»Woody lebt in seiner eigenen Welt« |
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Melinda and Melinda |
Aufgewachsen im erzkonservativen New Yorker Nobelvorort Darian, eineinhalb Fahrstunden von Manhattan entfernt, wurde Chloé Sevigny, geboren 1974 im Ostküstenstädten Springfield, in den frühen 90ern zum Star der New Yorker Szene, trat in diversen Musikvideos auf und modelte für Undergroundmagazine. Der New Yorker feierte sie als »it girl«. Seit ihrem Film-Debüt in Larry Clarks berühmtem Film Kids vor zehn Jahren ist Sevigny etwas Besonderes, ja Einmaliges in der US-Filmlandschaft – eine selten authentische, kompromißlose Darstellerin mit viel Mut zu gewagten Auftritten. Voller Integrität und Idealismus wählt sie ihre Rollen konsequent nach künstlerischen, nicht ökonomischen Kriterien. Das brachte ihr wiederholte Auftritte in Filmen von Lars von Trier, Jim Jarmush, Larry Clark ein.
Sevigny spielte in Trees Lounge von Steve Buscemi, Gummo von ihrem damaligen Lebensgefährten Harmony Korine, in American Psycho von Mary Harron und Demonlover von Olivier Assayas. Für ihre Nebenrolle in Kimberly Peirce' Boys Don’t Cry wurde sie 2000 sogar für einen Oscar nominiert. Jetzt hat Sevigny zum ersten Mal bei einem Woody Allen-Film mitgespielt. Über ihre Rolle in Melinda and Melinda sprach Rüdiger Suchsland für artechock mit Sevingy auf dem Filmfestival im baskischen San Sebastián.
artechock: Wie war der erste Drehtag mit Woody Allen?
Chloé Sevigny: Ich bin richtig neurotisch geworden. Andere Schauspieler erzählen einem zwar ganz selbstsicher: »Oh, ich drehe jetzt mal mit Woody Allen, klar.« Aber ich habe ziemlich gezittert. Seit meiner Highschool-Zeit war ich immer schon ein Fan. Und kurz vor dem Dreh hab ich mir dann aus der Videothek etwa zehn Filme von ihm geholt – das war das dümmste, was ich hätte tun können. Denn nun war ich noch viel mehr eingeschüchtert. Es ist toll, wie er mit Schauspielern arbeitet – und ich dachte: Allein schon diesen Sprachrhythmus bekomme ich niemals hin. Ich bin auch eine große Bewunderin von Diane Keaton. Sie ist eine meiner Lieblingsschauspielerinnen. Und auch neben ihren Filmen mit Woody Allen hat sie ganz tolle Sachen gemacht.
artechock: Es heißt immer, Allen sei so schüchtern...
Sevigny: Er ist sehr schüchtern! Vor allem im persönlichen Umgang. In der Öffentlichkeit ist er immer so eloquent, er flirtet mit dem Publikum, und scheint so viel mehr bei sich selbst zu sein. Erst wenn man ihn kennen lernt, merkt man, wie sensibel er ist, auch kompliziert und in sich gekehrt. In den Drehpausen macht er sich oft Notizen, kritzelt in einem Buch herum. Einmal hat eine Kollegin in irgendeinem Magazin eine Notiz entdeckt: »Idee für einen Film: Es ist das Jahr 2060...« [Lacht lange] Er lebt in seiner eigenen Welt.
artechock: Ist es Ihnen lieber, mit einem Regisseur zu arbeiten, der mit Ihnen spricht, Ihnen sagt, was er von Ihnen erwartet?
Sevigny: Nein, eigentlich mag ich es ganz gern so, wie es mit Woody Allen war. Woody war ganz geradeaus, klar und kurz. Als ich beispielsweise Boys Don’t Cry gedreht habe, wollte die Regisseurin ganz viele persönliche Informationen und war sehr sehr neugierig; sie wollte alles von mir wissen – und die ganze Arbeit war ungemein emotional. Es kommt natürlich immer auf die Rolle an. Vielleicht war das für diesen Film damals wichtig.
artechock: In Melinda and Melinda spielen Sie eine höhere Tochter, eine junge Oberklassen-Frau, die aus einem ähnlichen Milieu stammt, wie dem, in dem Sie aufwuchsen...
Sevigny: Ja, ich kenne diese bleichen Mädchen mit Perlenkette und Kaschmirrock ganz gut – es gab sehr viele dieses Typs an meiner High School – ich selbst war allerdings nie so. [Lacht] Es ist nett, ein solches nettes Mädchen zu spielen. Auch wenn diese Laurel ja gar nicht so nett ist. Immerhin betrügt sie ihren Mann, und nimmt ihrer besten Freundin den Liebhaber weg. Ich werde öfters für solche Rollen gecastet. Woody Allen hatte mich glaube ich auch zuerst in The Last Days of Disco gesehen, wo ich auch so ein Yuppie-Mädchen spielte
artechock: Wie kam Woody Allen auf Sie zu?
Sevigny: Er kam gar nicht persönlich auf mich zu. Er ist nicht sehr 'social'. Seine Agentin sprach mich an, und sagte: Woody will Dich wirklich in diesem Film haben, aber er will Dich noch mal sehen. Und dann bin ich in sein Büro in der Park Avenue gefahren, und er hat mir die Hand geschüttelt, und dann bin ich wieder gegangen. [Lacht] Es war tatsächlich sehr kurz. Und dann kam ein Anruf, dass ich die Rolle hätte, und dann musste ich wieder in das gleiche Büro, weil ich nur dort das Drehbuch lesen dürfte, auch nur jene Teile, die mich betroffen haben. Woody verschickt seine Drehbücher nie, aus Angst, der Falsche könnte sie bekommen.
artechock: Wie geht es Ihnen sonst? Sie galten in den Neunzigern als eine der Kultfiguren der New Yorker Jugendkultur. Zuletzt hieß es, dass sie nach Vincent Gallos Skandalfilm The Brown Bunny, wo sie am Ende in einer Oralsex-Szene zu sehen waren, ziemlich viel Ärger mit den Kultur-Puritanern bekommen hätten. Ihr Agent soll sie rausgeworfen haben…
Sevigny: Nein – das ist komplett gelogen. Ich gebe zu: die Agentur war nicht sehr glücklich, dass ich den Film gemacht habe. Aber der Wirbel um den Film hat ihnen dann schon gefallen. Ich habe danach auch einige Filme gemacht, die die Agentur mir nahe gelegt hatte, die sehr kommerziell waren – wie Party Monster und so etwas. Allerdings hat William Morris, mein eigentlicher persönlicher Agent, dann die Firma für einen neuen Job verlassen, und kurz darauf habe ich auch die Agentur gewechselt. Ich hatte den Eindruck, dass die mit mir nicht mehr so viel anfangen konnten.
artechock: Wie stehen Sie im Rückblick zu Brown Bunny?
Sevigny: Ich bin sehr stolz auf den Film. Auch wenn er mir ein paar Schwierigkeiten gemacht hat, bedaure ich nichts daran. In der US-Kulturszene geben derzeit die Konservativen den Ton an. Es gibt sehr wenig Mut. Aber man darf sich das nicht gefallen lassen.
artechock: Sie haben auch zweimal mit Lars von Trier gearbeitet, der gilt nicht gerade als Freund Amerikas…
Sevigny: Er ist kein Freund von Bush. Aber ich war mit Dogville sehr zufrieden. Man sollte den Film allerdings nicht nur auf seine politischen Provokationen reduzieren – das gilt überhaupt für jeden Film. In der Dogville-Fortsetzung Manderlay hatte ich nur einen ganz kleinen Part – wie eine Statistin, mit genau zwei Sätzen. Ich dachte: Das wird ganz locker, aber es war sehr sehr anstrengend, weil ich die ganze Zeit am Set herumhängen musste. Ich habe immerhin währenddessen fünf Bücher durchgelesen. Lars versprach mir am Ende: »Das nächste Mal habe ich eine viel größere Rolle für Dich« – wir werden sehen.
artechock: Glauben Sie es denn noch, wenn Sie ein Regisseur aufs »nächste Mal« vertröstet?
Sevigny: Ja, ich möchte es glauben, dass er sein Wort hält. Ich hoffe, dass er eine Rolle für mich hat. Aber wenn es nicht klappt, werde ich das auch überleben.
artechock: Nach welchen Kriterien suchen Sie sich denn überhaupt Ihre Rollen aus?
Sevigny: Zuerst schaue ich auf den Regisseur. Dann darauf, wer noch mitmacht. Natürlich ist das Script und meine Rolle wichtig. Aber in Jim Jarmushs neuem Film spiele ich zum Beispiel die Sekretärin eines Tierpsychiaters, und zwar eine, die lesbisch ist [lacht].
artechock: Sie haben mit Larry Clark gearbeitet, Lars von Trier, Woody Allen, Jim Jarmush. Das liest sich wie eine Liste der Wunschkandiaten eines jeden Schauspielers. Ist auf Ihrer persönlichen Liste noch jemand offen?
Sevigny: Ich würde wahnsinnig gerne mit Claire Denis arbeiten. Oder mit den Coen-Brüdern.
artechock: Und für Mainstream-Filme interessieren Sie sich gar nicht? Oder werden die Ihnen nicht angeboten, weil Sie zu hip und schräg dafür wirken?
Sevigny: Ich würde gerne ein paar kommerziellere Filme drehen. Aber ich habe tatsächlich noch nicht die Rolle gefunden, oder angeboten bekommen.