Kinos in München – Rio-Kinobetreiber: Christian Pfeil & Markus Eisele
»Diese Synergien sind der Schlüssel zum Erfolg« |
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Der Rio Filmpalast ist ihr neues Kino: Markus Eisele und Christian Pfeil (v.l.) | ||
(Foto: artechock) |
Die Münchner wissen von nun an, wie Neustart geht. Wenn am 1. Juli bundesweit die Kinos wiedereröffnen, hat sich an der Isar ordentlich was getan. Ab diesem Tag wird nicht nur das Arena in einen Art-Déco-Saal einladen (wir berichteten), sondern, weniger sichtbar, der Rio Filmpalast am Rosenheimer Platz in Haidhausen in eine neue Zukunft starten. Christian Pfeil und Markus Eisele, die in München das Monopol und das Arena, in Fürstenfeldbruck das Lichtspielhaus, und das Metropol-Kino in Gera betreiben, werden nun auch das Rio ihr eigen nennen. Um für ihre Münchner Kinos die Filme anzumieten und zu verteilen, betreiben sie eine Dispositionsgemeinschaft, zu der das Neue Maxim in Neuhausen und seit Neuestem auch das Rio gehören. Mit dem Rio Filmpalast haben Pfeil und Eisele ihrem Portfolio ein prestigeträchtiges Kino hinzugefügt, das in zwei Sälen mit insgesamt fast 500 Plätzen aufwartet und neue Möglichkeiten für die Programmierung eröffnet. Auf einen Schlag sind Pfeil und Eisele, die man wegen ihres Monopol-Kinos gerne auch »Monopolisten« nennt, nun Münchens größte Arthouse-Kinobetreiber. Vor dem großen Durchstarten haben wir uns zum Gespräch getroffen, bei dem es um das Rio geht, aber auch um das Kinomachen ganz allgemein.
Das Gespräch führte Dunja Bialas.
artechock: Das Rio ist ein Familienbetrieb, der seit 1998 von Elisabeth Kuonen-Reich in dritter Generation geführt wurde. 2019 ist sie völlig unerwartet verstorben. Ihr Mann, Daniel Kuonen, hat sich jetzt dazu entschieden, das Kino abzugeben. Kennt ihr den Grund, und: Wie kam er auf euch?
Markus Eisele: Der Entschluss, das Kino nicht auf lange Zeit allein weiterzuführen, war bei Daniel relativ schnell da. Nach der ersten Schockstarre nach dem Tod von Elisabeth hat er geguckt, wie er organisieren kann, dass es weitergeht. Die Verpflichtung von Kerstin Schmidt [ehemals Theaterleiterin des Arri] war eine sehr gute Idee. Kerstin bleibt und wird sich um die ganzen Sonderveranstaltungen kümmern, die Festivals, und ist dafür da, dass wir überhaupt jemanden haben, der das Haus führt. Daniel ist nicht der Kinomann und wird es auch nicht werden, das ist ihm klar. Er möchte außerdem in Rente gehen und nicht damit anfangen, ein Kino machen.
Christian Pfeil: Nach dieser langen Corona-Pause muss man so ein Kino noch einmal neu hochreißen. Wir als Team haben bei ihm den Eindruck erweckt, als könnten wir das, als hätten wir Lust darauf. Wir sind auch Unternehmer im Sinne von: Wir unternehmen was. Das hier ist für uns nicht risikolos, das kriegen wir ja nicht geschenkt. Du musst das wollen.
Eisele: Daniel hat klug gehandelt und sich von einer Consulting-Firma Hilfe geholt, die auf den Kinobereich spezialisiert ist. Das Kino wurde für ihn sehr günstig bewertet. Dann hat er gefragt: Wen kann ich jetzt eigentlich ansprechen, wie komme ich an Interessenten ran? Wir standen schon in seiner Überlegung, aber er hätte nicht gedacht, dass wir so viel Geld in der Tasche haben. Haben wir auch nicht …
Pfeil: Also, ich schon!
Eisele: Diesen Transfer muss man erst einmal machen. Dass wir nicht so viel Geld herumliegen haben, um schnell mal so ein Kino zu übernehmen, war klar. Aber man muss es halt finanzieren, die Bonität haben und die Connections.
artechock: Was habt ihr durch den Kauf denn konkret erworben? Das Kino selbst ja nicht, das ist ja gemietet. Die Lizenz?
Eisele: Ein Betrieb hat einen ideellen Wert: den Namen, ein Stammpublikum, Verkaufsdaten und so weiter, das ist das eigentliche Kapital.
Pfeil: Die Technik gibt’s auch, aber die hat exakt keinen Wert mehr, sobald man hier ausbaut. Der ganz große Vorteil ist: Das hier ist ein genehmigter Zustand. Wir wissen, was wir im Monopol investiert haben, das ist ein Vielfaches von dem, was wir hier jetzt für den funktionierenden Betrieb zahlen. Der Wert hängt vom ideellen Wert und vom Sachwert ab, der steht in den Büchern, und dann mittelst du.
Eisele: Wir haben gesagt: Wir wollen eigentlich gar nicht verhandeln. Wir halten uns an die Empfehlung und haben den Betrag bezahlt. Wir wollten in der Situation, in der das Rio war, mit der ganzen Vorgeschichte, eine Übernahme auf Augenhöhe und nicht die Lage ausnutzen. Unser Vorteil war, dass es überhaupt keine Konkurrenz gab.
Pfeil: Solche Verhandlungen sind nicht einfach.
Eisele: Ja, auch emotional!
artechock: Wie lief dann konkret die Übernahme ab?
Pfeil: Wir haben ganz schnell signalisiert: Wir machen mit dem Stand, wie er hier ist, weiter. Es ist unter Umständen leichter, ein Kino zu übernehmen und ein neues Team mitzubringen. Aber anders ist es menschlicher, auch wenn es schwer ist, das wissen wir aus dem Arena, das wir übernommen haben [2006]. Wir könnten das aber auch gar nicht anders. Ich bin froh, dass Markus und ich uns darin einig sind, und dass keiner von uns das Ultra-Geschäftsmann-Gen hat.
Eisele: Wir haben dann die Mitarbeiter informiert, bei einem Termin, wo sie uns kennenlernen konnten. Sie haben uns gesagt, dass sie unter Schock stehen. Ich hoffe und spüre es jetzt in den Nachgesprächen, dass wir das ganz gut »runterkochen« konnten. Es wird aber schon Änderungen geben, ein Familienbetrieb in dritter Generation hat bestimmt das Problem, dass im Laufe der Jahre zu wenig geändert wurde.
artechock: Das betrifft die interne Struktur. Was ist mit dem Rio für die Besucher? Mit der Ausrichtung des Hauses? Das Rio stand ja immer eher für den Arthouse-Mainstream, nicht für die »komplizierte« Filmkunst.
Pfeil: Das Rio hat eine ganz andere Kapazität als unsere anderen Häuser. Das kann man noch ein wenig breiter aufstellen, auch inhaltlich breiter. Ich habe überhaupt nichts gegen Filme, die erfolgreich sind. Ein Film, der erfolgreich ist, ist nicht per se schlecht. Und ein Film, der nicht erfolgreich ist, ist nicht per se gut. Wir haben oft das Problem, dass wir Filme erst später auswerten konnten, nicht, wenn noch richtig »Fleisch am Knochen« ist. Das haben die anderen gemacht. Das können wir jetzt mit in unsere Firma einbringen.
Wir werden auch sehen, was wir hier einstreuen können aus unserem Programm. Es wird dann etwas leichter, Blockbuster-Flauten zu überstehen, weil wir ein anderes Programmportfolio mitbringen. Meistens war es in den letzten Jahren so: Wenn die Arthouse-Filme nach oben gingen, ging der Mainstream nach unten. Inhaltlich geht es mir hauptsächlich darum, dass die richtigen Filme in den richtigen Häusern laufen. Dem Rio-Publikum jetzt die ganz schwierigen Filme vorzusetzen, wo man über Filmkunst viel wissen muss, fände ich problematisch. Aber wir können viel schneller Filme, die im Arthouse »hochkochen«, hier einsetzen. Bürgerliches Arthouse hat auch Elisabeth immer gespielt, so etwas wie Rosas Hochzeit zum Beispiel wäre ein Rio-Film.
Eisele: Oder Parasite. Da waren wir in unseren Stammhäusern ständig am Anschlag. Hier im Rio bekommt man auch mal Zahlen, die wirklich relevant sind. Einen so großen Saal [über 350 Plätze] vollzumachen, ist auf der anderen Seite auch wieder eine Herausforderung. Das schafft man nur selten. Das Gegenteil ist unsere sehr niedrige Kapazität bisher, das hat sich auch durch den Umbau des Arena verschärft, wo wir noch einmal über zehn Plätze verloren haben. Wenn früher der Saal voll war, haben wir zwar gut verdient, aber es war nicht mehr angenehm im Saal. Das Geschäft darf nicht auf Kosten der Qualität gehen, gerade auch in Zeiten von Streaming. Die Kinos müssen bereit sein, sich auf den neuesten Stand von Technik und Komfort zu begeben. Wenn sie das nicht tun, müssen sie sich nicht wundern, wenn die Leute nicht mehr ins Kino gehen.
artechock: Wird das Rio euer neues Premierenkino? Bislang war es ja das Monopol.
Pfeil: Es ist denkbar, dass wir große Premieren machen, die wir hier nicht auswerten, die aber punktuell im Rio-Spielplan aufleuchten können. Dann wird man dem Viertel gerecht und auch dem Film. Wenn ich einen Film vor wenigen Leuten zeige, habe ich kein Kinoerlebnis. Kino hat was mit Menschen zu tun.
artechock: Seht ihr eure Häuser in München von der Filmdisposition her als ein Haus?
Pfeil: Das sind alles authentische Orte. Das ist, woran wir arbeiten. Kino müssen Orte sein. Da geht es nicht nur um Technik und nicht nur um Komfort, sondern die Leute müssen etwas mit dem Kino verbinden können. Trotzdem: Dispo-technisch könnte das auch wie ein Multiplex funktionieren. Nur in schön!
Eisele: Ich tue mich schwer damit zu sagen: Das ist nur ein Haus. Das ist es eben nicht. Das Rio ist das Rio und soll auch das Rio bleiben. Das Arena ist das Arena, wir wissen genau, welches Publikum dort hinkommt und welche Filme dort gut laufen. Das Gay-Programm ist im Arena, die Dokumentarfilme sind im Monopol verortet.
Pfeil: Das politische Kino ist im Monopol.
Eisele: Wir haben unsere Schwerpunkte. Das ist aber natürlich fließend, heute funktioniert es nur über Synergien. Deshalb auch das Abo: Es gibt jetzt noch ein Haus mehr, in das man mit dem Abo gehen kann.
Pfeil: Die Zukunft für das Kino möchte ich nur ganz ungern mit dem Streaming in Verbindung bringen. Streaming ist Streaming, und Kino ist Kino. Aber das Streamen zersplittert sich in die unterschiedlichen Dienste, das Kino könnte in der Wahrnehmung des Publikums der einzige Vollsortimenter sein, wo du alles bekommst, für eine bestimmte Zeit.
Eisele: Die vielen Abos, die man fürs Streamen braucht, spielen uns ein wenig in die Karten.
artechock: Ihr behaltet die Filme relativ lange in der Auswertung. Man hat immer die Möglichkeit, einen Film auch noch später zu sehen. Jetzt habt ihr noch mal zwei Leinwände mehr, wie werdet ihr die für die Auswertungsfenster einsetzen?
Pfeil: Betriebswirtschaftlich können wir jetzt einen Film, der hier nicht mehr gut läuft, im Monopol zeigen, wo er noch extrem wirtschaftlich laufen kann. Im Rio kann dann schon wieder der nächste rein.
artechock: Da machen die Verleiher mit?
Pfeil: In den meisten Fällen wäre das für sie okay. Wenn sie ehrlich rechnen.
Eisele: Da sind wir dann wieder bei der Idee, dass das doch ein Haus ist. Der Verleiher hat auch was davon, wenn wir die Filme hin- und herschieben können. In einem anderen Stadtteil kommen dann noch mal andere Besucherschichten dazu. Diese Synergien sind der Schlüssel zum Erfolg.
Pfeil: Bei einem Haus mit nur zwei Sälen haben die Verleiher natürlich auch ein Problem. Wenn wir es schaffen, ihnen beizubringen, dass wir wirtschaftlich als ein Haus ticken und das zu ihrem Vorteil ist, wird das auch irgendwann ankommen.
artechock: Rechnet ihr das Maxim, das Teil eurer Dispo-Gemeinschaft ist, in diese Ein-Haus-Überlegungen mit rein?
Pfeil: Das Maxim ist autonom und macht eigentlich, was es will. Aber es stimmt sich mit uns ab, so dass wir alle was davon haben. Wir rechnen es sofern mit rein, als es Teil unseres Abos ist. Betriebswirtschaftlich ist es komplett eigenständig. Wir können aber den Verleihern so noch ein besseres Angebot machen. Und da, wo das Maxim vielleicht gar nicht ins Gespräch gekommen wäre, können wir das Maxim mit reinnehmen. Jedes gut funktionierende Kino ist ein Plus für uns alle.
artechock: Das Maxim nicht mitgerechnet, werdet ihr mit dem Rio jetzt acht Leinwände bespielen. Damit seid ihr die Big Player im Münchner Arthouse-Segment. Da kommt leicht der Vergleich mit der Berliner Yorck-Kinogruppe auf, die über die Stadt verteilt zehn Kinos betreibt. Seht ihr euch in dieser Linie?
Eisele: Vom Ansatz her haben wir ähnliche Überlegungen wie die Yorck, wenn es um Synergie-Effekte geht. Was uns definitiv unterscheidet ist, dass wir definitiv keine Ambitionen haben, wirklich zu einer großen Kino-Gruppe zu werden – noch mal drei Kinos in München, dann noch in Thüringen weiter expandieren oder so. Wir gucken immer, ob was zu uns passt. Das Lichtspielhaus in Fürstenfeldbruck ist ein gutes Beispiel. Das ist ein Ort mit Potential, noch relativ nahe bei München, das mitzumachen hat sich bewährt. Wir wollen aber nicht die Yorck-Situation erreichen. Wir sind jetzt schon so weit weg von der Kino-Basis, das wollen wir nicht verlieren. Wir wollen selber auch mal ein Filmgespräch moderieren.
Pfeil: Mit dem Yorck-Kino in München, dem City, haben wir noch einen Mitbewerber in der Stadt, mit dem wir zum Glück gut befreundet sind. Das City ist mit fünf Leinwänden genauso groß wie wir mit zehn [Maxim inklusive]. Was die Sitzplatzanzahl betrifft.
Eisele: Der Standortvorteil an der Sonnenstraße ist einfach nicht zu toppen.
Pfeil: Wir sind jetzt zwei, die groß in München sind. Die anderen können sich die Lücken dazwischen suchen.
artechock: Die interne Verbindungslinie zur Yorck-Gruppe sind die beiden Christians. Christian Pfeil und Christian Bräuer, Geschäftsführer der Yorck: Ihr seid noch dazu gemeinsam im Vorstand der AG Kino Gilde. Das macht ein paar Leuten Angst. Wie werdet ihr in Zukunft die Weichen stellen?
Pfeil: Wir sind für die Vielfalt der Kinos und treffen im Vorstand auch viele Entscheidungen, die für uns »Großen« Nachteile bringen, um die anderen mitzunehmen. Es geht eher darum, dass wir die »Kleinen« mit am Überleben halten, obwohl sich das für uns Großen schwieriger darstellt. Ich werde im Vorstand auch weitermachen. Wir haben politisch viele Erfolge erzielt. Das geht nur über kontinuierliche Arbeit, und indem man ein Vertrauensverhältnis hat.
artechock: München hat in den letzten zehn Jahren 18 Prozent seiner Kinos verloren. Darauf haben wir mit unserer Aktion »Anstehen für die Kinos« aufmerksam gemacht. Wie beurteilt ihr die Situation?
Pfeil: Früher hat man gesagt, wenn ein Kino zugemacht hat: Au fein, dann kommen die Zuschauer zu mir! Heute geht das nicht mehr, heute sind die Zuschauer verloren. Durch die Schließung der Kinos Münchner Freiheit sind München 200.000 Zuschauer verloren gegangen. Die 50.000 des Gabriels: sind einfach weg. Auch das Filmcasino …, dass sich die Branche nicht diesen attraktiven Standort gegriffen hat … dass sich die Kinostadt München das so aus der Hand nehmen hat lassen, von so einem Partytypen … das ist doch furchtbar! Auch diese Besucher sind weg, das Kino hatte locker 150.000 Zuschauer, mit einem Saal. Während die Einwohnerzahl in München massiv wächst, geht die Zuschauerzahl in München runter oder bleibt allenfalls konstant. Das ist eigentlich ein Minus.
artechock: Das Rio bleibt zum Glück erhalten. Werdet ihr ein Zeichen setzen, dass es im Kino einen Wechsel gibt?
Pfeil: Wir lassen das alles erst einmal auf uns wirken und sehen, was das mit uns macht. Auch das Café nebenan lassen wir erst einmal im Hintergrund laufen und setzen dann mit den gemachten Erfahrungen ein neues Konzept auf. »Domi« [Dominique, Sohn von Elisabeth Kuonen-Reich] kann beides: Er macht Gastro und arbeitet im Kino mit, und er bleibt auch. Wir übernehmen alle, die wollen. Wir kommen nicht mit irgendeinem Franchise-Konzept daher. Wir wollten das Kino, weil wir das Kino mochten, nicht weil wir dachten, dass hier alles falsch gemacht wurde. Wir werden aus dem Kino vielleicht das »noch richtigere« Kino machen, das aber aus sich selbst entsteht. Ich muss mich mit dem Kino hier nicht verwirklichen. Ich möchte, dass das Kino ein gut funktionierender Ort ist für die Leute, die hierherkommen.