Frankreich/Kanada 2023 · 146 min. · FSK: ab 12 Regie: Bertrand Bonello Drehbuch: Bertrand Bonello, Guillaume Bréaud, Benjamin Charbit Kamera: Josée Deshaies Darsteller: Léa Seydoux, George MacKay, Dasha Nekrasova, Julia Faure, Guslagie Malanda u.a. |
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Unterschiedliche Dimensionen des Allein-Seins... | ||
(Foto: Grandfilm) |
Ein grüner Raum: Léa Seydoux steht alleine in ihm, eine Stimme erklärt ihr die Situation, gibt ihr Angaben, wie sie sich verhalten soll, was sie zu tun hat. Es ist ein Filmset, ein Greenscreen, ein Nicht-Ort, der noch alles werden kann, jetzt gerade aber noch nichts ist. Ein Messer soll sie nehmen, einem »Biest« wird sie begegnen. Sie fängt an zu schreien, das Bild verwischt, löst sich auf in eine Milliarde Pixel, bis nichts mehr ersichtlich ist, nur noch Schemen dessen, was war, und dabei selbst noch nichts geworden ist. Die Pixel formen sich um und bilden den Titel: »La Bête«.
Diese Rolle ist nur eine von vielen, die Léa Seydoux in Bertrand Bonellos neuestem Werk spielt; der französische Regisseur sollte spätestens seit Nocturama und Zombi Child auch hierzulande bekannt sein. Der Film verteilt sich auf drei Zeitebenen, in jeder ist Seydoux (die beste
Schauspielerin ihrer Generation) die Hauptfigur, immer heißt sie gleich: Gabrielle.
Matroschkaartig wird zwischen diesen Ebenen gesprungen, sie ergänzen sich, bauen aufeinander auf, machen einander erst möglich. Da wäre zunächst einmal die Gegenwart des Films, im Jahr 2044: Eine AI hat die Kontrolle über die Welt errungen und die meisten der anspruchsvollen Jobs übernommen. So überprüft Gabrielle etwa die Temperatur von nicht näher definierten Maschinen oder Technikobjekten,
eine stupide Tätigkeit. Sie strebt nach mehr, doch der bessere Job ist mit einem Risiko verbunden: Sie muss sich einer Operation aussetzen, ihre alten Leben betrachten, sich von ihnen frei machen. Der Zweck: die Gleichschaltung ihrer Gefühle und Impulsunterdrückung. Der moderne Mensch ist abgeklärt, berechnend, rational. Systemintegriert, seinen Regungen entfremdet. Gabrielle zweifelt, und doch willigt sie in die OP ein, besucht ihre vergangenen Ichs, und wir – das Publikum
– folgen ihr dabei.
So lernen wir sie 1910 in Paris als Konzertpianistin, spezialisiert auf Schönberg, kennen, ebenso als Model/Schauspielerin im L.A. der Zehnerjahre. In all diesen Welten, in all diesen Leben lernt sie Louis Lewinsky (George MacKay in seiner bislang besten Rolle) kennen und lieben, in jeder dieser Welten wird sie ihn verlieren. Bonello also erzählt von der (unmöglichen) Liebe, von der Einsamkeit, die am amourösen Anfang und Ende steht. Die Einsamkeit ist das unbedingte Thema des
Films, sie bestimmt ihn zu jeder Sekunde, gibt auch den Titel vor. Gabrielle fürchtet sich unbestimmt vor einem »Biest«, einem Etwas, das über sie hereinbricht, sie zunichte macht.
Es sind also unterschiedliche Dimensionen des Allein-Seins, die hier diskutiert werden: In der evidenten Abgeschiedenheit und Isolation, gleichermaßen aber in der Welt als geistiges Konstrukt, und dann – wieder nahbarer – in der Liebe. Der aufflammenden, der unmöglichen, der
stürmischen, der formalen, der nicht erwiderten, auch der heimlichen Liebe. In all diesen vergangenen Welten muss sie scheitern, und das nicht erst in einem tragischen Finale, sondern bereits in ihrem Konstrukt, ja selbst in der Hoffnung und Romantisierung des Verliebtseins. Nie entsteht eine unmittelbare Nähe zwischen Gabrielle und Louis, stets kommt etwas dazwischen. Oft ist es nicht einmal benennbar, schlummert in den Figuren, hervorgebracht durch ihr Umfeld oder durch
selbstinduzierte Psychosen. Nur der Wille zur Liebe, die Hoffnung darauf bleibt bestehen, wird zum Katalysator des Einsamen, zum Festhalten an einer Welt, die besser sein könnte als diese.
Eng damit verbunden sind kulturelle Erscheinungen; Arten der Ablenkung und Zerstreuung, der Beschäftigung und Unterhaltung. In Paris befinden wir uns in einer Puppenfabrik, die Puppen müssen »neutral« dreinblicken, heißt es, frei von Emotion und Regung, um allen zu gefallen, alle zufrieden zu stellen. Dieses Motiv begleitet den Film, veräußert sich, wenn nicht durch Puppen, durch modernes Entertainment; Karaoke-Shows im Fernsehen, Internetseiten mit Lebensratschlägen,
Tanzbars, Drogen, Webvideo-Aufnahmen, Kameras, bis später natürlich die AI und die damit verbundene Operation sie final pervertiert. Die Einsamkeit sehnt sich nach ihrer Aufhebung in etwas Fremdem, nach einer Spiegelung ihrer Selbst, vielleicht, um sie, um sich, selbst zu verstehen, vielleicht aber um sie auszublenden, sie zu bekämpfen, ohne sie jemals annehmen zu müssen. Nach einem Ausweg aus sich selbst – hin zu einer Gleichförmigkeit.
Denn jene Abgestumpftheit muss
nicht gleichbedeutend mit dem Nichts sein, kann sich ebenso organisch entwickeln, genährt und befeuert durch ein Übermaß an induzierten Stimulanzien, einem Zustand, der schon alles kennt, und es deshalb immer neu befragt: Weil man weiß, was man kriegt, eine Dosis Trost, einen weiteren Schritt dorthin, nicht mehr sein zu müssen, wer man ist. Comfortably Numb.
Nun ist der Film selbst natürlich längst zu einem Kulturprodukt geworden, man denke an Comfort Shows, oder Markus Söder, der ins Kino geht, um diese oder jene Emotion zu erhaschen. Die Einsamkeit des Kinosaals – man ist ja doch immer alleine in diesem schwarzen, kalten Raum – wird ausgelöscht durch eine Beschallung und einen Denkprozess respektive durch erzeugte Gefühle, die die Verlorenheit verdrängen, einen Kontrapunkt bieten. Gute Unterhaltung eben, ein Ausweg für den Alltag.
Bonello (man ahnt es) stellt sich gegen dieses Konzept mit aller Härte und Brillanz; ein Film mit diesem Thema hat für ihn eine Verantwortung, und diese liegt nicht in der Heiterkeit, so viel sei gesagt. Viel mehr integriert er die Rolle der Erzählung in seinen Film, inszeniert die vergangenen Kapitel wie ein leicht überhöhtes Pastiche der in ihnen verhafteten Erwartungen.
Das alte Paris ist in seiner unerträglichen Eleganz und Ernsthaftigkeit nahezu komisch, L.A. wirkt wie
die Bret-Easton-Ellis-Verfilmung, die niemals kam. Wir kennen diese Bilder, wir erwarten sie genau so, wie sie uns serviert werden – und genau darin liegt der Schrecken, den sie auf uns ausüben.
Durch Zeitsprünge und unerwartete Schnitte legt Bonello ihre Konstruiertheit offen, analysiert sie punktgenau, ohne jemals den Modus der Poesie zu verlassen. Es ist eine Dekonstruktion des Gefühlskinos, des Melodrams, das sich nur auf sich selbst beruft, ohne sich zu hinterfragen, seine Motive offenzulegen.
Das tut dieser Film, nicht aber als eine Parade von Metaphern, die in der Folge brav analysiert werden dürfen, sondern auf einer viel basaleren Ebene, einer ehrlichen, die
zugibt, die Angst nicht zu überwinden, sie nicht einmal greifbar machen zu können, sich jedoch im Stande dazu sieht, sie von den ihr anhaftenden Störfaktoren zu bereinigen.
Bonello ist ein dezidiert politischer Regisseur. Jemand, der historisch arbeitet, der die Weltgeschichte stets durch seine Filme fließen lässt, keine Positionen aufgreift und als gut/schlecht behandelt, sondern in ihrem geschichtlichen Wirkungsgrad vergleicht und darüber erklärt. Eine Reality-Show ist demnach kein profanes Ärgernis, sie ist zugleich eine Pariser Puppe, und zugleich der Blick eines Leidenden, der auf ihr lastet. Vielleicht entspringt hieraus die angesprochene Poesie, die sich trotz des analytischen Blicks stets ins Zentrum setzt, die einzige Konstante bildet, die nicht verschwindet, selbst dann nicht, wenn sie kritisiert wird, als eigener Mechanismus der Entfremdung entlarvt wird.
Dabei gerät der Film nie zu essayistisch, die Figuren stehen trotz allem im Vordergrund, gerade Gabrielle. La bête empfindet zu jedem Zeitpunkt Liebe und ein tiefes Verständnis für sie, unter keinen Umständen wird eine Figur vorgeführt, oder metaphorisch angelegt, um einen Punkt zu machen, ein Bild der Welt zu entwerfen, das sich anschickt, die Wahrheit zu erkennen. Besonders rührend wird dies in der L.A.-Episode verhandelt, wenn unter Louis' (beinahe)
karikaturesker Incel-Fassade eine zutiefst berührende Unsicherheit deutlich wird, die nichts anderes bedeutet als ein Zerbrechen an sich selbst, an der Welt.
Wer kann sich schon herausnehmen, darüber zu spotten?
Wohin diese Reise geht, welches Ende Bonello für Gabrielle und ihre Liebe bereithält, soll natürlich nicht verraten werden. Es ist aber nicht zu viel gesagt, wenn auf die desolaten Zustände verwiesen wird, die diese (filmische) AI-Zukunft für uns bereithält. Nicht das Ende der Kunst als Handwerk wird hier ins Zentrum genommen, viel mehr die absolute Gleichmachung der Gefühle, die Geschichten und Geschichte nurmehr als Mittel benutzt, um zu erzählen, was die Einsamkeit stillt.
»We
fucked it all up. We had it all«, heißt es an einer Stelle. An diesem »all« gilt es festzuhalten, auch wenn es mit einer unerklärlichen Traurigkeit einhergeht, einer Einsamkeit, die zerstörerisch sein kann, die aber noch immer da ist. In Paris, in L.A., sogar in der Zukunft wird von Räumen erzählt, die die angesprochene Historie enthalten. Oft ins Radikale entwickelt, ja, doch noch immer greifbar, nachvollziehbar, als Punkte der Weltgeschichte.
Die emotionale
Gleichschaltung kann dies nicht ändern, sie findet aber doch ein Bild dafür, das schrecklicher ist, als es zuvor hätte sein können: Ein grüner Raum, der alles sein kann, doch nichts ist. Auch in ihm wird geschrien. Wer soll hierin noch die Angst verstehen, die Geschichte erkennen, eine Analyse vornehmen?
Wie soll sich dieser Ort entwickeln, wie überhaupt als weltlich verstanden werden?
»He only makes love in his dreams, not in real life«, wird die angesprochene L.A.-Louis-Figur charakterisiert. Im Digitalen dann verschwindet das echte Leben vollends, wird für immer ein Traum bleiben. Ein Versprechen, alles zu haben, fernab jeden Seins, fernab gar der Möglichkeit der Transformation. Und so bleibt nur die Einsamkeit, ohne Hoffnung, bis ans Ende aller Tage. Jene werden alle gleich aussehen, ununterscheidbar.
Kurzum: Die Historie untergräbt sich selbst, löscht
mit sich ihre Anmut aus, die Hoffnung einer Umkehr.
Und sie wird: grün.
»Die Erzählung, die die Möglichkeiten des Lebens offenbart, erfordert aber letzten Endes doch ein Moment der Raserei, ohne welches ihr Autor blind wäre für diese exzessiven Möglichkeiten.«
– George Bataille
Vor einem komplett grünen Digital-Screen lauscht eine Schauspielerin den Anweisungen eines Regisseurs, der nicht zu sehen, sondern nur über seine Stimme zu hören ist. Bertrand Bonello spricht ihn selbst – und das ist alles andere als ein Zufall.
Die Schauspielerin soll puren Schrecken spielen, die Angst vor einem imaginären Feind. Es ist Entfremdung pur, denn die Schauspielerin kann sich das alles im abstrakten Green-Screen-Studio ja nur vorstellen, muss es aus der Macht nur ihrer eigenen Phantasie erst für die Leinwand erschaffen.
Dann bricht das Bild und zerfällt in eine Störung, die sich sofort in den Vorspann verwandelt. Die Scheinheiligkeit unseres CGI-gesteuerten modernen Kinos wird entlarvt.
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Dieser brillante Anfang liefert sofort einen der Schlüssel zum Verständnis von Bonellos neuem Film: Wir haben es mit einem Werk in ständiger Fragmentierung zu tun, einem hypertextuellen Labyrinth, in dem sich die Geschichten, Genres, Bilder und Referenzen konzeptuell überlagern.
Immer wieder gibt es in diesem Film solche Szenen, in der wir einer Schauspielerin beim Spielen zusehen. Es ist die schlechthin großartige Lea Seydoux, die hier, in ihrem vielleicht bisher allerbesten Film, sämtliche Facetten ihrer Kunst auf die Leinwand bringen kann.
Sie ist wirklich mit einer hochdifferenzierten, facettenreichen Leistung dauerpräsent in diesem Film und in fast jedem Bild vertreten.
Dies, die Ebene des Spiels, ist zugleich die allererste von vier Zeit- und Handlungsebenen in diesem Film, der sehr schwer nachzuerzählen ist, aber sehr leicht und sinnlich und – ja: – wunderschön anzuschauen.
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Wenn nicht alles hier ein Spiel der Kunst und der Auftakt im Green Screen die »wahre Welt« des Films ist, dann befindet sich die »reale« Handlungsebene von La bête in der nahen Zukunft des Jahres 2044. Die wird komplett von Künstlicher Intelligenz beherrscht; in den technisch perfekt ausgestatteten Gesellschaften herrscht 60 Prozent Arbeitslosigkeit, den Rest der Arbeit machen die Roboter.
In dieser von der KI kontrollierten Gesellschaft haben
Emotionen keinen Platz mehr. Gefühle sind zu überflüssigen Hindernissen geworden, die die Produktivität beeinträchtigen.
KI ist zugleich die Hüterin der Festung von Raum und Zeit, die in ihrer Erscheinung einer Bibliothek ebenso ähnelt, wie dem, was früher treffend »ein Tanzsaal« genannt wurde, oder später dann »eine Diskothek« oder »ein Club«, jedenfalls ein Ort für die gewöhnlichen Sterblichen, die in der Langeweile des Alltags ihr Leben fristen. Hier werden die Gesetze des Glamours und der Anziehung unter der Herrschaft eines Spiels mit eigenen Regeln außer Kraft gesetzt, eine Fluchtmöglichkeit, nach der sich alle Normalsterblichen sehnen.
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Die von Seydoux gespielte Hauptfigur heißt Gabrielle. Gabrielle will ihre DNA von der KI »reinigen« lassen. Das führt sie auf eine Art Zeitreise. Die zwei anderen Zeitebenen des Films in denen sie sich zeitweise aufhält, sind unsere Fast-Noch-Gegenwart des Jahres 2014, kurz vor einer kommenden Katastrophe, die 2025 begonnen haben wird, und auch einen US-Bürgerkrieg miteinschließt, und in der nur China Trost und Sicherheit bietet.
Und die Vergangenheit des frühen 20.
Jahrhunderts, das Jahr 1910, kurz vor der Urkatastrophe dieses Jahrhunderts, des (Ersten) Weltkriegs, der diese »Welt von Gestern« (Stefan Zweig) ein für alle mal zerstörte.
Gabriele bewegt sich zwischen diesen verschiedenen Zeiten. Am ehesten tut sie das auf virtuellen wegen mittels der fortgeschrittenen KI jener Jahre; vielleicht tut sie das auch mittels Zeitreise, oder in der Art von Psychoanalyse und Hypnose, oder einfach nur im Traum. Jedenfalls ist dies – sie liegend in einem schwarzen Raum, mit geschlossenen Augen in einer Art Trance – die Ursituation des Kinos als Traumfabrik.
Im Jahr 1910 entfaltet Bonello ein sinnliches, auf 35mm-Film gedrehtes Melodram, das Reminiszenzen an Martin Scorseses The Age of Innocence wachruft, und sich vor dem Hintergrund der Überschwemmung von Paris entfaltet, die sich im Jahr 1910 real ereignete – auch wenn man zunächst glaubt, es handle sich bei den hier gezeigten Bildern um eine wahnwitzige Fiktion.
1910 ist Gabrielle
eine hochgefragte Musikerin, »eine Pianistin von seltener Fähigkeit«. Die bessere Gesellschaft und deren Modeschöpfer reißen sich um sie.
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Bei einem Gespräch während einer Ausstellungseröffnungssoiree wird Gabrielle ein ein anderes Gespräch erinnert. In dem ging es um ein Gefühl aus ihrer Jugend: »Das Gefühl von drohendem Unheil das Gefühl dass etwas Schreckliches passiert. Dass etwas Sie einholen wird. Sie möchten keine Beziehung führen da ihr mit Sicherheit etwas zustoßen wird.«
Sie antwortet: »Ich war jung und romantisch.«
Aber dies ist eine romantische Geschichte. Irgendetwas wird auftauchen, »wie ein Biest«.
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Auf ihren Zeitreisen entdeckt Gabrielle irgendwann, dass sie in all ihren verschiedenen Existenzen immer in Louis verliebt gewesen ist.
Doch der Louis aus L.A. im Jahr 2014 ist ein Monster, das als Reaktion auf seine Zurückweisung entstanden ist, ein »Incel«, während Gabrielle aus dem Jahr 1910 zu spät erkennt, wem sie ihr Herz hätte schenken sollen. Die Figuren im Jahr 2044 denken darüber nach, ihre Gefühle auszulöschen – das jüngste Beispiel für die seelenbetäubende Aktivität, die die Menschen schon immer betrieben haben.
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La bête geht auf »The Beast in the Jungle« zurück, eine Novelle von Henry James aus dem Jahr 1903. Diese Erzählung, die als eine der besten Kurzgeschichten von James gilt, behandelt universelle Themen: Einsamkeit, Schicksal, Liebe und Tod. Im Zentrum steht ein Mensch, der seine Liebe verfehlt, weil er von der Vorahnung einer fürchterlichen Katastrophe gepeinigt wird.
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Bertrand Bonello ist einer der aufregendsten Autorenfilmer Frankreichs. Bonello hat ein Buch über »Filmes Fantomes«, über »Geisterfilme« geschrieben, Filme, »die man nicht den man nicht drehen konnte?« Was macht man als Regisseur mit so einem Film? »Einem Film, der phantasiert, geschrieben, gearbeitet und bis zur Erschöpfung geträumt wurde? So sehr geträumt, dass er zu einem Albtraum wird, da die Nächte Tag für Tag die Bilder offenbaren, die er produzieren sollte.«
Sich jedes
Jahr wieder darin zu vertiefen, die Notizen durchzulesen, die Fotos von den Vorbereitungsarbeiten zu sehen, sich zu erinnern, warum der Film nicht zustande kam, über den Weg nachzudenken, den man wieder einschlagen müsste. Diese Phantome tauchen in anderen Filmen wieder auf, als Fragmente, zerstückelt, inkohärent. »Die Geisterfilme kommen immer wieder. Sie sind offensichtlich die schönsten, weil sie nicht misslungen sind.«
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Rückwärts gewandte Zukunft trifft vorwärts gewandte Vergangenheit – die Zeitebenen des Films sind elliptisch miteinander verbunden, durch Wiederholungen, Paramnesen – also eine Störung, bei der die betroffene Person »Erinnerungen« an Ereignisse hat, die niemals stattgefunden haben – und durch poetische Motive, wie agoraphobische Tauben, oder Puppen, deren Entwicklung wir über den Lauf der Zeit mitverfolgen, von einer manuellen Fabrik für Kinderspielzeug
bis zu den von der KI hergestellten Erwachsenen-Robotern unserer allzu nahen Zukunft.
Solche Motive verbinden die Zeitebenen und ermöglichen ihnen in Teilen, miteinander zu kommunizieren und eine flüssige Erzählung zu bilden. Der Komplexität dieser Erzählung kann eine linear geschriebene und zu lesende Filmkritik trotzdem nur ansatzweise gerecht werden. Bonello stellt eine Verbindung zwischen persönlichen und internationalen Katastrophen her, und konfrontiert dies zwei
Bestien Liebe und Angst vor der Zukunft.
Gleichzeitig unternimmt es La bête, Diskurse über den filmischen Akt selbst, über Inszenierungsverfahren und Aufnahmetechniken zu führen, und über die Notwendigkeit, sich in Bildern der Vergangenheit wiederzuerkennen, um neue Bilder in die Zukunft zu projizieren.
Dies ist eine überaus sinnliche, physische, immersive Reise, auf der der Filmemacher David Lynchs Mulholland Drive ínterpretiert, und Harmony Korines Trash Humpers zitiert, um den Zuschauer zu hypnotisieren, ohne ihn seines aktiven Blickes zu berauben, eines Blickes allerdings, der bereit ist, sich überwältigen zu lassen.
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Worum es Bonello geht, ist eine Kritik der Gegenwart. Es ist glasklar, dass er die Neuen Medien und Künstliche Intelligenz satirisch und humorvoll kritisiert.
Mit seinem Green-Screen-Auftakt und dem unkonventionellen Abspann – man muss einen QR-Code scannen, um ihn zu sehen – verachtet La bête ganz offen unsere neue digitale Realität. Zugleich argumentiert der Regisseur, dass der Prozess der Entmenschlichung auf unzählige viel subtilere Arten stattfindet.
In Filmen wie Nocturama schilderte Bonello Menschen, die vom Leben lobotomiert zu sein schienen, deren vergebliche Handlungen ein verzweifelter Versuch sind, ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit einen Sinn zu geben. Ein ähnliches Gefühl von Ennui durchdringt auch La bête, denn schon die Szene völliger Künstlichkeit zu Beginn etablierte ein Unbehagen, das sich durch den ganzen Film zieht.
Zugleich gelingt es Bonello unglaublich gut, mit unseren Gefühlen, Empfindungen und Emotionen zu spielen. Dies ist Science Fiction, es ist ein von David Lynch inspirierter Psychothriller. Vor allem aber ist La bête ein hochromantisches Melodram.
Es geht hier ganz ernsthaft darum: Wie lebt man? Was bleibt eigentlich übrig von uns, wenn man Roboter nicht mehr von Menschen auseinanderhalten kann, wenn man sich in einen Menschen verliebt, der sich dann als Roboter entpuppt?
Oder wenn wir Menschen uns immer mehr selbst den Robotern annähern und roboterhafte Verhaltensweisen entwickeln, wenn wir den Algorithmen gehorchen und den kleinen Maschinen, die uns lenken.
Diese Frage wird gestellt. Und sicherlich die Frage: Woran können wir uns festhalten? Worauf können wir aufbauen? wie kommen wir wieder zum Ernst zurück? Meinetwegen auch zum Eigentlichen. Also zu etwas, an das wir wirklich glauben können? Vielleicht auch zu Utopien? Vielleicht auch zu universalen Werten?
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Bonello ist ein konsequenter Film über Liebe im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit geglückt. Ein kluger, facettenreicher Film, und ein höchst virtuoser im mehrfachen Sinn: Er zeigt die Virtuosität dieses Regisseurs, er zeigt auch die Virtuosität von Lea Seydoux, und er zeigt die unerschöpflichen Möglichkeiten des Kinos.
La bête ist kurz gesagt: Der beste Film des Jahres!