Japan 2002 · 88 min. · FSK: ab 12 Regie: Sabu Drehbuch: Sabu Kamera: Masao Nakabori Darsteller: Susumu Terajima, Naomi Nishida, Ryoko Shinohara, Seijun Suzuki u.a. |
Ein Mann auf seinem Weg durch die Stadt. Vorbei an der soeben geschlossenen Fabrik. Auf dem Wegwohin eigentlich? In absurder Konsequenz geht er weiter und lässt sich treiben, begegnet einer ganzen Reihe von Personen, lässt sich zu den unterschiedlichsten Orten führen. Zwischen Gefängnis und Krankenhaus, Strand und Kneipe, Vergnügungsviertel und Selbstmörderbrücke begleiten wir diesen Mann auf seiner seltsam skurrilen Reise.
Wichtig ist, was passiert. Oder nein, wichtig ist die Reaktion darauf, nicht so sehr die der Hauptperson: der Protagonist blickt unvergleichlich stoisch und präsentiert sein Gesicht als blanken Spiegel unserer eigenen Reaktion. Was passiert, ist jedesmal unglaublichunglaublich dreist, unglaublich traurig, unglaublich schön und wenn am Schluss die Stationen noch einmal passiert werden und die ganze Geschichte zusammenhängend erzählt werden soll, wirken die kleinen dramatischen Situationen zusammengenommen wie ein reines Lügengespinst. Und doch: wir waren dabei, wir haben es gesehen und wir haben uns unseren Teil dabei gedacht.
Ein kritisch-ironischer Spaziergang durch die japanische Gesellschaft und einige ihrer Probleme: Arbeitslosigkeit, Krankheit, Verbrechen, soziale Vereinsamung ... Aber immer wieder bietet die Geschichte unverhofft Lichtblicke und (manchmal fantastische) Lösungen. Es gibt Glück, es gibt Liebe über den Tod hinaus, und gute Taten werden belohnt, auch wenn nicht alles Gute so dauerhaft ist, wie man es gerne möchte. Und mit der Heimkehr des Helden zeigt sich, dass das Individuum nicht völlig verloren ist in der Moderne.
Der Regisseur Sabu (alias Hiroyuki Tanaka) begann seine Karriere als Schauspieler in einem Gangsterfilm und ist dem Genre auch mit seinem Regiedebut D.A.N.G.A.N. Runner treu geblieben. Viele seiner Filme sind in Deutschland nur auf Festivals gelaufen, immerhin fand sich für die schrille Komödie Monday ein engagierter Verleihderselbe, der jetzt auch The Blessing Bell präsentiert, rem (rapd eye movies). Manches wiederholt sich in Sabus Werk: Themen (Yakuza, Jobverlustangst) ebenso wie der überlegte Einsatz filmischer Mittel, aber anders als seine temporeichen Vorgänger (und Sabus neuester, im Forum der Berlinale präsentierter Film Hard Luck Hero) ist The Blessing Bell eine Entdeckung der Langsamkeit.
Lange, ruhige Einstellungen, sparsame Schnitte und ein gemächlicher Gang täuschen darüber hinweg, dass sich die Ereignisse geradezu überschlagen. Lakonische Komik dominiert das Geschehen. Vieles bleibt selber zu entdecken und erschließen, eher angedeutet als ausgeführt, und gerade deshalb so faszinierend, weil dem Zuschauer nicht jedes Detail mit ausdrucksvoller Geste vorgesetzt wird. Es ist, wie Regie-Legende Ernst Lubitsch schon wusste, für das Publikum reizvoller, selber 2+2 auszurechnen, statt sich das Ergebnis einfach immer wieder zeigen zu lassen.
Der Hauptdarsteller Susumu Terajima ist den Fans der Filme von Takeshi Kitano möglicherweise als dessen Partner und Sidekick vertraut (in Violent Cop, Sonatine, Hana-Bi und Brother). Auch einige andere Filme mit ihm kennt man in Deutschland (Okaeri, Hole in the Sky), der charismatische Darsteller ist in Japan viel beschäftigt. Seiner Rolle in The Blessing Bell gibt er nahezu Keatoneske Qualität: Die ausdruckslose Mine steht im krassen Gegensatz zur Involviertheit der Figur in alles, was um ihn herum geschieht. Er spricht nicht, aber er beobachtet, er handelt und vor allem: er hört zuund die Zuschauer mit ihm. Es gibt viel zu entdecken.