USA 2022 · 189 min. · FSK: ab 16 Regie: Damien Chazelle Drehbuch: Damien Chazelle Kamera: Linus Sandgren Darsteller: Brad Pitt, Margot Robbie, Diego Calva, Jean Smart, Jovan Adepo u.a. |
![]() |
|
Am Ende auch eine berauschende Liebeserklärung an das Kino... | ||
(Foto: Paramount) |
Die Geschichte erinnert an Michael Ciminos Heaven’s Gate. Ein Film, der Anfang der 1980er Kritiker spaltete, das Publikum vergeblich suchte und für das produzierende Studio United Artists das Ende der Unabhängigkeit bedeutete. Nicht ganz so dramatisch dürfte es für die Paramount mit Damien Chazelles Babylon ausgehen, denn heutzutage sind derartige Projekte
nachhaltiger versichert, und was im Kino nicht läuft, mag immerhin auf Paramounts gerade auch in Deutschland gestartetem Streaming-Dienst ein paar neugierige Seelen interessieren und das eher maue Portfolio ein wenig aufhübschen.
Die Box-Office-Zahlen jedenfalls sind auch nach Abzug von Wintersturm Elliott und dem auch in den USA zögerlichen Post-Corona-Kinopublikumsverhalten verheerend und man darf sich fragen, ob es nicht der gute drei Stunden lange Film selbst ist, den
keiner sehen mag. Wie Heaven’s Gate, der darauf aufmerksam machen wollte, dass der Wilde Westen mitnichten ein Land der Freiheit, sondern des Despotismus und der amerikanische Traum schon immer eine Lüge war, so will auch Chazelle die Geschichte eines historischen Sündenpfuhls erzählen und hatte dabei zwar nicht Michael Cimino im Kopf, aber immerhin Werke wie Federico Fellinis Das süße Leben (1960), Robert Altmans Nashville (1975) und Francis Ford Coppolas Der Pate (1972).
Deshalb will ein vorübergehender Misserfolg natürlich auch nichts heißen, denn wer sieht sich schon gern
seiner moralischen Grundlage beraubt? Und dann ist nach vielen Jahren ja auch Cimino und sein Film rehabilitiert worden. Ob es Chazelle, der wie Cimino nach seinen ersten beiden Filmen Whiplash und La La Land
»Wunderkindstatus« genoss und erst mit First Man einen ersten Box-Office-Rückschlag hinnehmen musste, ähnlich ergehen wird, weiß natürlich nur die Zeit und wird wie Heaven’s Gate vielleicht einmal auch Thema eines Films
sein, so wie Chazelles Film selbst vom Film erzählt, den frühen Stunden des Films. Nicht wie Martin Scorsese in seinem wunderbaren Hugo Cabret von den Anfängen der Stummfilmzeit oder wie Tarantino in seinem Once Upon a Time... in Hollywood vom Wandel in Hollywood zu dem, was Michael Cimino dann erst
ermöglichte; nein, Chazelle erzählt vom Untergang des Stummfilms und dem Aufstieg des Tonfilms.
Chazelle erzählt diese Geschichte aus dem Herzen Hollywoods, ohne dass seine Helden historisch verbriefte Namen haben, wie das zum Teil in Once Upon a Time... in Hollywood der Fall war. Und Chazelles Helden sind natürlich auch Anti-Helden, so wie das zwischen den Jahren 1926 und 1932 (und einem Epilog im Jahr 1952) porträtierte Hollywood auch ein Anti-Hollywood ist, das innovativ und dekadent zugleich ist. Wie dekadent, das macht Chazelle gleich zu Anfang in einer überlangen, orgiastischen Party-Szene klar, in der das Kernpersonal um den etablierten Stummfilmstar Jack Conrad (Brad Pitt), den aufstrebenden Stummfilmstar Nelly LaRoy (Margot Robby) und den ehrgeizigen Filmassistenten Manny Torres (Diego Calva) und auch die umfangreiche zweite Garde eingeführt wird. Ähnlich den opulenten, langen Massenszenen, für die auch Cimino berühmt-berüchtigt war, wird hier alles angelegt, was später relevant ist. Die Beziehungen genauso wie die gesellschaftlichen Implikationen.
Chazelle nimmt sich dann noch einmal mehr Zeit, um die Welt des Stummfilms zu zeichnen, was immer wieder anekdotenhaften Züge hat, weil er sein einmal eingeführtes umfangreiches Personal nicht wieder verlieren darf. Das funktioniert jedoch nur manchmal, verliert sich der Film die ersten zwei Stunden immer wieder in persönlichen und filmhistorischen Details, die den dramatischen Aufbau oft blockieren, mal interessant sind und dann wieder langweilen. Gleichzeitig erinnert die wilde Montagetechnik aber auch an die innovative Literatur dieser Zeit, an Dos Passos' Manhattan Transfer oder Döblins Alexanderplatz und ist in dem Moment, als der Film dann endlich in Fahrt kommt, auch irgendwie relevant.
Aber das mag auch daran liegen, dass nach der Schilderung der Erfolgsgeschichte von Jack, Nelly, Manny und am Rande auch die des von Jovan Adepo verkörperten afro-amerikanischen Trompeters Sidney, die voller schon allzu oft gesehener Stereotype steckt, Babylon plötzlich richtig spannend wird. Und das nicht nur, weil seine Helden sich plötzlich mit dem Tonfilm herumschlagen müssen, für dessen erste Gehversuche Chazelle einige wunderbare Szenen entwickelt hat, die er mit aller Akribie auch ausformuliert. Oder der auch schon wenig abgenudelte Vergleich, dass Hollywood nicht anders als die Mafia ist, mit ins Spiel kommt und der Arschloch-Exegese Hollywoods sogar geografisch Bedeutung gibt und Babylon-Los Angeles ein wenig Babylon Berlin-Anstrich gibt. Nein, es ist nun vor allem endlich Chazelles Talent, diese Zeiten des Umbruchs endlich mit etwas Subtilerem zu füttern als nur Ausschweifungen, Eitelkeit und unerfüllter Liebe.
Denn plötzlich verstehen wir bis ins persönliche Detail, warum Kino bis zum Tonfilm Unterschichtkultur war, dass es in diesem Film – nicht anders als in Heavens Gate – auch um verweigerte Integration und Assimilation geht, Jack und Nelly in dem Moment, als sie sprechen, plötzlich als das erkannt werden, was sie ohne die gesprochene Sprache hatten verbergen können, und dass nun vermehrt Schauspieler aus dem hochkulturellen Theater sie ersetzen werden. Und Sidney in einer grotesken Szene nur durch »Blackfacing« seinen Job behalten kann.
In diesen Momenten entwickelt Babylon endlich die erzählerische und auch emotionale Komplexität, die in Chazelles Whiplash von Anfang an da war und schon in La La Land auszufransen begann, mehr behauptet als wirklich erzählt wurde.
Und Chazelle bleibt dabei, überrascht
dann auch mit einem großen Finale und einer berauschenden Liebeserklärung, die endlich einlöst, was bis dahin nur das überraschende, musikalische Score von Justin Hurwitz eingelöst hat, das sich konsequent den durch Serien wie Babylon Berlin gelernten Erwartungshaltungen entzieht und statt Swing-Dudeleien Caruso und Jazz-Varianten spielt, die mit dieser Zeit
eher weniger kontextualisiert werden.
Wie in Heaven’s Gate, um diesen Vergleich noch einmal zu bemühen, so beschließt auch Babylon mit dem Blick eines gealterten und dann auch weisen Helden, der versteht, dass das Bedeutungsvolle, die Sinnhaftigkeit und damit natürlich auch die Filmkunst (und jede andere Kunst) den Sündenfall und ihre Opfer brauchen, um
weiterzuleben und kreativ zu bleiben – dass wo ein Mund ist, halt immer auch ein Arschloch sein muss.