03.05.2002
17. DOK.fest München 2002

Being Werner Ruttmann

Thomas Schad bei Dreharbeiten auf einem Berliner Hochhaus
Thomas Schad über den Dächern von Berlin

Thomas Schadt über seinen Metropolenessay

Der Film­re­gis­seur Thomas Schadt hat Mut bewiesen: Berlin – Sinfonie einer Großstadt korre­spon­diert offen mit Werner Ruttmanns berühmtem Film Berlin – Die Sinfonie der Großstadt von 1927. Ein Film ohne Worte, nur von Musik begleitet, in Schwarz­weiß, der einen Tages­ab­lauf im Berlin der Gegenwart schildert.
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland

artechock: Wäre Ihr Film ohne Ruttmann denkbar?

Thomas Schadt: Nein, so wie er jetzt vorliegt, selbst­ver­s­tänd­lich nicht. Die Frage ist ja: wenn man vorhat, einen Film über Berlin zu machen, in dem Musik eine entschei­dende Rolle spielt, dann ist man sofort bei Ruttmann. Er hat aus der Großstadt Berlin einen Mythos geschaffen. Wenn man heute einen solchen Film macht, dann also entweder mit Ruttmann oder gar nicht, denn dann müsste man ihn gegen ihn machen. Der Mythos ist durch Ruttmann belegt – die Stadt hat diesen Film.

artechock: Hat es Mut gebraucht, trotzdem einen zweiten Film zu wagen, der kein Remake ist, aber sich in Titel und Form so stark anlehnt?

Schadt: Ja. Ich denke es war aber auch klar, dass ich auch den Mut brauchte, mich von Ruttmann zu lösen, dass ich meine persön­liche Haltung finden musste: Woran lehne ich mich an, wovon distan­ziere ich mich auch. Zum Teil bin ich andere Wege gegangen.

artechock: Sie haben sich offen­sicht­lich die damalige Ruttmann-Kritik Siegfried Kracauers zu Herzen genommen, Ruttmann habe die Menschen verschwinden lassen?

Schadt: Ja, das war tatsäch­lich der eine Punkt, wo ich mich anders entschieden habe. Der Preis von Ruttmanns revo­lu­ti­onärer Monta­ge­technik war ja tatsäch­lich, dass der Mensch anony­mi­siert wird. Ich wollte, dass der Mensch ein mensch­li­ches Antlitz bekommt. Hier haben wir unter­schied­liche Grund­in­ter­essen.

artechock: Wie sind sie dem Film Berlin – Die Sinfonie der Großstadt zuerst begegnet?

Schadt: Ich habe ihn zuerst an der Film- und Fern­seh­aka­demie gesehen. Das ist einer der Filme, die man nicht vergisst, die eine nach­hal­tige Wirkung haben, und sich ins Bilder­ge­dächtnis einschreiben. Das geschieht eben über die bestimmten Bilder. Hinzu kommt, dass ich die neusach­liche Bildäs­thetik sehr mag – das hat viel­leicht mit meinen photo­gra­phi­schen Wurzeln zu tun. Dann gab es vor drei Jahren ein Gespräch mit Freunden über Paral­lel­mon­tage, das zum Auslöser meines eigenen Films wurde. Nach einem Gespräch mit Ruttmanns Tochter habe ich auch für mich die Entschei­dung zu diesem Film getroffen.

artechock: Wie muss man sich ihre Arbeit in der Praxis vorstellen?

Schadt: Ich wollte eine symbo­li­sche Klammer. 105 Drehtage auf ein Jahr verteilt. Das Verhältnis von gedrehtem Material zum fertigen Film liegt bei 1 zu 20, also relativ niedrig. Ich habe auch die Kamera selbst bedient. Wir sind immer zu zweit oder dritt durch die Stadt gezogen, haben uns viel Zeit genommen, haben zwar nach Plan gear­beitet – manche Dreh­ge­neh­mi­gungen brauchten vier bis sechs Wochen –, aber dem Zufall viel Chancen gelassen.

artechock: Ihr Film erzählt drei Reisen: Durch den Tag, durch die Zeit, durch den Raum. Was war das dabei das Grund-Konzept?

Schadt: „Sinfonie einer Großstadt“ Ganz praktisch gehört das zur Verab­re­dung mit Ruttmanns Tochter: Um dem Film ihres Vaters die Einma­lig­keit zu belassen. Natürlich war es wichtig, film­dra­ma­tur­gisch ein klares Konzept zu haben. Dem Tages­ver­lauf sollte ein Geschichts­ver­lauf gegen­ü­ber­ge­stellt werden. Ich wollte, dass mein Filme in histo­ri­sches Gewissen bekommt. Wenn man heute auf Berlin guckt, kommt man darum nicht herum. Damit korre­spon­diert eine Bewe­gungs­dra­ma­turgie: Die Kamera leitet die Geschichts­blöcke immer mit verti­kalen Schwenks ein: Wie das Fallen in Geschichts­löcher, und anschließend wird man heraus­ge­holt. Während der Tages­ver­lauf durch hori­zon­tale Bewe­gungen struk­tu­riert wird.

artechock: Zudem bewegt sich der Film quasi wie in Elipsen um den Reichstag?

Schadt: Ja, der Reichstag ist die Klammer. Politik ist mir sehr wichtig, auch zur Darstel­lung von Norma­lität.

artechock: Ging es auch darum, so etwas wie eine Theorie der Großstadt zu erzählen, die Stadt als ideal­ty­pi­schen Lebens­raum der Moderne zu beschreiben?

Schadt: Ja, Ruttmann hat das getan. Aber ich denke, heute ist es in dieser Form unmöglich. Es gibt diese Einheit des Lebens­ge­fühls nicht mehr. So lebe ich auch nicht. Für mich ist die Qualität der Metropole, dass das Disparate dicht neben­ein­ander liegt. Man kommt nicht daran vorbei. Für mich die Großstadt das, was ich brauche.