24.08.2005

»Es gibt keine Unschuld!«

Bertrand Tavernier im Sessel
»Ich gebe Informationen, aber keine Antworten.«
(Bertrand Tavernier)

Ein Gespräch mit Bertrand Tavernier über schöne Frauen im Kino, engagiertes Filmemachen, die Ökonomie der Adoption und gute US-Filme auf DVD.

1941 in Lyon geboren, als Sohn eines Schrift­stel­lers und Verlegers in Paris aufge­wachsen, ist Bertrand Tavernier heute der wich­tigste fran­zö­si­sche Regisseur der ersten Gene­ra­tion nach der »Nouvelle Vague«. Der Regisseur gewann 1995 bei der Berlinale den Goldenen Bären für L’appât, drehte viele weitere erfolg­reiche Spiel­filme, darunter das düstere Mittel­alter-Epos La passion Béatrice, und die leiden­schaft­liche soziale Anklage Ça commence aujourd'hui. Jetzt kommt sein neuer Film Holy Lola ins Kino.

Mit dem Regisseur sprach Rüdiger Suchsland.

artechock: Sie haben Holy Lola in Kambo­dscha gedreht. Haben Sie die Sprache gelernt?

Bertrand Tavernier: Ein bisschen. Ich verliere es jetzt wieder. Aber ich konnte Kambo­dscha­nisch zählen, ein bisschen herum­reden. Die Betonung ist das Schwie­rige. Ich kann mir im Restau­rant etwas bestellen, oder auf der Straße nach dem Weg fragen. Aber mein Problem war, dass ich mit einer fran­zö­si­schen Crew gedreht habe.

artechock: Sprechen die Kambo­dschaner eigent­lich noch Fran­zö­sisch?

Bertrand Tavernier: Nein, gar nicht. Nur die ältere Gene­ra­tion. Und viele Anhänger der roya­lis­ti­schen Partei. Der kambo­dscha­ni­sche König Sihanouk spricht perfektes Fran­zö­sisch. Er spricht zehn Sprachen. Und in den meisten singt er sogar! Ich bekam von ihm die ganzen CD’s. Dort singt er auf Fran­zö­sisch, Englisch, Italie­nisch, Spanisch, Korea­nisch, Viet­na­me­sisch, Chine­sisch und natürlich Kambo­dscha­nisch. Und sein Bruder spielt dazu Gitarre.

artechock: Die histo­ri­schen und kultu­rellen Bezie­hungen zwischen der ehema­ligen Kolo­ni­al­macht Frank­reich und der Kolonie Indochina sind ambi­va­lent. Haben Sie sich für diesen Film und ihren Aufent­halt in Kambo­dscha entspre­chend vorbe­reitet? Spielte dieses Verhältnis überhaupt eine Rolle?

Tavernier: Nicht wirklich. Mich selbst hat es natürlich inter­es­siert. Ich wollte zunächst alles wissen, besonders über die aktuelle Situation in Kambo­dscha. Natürlich kommt man über die Probleme der Vergan­gen­heit gar nicht herum, auch nicht um die prekären Bezie­hungen zu Thailand und Vietnam, die Kambo­dscha irgend­wann in der Geschichte auch schon mal unter­worfen hatten. Aber für mich standen immer der Film und sein Thema im Zentrum, alles andere entstand nebenbei. Und das Thema Adoption ist so stark, dass es einen ganz in Beschlag nimmt.

artechock: Wie kamen Sie jetzt überhaupt auf dieses Thema?

Tavernier: Alle meine Filme haben eines gemeinsam: die Neugier. Den Wunsch, zu lernen, ein Terri­to­rium zu erkunden, das mir vor dem Film unbekannt war, und mitzu­teilen, was immer ich dabei entdecke, was ich tragisch oder witzig finde. Mein Freund und Meister Michael Powell schrieb, er habe alle seine Filme gemacht, um selbst zu lernen. Ich hatte noch nie eine These, nie eine vorge­fasste Idee.

Zum Beispiel Holy Lola: Ich wollte nie sagen: Adoption ist super, oder umgekehrt: Sie ist schlecht, weil… Ich wusste nie, was dabei heraus­kommen würde, ich wollte etwas finden, und mich selbst mit einigen ganz prag­ma­ti­schen Details und Momenten konfron­tieren. Oft entdecke ich erst während des Films bestimmte Wahr­heiten. Und oft verändert das den ganzen Film. Das Ende der meisten meiner Filme ist oft nicht identisch mit dem im Drehbuch.

Holy Lola wurde in Frank­reich von manchen als Pro-Adoptions-Film geschätzt, von anderen als Anti-Adoptions-Film. Was ist nun die Message? Das einzige, dessen ich mir sicher bin, ist in Holy Lola, dass der Film sagt: Wenn man erfolg­reich ein Kind aus einer fremden Kultur adop­tieren will, dann muss man diese Kultur adop­tieren. Man muss das Land kennen­lernen. Dann könnte man Erfolg haben.

artechock: Kürzlich feierte man den 100ten Geburtstag von Jean Paul Sartre. Der skiz­zierte das Konzept er „littera­ture engagée“. Sie werden in Frank­reich oft als „cinéaste engagée“, als sozial und politisch enga­gierter Filme­ma­cher bezeichnet.

Tavernier: Ich bin immer etwas skeptisch, wenn mich Leute einen „Regisseur engagée“ nennen. Das mag ich zwar in gewissem Sinn zutreffen – aber das ist doch jeder. Nur bin ich eben gerade keiner, der immer Antworten parat hat. La passion Béatrice war nicht geplant, um zu zeigen, dass das Mittel­alter dunkel war. Er entdeckt die Kunst und die Seele eines Zeital­ters. Meine Filme versuchen immer in ein anderes Land zu gehen und sich umzusehen, und dort etwas zu finden, was signi­fi­kant ist. Den Rest überlasse ich dem Publikum. Ich gebe Infor­ma­tionen, aber keine Antworten. Ich will auch keine Reso­lu­tionen erlassen. Das heißt natürlich nicht, dass meine Filme keine Über­zeu­gungen hätten. Sie haben starke Über­zeu­gungen. Aber die liegen in den Fragen.

artechock: artechock: Bleiben wir einen Moment bei La passion Béatrice Der Film ist offen­kundig stark von den histo­ri­schen Arbeiten der „L’ecole d’annales“ beein­flusst. Diese Histo­riker haben die ethno­lo­gi­sche Methode, die für den Umgang mit „primi­tiven“ Völkern und Kulturen entwi­ckelt wurde, auf ihr eigenes Land angewandt. Ihre Filme machen mitunter den Eindruck, als täten Sie Ähnliches, als betrieben Sie eine Ethno­gra­phie Ihres eigenen Landes. Würden Sie Ihre Methode als ethno­lo­gisch bezeichnen?

Tavernier: In gewisser Weise ja. Es kommt verschie­denes zusammen, das Resultat ist eine Mixtur. Meine Filme sind in ihrem Blick ethno­gra­phisch, aber ich erzähle auch von Charak­teren. Ich muss immer darauf achten, dass alles was ich entdecke und alles, was ich erfinde, die Figuren beein­flusst. Ein Histo­riker ist von den Fakten besessen. Ich muss dagegen die Frage berück­sich­tigen, wie ich die Fakten in Form eines Fiction-Plots mit Leiden­schaft, Entwick­lungen und Wider­sprüchen beschreiben kann. Also: Ich muss eine Geschichte erzählen, ich brauche Imagi­na­tion. Aber ja, es ist auch ethno­lo­gisch. Die Histo­riker der Annales, Autoren wie Georges Duby, Jacques Le Goff und Fernand Braudel, sind für mein Werk eine der wich­tigsten Einfluss­quellen. Alle meine Filme beginnen mit einigen wenigen, sehr konkreten Fakten. Und dann suche ich mir den Rest zusammen, bis das Gesamt­bild und die Emotionen stimmen. Was ich jeden­falls vermeiden will, ist der Eindruck, dass ich alles wusste.

artechock:Woher kommt Ihrer Ansicht nach die Obsession mancher Paare, unbedingt ein Kind zu wollen, und dafür, auch wenn es auf natür­li­chem Weg nicht klappt, keiner Anstren­gung aus dem Weg zu gehen? In Teilen Ihre Films kann man das zwar gut nach­voll­ziehen, dann aber wirkt es wieder wie eine Hysterie…

Tavernier: Das wäre für mich eigent­lich ein anderer Film. Viel­leicht ist es etwas orga­ni­sches, das Bedürfnis, Kinder aufwachsen zu sehen. Besonders manche Frauen empfinden das sehr stark. Ich kenne zwar Frauen und Männer, die keine Kinder wollen. Aber ich selbst hatte auch Freun­dinnen, die unbedingt ein Kind wollten – zu einem Zeitpunkt, als ich keine Kinder wollte. Und ich habe sie verloren. Daher kenne ich das. Ich weiß, wie stark der Wunsch sein kann. Damit geht Holy Lola los. Trotzdem ist das »Warum?« nicht die Frage des Films, die Frage ist »Wie?« Mit was für konkreten Problemen ist man konfron­tiert, wenn man unbedingt ein Kind will? Was sind diese Probleme? Und ist es normal, dass wir Westler in die Dritte Welt kommen, um uns ein Kind zu beschaffen?

artechock: Und wie lauten Ihre Antworten?

Tavernier: Ich bin überzeugt, dass durch die Adoption vielen Kindern geholfen wird. Ich denke, solche Eltern, wie ich sie zeige, werden die adop­tierten Kinder sehr gut aufziehen. Sie werden sie vor viel Unglück bewahren, ihnen eine Erziehung geben, die sie in ihrem eigenen Land nicht bekommen, ihnen eine Gesund­heits­ver­sor­gung geben, die sie dort nicht bekommen. Ihnen droht keine Vers­tüm­me­lung durch Landminen mehr. Manchmal entgehen die Kinder durch eine Adoption sogar ihrer Entfüh­rung. Kinder­raub oder Kinder­ver­kauf ist in Südostasien sehr häufig – da sollte man nicht drum herum reden. Die Kinder landen dann in irgend­wel­chen Bordellen, manche werden verge­wal­tigt. In China zahlt man hohe Preise für ein jung­fräu­li­ches Mädchen. Sie wird dann mehrfach als Jungfrau verkauft.

Jeder, der in Kambo­dscha im huma­ni­tären Sektor arbeitet, wird ihnen bestä­tigen, dass das so ist. Ich habe persön­lich mit Poli­zisten gespro­chen, die an solchen grausamen Fällen arbeiten. Nur: wir im Westen verschließen gern die Augen vor solchen Tatsachen. Und unsere Regierung tut nichts! Unsere Regie­rungen sind in diesen Fragen völlig passiv. Das wollte ich zeigen.

Meine Idee war: Durch den Kinder­wunsch kommt ein west­li­ches Paar in ein anderes Land, und allmäh­lich entdeckt es viele, viele Dinge über das Land. Das verändert einen. Man ist verletzt und sieht vieles mit anderen Augen. Der Blick ist weiter, sie haben etwas gelernt. Damit sage ich nicht, dass Adop­tionen alle Probleme lösen. Aber auf Adop­tionen völlig zu verzichten, löst gar nichts. Wenn man das unter­binden würde, würden die Waisen­häuser geschlossen, weil sie kein Geld mehr haben. Die Kinder landen dann auf der Straße. Das erste, was ich gelernt habe, schon nach wenigen Wochen: Es gibt nicht die eine klare Lösung. Ich versuche sehr genau, gerade diesen Eindruck zu vermeiden.

artechock: Gibt es aber nicht auch eine düstere Seite? Die Bezie­hungen zwischen Ex-Kolonien und ihren Ex-Herren sind ja keines­wegs unschuldig…

Tavernier: Nein, es gibt keine Unschuld. Man kann vermeiden, dass die Bezie­hungen völlig korrupt sind. Aber völlige Unschuld ist unmöglich. Zuviel Schreck­li­ches ist vorge­fallen. Nichts ist unschuldig. Man kann nie völlig sicher sein, ob das Kind, das man adoptiert, nicht geraubt wurde. Aber was will man tun? Soll man auf die Adoption verzichten? Das einzige, was man tun kann, ist seine Augen möglichst weit auf machen. Sich umschauen. Hingucken. Damit erspart man sich zwar nicht alles, aber wenigs­tens ein bisschen.

artechock: Wie ist es, als Film­re­gis­seur in diesem Land zu arbeiten, wenn es keine Unschuld gibt?

Tavernier: Sehr bewegend. Denn es gibt zwar keine Unschuld, aber viel Verlangen. Das Verlangen, zu arbeiten, wieder zu leben. Ich hatte eine große kambo­dscha­ni­sche Crew – und nicht nur, um unser Gepäck zu tragen. Sie haben wirklich mitge­ar­beitet: Wunder­bare Leute: witzig, großzügig, intel­li­gent. Wir waren ganz frei. Wir hatten keine Probleme mit Korrup­tion. Denn wir wollten ins Land eintau­chen. Wir haben uns viel Mühe gegeben, nicht groß­kotzig aufzu­treten, nicht wie ein typisch europäi­sches Filmteam. Es war extrem bewegend. Sehr warm­herzig und fordernd.

artechock: Wenn man auf Ihre Filme blickt, erkennt große Vielfalt. Sie haben Filme gemacht wie diesen – ethno­gra­phisch. Sie haben in Ihren bishe­rigen Filmen auch schon mit vielen großen Schau­spie­lern gear­beitet, vor allem schönen Frauen: Romy Schneider, Isabelle Huppert, Sophie Marceau, Julie Delpy…

Tavernier: Sie war damals noch kein Star. Ich habe Julie Delpy überhaupt entdeckt, La passion Béatrice war praktisch ihr erster Film, ein Film ohne Stars. Sophie Marceau ist ein spezi­eller Fall, denn La fille D’Artagnan war eigent­lich nicht mein Film. Ich war Produzent, und musste den dann über­nehmen. Aber ich liebe es, mit Sophie Marceau zu arbeiten. Sie ist wunder­schön und, wenn man sie insze­niert, sehr, sehr gut. Im Schnei­de­raum bin ich mit ihr nicht ganz zurecht­ge­kommen.

artechock: Und Romy Schneider...

Tavernier: Romy Schneider brauchte etwas, was zu ihr passte. In La mort en direct war sie dann unglaub­lich gut – man musste ihr nichts erklären. Ich habe nie wieder eine ähnlich instinktiv intel­li­gente Schau­spie­lerin getroffen. Sie hatte so unglaub­lich viel Erfahrung – das hat uns zehn Seiten Erklärungen erspart.

artechock: Sie haben Filme gemacht, die gewiss „engagée“ sind, in einem ganz klas­si­schen Sinn. Ça commence aujourd'hui und Holy Lola zum Beispiel. Sie handeln von zwin­genden sozialen und poli­ti­schen Fragen der Gegenwart und beziehen Position. La fille D’Artagnan tut das nicht…

Tavernier: Nein, aber La fille D’Artagnan war für mich Urlaub. Ich musste damals eine Woche vor Drehstart den Regisseur ersetzen – also habe ich es eben gemacht. Es war ein großer Spaß. Wir leben in unan­ge­nehmen Zeiten. Da braucht man das. Ich liebte es, das Duell zu drehen. Ich fand alles sehr amüsant. Von Zeit zu Zeit möchte ich einen Film drehen, der mir den Kopf frei macht. Einen Film in zwei Ländern an vier Drehorten zu drehen, macht Spaß. Es bereitet mir Vergnügen, beim Duell zwei Kame­ra­ein­stel­lungen zu haben, Schuß-Gegen­schuß, und zu wissen: Zwischen beiden liegen 1000 Kilometer – aber keiner bemerkt es! Zur gleichen Zeit suche ich Wahr­heiten, bewegende Momente. Ich will etwas entdecken. Ich will über­rascht werden, will staunen können beim Filme­ma­chen. Und man kann in einem Film wie Holy Lola auf einer anderen Ebene über­rascht werden, als in La fille D’Artagnan. Mein Leben im Kino ist ganz bestimmt von Über­ra­schungen. Und die meisten von ihnen waren sehr beglü­ckend.

artechock: Sie haben eben gesagt: »Wir leben in unan­ge­nehmen Zeiten.« Spielen Sie damit auf den aktuellen Terror und den Kampf gegen ihn an?

Tavernier: Nein, das ist viel­leicht Teil des Phänomens, aber ich meine eine allge­mei­nere Attitüde. Wir leben in Zeiten, deren Lebens­ge­fühl von Furcht bestimmt ist. Angeblich gibt es ein »Ende der Ideo­lo­gien«, mit der Folge, dass wir überhaupt keinen Über­zeu­gungen mehr trauen. Wir zweifeln an allem. Wir glauben, dass wir überhaupt nichts Sinn­volles mehr tun können. Der viel­leicht über­trie­bene Opti­mismus der Zeit um 1968 – der Glaube man könne alles verändern – ist umgekippt in einen totalen Pessi­mismus. Man denkt, man kann gar nichts mehr verändern. Es gibt viele Bücher und Filme, die genau davon handeln, die das Beschreiben: Sinn­lo­sig­keit, Verzweif­lung, Resi­gna­tion.

Ich will das nicht. Darum versuche ich, andere Filme zu machen. Enga­gierte, aber in einer Art… Ich will offen für die Welt bleiben, für die Welt von heute und morgen, aber auch von gestern. Ob meine Filme in der Gegenwart oder in der Vergan­gen­heit spielen, macht für mich keinen Unter­schied. Denn wer aus der Vergan­gen­heit lernt, will auch aus der Gegenwart lernen. Man muss seine Wurzeln kennen.

Nichts macht mich wütender, als diese desin­ter­es­sierte Attitüde: »Warum inter­es­sieren Sie sich für den Ersten Weltkrieg, das ist doch nicht mehr unser Problem?« Nicht mehr unser Problem – abgesehen davon, dass alles, was wir heute sind, in dieser Zeit begründet liegt. Nicht nur Bosnien, der Kommu­nismus und der Faschismus. Wir sollten besser mehr darüber wissen. Die Attitüde der deutschen und fran­zö­si­schen Generäle ist exakt die Gleiche wie die der heutigen Manager, die dutzend­weise Fabriken schließen: Sie gaben ein Commu­niqué heraus unter dem Motto »Der Sieg rückt näher«, nachdem sie gerade erfahren hatten, dass in 20 Minuten 25.000 Menschen gefallen waren. Das hat für sie bewiesen, dass der Sieg nahe war. Und ebenso die Art, wie sich alle, selbst hohe Generäle aus der Verant­wor­tung stehlen.

In Kambo­dscha habe ich gesehen, wie verlassen ein Land ohne Geschichte ist. Dort hört in der Schule die Geschichte 1952 auf. Die Menschen wissen nichts über die Roten Khmer, nichts über das Enga­ge­ment der Ameri­kaner in Indochina, sie wissen nichts darüber, dass auf Kambo­dscha mehr Bomben fielen, als auf Nazi-Deutsch­land – dank Mr. Kissinger und Mr. Nixon.

artechock: Sie sind bekannt als Kritiker Amerikas, aber Sie mögen das Land auch…

Tavernier: Ich liebe Amerika. Ich mag Bush und seine Leute nicht, aber das heißt nicht, dass ich etwas gegen das Land hätte. Auch wenn das heutige US-Kino weniger erfin­dungs­reich ist, viel zu Technik-dominiert und inhalt­lich leer, als zu früheren Zeiten, ist es immer noch sehr spannend.

artechock: Sie sind ein großer Western-Fan…

Tavernier: Oh ja! ich kaufe sie dutzend­weise auf DVD, sobald sie heraus­kommen. Auch anderes US-Kino. Kürzlich habe ich wieder auf amazon zuge­schlagen: The Purple Plain (1954) von Robert Parish, Beachhead von Stuart Heisler, Texas von George Marshall.

artechock: Sehen Sie die auch alle an, oder wollen Sie sie bloß haben?

Tavernier: Oh nein, ich gucke schon vieles. Ich versuche, alles zu sehen. Ich denke in Deutsch­land hat man in der Hinsicht noch Nach­hol­be­darf. Es gibt viele deutsche Filme, die ich gern sehen würde, mit Unter­ti­teln natürlich: Aus den 30ern, Abschied von Siodmak, Filme von Dieterle, von Helmut Käutner aus den 40ern. Keiner tut etwas dafür, dass diese Filme in Deutsch­land heraus­kommen.

artechock: Welchen Western empfehlen Sie besonders?

Tavernier: Besonders gut gefallen mir gerade 3:10 to Yuma (dt. Todeszug nach Yuma, 1957) und Jubal (dt. Der Mann ohne Furcht, 1956), beide von Delmer Daves und Naked Spur von Anthony Mann. Generell würde ich von My Darling Clemen­tine (1946) bis The Searchers (1956) jeden Western von John Ford, Anthony Mann und Delmer Daves empfehlen. Bei uns in Frank­reich kommen jetzt sogar einige Filme heraus, die es noch nicht einmal in den USA gibt: Broken Arrow von Daves und Garden of Evil von Henry Hathaway. Und ich habe selber eine Coll­ec­tion von US-Filmen heraus­ge­geben mit einigen meiner Lieb­lings­filme.

artechock: Und wie sieht es mit ihren eigenen Filmen aus?

Tavernier: Es gibt zwei sehr gute DVD-Coll­ec­tionen, aller­dings leider nur zum Teil mit engli­schen Unter­ti­teln. Das hat mich selbst über­rascht. Alle Filme sind vom jewei­ligen Kame­ra­mann auf Bild­qua­lität überprüft und gege­be­nen­falls nach­be­ar­beitet worden – daher ist die Qualität hervor­ra­gend. Die meisten Filme haben auch einen Audio­kom­mentar oder ein Interview.

artechock: Herr Tavernier, wir danken Ihnen für das Gespräch.