Birdman – oder Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit

Birdman

Der Künstler in Zeiten des »kulturellen Genozid«

»Hey! Is this for real, or a you shooting a film?«
»A film.«
»You people are full of shit.«
(Dialog aus dem Film)

Ein Flug zwischen den Hoch­häu­sern von New York – langsam und geschmeidig schwingt sich ein Mensch an seinen Armen durch die Lüfte. Und auch der Film hebt ab... Dieser nicht mehr ganz junge Mann wird gespielt von Michael Keaton. Aber nicht um eine Neuauf­lage der alten Batman-Filme Tim Burtons aus den frühen 1990er Jahren geht es hier. Sondern um das Innere einer Männer­seele, um Tagträume.
Birdman, so der Titel dieses Films, begann zuvor mit einem anderen rätsel­haften Bild: Es zeigte tote Riesen-Quallen an einem Strand, und einen Meteor am Himmel. Beides wird später noch einmal auftau­chen. Drohend apoka­lyp­ti­sche Bilder.

Dieser neue Film des Mexi­ka­ners Alejandro Gonzalez Innaritu, der seit 15 Jahren mit Filmen wie Amores perros zu den Großen des Kinos gehört, ist aber eine ebenso intel­li­gente wie kurz­wei­lige, wie melan­cho­li­sche Komödie über das Show­ge­schäft und das Älter­werden. Michael Keaton spielt in der Haupt­rolle gewis­ser­maßen sich selbst: Einen alternden Schau­spieler, der einmal als Comic-Superheld welt­berühmt wurde (so wie eben Keaton als Batman), und der seitdem versucht, diesem Rolle­n­image zu entkommen, und statt­dessen wieder als Künstler ernst­ge­nommen zu werden. Keatons Figur namens Riggan Thomson ist ein Mann, der am Broadway ein Raymond-Carver-Stück insz­e­niert, in dem er auch gleich die Haupt­figur selber spielt, aber zugleich von Selbst­zwei­feln geplagt. An seinem Spiegel hängen buddhis­ti­sche Sinn­sprüche (»A thing is a thing, not what is said of this thing.«); und er hört Stimmen: »The keys of the kingdom. ... You know I am right.«
Vor allem ist es seine alte Rolle, der Birdman, der aus dem Unter­be­wusst­sein zu Riggan spricht, und ihm Dinge zuflüs­tert wie: »Du bist Birdman. Du bist Gott!«

In furiosen Traum­se­quenzen fliegt Riggan durch New York, rettet die Welt, oder begeht Selbst­mord. Im wirk­li­chen Leben warten andere Heraus­for­de­rungen, denen er mit den Träumen immer wieder entflieht: Er muss sich um seine Exfrau kümmern, seine schwan­gere Geliebte, seine labile Tochter, die im Theater ein Praktikum macht, die hyste­ri­sche Haupt­dar­stel­lerin, und um einen so präten­tiösen wie mani­pu­la­tiven Kollegen, der ihm die Show stehlen will, und irgend­wann mit seiner Tochter etwas anfängt. Diese männliche Diva wird von Edward Norton gespielt, in weiteren Rollen sind unter anderem Naomi Watts und Emma Stone zu sehen.

Birdman ist ein schlechthin großar­tiger Film. Sehr sehr witzig, und doch ist es keine reine Komödie, sondern eher eine apoka­lyp­ti­sche, geist­reiche Reflexion des Show­ge­schäfts und der Frage, wo die Kunst aufhört und der Popu­lismus anfängt. Die ersten Sätze geben den Ton vor: »How did wie end up here? This place is horrible. We don’t belong in this shithole.«

Die Handlung dreht sich um die letzten zwei Tage vor einer Premiere. Thea­ter­luft, Thea­ter­pa­thos. Witze über die Spleens der einzelnen Typen, der jewei­ligen Gewerke. Auch ein Hauch von Die ameri­ka­ni­sche Nacht, Francois Truffauts wunder­barer Film-im-Film-Satire, die zugleich eine Ode auf das Filme­ma­chen ist.

Und dies ist eine Reflexion der Rolle der Öffent­lich­keit: Die Tochter hält dem Vater nicht etwa vor, dass er sich nie um sie gekümmert habe, sondern dass ihm die Maßstäbe für Relevanz in sozialen Netz­werken fehlten: »Du willst dich wieder relevant fühlen? Aber du spielst auf der Bühne nur für tausend Reiche. Du solltest Blogger werden – aber Du hast nicht mal eine Facebook-Seite, machst dich über Twitter lustig. Du exis­tierst nicht.«

Gespickt ist alles mit weiteren bissigen Sentenzen, wie: »Popu­la­rität ist der dreckige kleine Cousin der Aner­ken­nung« oder »Wir leben gerade in Zeiten des kultu­rellen Genozid«. Oder über den Schau­spiel­be­trieb: »Why don’t I have any selfre­spect?«»You are an actress, honey«.
Als ein Darsteller ausfällt, und man einen anderen sucht, kommt es zu folgendem Dialog: »Call Woody Harellson«»He is shooting Hunger Games.« – »So ask Michael Fass­bender«»He is doing the prequel for the X-Men-Prequel« – »Jeremy Renner?«»Who’s that?«
Getragen wird Birdman aber auch vom Spiel der Darsteller und der wunder­baren Kamera des Polen Emmanuel Lubetzki, der seinen Bilder in schwind­ler­re­genden langen Einstel­lungen einen eigen­wil­ligen Sog gibt.

Gespickt ist alles mit weiteren bissigen Sentenzen wie »Popu­la­rität ist der dreckige kleine Cousin der Aner­ken­nung« oder »Wir leben gerade in Zeiten des kultu­rellen Genozid«.

Ein wunder­barer Film, der gerade für nicht weniger als neun Oscars nominiert wurde: Birdman – oder Die unver­hoffte Macht der Ahnungs­lo­sig­keit ist eine Komödie voller Einfalls­reichtum und Souver­änität, mit der es nur ein Woody Allen aufnehmen kann.

Absurdes Theater

Unver­gess­lich ist, wie John Turturro vor einem Vier­tel­jahr­hun­dert in Barton Fink (1991) als Broadway-Autor in Hollywood auftritt. In einem der besten Filme der Coen Brothers gerinnt dem naiv-neuro­tisch-arro­ganten New Yorker Schön­geist die Arbeit für ein billiges B-Movie in der Traum­fa­brik zu einem kafka­esken Horror­trip. Barton Finks surreale Reise ist voll extrem grotesker Situation und schwärz­esten Humors. Aber in ihrem Kern ist dies eine Geschichte, wie sie so ähnlich wohl so mancher ernst­hafte Autor erlebt hat, als er für Hollywood zu arbeiten begann.

Alejandro González Iñárritus Birdman – oder Die unver­hoffte Macht der Ahnungs­lo­sig­keit zeigt eine nicht minder groteske Hollywood-Helden­reise in umge­kehrter Richtung. In ihr versucht der einstmals berühmte, ehemalige Hollywood-Darsteller Riggan Thomson eine zweite Karriere als Broadway-Regisseur zu starten. Riggan hat Anfang der 1990er dreimal die Hautrolle in dem erfolg­rei­chen Super­helden-Vehikel »Birdman« gespielt. Er wird in Birdman verkör­pert durch den ebenfalls einstmals berühmten Michael Keaton, der um 1989 erstmals die Haupt­rolle in dem erfolg­rei­chen Super­helden-Vehikel Batman gespielt hatte. Ein Schalk, wer hier eine Metaebene sieht...

Neben Barton Fink existiert für Birdman noch ein zweiter wichtiger Refe­ren­z­film. Dies ist John Cass­a­vetes Meis­ter­werk Opening Night (1977). In ihm sind Cassa­vetes und seine Frau Gena Rowlands zwei Schau­spieler, die in einem Thea­ter­stück ein Ehepaar spielen. Die zu dem Zeitpunkt des Films 47-jährige Gena Rowlands verkör­pert die Prot­ago­nistin Myrtle Gordon. Der alternde Star befindet sich gerade in einer Lebens­krise, die zusätz­lich dadurch verstärkt wird, dass sie in dem Thea­ter­stück eine Frau spielen soll, die Probleme mit dem Älter­werden hat. Ein Schalk, ...

Von ihrem Tonfall und von ihrer Gestal­tung her sind Barton Fink und Opening Night denkbar unter­schied­lich. Während das Werk der Coen Brothers fast über­sti­li­siert ist, ist Cassa­vetes' Film von einer für den Regisseur typischen Noncha­lance. Es handelt sich um zwei filmische Welten, die absolut unver­einbar erscheinen. Aber genau solch eine Verei­ni­gung nimmt Iñárritu in Birdman vor. Das Ergebnis ist ein grotesk-geniales Meis­ter­werk, geist­rei­cher Pulp, eine Film gewordene eier­le­gende Woll­milchsau.

Riggan Thomson spielt – je nach persön­li­cher Lesart – entweder einen halb-schi­zo­phrenen ehema­ligen Mimen der zweiten Reihe oder einen Mann mit wirk­li­chen Super­kräften, der sich nichts mehr wünscht, als am Broadway anzu­kommen. In jedem Fall dreht der mexi­ka­ni­sche Auto­ren­filmer Iñárritu die gängige Stoß- und Marsch­rich­tung im ameri­ka­ni­schen Unter­hal­tungs­ge­schäft entscheiden auf links und zeigt, dass nicht jeder kleine Broadway-Künstler einmal groß in Hollywood heraus­kommen will, sondern dass selbst ein ehema­liger Super­helden-Darsteller viel lieber ein halbwegs erfolg­rei­cher Braodway-Künstler wäre.

Aber Iñárritu wäre nicht Iñárritu, wenn er sich mit so einer einsei­tigen Darstel­lung bereits zufrie­den­gäbe. So teilt Birdman nicht bloß einige gezielte Schläge Richtung Hollywood aus, sondern ist in einem mindes­tens ebenso hohem Maße eine ätzende Satire auf die Ostküsten-Hoch­kultur im Allge­meinen und auf das neuro­ti­sche Treiben hinter den Kulissen am Broadway im Beson­deren. Die Schau­spieler sind entweder uner­träg­lich unta­len­tiert oder uner­träg­lich eitel und egozen­trisch. Wie bei Cass­a­vetes vermi­schen sich bis zur Unkennt­lich­keit Privat­leben und Bühnen­rolle. Eine elitäre Star-Kritikern ist entschlossen, Riggans Thea­ter­stück – der Raymond-Carver-Adaption »What We Talk About When We Talk About Love« (1981) – gleich bei der Premiere zu vernichten – weil so einer wie Riggan Thomson in ihren Augen nichts am Broadway verloren hat und weil sie es kann...

Mit anderen Worten: Dieses Theater ist ein Tollhaus. Kein Wunder, dass Ex-Birdman Riggan Thomson da im wahrsten Sinne des Wortes ein ums andere Mal in die Luft geht. Dieses Treiben ist ein Alptraum, ist eine kata­stro­phale Künstler-Kako­phonie. Es ist ein Tanz auf dem rohen Ei und zugleich das pralle Leben. Mitten­drin befindet sich Emmanuel Lubezki (Gravity) mit seiner entfes­selten Hand­ka­mera. Fast ohne sichtbare Schnitte rauscht die Steady-Cam durch die Einge­weide des Theaters. Treppauf, treppab und rundherum. Ein tänze­ri­sches Umkreisen der Schau­spieler auf und hinter der Bühne. Das chao­ti­sche Treiben wird akustisch noch zusät­z­lich verstärkt durch das verdruckst-nervöse Getrommel von Antonio Sanchez.

... Da bekommt Birdman aka Riggan auch schon wieder die Krise, denn gerade geht irgend so ein Idiot mit einem absolut pein­li­chen Handy­video viral...