28.03.2013

»Das ist denen zu direkt, zu krass; das wollen die irgendwie nicht sehen...«

Szenenbild PARADIES: GLAUBE mit René Rupnik und Maria Hofstätter
René Rupnik als Messie und Maria Hofstätter als wandelnde Maria

Ulrich Seidl über seine gemischte Arbeitsweise, über Religionskritik, die fortdauernde Autorität der Kirche und warum die Franzosen seine Filme nicht mögen

Der zweite Teil unseres Inter­views. Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland.

artechock: Ich hatte ein ganz inter­es­santes Gespräch über den ersten Film der Trilogie mit einer Freundin, eine schwarze Dänin. Sie mag Paradies: Liebe, hat aber Bedenken was die Darstel­lung der Afrikaner angeht – die findet sie tenden­ziell rassis­tisch. Dagegen fühlt sie sich als Frau erkannt...

Ulrich Seidl: Was findet sie rassis­tisch?

artechock: Dass die Frauen im Vergleich in vieler Hinsicht für den Zuschauer über­ra­schend sind, dass sie in vielem nicht der glatten Schön­heits­vor­stel­lung entspre­chen. Die Afrikaner tun das dagegen. Sie benehmen sich auch, wie das Klischee es vorgibt und wie man es von unseren Vorur­teilen her viel­leicht erwarten würde: Ihnen geht es ums Geld, sie prosti­tu­ieren sich...

Seidl: Ja, gut. Das ist ein Irrtum natürlich. Natürlich sind die Frauen die Haupt­ak­teure. Es ist ja nie darum gegangen, über die Männer etwas zu erzählen. Die Männer gehören dazu, aber die kommen auch zu kurz, wenn es darum gehen würde, über ihre Moti­va­tionen auch noch was zu erfahren. Und im Grunde genommen sind es natürlich alles Männer, die auch aus diesem Milieu kommen, die alle nach wie vor Beach-Boys sind, die ihre Erfah­rungen mit einbringen, die mit weißen Frauen zu tun hatten – und insofern ist da gar nix falsch. Die agieren natürlich im Sinne des Films und der Absicht der Szene, aber mit dem Hinter­grund der Erfah­rungen, die sie haben.

artechock: Haben Sie so bei den anderen Filmen auch gear­beitet? Dass Sie in Paradies: Glaube dann mit Anhängern dieser Chris­ten­gruppen gear­beitet haben, die missio­nieren und von Haus zu Haus gehen und klingeln? Maria Hochs­tätter ist natürlich eine profes­sio­nelle Schau­spie­lerin, das weiß ich. Der, der ihren Mann spielt, ist es nicht, der ist ein Laie. Bei den anderen weiß ich es nicht, bei denen, die man zum Beispiel in diesem Gesprächs­kreis sieht.

Seidl: Ja. Es ist gemischt. Es gibt in diesem Gesprächs­kreis Schau­spie­le­rinnen, Schau­spieler und zwei, die in diesem Sinn echt religiös sind und die das durchaus vertreten. Ich habe Szenen gedreht... Es hat noch gegeben eine Gruppe, die geht auf die Straße mit Trans­pa­renten und demons­trieren gegen die Abtrei­bung. Da waren in dieser Phalanx von Leuten auch Laien – das ist nicht im Film, das hat dann nicht gepasst. Aber durchaus setze ich so etwas ein, wenn es geht.

artechock: In allen drei Filmen ist es also wieder diese Mischform zwischen Doku­men­tar­film und Fiktion.

Seidl: Ja, also eine Mischung von Doku­men­tar­film und Fiktion ist es nicht. Das ist ein reiner Spielfilm. Die Mischung ist die aus Laien und Schau­spie­lern. Das ist etwas anderes. Der Partner von der Maria Hofs­tätter, der hat vorher noch nie gespielt, der ist völliger Laie. Er hat aber den Hinter­grund, dass er Muslim ist, dass er tatsäch­lich aus Ägypten kommt, dass er tatsäch­lich seit 30 Jahren in Deutsch­land und Öster­reich wohnt, dass er tatsäch­lich Bezie­hungen zu öster­rei­chi­schen Frauen hatte. Also: Da wird etwas verwendet, was zum Teil seiner eigenen Genesis entspricht. Aber die Quer­schnitt­läh­mung musste er über Monate erst erproben mit Ergo­the­ra­peuten, sich aneignen. Solche Dinge. Das war auch ein Glücks­fall.

artechock: Ja, er ist eine ganz starke Figur. Würden Sie sagen, dass der Weg, den Ihre drei Haupt­fi­guren beschreiten, dass das eine Entwick­lung ist, dass diese Figuren etwas lernen und sich verändern über diesen Weg?

Seidl: Ja, sie machen Erfah­rungen. Es gibt ja kein Happy-End. Und es gibt keine Lösung. Es gibt keine Schuld­spre­chung, das gibt es alles nicht. Was ich zeige sind Menschen, die etwas versuchen und daran auch scheitern, aber trotzdem gibt’s einen Erfah­rungs­prozeß, den man durch­ge­macht hat, und insofern gibt es wieder Hoffnung. Ich glaub', so würde ich das beschreiben.

artechock: Also man kann sich in Paradies: Liebe und in Paradies: Hoffnung schon ungefähr vorstellen, dass die Haupt­fi­guren nach dem Film so weiter­leben, wie sie es vorher getan haben.
Bei Paradies: Glaube habe ich mir das weniger vorstellen können. Da steht am Ende eine Erschüt­te­rung, nach der es so wie bisher nicht mehr weiter­gehen kann. Die erlebt eine Katharsis, und kommt an einen Nullpunkt.

Seidl: Das ist richtig. Eigent­lich zerbricht sie daran. Sie verzwei­felt ja an ihrem Herrgott, an den sie so geglaubt hat und der hat sie quasi im Stich gelassen. Das Problem bleibt ungelöst. Beim dritten Film – insofern auch Hoffnung – gibt es ein größeres Potential für jüngere Menschen.

artechock: Würden Sie denn Paradies: Glaube als einen reli­gi­ons­kri­ti­schen Film bezeichnen, oder liege ich da schief?

Seidl: Also insofern schon reli­gi­ons­kri­tisch, aber nicht in dem Sinn, als dass er zwei Reli­gionen gegen­ü­ber­stellt. Das ist auch ein Thema, aber ein margi­nales Thema. Es zeigt der Film eher, dass es hier auch Gemein­sam­keiten gibt. Was zum Beispiel der Ehemann ja immer wieder sagt, ist: In allen Reli­gionen bist du als Ehefrau mir verpflichtet. Womit er recht hat.
Es geht ja mehr um diesen Ehekampf, es geht um die Frau, die daran zerbricht, dass sie auf der einen Seite ihre ganze Sehnsucht und ihre ganze Liebe an diese extreme Zuflucht zu Jesus vergeudet. In diesem ganzen christ­li­chen Glauben wird sie unchrist­lich. Sie vernach­läs­sigt ihren Mann der da im Rollstuhl sitzt.
Insofern ist meine Kritik da, dass der Film damit auch sagt: Im starken Glauben verliert man viel­leicht das Gefühl und die Augen für anderes. Weil man so apodik­tisch wird, weil man zu dikta­to­risch wird.

artechock: Im Verhältnis wirkt sie ja auch wie eine Funda­men­ta­listin, eine Fana­ti­kerin.

Seidl: Ja. Die nicht bereit ist, ihr Herz zu öffnen. Der Glau­bens­grund­satz ist so fest­ge­fahren, dass sie gar nicht sieht, dass sie unmensch­lich agiert.

artechock: Das ist auch das, was mir persön­lich von den drei Figuren am frem­desten ist. Weil ich nicht so religiös bin. Es leuchtet ein, dass man andere Dinge viel­leicht verdrängt, aber es hat es was mit einem zu tun.

Seidl: Wo man sofort dabei ist...

artechock: Ja, aber Religion muss das nicht in der gleichen Weise. Aber viel­leicht sehen Sie es ja anders?

Seidl: Nein, nein. Ich glaube schon, dass es viele Menschen gibt, die zu diesem Film einen schweren Zugang haben oder auch keinen Zugang haben aufgrund des Themas. Der erste Film hat eine Thematik, in die kann man sich sofort hinein­fühlen. Aber ich glaube auch, dass der Film funk­tio­niert bei Menschen, die nicht religiös sind.

artechock: Total. Abgesehen davon dass alle drei Filme über Frauen sind – Frauen in der Gesell­schaft, in sozialen Systemen – deswegen glaube ich auch, dass Frauen dazu einen leich­teren Zugang haben; einen intui­ti­veren Zugang. Aber bei Paradies: Glaube haben die Leute in Venedig gelacht…

Seidl: Uner­wartet...

artechock: ...ja aber auch mit dem Film gelacht, nicht über ihn. Aber natürlich gibt es da dann auch so Sachen, wo es Szenen­ap­plaus gibt, weil der Mann die Kruzifixe zerdep­pert... Das finde ich dann ein bisschen billig.

Seidl: Wie auf dem Fußball­feld...

artechock: Sie haben das bestimmt mitkal­ku­liert, aber man schaut voyeu­ris­ti­scher drauf. Man wird weniger vom Film ange­gangen, man kann sich leichter vom Film distan­zieren und schaut sich das dann so an... Hinzu kommt: Das normale Festival-Publikum der Kritiker und Rechtehändler dürfte bürger­li­cher und gebil­deter und areli­giöser sein, als die Figur. Man kann sich dann leichter davon distan­zieren. Das geht bei den anderen Filmen nicht.

Seidl: Ist möglich. Mein Film Jesus, du weißt, der hat im Kino gar nicht funk­tio­niert, erstaun­li­cher­weise. Aber der hat die meisten Festi­val­ein­la­dungen gehabt von allen meinen Filmen. Über 150 Festivals! Aber was für Leute gehen auf Film­fes­ti­vals? Sicher keine gläubigen Menschen zum Großteil. Dort hat er funk­tio­niert. Auch Menschen, die nicht glauben, haben da irgend­etwas gesehen, und gespürt: Da ist etwas, was uner­klär­lich ist.

artechock: Und kaum machen Sie so einen Film, tritt der Papst zurück...

Seidl: Der Vatikan hat sich ja kluger­weise nicht zu dem Film geäußert. Eigen­ar­ti­ger­weise – wir haben den Film ja auch dem Klerus gezeigt...

artechock: Wollten Sie den Segen?

Seidl: Nein, nein, das hat der Verleih gemacht, ich war gar nicht dabei. Aber es hat völlig über­ra­schend ganz positive Stimmen gegeben. Der Dompfarrer von St. Stephan hat am Sonntag eine Kolumne im „Kurier“. Da hat er über den Film geschrieben, und als Schluss­satz hat er geschrieben: »Seidl hatte ja Priester werden sollen. Was sehr schade ist, dass er es nicht wurde. Aber lieber Gott, ich bedanke mich dafür, dass Du diesen Meister der Filmkunst geschaffen hast.« [Seidl lacht lange]

artechock: Warum haben Sie denen das überhaupt gezeigt? Sie haben doch den ersten Film bestimmt nicht irgend­wel­chen Frau­en­ver­bänden gezeigt, und den dritten nicht profes­sio­nellen Diät­ver­wal­tern...

Seidl: Nein, also wie gesagt: Das war eine Initia­tive des Verlei­hers. Auch viel­leicht... Ich weiß auch nicht...

artechock: Schon immer noch eine Autorität, die Kirche, nicht? Man will den Segen?

Seidl: Ja. Das ist schon noch in Öster­reich verankert. Ich hab das vor ein paar Tagen noch ärger erlebt: Ich habe einen Zweit­wohn­sitz im Norden im Wald­viertel nahe der tsche­chi­schen Grenze. Da gibt es noch ein Landkino, ein Uraltkino, mit einer Frei­be­stuh­lung, das gleich­zeitig ein Ballsaal ist. Mit einem Gasthaus verbunden – so wie es früher war. Da gibt es einen Filmklub und alle meine Filme werden dort gespielt, mit uralten Projek­toren. Da kommen dann die ganzen Leute vom Ort: Der Elek­triker, alles kunter­bunt. Da war auch vom nahe­lie­genden Stift – das ganze Land ist seit Jahr­hun­derten aufge­teilt in Besitz­tümer dieser Stifte – da hat man noch den Abt einge­laden, der dann nicht gekommen ist. Aber der Prior ist gekommen in der Soutane und so weiter, der ist dann extra begrüßt worden als Quasi-Autorität, und der hat sich dann zu Wort gemeldet, und hat sich nicht getraut zu sagen, dass er da inhalt­lich nicht zu stehen kann, und hat sich in die Form geflüchtet: Die Bilder erin­nerten ihn an Barock­maler. da hab ich gesehen: Das hat so eine Autorität. Genauso hätt' man den Bürger­meister begrüßen können, den man nicht begrüßt hat.

artechock: Das Autoren­kino... Sie werden jetzt nicht wider­spre­chen, wenn ich sage: Sie sehen sich als Autoren­filmer. Wo fühlen Sie sich in dieser Land­schaft des zeit­genös­si­schen Kinos posi­tio­niert? Wir reden jetzt nicht über Harry Potter und solche Sachen, sondern über die Filme, die auf Film­fes­ti­vals laufen... Sehen Sie sich da als Solitär? Fühlen Sie sich mit bestimmten anderen Filme­ma­chern verbunden?

Seidl: Nein, weil innerhalb des Autoren­kinos gibt es ja gott­sei­dank sehr unter­schied­liche Filme und Zugänge. Insofern fühle ich mich da mit niemandem verbunden.
Meine Filme haben in Frank­reich Schwie­rig­keiten, verbreitet zu werden, weil offen­sicht­lich die Franzosen es noch viel viel weniger zulassen, hinter die Fassade zu schauen. Also die beschö­nigen ja alles. Das ist denen alles zu direkt, zu krass; das wollen die irgendwie nicht sehen. Was mich wundert, weil ja Frank­reich so eine Kino­na­tion ist. Jean Eustache war für mich sehr lange sehr wichtig. Aber die „Cahiers“ haben mich glaube ich nie wahr­ge­nommen. Das ist so eine andere Art.

artechock: Aber Sie haben doch einen fran­zö­si­schen Co-Produ­zenten, Phillippe Bober. Der formt doch bestimmte Stil-Familien?

Seidl: Nein, da muss ich wider­spre­chen. Phillippe ist nicht der Initiator, sondern jemand der sich dranhängt und gebraucht. Phillippe hat eine sehr gute Wahr­neh­mung und einen eigenen Blick und sucht sich die Filme­ma­cher, die ihn inter­es­sieren. Das hat sehr oft mit visuellen Dingen zu tun. Die einzige, die eine Ausnahme ist, ist Jessica Hausner. Da gibt es von vorn­herein eine Zusam­men­ar­beit. Das gibt es bei mir ja gar nicht. Ich zeig ihm dann den Film, wenn er im Schnitt liegt. Der weiß vorher nichts... Der liest auch kein Drehbuch. Ich mache, was ich mache.