Taiwan/China/HK/F 2015 · 105 min. · FSK: ab 12 Regie: Hou Hsiao-hsien Drehbuch: Hou Hsiao-hsien, Chu Tien-Wen, Hsieh Hai-Meng, Zhong Acheng Kamera: Mark Lee Ping-bin Darsteller: Shu Qi, Chang Chen, Zhou Yun, Satoshi Tsumabuki, Juan Ching-tian u.a. |
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Martial-Arts-Poem und angewandter Pazifismus |
Dies ist die Geschichte eines weiblichen Auftragskillers im 9. Jahrhundert, zur Zeit des Verfalls der Tang-Dynastie. In den Provinzen erheben sich lokale Fürsten. Die Hauptfigur heißt Nie Yinniang, ist vermeintlich 20 Jahre alt, und gespielt von der mindestens zehn Jahre zu alten, wenn auch immer noch blendend aussehenden Shu Qi. Nie wurde von ihren Eltern einst im Wald ausgesetzt, wurde gefunden und von der Prinzessin Jiaxing, einer Art Äbtissin einer Kampfkunstklosterschule, zu einer perfekten Kämpferin geschult. Von der wird Nie zu Beginn des Films zu einem Auftrag geschickt. Als sie dabei versagt, weil sie mitdenkt, anstatt einfach ihren Job zu tun, bekommt sie zu hören: »Du bist eine Meisterin der Technik, aber dein Herz ist schwach.« So wird sie zur Strafe in ihre Heimat geschickt, die sie seit dreizehn Jahren nicht gesehen hat. Dort soll sie sich bewähren, indem sie den Anführer des rebellischen Weibo-Clans tötet, der auch jener Mann ist, dem sie einst versprochen wurde. Und vor allem eine Lektion lernen: Auch ihr Herz muss stark, das heißt kalt werden.
Eine Frau steht also im Zentrum, die sich Zweifel und ein individuelles Urteil gestattet, und dadurch unfähig wird, in der Männerwelt ganz einfach ihren Job zu tun.
Im Actionkino des Westens wie des gar nicht mehr so fernen Ostens bleiben Frauenfiguren, die mehr sein sollen, als schmückendes Beiwerk für männliche Helden, in der Regel zwei Alternativen: Entweder sind sie Klone von Sarah Connor (Terminator): Cool und hart, von einem Emotionspanzer umgeben, der dann in irgendeinem Moment doch geknackt wird. Oder sie beglaubigen als dauerempörte Hysterikerinnen oder sanfte Grüblerinnen doch das Klischee, das in Frauen das sensiblere, das skrupulöse Geschlecht sieht. Der Taiwan-Chinese Hou Hsiao-hsien geht hier eindeutig den zweiten Weg. Je länger The Assassin dauert, um so mehr drängt sich aber die Frage auf, ob diese Erzählungen von Männern über Frauen womöglich unter der Oberfläche frauenfeindlicher sind, als sie sein wollen: Weil ihre Frauenfiguren immer »besonders« sein müssen, aus der Art geschlagen. Weil sie ihren Figuren nicht gestatten, wie die Männer zu sein, »normal« zu sein. Warum dürfen Frauenfiguren im Kino nicht einfach ihren Job machen. Wenn sie Auftragskillerinnen sind, heißt der: Töten. Genau das tut Nie nämlich nicht.
Formal betrachtet ist das alles in durchweg wohlgestalteten, mitunter magnetisierenden Bildern überaus statisch erzählt, langsam bis zum Stillstand, ein bleiern schwerer, mitunter auch schwerfälliger Film von jener Art, in der vor allem nichts passiert, und manchmal auch das Nichts passiert. Ein Film zugleich mit wunderschönen, prachtvollen Bildern, insbesondere Naturaufnahmen, Bildern, die man womöglich zu den schönsten des Filmjahres rechnen wird.
Man sieht zwar zwei, drei Schwertkämpfe im Wald – stilisiert und hoch-ästhetisch choreographiert. Das ist – Hou hat in Japan gedreht – im Stil eher japanisch als chinesisch inszeniert: Lakonisch und knapp statt opulent. The Assassin ist ein perfektes Beispiel für die ästhetisierende Seite des asiatischen Kampfkunst-Kinos. Aber am Ende ist dies doch mehr ein typischer Hou Hsiao-hsien-Film als ein Werk in der Nachfolge von Crouching Tiger, Hidden Dragon, von Hero oder House of Flying Daggers. Hous Ästhetik ist seit jeher eine Ästhetik der Verweigerung. Hou will das Nichts erzählen: Die Stille, das Schweigen.
Doch bei aller Spiritualität, die sich einstellen mag, fehlt dadurch The Assassin die glamouröse, überschüssige Seite des Martial-Arts ebenso, wie die heroische, pathetische. Dies ist Kino, in dem der Exzess allenfalls in der Perfektion der Verweigerung zu finden ist. Doch dieser bewusste und offene Bruch mit den Erwartungen ist unproduktiv.
So könnte man dem Regisseur mangelnden Respekt vor dem Genre ankreiden. Dies ist mehr als ein legitimer Bruch mit
den Erwartungen, sondern eher der im Kunstkino schon selbst zum Sterotyp erhobene Erwartungsbruch. Wie ein Regisseur die Erwartungen an ein Genre erfüllen könnte, ohne die ästhetischen Ansprüche, die man ans eigene Schaffen legt, aufzugeben, haben Ang Lee und Zhang Yimou in ihren »Wu Xia«-Filmen gezeigt: Sie haben spezielle Genrefilme geschaffen, die das Genre zugleich überschritten. Hou Hsiao-hsien ist das nicht geglückt, er hat sich diesem Genre der Aktivität einfach passiv
verweigert. Auch inhaltlich: Pazifistisches Kampfkunstkino ist nicht nur ein Widerspruch in sich, es ist auch der mit Abstand moralisch billigste Ausweg.
Aktiv ist hier allein die Natur: Am Ende gibt es eine großartige Szene auf einem Berg. Unsere Heldin hat sich ein weiteres Mal eigene Ansichten gestattet, und bekommt von ihrer Chefin den Abschied mit dem Satz: »Der Weg des Schwerts ist gnadenlos.« Dann dringen in wenigen Sekunden die Wolken auf den Berg vor, und hüllen alles in weiße Schwaden. Die Helden ist bald wieder im Tal, geht zu ihrer Familie, und dann wandern sie weiter nach Westen.