Italien.
Literatur, Kino, kollektive Erinnerung ist immer eine Erzählung des Nach-Hause-Kommen-Könnens, wie die Odyssee – Odysseus braucht zehn Jahre, um nach Hause kommen zu können – so etwas gibt es in Deutschland ganz wenig. Es gab keine echte Bewegung, die im Kino danach fragt: Wo leben wir? Wo kommen wir her? Was haben wir getan? Was haben wir anderen angetan? Diese Fragen sind im Kino nicht behandelt worden – nur unter der Oberfläche.
artechock: Es gibt im Film ein Täter-Opfer-Spiel, das sich im Laufe des Films umkehrt....
Petzold: Viele Dinge waren im Plot, in der Blaupause geschrieben, aber gar nicht reflektiert, sondern mehr geahnt. Das ist erst durch die Arbeit mit den Schauspieler zum Ausdruck gekommen. Die Nina Hoss hat irgendwann gesagt: Kriege ich nicht auch die Fäden in der Hand? Ist das nicht auch eine Obsession? Lass ich nicht auch den Johnny tanzen?
Den Schauspielern ist auch aufgefallen, dass der Keller, indem ein Großteil der Handlung spielt, auch ein Pina-Bausch-Tanzlokal ist. Dass sie sie die Schuhe anzieht wie Aschenputtel-Schuhe. Dass sie lächelnd an ihm vorbei geht, dass wir den Vorhang aufgehängt haben, durch den sie da eine Art Bühnenauftritt hat. Diese komische Musicaltreppe, die ist wie in amerikanischen Musicals, wo jemand durch die Treppe eine Körperlichkeit bekommt, einen Schwung in den Raum
rein. Die war zufällig da, aber ganz zufällig war es eben nicht. Sondern unbewusst.
Es war nicht so, dass wir richtig wussten, was wir da tun.
Nach Barbara brauchte ich Schauspieler mit denen ich etwas unternehmen konnte, wie eine Reise, bei der wir noch nicht wussten, wo es hingeht. Ich wusste nicht genau, wie ich die Balance halten konnte. Ich war auch wesentlich angespannter als jemals bei Dreharbeiten zuvor. Ich habe noch nie einen Dreh gehabt, bei der ich immer so wie hier nach der letzten Klappe gleich nach
Hause fuhr, und wie haben auch nicht mehr miteinander telefoniert – aber nicht, weil wir uns nicht mehr leiden konnten, sondern weil wir fertig waren und uns sammeln mussten.
Das hängt auch damit zusammen, aber auch damit, dass wir diesen Tanz auch erhalten mussten. Das war ein Balancieren...
artechock: Du hast Szenen des Dreh-Buches gestrichen...
Petzold: Ja, da sind ja Szenen rausgeflogen, dass kann man sich gar nicht vorstellen – wir haben gejubelt, als wir die geschrieben haben. Zum Beispiel: Es gab so eine Szene, da diktiert er ihr den Brief, den er dann später den Freunden zeigt, in dem sie ihre Rückkehr ankündigt. Wo sie in dem Brief »Ich« sagt. Also: Er diktiert ihr einen Liebesbrief von sich an sich selber – sie muss den schreiben. Harun und ich fanden das grandios.
Als wir das gedreht haben, war dieser Brief sinnlos, es war nicht mehr nötig. Nach all dem, was vorher passiert ist, war dieser Brief schon überflüssig.
Der Dreh dieser Szene hat aber zwei Tage gedauert.
artechock: Habt ihr chronologisch gedreht?
Petzold: Wir haben fast alles chronologisch gedreht. Es gab nur wenige Sachen, wo das nicht ging. Das wäre auch gar nicht anders gegangen, weil wir nicht wussten, wohin die Reise geht. Wir waren ja zusammen auf einer Reise
Im Presseheft beschreibe ich eine Szene des ersten Drehtags, die wir dann auch weggeschmissen haben: Eine ganz tolle Szene: Der Todesmarsch von Auschwitz ging ja durch so Wälder hindurch und da lagen überall Leichen.
Von der Shoah-Foundation habe ich ein Foto gehabt: Ein grobkörniges Farbbild aus einer erbeuteten Agfa-Kamera der Russen. Man denkt zunächst, das sei ein impressionistisches Gemälde, weil es so unscharf ist, grobkörnig, im Morgenlicht... Aber man erkennt auf den zweiten Blick, dass da überall Tote liegen, auch an die Bäume gelehnt, ganz furchtbare Tote... Das habe ich nachgestellt, weil ich dachte, man bräuchte einmal diesen Todesmarsch, um zu verstehen, wo sie herkommt.
Als ich dass dann aber drehte, und Komparsen in den Uniformen das Polizeibatallion 101 nachstellten und andere Komparsen, die sehr dünn waren, und die von Josef Neckermann genähte KZ-Kleidung an hatten, und ich mache diese Erschießungen, die Köpfe flogen weg, da war ich so angewidert von mir... Warum muss ich das machen? Ich dachte dann: Vielleicht muss ich es machen, damit ich es loswerden kann. Wie Windpocken – die muss man einmal haben
artechock: Ich glaube es gibt tatsächlich mehrere Gründe, das im Kino in solchen Filmen zu zeigen. Rosselini hat das ja nicht ohne Gründe gemacht in Paisà.
Wie es heute aber gemacht wird, ist es immer viel zu clean. Ich finde Nazis im Kino reden zu viel, sind zu nett, zu cool, wie Mörder im TV-Krimi das Gespräch mit dem Täter hat – »ja wie konnte ich nur...« Man muss Nazis vielleicht gröber und ordinärer zeigen, als Arschlöcher, als Schläger, als Kriminelle und Monster – und das könnte man glaube ich in so einer Szene.
Man kann natürlich erwidern, das muss alles nicht sein – in dem Sinn bist Du dann immer für Reduktion.
Warum ist Dir Reduktion wichtig? Du magst selber manchmal Filme, die ein Ornament haben oder die stilistisch auch für eine gewisse Form von visuellem Exzess plädieren. Wo eine Szene, die vielleicht dramaturgisch unnötig ist, trotzdem da ist. Weil Kino ja auch etwas mit Zeigen zu tun hat, sozusagen mit dem Fleisch, nicht nur mit den Knochen, die nötig sind, damit das alles steht?
Petzold: Aber das Fleisch in diesem Film ist nicht diese Szene. Das wäre das Fleisch des Regisseurs. Dieses Fleisch hat nicht mehr zu interessieren. Die einzige Suche nach dem Fleisch, oder dem Körper, der Sinnlichkeit, ist ihre Suche. In dieser Szene habe ich sie von Anfang an schon entmündigt, denn ich habe einen Erzähler eingesetzt, der sich über sie erhebt.
Genauso in der Szene mit dem Briefschreiben: Da habe ich Harun Farocki und
mich gesehen und die Großartigkeit unserer Idee hat das Verhältnis der beiden Figuren okkupiert.
Ich muss demütiger sein. Das heißt aber nicht, dass ich kälter bin, oder reduzierter bin – sondern das kleine Lächeln, die kleinen Blicke, das kleine Glänzen in den Schauspielern – dafür brauche ich den Raum und die Zeit. Aber nicht für meine blöden Ideen.
Es geht ja um eine Frau, die ihren Körper, die ihre Identität verloren hat, die anfängt, sich wieder zu bewegen, die berührt wird, die Angst hat – das muss ich zeigen. Aber so, dass ich sehe, mit
wem sie das macht: Da ist ihre Freundin – das geht nicht. Der Spiegel – das geht nicht. Die Kleidung, das Essen, die Musik – da kommt nur ganz wenig bei ihr an. Langsam geht sie durch die Straßen, da nimmt niemand sie wahr, sie ist nur ein Schatten. Dann nimmt jemand sie wahr, den sie verwechselt hat, der bestiehlt sie. Da merkt man die Angst, die in ihr drin ist: »Stehenbleiben!!« Das sind die wichtigen Dinge. Um die geht es!
Um die Suche einer Frau, die aus dem Hades kommt, und ihren Körper zurück will, ihre Sinnlichkeit zurück will. Die Sinnlichkeit dieser morgendlichen Szene am Anfang, die hätte dagegen auf mich verwiesen – da hätte ich lieber einfach nur einen Sonnenaufgang gezeigt.
Würde ich es nochmal drehen, würde ich natürlich das Auto am Anfang alles in der Totalen zeigen...
artechock: Aber es sollte nicht der Anfang sein...
Petzold: Es sollte nicht der Anfang sein. Der Anfang war weg, deswegen fängt es so »Baff« mitten drin an.