USA 2014 · 120 min. · FSK: ab 12 Regie: Alejandro González Iñárritu Drehbuch: Alejandro González Iñárritu, Nicolás Giacobone, Alexander Dinelaris, Armando Bo Kamera: Emmanuel Lubezki Darsteller: Michael Keaton, Zach Galifianakis, Edward Norton, Andrea Riseborough, Amy Ryan u.a. |
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Theater als Tollhaus |
»Hey! Is this for real, or a you shooting a film?«
»A film.«
»You people are full of shit.«
(Dialog aus dem Film)
Ein Flug zwischen den Hochhäusern von New York – langsam und geschmeidig schwingt sich ein Mensch an seinen Armen durch die Lüfte. Und auch der Film hebt ab... Dieser nicht mehr ganz junge Mann wird gespielt von Michael Keaton. Aber nicht um eine Neuauflage der alten Batman-Filme Tim Burtons aus den frühen 1990er Jahren geht es hier. Sondern um das Innere einer Männerseele, um
Tagträume.
Birdman, so der Titel dieses Films, begann zuvor mit einem anderen rätselhaften Bild: Es zeigte tote Riesen-Quallen an einem Strand, und einen Meteor am Himmel. Beides wird später noch einmal auftauchen. Drohend apokalyptische Bilder.
Dieser neue Film des Mexikaners Alejandro Gonzalez Innaritu, der seit 15 Jahren mit Filmen wie Amores perros zu den Großen des Kinos gehört, ist aber eine ebenso intelligente wie kurzweilige, wie melancholische Komödie über das Showgeschäft und das Älterwerden. Michael Keaton spielt in der Hauptrolle gewissermaßen sich selbst: Einen alternden Schauspieler, der
einmal als Comic-Superheld weltberühmt wurde (so wie eben Keaton als Batman), und der seitdem versucht, diesem Rollenimage zu entkommen, und stattdessen wieder als Künstler ernstgenommen zu werden. Keatons Figur namens Riggan Thomson ist ein Mann, der am Broadway ein Raymond-Carver-Stück inszeniert, in dem er auch gleich die Hauptfigur selber spielt, aber zugleich von Selbstzweifeln geplagt. An
seinem Spiegel hängen buddhistische Sinnsprüche (»A thing is a thing, not what is said of this thing.«); und er hört Stimmen: »The keys of the kingdom. ... You know I am right.«
Vor allem ist es seine alte Rolle, der Birdman, der aus dem Unterbewusstsein zu Riggan spricht, und ihm Dinge zuflüstert wie: »Du bist Birdman. Du bist Gott!«
In furiosen Traumsequenzen fliegt Riggan durch New York, rettet die Welt, oder begeht Selbstmord. Im wirklichen Leben warten andere Herausforderungen, denen er mit den Träumen immer wieder entflieht: Er muss sich um seine Exfrau kümmern, seine schwangere Geliebte, seine labile Tochter, die im Theater ein Praktikum macht, die hysterische Hauptdarstellerin, und um einen so prätentiösen wie manipulativen Kollegen, der ihm die Show stehlen will, und irgendwann mit seiner Tochter etwas anfängt. Diese männliche Diva wird von Edward Norton gespielt, in weiteren Rollen sind unter anderem Naomi Watts und Emma Stone zu sehen.
Birdman ist ein schlechthin großartiger Film. Sehr sehr witzig, und doch ist es keine reine Komödie, sondern eher eine apokalyptische, geistreiche Reflexion des Showgeschäfts und der Frage, wo die Kunst aufhört und der Populismus anfängt. Die ersten Sätze geben den Ton vor: »How did wie end up here? This place is horrible. We don’t belong in this shithole.«
Die Handlung dreht sich um die letzten zwei Tage vor einer Premiere. Theaterluft, Theaterpathos. Witze über die Spleens der einzelnen Typen, der jeweiligen Gewerke. Auch ein Hauch von Die amerikanische Nacht, Francois Truffauts wunderbarer Film-im-Film-Satire, die zugleich eine Ode auf das Filmemachen ist.
Und dies ist eine Reflexion der Rolle der Öffentlichkeit: Die Tochter hält dem Vater nicht etwa vor, dass er sich nie um sie gekümmert habe, sondern dass ihm die Maßstäbe für Relevanz in sozialen Netzwerken fehlten: »Du willst dich wieder relevant fühlen? Aber du spielst auf der Bühne nur für tausend Reiche. Du solltest Blogger werden – aber Du hast nicht mal eine Facebook-Seite, machst dich über Twitter lustig. Du existierst nicht.«
Gespickt ist alles mit weiteren bissigen Sentenzen, wie: »Popularität ist der dreckige kleine Cousin der Anerkennung« oder »Wir leben gerade in Zeiten des kulturellen Genozid«. Oder über den Schauspielbetrieb: »Why don’t I have any selfrespect?« – »You are an actress, honey«.
Als ein Darsteller ausfällt, und man einen anderen sucht, kommt es zu folgendem Dialog: »Call Woody Harellson« – »He is shooting Hunger Games.« – »So ask Michael Fassbender« – »He is doing the prequel for the X-Men-Prequel« – »Jeremy Renner?« – »Who’s that?«
Getragen wird Birdman aber auch vom Spiel der Darsteller und der wunderbaren Kamera des Polen Emmanuel Lubetzki, der
seinen Bilder in schwindlerregenden langen Einstellungen einen eigenwilligen Sog gibt.
Gespickt ist alles mit weiteren bissigen Sentenzen wie »Popularität ist der dreckige kleine Cousin der Anerkennung« oder »Wir leben gerade in Zeiten des kulturellen Genozid«.
Ein wunderbarer Film, der gerade für nicht weniger als neun Oscars nominiert wurde: Birdman – oder Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit ist eine Komödie voller Einfallsreichtum und Souveränität, mit der es nur ein Woody Allen aufnehmen kann.
Unvergesslich ist, wie John Turturro vor einem Vierteljahrhundert in Barton Fink (1991) als Broadway-Autor in Hollywood auftritt. In einem der besten Filme der Coen Brothers gerinnt dem naiv-neurotisch-arroganten New Yorker Schöngeist die Arbeit für ein billiges B-Movie in der Traumfabrik zu einem kafkaesken Horrortrip. Barton Finks surreale Reise ist voll extrem grotesker Situation und schwärzesten Humors. Aber in ihrem Kern ist dies eine Geschichte, wie sie so ähnlich wohl so mancher ernsthafte Autor erlebt hat, als er für Hollywood zu arbeiten begann.
Alejandro González Iñárritus Birdman – oder Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit zeigt eine nicht minder groteske Hollywood-Heldenreise in umgekehrter Richtung. In ihr versucht der einstmals berühmte, ehemalige Hollywood-Darsteller Riggan Thomson eine zweite Karriere als Broadway-Regisseur zu starten. Riggan hat Anfang der 1990er dreimal die Hautrolle in dem erfolgreichen Superhelden-Vehikel »Birdman« gespielt. Er wird in Birdman verkörpert durch den ebenfalls einstmals berühmten Michael Keaton, der um 1989 erstmals die Hauptrolle in dem erfolgreichen Superhelden-Vehikel Batman gespielt hatte. Ein Schalk, wer hier eine Metaebene sieht...
Neben Barton Fink existiert für Birdman noch ein zweiter wichtiger Referenzfilm. Dies ist John Cassavetes Meisterwerk Opening Night (1977). In ihm sind Cassavetes und seine Frau Gena Rowlands zwei Schauspieler, die in einem Theaterstück ein Ehepaar spielen. Die zu dem Zeitpunkt des Films 47-jährige Gena Rowlands verkörpert die Protagonistin Myrtle Gordon. Der alternde Star befindet sich gerade in einer Lebenskrise, die zusätzlich dadurch verstärkt wird, dass sie in dem Theaterstück eine Frau spielen soll, die Probleme mit dem Älterwerden hat. Ein Schalk, ...
Von ihrem Tonfall und von ihrer Gestaltung her sind Barton Fink und Opening Night denkbar unterschiedlich. Während das Werk der Coen Brothers fast überstilisiert ist, ist Cassavetes' Film von einer für den Regisseur typischen Nonchalance. Es handelt sich um zwei filmische Welten, die absolut unvereinbar erscheinen. Aber genau solch eine Vereinigung nimmt Iñárritu in Birdman vor. Das Ergebnis ist ein grotesk-geniales Meisterwerk, geistreicher Pulp, eine Film gewordene eierlegende Wollmilchsau.
Riggan Thomson spielt – je nach persönlicher Lesart – entweder einen halb-schizophrenen ehemaligen Mimen der zweiten Reihe oder einen Mann mit wirklichen Superkräften, der sich nichts mehr wünscht, als am Broadway anzukommen. In jedem Fall dreht der mexikanische Autorenfilmer Iñárritu die gängige Stoß- und Marschrichtung im amerikanischen Unterhaltungsgeschäft entscheiden auf links und zeigt, dass nicht jeder kleine Broadway-Künstler einmal groß in Hollywood herauskommen will, sondern dass selbst ein ehemaliger Superhelden-Darsteller viel lieber ein halbwegs erfolgreicher Braodway-Künstler wäre.
Aber Iñárritu wäre nicht Iñárritu, wenn er sich mit so einer einseitigen Darstellung bereits zufriedengäbe. So teilt Birdman nicht bloß einige gezielte Schläge Richtung Hollywood aus, sondern ist in einem mindestens ebenso hohem Maße eine ätzende Satire auf die Ostküsten-Hochkultur im Allgemeinen und auf das neurotische Treiben hinter den Kulissen am Broadway im Besonderen. Die Schauspieler sind entweder unerträglich untalentiert oder unerträglich eitel und egozentrisch. Wie bei Cassavetes vermischen sich bis zur Unkenntlichkeit Privatleben und Bühnenrolle. Eine elitäre Star-Kritikern ist entschlossen, Riggans Theaterstück – der Raymond-Carver-Adaption »What We Talk About When We Talk About Love« (1981) – gleich bei der Premiere zu vernichten – weil so einer wie Riggan Thomson in ihren Augen nichts am Broadway verloren hat und weil sie es kann...
Mit anderen Worten: Dieses Theater ist ein Tollhaus. Kein Wunder, dass Ex-Birdman Riggan Thomson da im wahrsten Sinne des Wortes ein ums andere Mal in die Luft geht. Dieses Treiben ist ein Alptraum, ist eine katastrophale Künstler-Kakophonie. Es ist ein Tanz auf dem rohen Ei und zugleich das pralle Leben. Mittendrin befindet sich Emmanuel Lubezki (Gravity) mit seiner entfesselten Handkamera. Fast ohne sichtbare Schnitte rauscht die Steady-Cam durch die Eingeweide des Theaters. Treppauf, treppab und rundherum. Ein tänzerisches Umkreisen der Schauspieler auf und hinter der Bühne. Das chaotische Treiben wird akustisch noch zusätzlich verstärkt durch das verdruckst-nervöse Getrommel von Antonio Sanchez.
... Da bekommt Birdman aka Riggan auch schon wieder die Krise, denn gerade geht irgend so ein Idiot mit einem absolut peinlichen Handyvideo viral...