»Das ist denen zu direkt, zu krass; das wollen die irgendwie nicht sehen...« |
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René Rupnik als Messie und Maria Hofstätter als wandelnde Maria |
Der zweite Teil unseres Interviews. Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland.
artechock: Ich hatte ein ganz interessantes Gespräch über den ersten Film der Trilogie mit einer Freundin, eine schwarze Dänin. Sie mag Paradies: Liebe, hat aber Bedenken was die Darstellung der Afrikaner angeht – die findet sie tendenziell rassistisch. Dagegen fühlt sie sich als Frau erkannt...
Ulrich Seidl: Was findet sie rassistisch?
artechock: Dass die Frauen im Vergleich in vieler Hinsicht für den Zuschauer überraschend sind, dass sie in vielem nicht der glatten Schönheitsvorstellung entsprechen. Die Afrikaner tun das dagegen. Sie benehmen sich auch, wie das Klischee es vorgibt und wie man es von unseren Vorurteilen her vielleicht erwarten würde: Ihnen geht es ums Geld, sie prostituieren sich...
Seidl: Ja, gut. Das ist ein Irrtum natürlich. Natürlich sind die Frauen die Hauptakteure. Es ist ja nie darum gegangen, über die Männer etwas zu erzählen. Die Männer gehören dazu, aber die kommen auch zu kurz, wenn es darum gehen würde, über ihre Motivationen auch noch was zu erfahren. Und im Grunde genommen sind es natürlich alles Männer, die auch aus diesem Milieu kommen, die alle nach wie vor Beach-Boys sind, die ihre Erfahrungen mit einbringen, die mit weißen Frauen zu tun hatten – und insofern ist da gar nix falsch. Die agieren natürlich im Sinne des Films und der Absicht der Szene, aber mit dem Hintergrund der Erfahrungen, die sie haben.
artechock: Haben Sie so bei den anderen Filmen auch gearbeitet? Dass Sie in Paradies: Glaube dann mit Anhängern dieser Christengruppen gearbeitet haben, die missionieren und von Haus zu Haus gehen und klingeln? Maria Hochstätter ist natürlich eine professionelle Schauspielerin, das weiß ich. Der, der ihren Mann spielt, ist es nicht, der ist ein Laie. Bei den anderen weiß ich es nicht, bei denen, die man zum Beispiel in diesem Gesprächskreis sieht.
Seidl: Ja. Es ist gemischt. Es gibt in diesem Gesprächskreis Schauspielerinnen, Schauspieler und zwei, die in diesem Sinn echt religiös sind und die das durchaus vertreten. Ich habe Szenen gedreht... Es hat noch gegeben eine Gruppe, die geht auf die Straße mit Transparenten und demonstrieren gegen die Abtreibung. Da waren in dieser Phalanx von Leuten auch Laien – das ist nicht im Film, das hat dann nicht gepasst. Aber durchaus setze ich so etwas ein, wenn es geht.
artechock: In allen drei Filmen ist es also wieder diese Mischform zwischen Dokumentarfilm und Fiktion.
Seidl: Ja, also eine Mischung von Dokumentarfilm und Fiktion ist es nicht. Das ist ein reiner Spielfilm. Die Mischung ist die aus Laien und Schauspielern. Das ist etwas anderes. Der Partner von der Maria Hofstätter, der hat vorher noch nie gespielt, der ist völliger Laie. Er hat aber den Hintergrund, dass er Muslim ist, dass er tatsächlich aus Ägypten kommt, dass er tatsächlich seit 30 Jahren in Deutschland und Österreich wohnt, dass er tatsächlich Beziehungen zu österreichischen Frauen hatte. Also: Da wird etwas verwendet, was zum Teil seiner eigenen Genesis entspricht. Aber die Querschnittlähmung musste er über Monate erst erproben mit Ergotherapeuten, sich aneignen. Solche Dinge. Das war auch ein Glücksfall.
artechock: Ja, er ist eine ganz starke Figur. Würden Sie sagen, dass der Weg, den Ihre drei Hauptfiguren beschreiten, dass das eine Entwicklung ist, dass diese Figuren etwas lernen und sich verändern über diesen Weg?
Seidl: Ja, sie machen Erfahrungen. Es gibt ja kein Happy-End. Und es gibt keine Lösung. Es gibt keine Schuldsprechung, das gibt es alles nicht. Was ich zeige sind Menschen, die etwas versuchen und daran auch scheitern, aber trotzdem gibt’s einen Erfahrungsprozeß, den man durchgemacht hat, und insofern gibt es wieder Hoffnung. Ich glaub', so würde ich das beschreiben.
artechock: Also man kann sich in Paradies: Liebe und in Paradies: Hoffnung schon ungefähr vorstellen, dass die Hauptfiguren nach dem Film so weiterleben, wie sie es vorher getan haben.
Bei Paradies: Glaube habe ich mir das weniger vorstellen können. Da steht am Ende eine Erschütterung, nach der es so wie bisher nicht mehr weitergehen kann. Die erlebt eine Katharsis, und kommt an einen Nullpunkt.
Seidl: Das ist richtig. Eigentlich zerbricht sie daran. Sie verzweifelt ja an ihrem Herrgott, an den sie so geglaubt hat und der hat sie quasi im Stich gelassen. Das Problem bleibt ungelöst. Beim dritten Film – insofern auch Hoffnung – gibt es ein größeres Potential für jüngere Menschen.
artechock: Würden Sie denn Paradies: Glaube als einen religionskritischen Film bezeichnen, oder liege ich da schief?
Seidl: Also insofern schon religionskritisch, aber nicht in dem Sinn, als dass er zwei Religionen gegenüberstellt. Das ist auch ein Thema, aber ein marginales Thema. Es zeigt der Film eher, dass es hier auch Gemeinsamkeiten gibt. Was zum Beispiel der Ehemann ja immer wieder sagt, ist: In allen Religionen bist du als Ehefrau mir verpflichtet. Womit er recht hat.
Es geht ja mehr um diesen Ehekampf, es geht um die Frau, die daran
zerbricht, dass sie auf der einen Seite ihre ganze Sehnsucht und ihre ganze Liebe an diese extreme Zuflucht zu Jesus vergeudet. In diesem ganzen christlichen Glauben wird sie unchristlich. Sie vernachlässigt ihren Mann der da im Rollstuhl sitzt.
Insofern ist meine Kritik da, dass der Film damit auch sagt: Im starken Glauben verliert man vielleicht das Gefühl und die Augen für anderes. Weil man so apodiktisch wird, weil man zu diktatorisch wird.
artechock: Im Verhältnis wirkt sie ja auch wie eine Fundamentalistin, eine Fanatikerin.
Seidl: Ja. Die nicht bereit ist, ihr Herz zu öffnen. Der Glaubensgrundsatz ist so festgefahren, dass sie gar nicht sieht, dass sie unmenschlich agiert.
artechock: Das ist auch das, was mir persönlich von den drei Figuren am fremdesten ist. Weil ich nicht so religiös bin. Es leuchtet ein, dass man andere Dinge vielleicht verdrängt, aber es hat es was mit einem zu tun.
Seidl: Wo man sofort dabei ist...
artechock: Ja, aber Religion muss das nicht in der gleichen Weise. Aber vielleicht sehen Sie es ja anders?
Seidl: Nein, nein. Ich glaube schon, dass es viele Menschen gibt, die zu diesem Film einen schweren Zugang haben oder auch keinen Zugang haben aufgrund des Themas. Der erste Film hat eine Thematik, in die kann man sich sofort hineinfühlen. Aber ich glaube auch, dass der Film funktioniert bei Menschen, die nicht religiös sind.
artechock: Total. Abgesehen davon dass alle drei Filme über Frauen sind – Frauen in der Gesellschaft, in sozialen Systemen – deswegen glaube ich auch, dass Frauen dazu einen leichteren Zugang haben; einen intuitiveren Zugang. Aber bei Paradies: Glaube haben die Leute in Venedig gelacht…
Seidl: Unerwartet...
artechock: ...ja aber auch mit dem Film gelacht, nicht über ihn. Aber natürlich gibt es da dann auch so Sachen, wo es Szenenapplaus gibt, weil der Mann die Kruzifixe zerdeppert... Das finde ich dann ein bisschen billig.
Seidl: Wie auf dem Fußballfeld...
artechock: Sie haben das bestimmt mitkalkuliert, aber man schaut voyeuristischer drauf. Man wird weniger vom Film angegangen, man kann sich leichter vom Film distanzieren und schaut sich das dann so an... Hinzu kommt: Das normale Festival-Publikum der Kritiker und Rechtehändler dürfte bürgerlicher und gebildeter und areligiöser sein, als die Figur. Man kann sich dann leichter davon distanzieren. Das geht bei den anderen Filmen nicht.
Seidl: Ist möglich. Mein Film Jesus, du weißt, der hat im Kino gar nicht funktioniert, erstaunlicherweise. Aber der hat die meisten Festivaleinladungen gehabt von allen meinen Filmen. Über 150 Festivals! Aber was für Leute gehen auf Filmfestivals? Sicher keine gläubigen Menschen zum Großteil. Dort hat er funktioniert. Auch Menschen, die nicht glauben, haben da irgendetwas gesehen, und gespürt: Da ist etwas, was unerklärlich ist.
artechock: Und kaum machen Sie so einen Film, tritt der Papst zurück...
Seidl: Der Vatikan hat sich ja klugerweise nicht zu dem Film geäußert. Eigenartigerweise – wir haben den Film ja auch dem Klerus gezeigt...
artechock: Wollten Sie den Segen?
Seidl: Nein, nein, das hat der Verleih gemacht, ich war gar nicht dabei. Aber es hat völlig überraschend ganz positive Stimmen gegeben. Der Dompfarrer von St. Stephan hat am Sonntag eine Kolumne im „Kurier“. Da hat er über den Film geschrieben, und als Schlusssatz hat er geschrieben: »Seidl hatte ja Priester werden sollen. Was sehr schade ist, dass er es nicht wurde. Aber lieber Gott, ich bedanke mich dafür, dass Du diesen Meister der Filmkunst geschaffen hast.« [Seidl lacht lange]
artechock: Warum haben Sie denen das überhaupt gezeigt? Sie haben doch den ersten Film bestimmt nicht irgendwelchen Frauenverbänden gezeigt, und den dritten nicht professionellen Diätverwaltern...
Seidl: Nein, also wie gesagt: Das war eine Initiative des Verleihers. Auch vielleicht... Ich weiß auch nicht...
artechock: Schon immer noch eine Autorität, die Kirche, nicht? Man will den Segen?
Seidl: Ja. Das ist schon noch in Österreich verankert. Ich hab das vor ein paar Tagen noch ärger erlebt: Ich habe einen Zweitwohnsitz im Norden im Waldviertel nahe der tschechischen Grenze. Da gibt es noch ein Landkino, ein Uraltkino, mit einer Freibestuhlung, das gleichzeitig ein Ballsaal ist. Mit einem Gasthaus verbunden – so wie es früher war. Da gibt es einen Filmklub und alle meine Filme werden dort gespielt, mit uralten Projektoren. Da kommen dann die ganzen Leute vom Ort: Der Elektriker, alles kunterbunt. Da war auch vom naheliegenden Stift – das ganze Land ist seit Jahrhunderten aufgeteilt in Besitztümer dieser Stifte – da hat man noch den Abt eingeladen, der dann nicht gekommen ist. Aber der Prior ist gekommen in der Soutane und so weiter, der ist dann extra begrüßt worden als Quasi-Autorität, und der hat sich dann zu Wort gemeldet, und hat sich nicht getraut zu sagen, dass er da inhaltlich nicht zu stehen kann, und hat sich in die Form geflüchtet: Die Bilder erinnerten ihn an Barockmaler. da hab ich gesehen: Das hat so eine Autorität. Genauso hätt' man den Bürgermeister begrüßen können, den man nicht begrüßt hat.
artechock: Das Autorenkino... Sie werden jetzt nicht widersprechen, wenn ich sage: Sie sehen sich als Autorenfilmer. Wo fühlen Sie sich in dieser Landschaft des zeitgenössischen Kinos positioniert? Wir reden jetzt nicht über Harry Potter und solche Sachen, sondern über die Filme, die auf Filmfestivals laufen... Sehen Sie sich da als Solitär? Fühlen Sie sich mit bestimmten anderen Filmemachern verbunden?
Seidl: Nein, weil innerhalb des Autorenkinos gibt es ja gottseidank sehr unterschiedliche Filme und Zugänge. Insofern fühle ich mich da mit niemandem verbunden.
Meine Filme haben in Frankreich Schwierigkeiten, verbreitet zu werden, weil offensichtlich die Franzosen es noch viel viel weniger zulassen, hinter die Fassade zu schauen. Also die beschönigen ja alles. Das ist denen alles zu direkt, zu krass; das wollen die irgendwie nicht
sehen. Was mich wundert, weil ja Frankreich so eine Kinonation ist. Jean Eustache war für mich sehr lange sehr wichtig. Aber die „Cahiers“ haben mich glaube ich nie wahrgenommen. Das ist so eine andere Art.
artechock: Aber Sie haben doch einen französischen Co-Produzenten, Phillippe Bober. Der formt doch bestimmte Stil-Familien?
Seidl: Nein, da muss ich widersprechen. Phillippe ist nicht der Initiator, sondern jemand der sich dranhängt und gebraucht. Phillippe hat eine sehr gute Wahrnehmung und einen eigenen Blick und sucht sich die Filmemacher, die ihn interessieren. Das hat sehr oft mit visuellen Dingen zu tun. Die einzige, die eine Ausnahme ist, ist Jessica Hausner. Da gibt es von vornherein eine Zusammenarbeit. Das gibt es bei mir ja gar nicht. Ich zeig ihm dann den Film, wenn er im Schnitt liegt. Der weiß vorher nichts... Der liest auch kein Drehbuch. Ich mache, was ich mache.