Deutschland/Belgien 2023 · 119 min. · FSK: ab 12 Regie: Asli Özge Drehbuch: Asli Özge Kamera: Emre Erkmen Darsteller: Luise Heyer, Felix Kramer, Christian Berkel, Timur Magomedgadzhiev, Anne Ratte-Polle u.a. |
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Misstraue deinem Nächsten, wie dir selbst... | ||
(Foto: Port-au-Prince) |
Manchmal braucht es den Blick von außen, um besser zu verstehen, was passiert. So wie Andrea Arnolds englischer Blick auf Amerika in ihrer düsteren Bestandsaufnahme American Honey. Oder der Blick eines Regisseurs mit migrantischem Hintergrund wie vor ein paar Monaten auf der Berlinale, als İlker Çatak mit seinem hervorragenden Lehrerzimmer Deutschland auf den Prüfstand stellte.
So wie Çatak nähert sich auch die noch bis 1999 in der Türkei studierende und seitdem mit doppeltem Wohnsitz in Berlin und Istanbul arbeitende Aslı Özge Deutschland. Ihr Mikrokosmos in Black Box, der in der Sektion Neues Deutsches Kino auf dem letzten Filmfest München uraufgeführt wurde, ist jedoch kein Lehrerzimmer, sondern ein Mietshaus in Berlin. Das bedeutet eine ähnliche multicharakteristische Versuchsanordnung. So wie bei Çatak eine Frau im Mittelpunkt des Geschehens stand und aus ihrer Perspektive die moralischen Instanzen vorgeführt werden, so ist es auch bei Özge ein Frau. Die von Luise Heyer (Das schönste Paar, Lauras Stern) verkörperte Henrike ist jedoch nicht ganz so stark, ist unsicher, in ihrer Suche nach einem Job genauso wie in der Beziehung zu ihrem Mann und ihrem Kind und den Mitbewohnern des Mietshauses, in dem sie wohnt und in dem in den 24 Stunden, von denen Özge hier erzählt, nicht nur für Henrike eine Welt zusammenbricht oder besser: demaskiert wird.
Özge lässt sich dafür nicht nur einen Hausverwalter einfallen, der sich einen schwarzen Container – die nicht-analogische »Black Box« des Films – in den Hinterhof von Henrikes Haus stellen lässt, aus dem heraus er in bester machiavellistischer Divide-and-Rule-Methode in kurzer Zeit die Gruppenmoral der Mieter verunsichert. Sie bietet auf der Gegenseite dann auch einen politischen, altaktivistischen Lehrer auf, ein Café, eine iranische »Gastarbeiterin« und einen politisch aktiven Migranten aus einem vormals sowjetischen Satellitenstaat und dann natürlich die ganz normalen Deutschen, die immer schon von einer eigenen Immobilie geträumt haben, es sich aber nur nicht getraut haben, laut auszusprechen. Eine von der Polizei angeordnete Sperrung des Hauses verhindert, dass irgendwer das Haus verlassen kann, und auch Henrike, die eigentlich zu einem dringenden Bewerbungsgespräch muss, ist gefangen, geht umher, so wie alle umhergehen und miteinander reden und dann aber auch lügen, weil die Wohnsituation für jeden auf seine Art eine prekäre Situation ist.
Dieses Wohnprekariat bringt es dann auch mit sich, dass wie in jeder Mangelwirtschaft mit kapitalistischem Hintergrund es jeder mit der Angst bekommt und sich der aufs Überleben ausgerichtete Konkurrenzkampf wie jedes neoliberale Krebsgeschwür immer mehr in das Denken eines jeden frisst. Dieser Prozess ist so universell wie die Menschheit selbst, deshalb dürfte Özges wichtiger Film auch in jedem Kulturraum verstanden und geschätzt werden. Auch wenn Özge so mutig ist, dass es am Ende kaum einen Beteiligten gibt – von Henrike als Maria-gleicher Ausnahme vielleicht abgesehen – der nicht irgendwie unsympathisch ist.
Das ist für den Film und mehr noch den Betrachter, der sich gerne mit den Protagonisten identifiziert, nicht immer einfach, dafür besitzt Black Box dann jedoch eine souveräne Wucht und Wut, die die eigentliche Dramaturgie dieses wichtigen Films ist, der darüber spricht, worüber viel zu wenig gesprochen wird, worüber Anke Stelling in ihren großartigen Schäfchen im Trockenen für ihre gesellschaftliche Schicht immerhin passende Worte gefunden hat, mit einem ähnlich wütenden Unterton.
Verharrt Stelling in ihrem Roman jedoch zentral bei ihrem verletzten Ich, zieht Özge die Schrauben ihrer »gruppentherapeutischen« Anordnung mit jeder Einstellung fester, gibt es nicht nur ein, sondern zahlreiche Opfer, ist am Ende in seiner Selbstverleugnung eigentlich jeder Opfer. Dabei bedient sich Özge zwar immer wieder einiger Stereotypen, wollen ihre Dialoge zu viel erklären und wirken gerade im Schlussteil, wo kaum mehr Zeit für charakterliche Entwicklung bleibt, aufgesetzt und hölzern, aber das schadet der Intention und der Bedeutung von Black Box keinesfalls, denn am Ende zählt das gesprochene Wort. Im Guten wie im Schlechten. Weil es der Keim eines jeden Neuanfangs, jeder Reform, jeden Widerstands gegen die herrschende Moral ist. So wie es damals auch Andres Veiels ähnlich wichtiger Film, seine Black Box BRD über Die bleierne Zeit Deutschlands war.