USA 2023 · 108 min. · FSK: ab 12 Regie: Reinaldo Marcus Green Drehbuch: Terence Winter, Frank E. Flowers, Zach Baylin, Reinaldo Marcus Green Kamera: Robert Elswit Darsteller: Kingsley Ben-Adir, Lashana Lynch, Sam Palladio, Anna-Sharé Blake, Naomi Cowan u.a. |
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Having good times... | ||
(Foto: Paramount) |
Das Überraschendste an Reinaldo Marcrus Greens Lebenserzählung der Reggae-Legende Bob Marley ist sicherlich Greens Verzicht auf jegliche Kritik an Marley und seinem Umfeld. Green erzählt ein Märchen, das mit Andeutungen und Symbolen arbeitet, das die Musik in den Mittelpunkt stellt und der Familienerzählung der Familie Marley gerecht wird; Marleys Witwe Rita sowie die beiden Kinder Ziggy und Cedella und das familieneigene Unternehmen Tuff Gong haben den Film mit produziert und für gut befunden. Das dürfte auch für die Fans von Marley gelten, die hier ein Narrativ präsentiert bekommen, das allgemein bekannt ist und niemanden verstört.
Über rudimentäre Flashbacks erfahren wir von Marleys Herkunft im ländlichen Jamaika, einem unnahbaren weißen Vater und einer indigenen Mutter, seine frühe Liebe zu Rita, erfahren von bürgerkriegsähnlichen Zuständen auf Jamaika im Jahr 1976 und dem berühmten Attentat auf ihn, seine Frau und seine Band, weil er sich politisch gegen die Machtkämpfe im Land positionierte. Wir dürfen beim Entstehen seines Meilenstein-Albums Exodus im Londoner Exil dabei sein, das einerseits seinen Ruhm begründen, aber auch den Anfang vom Ende seines kurzen Lebens einläuten wird. Green mischt dieses Kartenblatt mit wenig Würze: tagesaktuelle Ereignisse werden als Trigger für seine Musik ausgestellt und über Studio-Sessions dann auch seine Suche nach einem neuen Sound dargestellt. Wenn ihm die Inspiration fehlt, fliegt seine Frau aus den USA ein und wenn sein Manager irgendwann dann doch der Lüge und Veruntreuung überführt wird, gibt es Schläge, aber auch die Absolution.
Wer die großen Biopics der letzten Jahre gesehen hat, James Mangolds Walk the Line, Dexter Fletchers Rocketman oder Baz Luhmans Elvis, wird deshalb wohl eher enttäuscht sein, denn alle diese Filme besitzen profunde Subtexte, erzählen immer auch von den Wurzeln der Musik, der tragischen Ambivalenz ihres porträtierten Helden und die großen Abstürze, die mit Ruhm nun einmal einhergehen.
Von all dem gibt es in One Love nur Andeutungen: Ritas Leiden an Marleys Affären und seiner Naivität sind nicht mehr als ein huschender Moment, seine politisch-religiöse Zuwendung zur Rastafari-Bewegung wird trotz der schon damals äußerst zwiespältigen Rolle von Äthiopiens Kaiser Haile Selassi nicht einmal in Ansätzen hinterfragt. Und auch das Vater-Trauma verschwindet eher hinter Joint-Wolken, als dass es wirklich ausbuchstabiert wird.
Das überrascht umso mehr, als Green mit seinem letzten Film, dem exzellenten Biopic King Richard, gezeigt hat, wie komplex er Charaktere entwickeln und zeichnen kann und in seinem Porträt des übergriffigen Übervaters der Tenniswunderschwestern Serena und Venus Williams ein im Grund dysfunktionales Familiensystem zum einen gnadenlos seziert, zum anderen aber auch den positiven Seiten und den Wurzeln dieses Systems Raum gegeben hat.
Das gelingt ihm in Bob Marley: One Love leider nur in ganz wenigen Momenten. Dennoch macht Greens Film Spaß, weil Greens Kolorierung des Zeitkolorits, sowohl des Jamaika als auch des London der späten 1970er Jahre hervorragend gelingt und auch die immer wieder völlig zugedröhnte Larifari-Rastafari-Politisierung mit den kolonialen Wurzeln in Verbindung gebracht wird.
Und dann ist sind da noch die Schauspieler, allen voran Kingsley Ben-Adir als Marley, der 2020 als Bürgerrechtler Malcolm X in One Night in Miami überzeugte und sich das jamaikanische Kreolisch oder Patois genauso faszinierend angeeignet hat wie einige von Marleys Songs, die allerdings in einer Mischung aus Originalaufnahmen und den realen Stimmen der Darsteller amalgamiert werden. Dabei stört es dann auch kaum, dass man im Abspann, in dem das übliche Biopic-Medley an Originalaufnahmen abgespielt wird, schnell erkennt, dass Ben-Adir deutlich größer als sein Rollengeber ist und auch die Körpersprache eine andere ist.
Und dann hilft es bei allen Defiziten von Bob Marley: One Love natürlich, dass wir in Zeiten des Krieges leben und ein Rollenmodell wie Marley, der wie Ghandi Krieg und Ungerechtigkeit mit Gewaltlosigkeit, in seinem Fall mit Musik, bekämpft hat und dabei auch noch erfolgreich war, sehr gut tut. Einer Musik, die Rastafari hin oder her, der größte Spaß an diesem Film ist und der man dann auch nach dem Film noch gerne zuhört, während man Wikipedia-Seiten über Marley und Jamaika durchsieht oder einen Blick in die ausgewogene Dokumentation Marley von Kevin Macdonald wirft.