71. Filmfestspiele von Venedig 2014
Auftakt nach Maß |
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Birdman: Rasant & unterhaltsam | ||
(Foto: Twentieth Century Fox of Germany GmbH) |
Mit einer rasant inszenierten, sehr unterhaltsamen Geschichte aus der Welt des Showbusiness wurden gestern Abend die Internationalen Filmfestspiele von Venedig eröffnet, die zum 71. Mal auf dem Lidostrand vor der Lagunenmetropole stattfinden. Birdman heißt der neue Film des Mexikaners Alejandro Gonzalez Innaritu (Y tu mamá también) – und es handelt sich um eine ebenso intelligente wie kurzweilige melancholische Komödie über das Showgeschäft.
Michael Keaton spielt in der Hauptrolle gewissermaßen sich selbst: Einen alternden Schauspieler, der einmal als Comic-Superheld weltberühmt wurde (so wie Keaton als Batman in Tim Burtons zwei Verfilmungen Anfang der 1990er), und seitdem versucht, diesem Rollenimage zu entkommen, und wieder als Künstler ernstgenommen zu werden.
Keatons Figur ist während er am Broadway ein Raymond-Carver-Stück inszeniert, in dem er auch die Hauptfigur spielt, von Selbstzweifeln geplagt: In furiosen Traumsequenzen spricht er mit seiner früheren Figur, dem »Birdman«, fliegt er durch New York, rettet die Welt, oder begeht Selbstmord. Dazwischen muss er sich um seine Exfrau, seine schwangere Geliebte, seine labile Tochter, die hysterische Hauptdarstellerin und um einen so prätentiösen wie manipulativen Kollegen
kümmern, der ihm die Show stehlen will.
Dieser wird von Edward Norton gespielt, in weiteren Rollen sind unter anderem Naomi Watts und Emma Stone zu sehen. Birdman ist ein großartiger Film, weit besser als die letzten Eröffnungsfilme in Cannes oder Berlin. Eine geistreiche Reflexion des Showgeschäfts und der Frage, wo die Kunst aufhört und der Populismus anfängt; gespickt mit
bissigen Sentenzen wie »Popularität ist der dreckige kleine Cousin der Anerkennung« oder »Wir leben gerade in Zeiten des kulturellen Genozid«. Getragen wird Birdman vom Spiel der Darsteller und der wunderbaren Kamera des Polen Emmanuel Lubetzki, der seinen Bilder in schwindlerregegenden langen Einstellungen einen eigenwilligen Sog gibt.
Birdman, nach Gravity von Alfonso Cuaron im letzten Jahr zum zweiten Mal in Folge der Eröffnungsfilm eines mexikanischen Regisseurs, ist der erste von 19 Filmen, die in den kommenden zwölf Tagen im Wettbewerb um den Goldenen Löwen kämpfen. Dort begegnet das Publikum einer
Mischung aus neuen Gesichtern, guten Bekannten und ernsten Themen: Lang erwartet wurde der deutsche Beitrag: Fatih Akins The Cut ein vielschichtiges Drama über die Ermordung hundertausender Armenier in der Türkei während des ersten Weltkriegs.
Im Wettbewerb kämpft diesmal ausnahmsweise auch ein Dokumentarfilm mit um den Goldenen Löwen: The Look of Silence heißt der Beitrag von Joshua Oppenheimer. Der erst 39-jährige Amerikaner, der auch dänische Wurzeln hat und derzeit in Kopenhagen lebt, wurde im vergangenen Jahr mit The Act of Killing berühmt, einem gefeierten und preisgekrönten, aber
keineswegs unumstrittenen Dokumentarfilm über die schwierige Bewältigung von Mord und Terror in Indonesien, in dem die Mörder ihre Taten auf der Theaterbühne nachspielen, und dadurch zum Teil eine schockierende Katharsis erleben. Oppenheimers neuer Film setzt diese Arbeit fort, und beschäftigt sich speziell mit jener Epoche des Militärputsches seit 1965, die schon seinerzeit durch Peter Weirs großartigen Spielfilm Ein Jahr in der Hölle zu trauriger Berühmtheit kam.
Zwei alte Bekannte, gleichermaßen dem Aufbruch New Hollywood verbunden, wie den besten Traditionen des klassischen US-Kinos sind Barry Levinson (72) und Peter Bogdanovich (75). Beide zeigen ihre neuen Filme im Hauptwettbewerb außer Konkurrenz. Bogdanovichs She’s Funny That Way wurde von den New Yorker In-Regisseuren Noah Baumbach und Wes Anderson produziert, die
Hauptrolle spielt Andersons Lieblingsstar Owen Wilson. Der spielt einen reichen Berufssohn, der sich in ein Escort-Girl verliebt.
Eine weitere Geschichte aus dem wahren Leben verfilmte Barry Levinson mit keinem Geringeren als Al Pacino in der Hauptrolle: The Humbling ist die Adaption des vorletzten Romans von Philip Roth: »Die Demütigung« handelt von einem alternden Schauspieler, der plötzlich seine Fähigkeiten einbüßt, aber durch die Beziehung mit einer
fast 30 Jahre Jüngeren einen dritten Frühling erlebt.
Ein brisantes Thema hat der einzige israelische Film im diesjährigen Programm: In Mita Tova (The Farewell Party) greifen Sharon Maymon und Tal Granit das so problematische wie facettenreiche Thema »Freitod« und »Euthanasie« auf. Sie erzählen – durchaus mit einer beachtlichen Portion Humor und Heiterkeit – von einem Freundeskreis alter Leute, die in wohlhabenden bürgerlichen Verhältnissen in einem Altenwohnheim leben: Einer von ihnen hat in seiner Freizeit eine Maschine konstruiert, die auf perfekte Weise einen sanften Tod ermöglicht. Zunächst freuen sich alle über die Sicherheit den Tod frei wählen zu können. Doch als eine aus der Gruppe sich tatsächlich anschickt, reagiert nicht nur ihr Ehemann abweisend – eine philosophische Komödie, die am Ende vor allem das Leben, aber auch die Freiheit feiert.
Auch sie läuft an den ersten Tagen – ein Auftakt nach Maß bei diesem ältesten Filmfestival der Welt.