Frankreich 2014 · 82 min. · FSK: ab 0 Regie: Lisa Azuelos Drehbuch: Lisa Azuelos Kamera: Alain Duplantier Darsteller: Sophie Marceau, François Cluzet, Lisa Azuelos, Alexandre Astier, Arthur Benzaquen u.a. |
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Erotik, in konservativem Gewand. Träumen darf man aber noch. |
Vor 200 Jahren war es endgültig vorbei mit der Französischen Revolution und ihrer Fortsetzung mit anderen Mitteln durch den Diktator Napoleon Bonaparte. Vor 200 Jahren siegte die Reaktion, und nicht nur in Frankreich bedeckte der Schnee des Vormärz zumindest für historisch kurze zwei Jahrzehnte den Vulkan der sozialen Veränderung. Nun kommt auch wieder aus Frankreich der Film zu diesem fragwürdigen Jubiläum...
»Hast Du Feuer?« – das Rauchen verbindet und so lange es zumindest im Kino noch nicht verboten wird, so lange wird die Glut des Tabaks auch immer wieder das Feuer der Leidenschaft, der Liebe entfachen...
Ein Mann trifft eine Frau. Sie rauchen, lachen, flirten und die Gefühle brennen an allen Ecken und Enden – da ist der Film noch keine zwei Minuten alt. Was für ein Einstieg! Es muss sich einfach um einen französischen Film handeln, das ist sofort klar, auch wenn man nicht weiß, dass Ein Augenblick Liebe im Original Une rencontre heißt, »eine Begegnung«. Das deutsche Kino hat seine Zuschauer noch nie derart direkt in sein Thema hineinfallen lassen, erst recht nicht in dieses: Liebe, Sex, Leidenschaft...
Der Mann, der die Frau am Anfang auf der Party eines Freundes kennenlernt, heißt Pierre, und er ist verheiratet. Glücklich. Mit zwei Kindern. Trotzdem kann er Elsa, eine frischgeschiedene Schriftstellerin, nicht vergessen. Ihr geht es nicht anders, und da im Kino der Zufall nicht vom lieben Gott, sondern von der Regie gesteuert wird, treffen sie sich bald wieder ganz zufällig. Auch dann tauschen sie keine Telefonnummern, obwohl sie sich küssen, und eigentlich etwas miteinander anfangen könnten. Denn sie sind vernünftig. Das Milieu ist sehr bürgerlich, Pierre und Elsa, der Strafverteidiger und die Schriftstellerin, zwei Erfolgsmenschen. Probleme, Krisen kommen in deren Leben nicht vor. Nur Spaß. Und Regeln, Moral.
»Que sera sera, Whatever will be, will be...« – diese moderne Version des 50-Jahre-alten Doris-Day-Songs gibt gewissermaßen die Richtung vor: Dies ist ein Film über Leidenschaft, Wagnisse, Ausbrüche – und im Ergebnis aber genauso ein Plädoyer für Entsagung und Verzicht. Bürger, bleib' bei deinem Leisten. Am Ende sind es die Kinder, die Sachzwänge, die sogenannte Vernunft.
Trotzdem: Wer kennt das nicht: Man lebt ein schönes Leben, an dem nichts auszusetzen ist, und dann kommt ein anderes nicht weniger schönes daher, und plötzlich wird alles kompliziert.
Das Kino hat diese Offenheit des Daseins, und unseren Möglichkeitssinn, unser Bewußtsein für die Zufälligkeit dessen, dem wir dann rückwirkend einen Sinn geben, immer wieder zelebriert, weil es sie mehr als andere Kunstformen auch zeigen, nebeneinander zum Vergleich präsentieren kann: Denken
wir nur an Lola rennt, an Sliding Doors oder Smoking/No Smoking, wo auch eine Zigarette Schicksal spielt.
»Damit eine Geschichte niemals aufhört, darf sie gar nicht erst anfangen.« – Mit diesem Satz vermarktet der deutsche Verleih Lisa Azuelos' Ein Augenblick Liebe – und auch, wenn er im französischen Original so gar nicht fällt, so trifft der Satz den Film doch gut. Und das gleich doppelt: Denn zum einen zeigt er, dass dieser Film mehr ist, als nur ein Unterhaltungsstück. Es ist ein visuelles Nachdenken über Fiktion und deren tiefere Bedeutung, über das Leben, das man lebt und das Leben, die vielen Leben, die man auch leben könnte, die man sich vorstellt, in Tagträumen, Wünschen, Spekulationen, Bewerbungen, Liebesaffairen.
So geht es hier zwar oberflächlich um den kurzen Ausbruch aus dem Alltagstrott, tatsächlich aber um mehr: Um die Macht der Phantastik und der Phantasie. Denn soviel darf verraten werden: Pierre und Elsa sind füreinander bestimmt, sie haben eine heiße Affaire, haben tollen Sex, erleben die Eifersucht ihrer bisherigen Partner. Der Film zeigt die kleinen Lügen des Alltags, das Handy, das mal schnell weggesteckt wird, damit keiner liest, wer anruft, das Thema das gewechselt wird. Die Frage: Woran denkst du gerade und das Gefühl des Ertapptseins. Eine funktionierende Beziehung. Doch dann ist da plötzlich noch jemand. Zumindest im Kopf.
Auf welcher Realitätsebene das alles stattfindet, das ist eine Weile nicht so klar. Dann hat man es kapiert: Alles nur ausgedacht. Die wahren Abenteuer sind im Kopf.
Und so ist die zweite Bedeutung dieses Satzes: »Damit eine Geschichte niemals aufhört, darf sie gar nicht erst anfangen.« Eine sehr konservative: Träum nicht, lieber Zuschauer, bleib' bescheiden. Ein Enthaltsamkeitscredo für die Eltern der puritanischen Twilight-Generation.
Um nicht missverstanden zu werden: Ein Augenblick Liebe ist sehr gute Kino-Unterhaltung. Dies ist so ziemlich das Beste, was derzeit im Autorenkino möglich ist: In Zeiten von Wellness-Filmen wie Monsieur Claude und Ziemlich beste Freunde, die tun, als seien
sie Kunst, wo sie nur seichter Schmarrn sind, ist dies ein Lichtblick.
Man sieht großartige, toll aussehende Schauspieler: Sophie Marceau, in die jeder Mann und manche Frau zwischen 40 und 70 schon mal verliebt war, und François Cluzet, mit dem auch manche Zuschauerin gern eine Affaire hätte.
Und so ist dies auch ein sehr französischer Film über die Vorzüge einer Affaire, ohne zu moralisieren. Keineswegs Kino, das man mit seiner langjährigen Beziehung angucken sollte. Da sollte man sich dann besser den besten Freund oder die beste Freundin suchen – oder gleich die derzeitige Affaire. Denn im Kino ist am Ende ja alles doch ganz einfach: Da siegt die Sinnlichkeit über die Moral, die Verführungskraft der Bilder über die große Erzählung.
Aber was will der Film, was leistet er? Er drückt sich ein bisschen um eine klare Haltung: Auf der sinnlichen Ebene präsentiert er die Vorzüge einer Affäre, ohne je zu moralisieren. In der Moral der Erzählung stellt er sich aber eindeutig gegen diese sinnliche Gewissheit, gegen den Ausbruch und die Revolutionierung aller Gefühlsverhältnisse. Sehr konservativ, sehr zeitgemäß und vielleicht doch ein bisschen melancholisch stimmend.