Der Brutalist

The Brutalist

USA/GB/CDN 2024 · 216 min. · FSK: ab 16
Regie: Brady Corbet
Drehbuch: ,
Kamera: Lol Crawley
Darsteller: Adrien Brody, Guy Pearce, Felicity Jones, Joe Alwyn, Raffey Cassidy u.a.
Der Brutalist
Ein kultiviertes, geduldiges und scharfsinniges Epos...
(Foto: Universal)

Die Gegenwart der Vergangenheit

Beton & Katastrophenwissen: Brady Corbets brillantes, monumentales Epos Der Brutalist

László, ein jüdischer Emigrant und Architekt, versucht 1947 in Amerika ein neues Leben zu beginnen und sein Glück zu machen. Er trifft auf einen reichen Gönner, der ihm die Chance seines Lebens eröffnet. Doch zunehmend geraten Geld und Kunst, Geist und Macht und die persön­liche Rivalität der beiden Männer in einen unauf­lös­li­chen Konflikt.

So einen Film hat man schon lange nicht mehr gesehen: ein Film, der in der Tradition des großen klas­si­schen Hollywood steht, den man mit Klas­si­kern wie Orson Welles’ Citizen Kane ebenso verglei­chen kann wie mit The Foun­tain­head, King Vidors Ayn Rand-Verfil­mung, oder mit Chris­to­pher Nolan – also mit den ganz Großen.
In Venedig gab es einen Silbernen Löwen als Regie­preis, vor wenigen Wochen drei Golden Globes und jetzt wurde Der Brutalist, die erst dritte Spiel­film­regie des hoch­be­gabten Ex-Schau­spie­lers Brady Corbet für gleich zehn Oscars nominiert.

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Warum? Was macht diesen Film so außer­ge­wöhn­lich? Womöglich sehnt sich Amerika klamm­heim­lich nach der Zeit des klas­si­schen Hollywood. »Make America great again« – das Trump-Motto durch­zieht auch die Film­branche, die nicht anders als der Rest der US-ameri­ka­ni­schen Ökonomie von der chine­si­schen Filmszene, den Indern, aber auch von kleineren Ländern in Latein­ame­rika und Europa und vor allem von neuen Tech­no­lo­gien, Gamern und Streamern heraus­ge­for­dert wird. Nur mit Super­helden kann man da auf die Dauer nicht gegen­halten, und jenseits der immer forma­tierter wirkenden Hollywood-Stoffe und einer geradezu reak­ti­onären Rückkehr zu brav-biederen Pseudo-Tabu­brüchen wie in Babygirl diese Woche fehlt dem US-Kino in den letzten Jahren echte Tiefe und jede Poesie. Nur einzelne Regiekünstler wie Sofia Coppola, Quentin Tarantino und Chris­to­pher Nolan können hier heraus­ste­chen und ein paar alte Meister wie Martin Scorsese erinnern an ihre großen Zeiten.
Und dann kommt da plötzlich Brady Corbet. Er fragt nicht um Erlaubnis, sondern fordert die Götter heraus, mit großer Geste: Gleich in der ersten Einstel­lung wird alles auf den Kopf gestellt – wenn auch nur im Blick der Haupt­figur (und des Publikums).

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Der Anfang ist buchs­täb­lich umwerfend. Die Stimme einer Frau erzählt in Briefform aus dem Off von einem Verhör. Die Brief­schrei­berin selbst ist das Objekt der scharfen Befragung. Folter wird ange­deutet. Die Sprache ist ungarisch; der Brief richtet sich an einen »László«. Das Verhör könnte sich schon während des unga­ri­schen Faschismus im Zweiten Weltkrieg ereignet haben, oder irgend­wann im Stali­nismus der unmit­tel­baren Nach­kriegs­zeit.
Plötzlich wechselt die Szenerie: Man sieht viel Braun und Grau, man sieht einen Mann, mehrere Männer, in einem dunklen Raum; Körper und Stimmen drängeln sich, es ist laut, die Atmo­sphäre bedrän­gend, unan­ge­nehm, die Perspek­tive ist schief und verdreht, die Kamera taumelt, das Licht kommt von oben, und dann erst begreift man: Es ist ein Schiff, dessen Deck sich gerade öffnet und das erste, was zu sehen ist, ist die auf dem Kopf stehende, dann hori­zon­tale Frei­heits­statue.

Wird sie je wieder auf ihren Füßen stehen? Das ist eine der Fragen, die sich von nun an durch diesen Film ziehen. Schon im ersten Bild wird sie nahe­ge­legt, im verzerrten Blick, dem ersten, das ein Mann von Amerika einfängt, nachdem nach einer langen Reise die Luke aufgeht. Dazu atonale Musik, moder­nis­ti­sche Töne.

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Dieser Film wird von den Verei­nigten Staaten handeln, aber er sugge­riert zugleich von Anfang an den sofort den Zusam­men­bruch des Mythos »Amerika«. Dem Prolog zufolge ist Der Brutalist, der dritte Spielfilm von Brady Corbet – nach Childhood of a Leader und Vox Lux, in denen es ebenfalls direkt um Faschis­mu­s­er­fah­rungen ging – eine Reise von der Dunkel­heit ins Licht. Aber dieses Licht ist nie ein erlö­sendes. Immer wieder während des gesamten Films wechseln sich Licht und Dunkel­heit ab, und am Ende des Tunnels steht besten­falls Ruhe, aber kein Frieden.

Der Mann, der hier ankommt, und den die Kamera nun begleitet, ist jener László des Briefs, László Tóth, ein moder­nis­ti­scher Architekt, der der Shoa und dem Faschismus entronnen mit nichts in der Tasche 1947 aus Europa nach Amerika kommt, aus Ungarn nach Penn­syl­vania. Von nun an versucht er, einen Platz in der ameri­ka­ni­schen Gesell­schaft zu erringen.
Noch in den ersten Minuten skizziert Brady Corbet in wenigen schnellen Szenen das 20. Jahr­hun­dert als das Jahr­hun­dert der Einwan­derer. Er zeigt Ellis Island, provi­so­ri­sche Unter­künfte, streift Prosti­tu­tion, Ausbeu­tung und Rassismus, ein Sujet, das in diesem Film bis zum Ende auch eine Rolle spielen wird. Dann steigt László in einen der Greyhound-Busse, die die Einwan­derer im Land verteilen, und der nächste Abschnitt beginnt.

Geglie­dert ist der Film in eine Ouverture, zwei Haupt­teile, die von einer genau 15-minütigen Pause unter­bro­chen werden und einen Epilog. Das erinnert an die Unter­tei­lung einer Oper, genauso wie die Zeit, der sich der Film nimmt, und sein epischer Grundton. Auch die mal atonale, mal immersive, sympho­nisch wirkende Musik, die grund­sätz­lich ein bisschen zu laut und zu betont einge­spielt wird, lässt zusammen mit dem nie verbor­genen Kunst­willen Corbet als einen Wagne­rianer des Kinos erscheinen: Film ist bei ihm wie für Sergej Eisen­stein und Orson Welles ein Gesamt­kunst­werk aus höchstem Anspruch, dominiert von musi­ka­li­schem Denken: Kino als Fort­set­zung von Musik mit anderen Mitteln.

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Der erste Hauptteil, über dessen Beginn auch die auffal­lend schönen, in konstruk­ti­vis­ti­scher Schrift gestal­teten Zeilen der Titel­se­quenz von rechts nach links über das Bild wandern, heißt »The enigma of arrival 1947-1952«. Dieses Rätsel der Ankunft wird nicht weiter vertieft, dafür lernt man die Haupt­figur kennen. László war erfolg­rei­cher Bauhaus-Schüler. Durch verschie­dene, nur zu ahnende Erleb­nisse trau­ma­ti­siert, beginnt er in den USA zuerst in bitterster Armut: Er muss Kohle schaufeln und auf dem Bau arbeiten. Durch eine glück­liche Fügung des Schick­sals wird er von dem Unter­nehmer und Multi­mil­lionär Harrison Van Buren als begabter Architekt entdeckt und mit verschie­denen Aufträgen gefördert. Ist es reiner Zufall, dass diese Figur den Namen eines US-Präsi­denten trägt? Und dass László Tóth eigent­lich der Name jenes geis­tes­ge­störten Mannes ist, der 1972 mit Hammer­schlägen Michel­an­gelos Pietà schwer beschä­digte?

Nachdem er sich in dessen Augen bewährt hat, erhält László von Van Buren den Auftrag seines Lebens, der für den Archi­tekten schnell auch zu einer privaten Obsession wird: Auf einem Hügel nahe Van Burens Landsitz soll er ein großes Gemein­de­kul­tur­zen­trum bauen, das auch eine Kapelle enthalten und den Namen von Van Burens Mutter tragen soll – eine Art Mausoleum. Es soll im moder­nis­ti­schen Stil des Bruta­lismus gebaut werden – so erklärt sich der Titel des Films.
Bruta­lismus ist die Archi­tektur des Puren, Rohen, der sehr harten, hohen Beton­wände, der Kontraste. Dadurch, dass es weder Tapeten, noch Holz­ver­klei­dung oder gar Plastik und Metall gibt, wird der darun­ter­lie­gende Beton offen frei­ge­legt. Das Beton-Mammut­werk, an dem László irgendwo im Nichts vor Phil­adel­phia fast ein Jahrzehnt lang baut, erinnert im Mega­lo­manen des Projekts und seiner Unfähig­keit zur Voll­endung, wie in der Hybris des Erbauers, an das Opernhaus in Werner Herzogs Fitz­car­raldo.

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Man kann in diesem kompro­misslos modernen Bau und dem, was ihm geschieht, aber auch eine Metapher für die Moderne als solche sehen, die stell­ver­tre­tend für viele andere vom Philo­so­phen Jürgen Habermas als »unvoll­endetes Projekt« beschrieben wurde.

Im Aufein­an­der­treffen der denkbar unter­schied­li­chen Tempe­ra­mente und Charak­tere László und Van Buren sind unschwer auch Reprä­sen­tanten dieser Moderne und ihrer Dialektik erkennbar. So wie Reprä­sen­tanten des (Vorkriegs-)Europa und der USA. László ist letztlich ein Idealist, der zwar die Fähigkeit zum Prag­ma­tismus besitzt, aber ihm fehlt der Wille zum Kompro­miss. Er möchte sich den Traum eines Archi­tekten erfüllen, einmal alles so bauen zu können, wie er will. Van Buren wiederum ist großzügig, neugierig und offen genug, um den Einwan­derer aufzu­nehmen und ihm viele Möglich­keiten zu geben, um seinen Traum zu erfüllen. Aber er kauft sich in László auch ein mensch­li­ches Spielzeug, das auf seiner Payroll steht, und in dessen Wünsche er sich einschreibt, sie sich zu eigen macht. Van Buren will Aner­ken­nung als Kapi­ta­list und Mäzen, László als Künstler und Könner. Beide sind zwei Willens­men­schen, die letztlich den Willen ihres Gegenüber bezwingen wollen. Beide sind Außen­seiter unter ihres­glei­chen und zumindest hierin Seelen­ver­wandte.

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In beiden Figuren mani­fes­tiert sich aber auch Grund­sätz­li­ches: Das Verhältnis der Kunst zur Welt. Künstler leiden, Künstler sind sensibel, Künstler geben sich preis. Sie müssen es jedes Mal wieder aushalten, dass der Plebs mitredet, dass Banausen bestimmen, dass will­kür­lich und demo­kra­tisch entschieden werden soll, wo es um Schönheit und Wahrheit gehen müsste.

Diese tiefen Leiden der Künstler vollzieht der Film nach. Warum lasse ich mich ausbeuten? Warum lasse ich mich quälen, sekkieren von Geld­ge­bern, die ganz andere Dinge wollen? Von Menschen, die keine Ahnung haben, die nicht auf meinem Niveau sind? Warum stelle ich mich aus und zur Schau und gebe mich preis vor einer Öffent­lich­keit, die größ­ten­teils am Kunstwerk und meiner Arbeit nicht sehen kann, was zu sehen wäre?

Künstler, auch Film­künstler, fragen sich jeden Tag ein Leben lang: Mache ich noch weiter? Lasse ich mir das noch gefallen? Warum habe ich es hier mit lauter kleinen Geistern zu tun? Warum regieren immer die Beden­ken­träger? Die Controller? Die Rechen­schieber und Pfen­nig­fuchser? Warum, warum, warum?

Endlich einmal zeigt ein Film das alles, empa­thisch, in Lászlós Figur, ohne es billig aufzu­lösen, oder gar lächer­lich zu machen.

Der Kapi­ta­list Van Buren, ein Manager, der groß denkt und alles will, der aber innerlich leer ist, doch sensibel genug, um unter dieser Leere zu leiden, um zu wissen, zu spüren, dass da mehr ist, er steht zu László, gibt ihm alle Möglich­keiten, jeden­falls lange Zeit.
Und dann doch nicht. Denn er kämpft letztlich nur für den persön­li­chen Ruhm. Für den Ruhm zu Lebzeiten, jetzt und hier; er baut ein Mausoleum für das Private, wo László an einem Mausoleum für die Mensch­heit oder jeden­falls für all die Ermor­deten der Shoa arbeitet. Auch ohne es zu sagen.

So haben diese beiden Außen­seiter auch ihre eigene Agenda. Sie benutzen den jeweils anderen.

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Adrien Brody und Guy Pearce haben in diesen Rollen heraus­ra­gende Auftritte. Während Pearce seine Figur an die größten Kapi­ta­lis­ten­fi­guren Holly­woods, an den Titel­helden in Citizen Kane und an verschie­dene Darstel­lungen von Howard Hughes anlehnt, und eine Person zeigt, die brutale Härte mit echter Freund­lich­keit verbindet, und eine dritte Seite sorg­fältig zu verste­cken trachtet, trägt Brody seine Figur aus Roman Polanskis Der Pianist in diese Rolle hinein. Ein Verfolgter und ein Künstler. Ein an Körper und Seele Versehrter, in dessen Gesicht sich Lachen und Weinen zu paaren scheinen.

Aber die etwas zu einsei­tige Aufmerk­sam­keit auf Brodys Leistung und Figur ist doppelt ungerecht. Fast alles an Der Brutalist hängt von Guy Pearces Leistung ab. Schwer vorstellbar, wie Brady Corbet die Figur anders hätte besetzen können: Ein schil­lernder Reicher, ein groß­zü­giger Mäzen, ein kaputter Macht­mensch, ein Mutter­söhn­chen, ein solda­tisch-gepan­zerter Zivilist. Ist er ein Trottel, oder zutrau­lich und offen? Will er einfach aufsteigen, oder mag er Lászlós Entwürfe tatsäch­lich? Mag er László? Oder faszi­niert ihn die Tatsache, dass er ihn nicht versteht?

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Nachdem der erste Teil des Films vom Aufstieg László Tóths gehandelt hat, erzählt der zweite Teil, »The Hard Core of Beauty 1953-1960« (»Der harte Kern der Schönheit«), von einer Art Abstieg: Zu Beginn kommen Erzsébet und Zsófia, seine Ehefrau und seine Nichte, die in Ungarn zurück­blieben, in die USA nach – schwer­be­hin­dert und durch Hunger-Osteo­po­rose an den Rollstuhl gefesselt. Zuvor war immer nur von ihnen als Abwe­senden die Rede gewesen, nun aber treten sie und mit ihnen die Schatten der europäi­schen Vergan­gen­heit ins Licht des Films. Die Frau und die Nichte des Archi­tekten exis­tierten bislang nur in der Erin­ne­rung des Prot­ago­nisten und in den Gesprächen, die er mit anderen führte, nur in Worten und Beschwörungen, fast geis­ter­haft. Nun wird klar, dass Europa bei Corbet auch als das Verbor­gene und Unbe­wusste Amerikas existiert, als das, was dieses Amerika nicht wahrhaben will, und immer wieder verdrängt.

Das Auftau­chen von Erzsébet und Zsófia bringt die Handlung aber nicht wirklich voran, sondern behindert sie. Zsófia hat für eine Weile die Fähigkeit zu sprechen verloren, ohne dass die Ursache klar würde, ebenso wie der Film ihre Erleb­nisse im Haus der Van Burens nur andeutet. Zunehmend reflek­tiert Lászlós Familie über die gebro­chenen Utopien aus Fort­schritt und Frieden, die im Ameri­ka­ni­schen Traum ebenso verkör­pert werden wie im Staat Israel, wohin Zsófia schließ­lich auswan­dert.

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Die Bauar­beiten am Mausoleum geraten ins Stocken. Wie der Erzähl­fluss des Films, der aller­dings mit Absicht, denn dass die Linea­rität des Aufstiegs­ver­spre­chens des American Dream nicht (mehr?) funk­tio­niert, schon in den 50er Jahren nicht mehr bruchlos funk­tio­nierte, ist ja gerade eine zentrale These des Films. Warum die Moderne entgleiste, warum plötzlich alles nicht mehr so glatt läuft, wäre genau zu analy­sieren. Der fehlende Geldfluss ist nicht das Entschei­dende, genauso wenig wie die Einwände der Philister. Es ist der Wille, der plötzlich schwach wird oder ganz schwindet.
Analog ins Stocken gerät aber auch die Moderne. Schon spätes­tens in den 60er Jahren, schon in Stil­rich­tungen wie dem Bruta­lismus deutet sich an, was man später die »Post­mo­derne« nennen wird, was von manchen ein bisschen verzwei­felt als »Zweite Moderne« (Ulrich Beck) euphe­mi­siert wurde, von anderen als reak­ti­onärer Revi­sio­nismus gebrand­markt. So oder so aber geschah da ein unmerk­li­cher Bruch.
All das sind Folgen des Zentral­ereig­nisses des 20.Jahr­hun­derts, des »Zivi­li­sa­ti­ons­bruchs« (Hannah Arendt).

Zum Höhepunkt des zweiten Teils wird ein Zugun­glück, und die Weise, wie der Regisseur dieses Geschehen lange vorher andeutet. Das eigent­lich Unfass­bare in diesem Moment ist aber, dass der Film hier gleich­zeitig auch die Züge mitdenkt und unzwei­deutig evoziert, die zehn Jahre zuvor nach Auschwitz fuhren, wo die meisten unga­ri­schen Juden vergast wurden. Oder nach Buchen­wald, wo László irgendwie überlebte. Die Montage zwischen der Fahrt des Zuges, dem Verschwinden hinter den Wolken, dem Aufblitzen einer Explosion und der Verknüp­fung dieser Aufnahmen mit dem Schmer­zens­schrei von Erzsbet, ist einer der Augen­blicke, in denen Corbet neue meis­ter­liche Film­mo­mente kreiert, und die deutlich machen, dass Der Brutalist auch ein Film über die Shoa ist.

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Erst im letzten Viertel des Films laufen alle Erzähl­fäden zusammen, und manches wird nun besser vers­tänd­lich. Eine Reise zu den Marmor­klippen des nord­ita­lie­ni­schen Carrara und ein sinn­li­ches Abendfest bei den Marmor­ar­bei­tern, die früher anti­fa­schis­ti­sche Parti­sanen waren, leitet den uner­hör­testen Moment des Films ein: Zuerst fühlt man sich ganz aus dem bishe­rigen Film heraus­ge­sogen, zärtlich in die immer erotische Traum­land­schaft eines Berto­lucci-Films hinein­ver­setzt: Ein Tanz und der Flirt von László mit einer Tänzerin wird von Van Buren aus der Ferne beob­achtet. Er sieht und spürt in diesem Augen­blick, dass er kein Teil von alldem ist, Außen­seiter bleibt und sich offen­sicht­lich nicht mit diesen einfachen Leuten verbinden kann. Etwas später bricht dieses Ressen­ti­ment dann offen aus und Van Buren verge­wal­tigt László – und bringt damit die Sexua­lität als unter­grün­diges Thema dieses Films zum Vorschein.

Es ist eine durch und durch vers­tö­rende Szene. Nicht wegen der Tat als solcher, sondern weil sie alle bishe­rigen Ereig­nisse in neuem, verän­dertem Licht zeigen. Und Van Buren als solda­tisch gepan­zerte Herren­men­schen voll innerer Unbe­hol­fen­heit. Der Regisseur legt uns Faschismus in seinem Doppel­ge­sicht bloß: Als Infan­ti­lismus des »nicht zuende geborenen Mannes« und als sexuell grun­dierte Perver­sion.

Natürlich dürfen wir hier auch nicht vergessen: Der Stein­bruch von Carrara war nicht nur der Lieb­lings­stein­bruch der Römer und der Renais­sance-Künstler wie Michel­an­gelo, es war auch ein Lieb­lings­stein­bruch der italie­ni­schen Faschisten, die sich als neues Rom insze­nierten. Zugleich aber war dies ein zentraler Ort für die anti­fa­schis­ti­schen Parti­sanen, worauf Corbet wie oben erwähnt, Bezug nimmt.

Und auch der besonders bei Post­fa­schisten beliebte Text des Faschismus-nahen deutschen Schrift­stel­lers Ernst Jünger, die Fantasy-Fabel Auf den Marmor­klippen, gewis­ser­maßen das Schlüs­sel­buch der inneren Emigra­tion der Nazis (!!) hat Bezüge zu diesem Ort.

Auch wenn dies eine gewagte Behaup­tung ist: ich glaube dass Regisseur Brady Corbet alle diese Dinge mitdenkt und er deswegen einen sehr diffe­ren­zierten, refe­ren­zen­rei­chen Film über Faschismus gemacht hat.

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Dazu noch eine Bemerkung, die über diesen »Theweleit-Komplex« der »Männer­phan­ta­sien« hinaus­führt: Der unver­gleich­li­chen Film­ken­nerin Lillith (Merci!) verdanke ich den tref­fenden Hinweis auf Liliana Cavanis Der Nacht­por­tier: Tatsäch­lich ist auch dies hier noch einmal eine letzte Faschis­mus­re­fe­renz in dem an solchen Refe­renzen sehr reichen Film: Wenn Laszlo seine Frau Erzebet die höllische Schmerzen leidet, zunächst aufs Klo trägt, und ihr dann Heroin spritzt um die Schmerzen zu lindern, dann hat sie das gleiche Kleid an, das Charlotte Rampling im Nacht­por­tier trägt. Und die Szenen der beiden sind auch sonst ähnlich gefilmt, wie die zwischen Rampling und Dirk Bogarde.

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Danach geht alles sehr schnell. László und Erzsébet gestehen sich – und den Zuschauern – die bittere Wahrheit ein: »Amerika ist verkommen. Die Land­schaft, das Essen, die Menschen. Sie wollen uns hier nicht.« »Uns« – das meint die Juden. So brechen sie mit Van Buren, indem sie ihn sozial bloßstellen, und folgen Zsófia nach Israel.

Ein Epilog führt schließ­lich auf die Archi­tektur-Biennale von Venedig 1980, und kontex­tua­li­siert den Stil von László unter der Über­schrift »The presence of the past«.
Der Bruta­lismus erscheint als Reaktion auf den Zivi­li­sa­ti­ons­bruch, als an Buchen­wald ange­lehnte Archi­tektur, als (schönes) Verbre­chen aus Beton, als monu­men­tales Mahnmal, das die Welt als Lager zeigt.

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Diese Gegenwart der Vergan­gen­heit ist der rote Faden, der The Brutalist in seinem Ideen- und Facet­ten­reichtum zusam­men­hält: Corbets Film rückt einen jüdischen Prot­ago­nisten und sein Trau­ma­ti­siert-Sein ins Zentrum. Er zeigt eine Figur, die nicht mehr heimisch werden kann, weil die Vergan­gen­heit nicht vergehen will, sondern anwesend bleibt, oder als verdrängte zurück­kehrt. Anwesend ist diese Vergan­gen­heit auch in der Moderne, deren Reprä­sen­tant László ist.

Der Stil des Films ist trotz »moder­nis­ti­scher« Momente bewusst »klassisch« gehalten. Gedreht wurde auf »Vista Vision«, dem Paramount-Format der 50er Jahre, und auf analogem Film­ma­te­rial, vorge­führt wurde zur Premiere auf 70 Milli­meter. Auch die Vorbilder sind ameri­ka­ni­sche Klassiker: Neben offen­kun­digen Refe­renzen, Orson Welles Citizen Kane, King Vidors The Foun­tain­head, Paul Thomas Andersons There Will Be Blood kann man auch an Elia Kazans Einwan­de­rer­ge­schichten, Barry Levinsons Bugsy, und Sergio Leones Es war einmal in Amerika denken.

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Und doch ist Der Brutalist am Ende ein Film, der in der alptraum­haften Dunkel­heit Europas und des europäi­schen Zivi­li­sa­ti­ons­bruchs wurzelt. Moderne und Klassik sind auch hier kein Gegensatz sondern inein­ander verschränkt.

Corbets Ehrgeiz, ein kulti­viertes, gedul­diges und scharf­sin­niges Epos in einer von Ignoranz und Aufmerk­sam­keits­de­fi­ziten geprägten Zeit ins Kino zu bringen, ist unver­kennbar. Dem Regisseur ist ein mitreißender Film geglückt, der eine Fülle von Themen anspricht. Ein Film, der nur sehr ober­fläch­lich betrachtet um die Gegenwart einen Bogen schlägt. Seine konzen­trierte Geschichte erzählt von den USA und Europa, Tatkraft und Intellekt, Hoffnung und Scheitern. Und vom Anti­se­mi­tismus in Amerika.

Die besten Filme sind immer die, die wir spüren, nicht die, die wir hören und sehen. Der Brutalist ist erschüt­ternd und schön.

Ein cineastisches Werk über Kunst, Macht und Identität

Das neue epische Filmdrama von Brady Corbet ist in aller Munde. Die Faszination ist enorm, so dass viele es kaum abwarten können, den Kritikerliebling endlich im Kino zu sehen

Das ist der dritte Film des ehema­ligen ameri­ka­ni­schen Schau­spie­lers Brady Corbet, bekannt für seine schau­spie­le­ri­schen Arbeiten bei Michael Haneke oder Lars von Trier. Bereits mit seinem ersten Film The Childhood of the Leader etablierte er sich als ernst zu nehmender Regisseur. Sein zweiter Film Vox Lux lief im Wett­be­werb um den Goldenen Löwen auf der 75. Viennale. Für seinen neuesten Film hat Corbet nach eigener Aussage sieben Jahre lang gear­beitet.

Düsteres Licht in den Schiff­ka­binen, verwa­ckelte Bilder, schräge Kame­ra­ein­stel­lungen und verschie­dene Geräusche, über­la­gert von einem aus dem Off vorge­le­senen Brief; Treppen hinauf­stei­gend, in den dunklen Gängen herum­ir­rend, torkeln Menschen im Dunkeln mit suchenden desori­en­tierten Blicken anein­ander vorbei, bis sie endlich das Licht erblicken. Und mit ihm die Frei­heits­statue, aller­dings aus irri­tie­rend schrägen Perspek­tiven – eine nicht gerade subtile Metapher für Amerikas Werte­system–, während der Brief aus dem Off über die Illusion der Freiheit reflek­tiert. Die Kamera fängt zwei jubelnde Männer ein, die ihr Glück nicht fassen können.

Dies sind die ersten Szenen – von Corbet als »Ouvertüre« bezeichnet –, die die Ankunft des Haupt­prot­ago­nisten László Tóth (Adrien Brody) auf Ellis Island schildern. Er ist ein fiktiver jüdisch-unga­ri­scher Bauhaus-Architekt, der den Holocaust überlebt hat und 1947 in die USA emigriert, in der Hoffnung, ein neues Leben zu beginnen. Der Rest seiner Familie (seine Frau und seine Nichte) steckt an der öster­rei­chi­schen Grenze fest.

Das drei­ein­halb­stün­dige Epos, unter­bro­chen von einer 15-minütigen, instru­men­talen Musik­pause, schildert in klas­si­scher, linearer Manier das Leben des Archi­tekten in den USA. Auch die Form des Films – Unter­tei­lung in zwei Teile und einen Epilog sowie das 70mm-Format – deutet auf den Anspruch hin, das Epische auf die Leinwand zu bringen. Die Musik von Daniel Bloomberg, ausge­zeichnet mit einem Golden Globe für die beste Filmmusik, basiert auf vers­tö­renden, Unruhe verbrei­tenden und zugleich pathe­ti­schen Klavier­im­pro­vi­sa­tionen und verstärkt das Gefühl von etwas Großem, Monu­men­talem und zugleich Fata­lis­ti­schem.

Im ersten Teil, »The Enigma of Arrival«, erfährt der Zuschauer peu à peu über den Archi­tekten, der im Vorkriegs­eu­ropa dank seiner Bauhaus­werke eine Berühmt­heit war. Direkt nach seiner Ankunft lässt er sich in Penn­syl­vania nieder, wo er im Möbel­ge­schäft seines Cousins Attila (Ales­sandro Nivola) arbeitet. Dabei begegnet er dem reichen, launi­schen Indus­tri­ellen Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce), für den er dessen Biblio­thek in einen mini­ma­lis­ti­schen und licht­durch­flu­teten Raum mit boden­tiefen Bücher­re­galen, die von ausklapp­baren Lamellen in hellem Holz verdeckt sind, und einem Lese­sessel im Stil von Ludwig Mies van der Rohe umge­staltet – ein Auftrag von Van Burens Sohn Harry (Joe Alwyn) als Über­ra­schung für seinen Vater. Auch wenn die Über­ra­schung bei dem Vater nicht so gut ankommt, erkennt Harrison Lászlós Talent, beauf­tragt ihn mit einem ambi­tio­nierten archi­tek­to­ni­schen Projekt: Dem Bau eines Gemein­de­zen­trums auf einem Hügel in Doyl­es­town – als Andenken an seine verstor­bene Mutter. Der Baukom­plex, der eine Biblio­thek, einen Gemein­de­raum, einen Sportsaal und eine Kapelle beinhalten soll, scheint von monu­men­taler Dimension zu sein – genau das Richtige für den unga­ri­schen Archi­tekten, der endlich wieder seine Bauhaus-Visionen verwirk­li­chen kann. Doch der unbe­re­chen­bare, exzen­tri­sche Mäzen, der die Kunst vor allem als Pres­ti­ge­ob­jekt für sein eigenes Ansehen begreift, macht es László nicht leicht.

Der erste Teil verläuft voller Hoffnung auf einen guten Ausgang. Die Kame­ra­fahrten sind gemäch­lich, kontem­plativ, aber stetig voran­schrei­tend. Die Kamera streift genüss­lich durch das feudale Anwesen Van Burens. Bei der Weih­nachts­feier gleitet sie verträumt durch die feine Gesell­schaft, kostet jedes Detail aus. Einen herr­li­chen Anblick bietet der entspannte László auf dem Fahrrad oder im Grünen sitzend, während er an seine Frau Erzsébet schreibt.

Im zweiten Teil, »The Hard Core of Beauty«, ändert sich der Ton des Films, begleitet von Lászlós zuneh­mender Verzweif­lung, die sich in Wutaus­brüchen und wach­sendem Opium­konsum äußert, was auch visuell zum Ausdruck kommt: Die Bilder werden düsterer, schroffer. Auch die Ankunft seiner Familie bringt keine Erleich­te­rung, denn seine Frau ist aufgrund von Osteo­po­rose an den Rollstuhl gefesselt und seine Nichte Zsófia ist wegen der Gräuel­taten aus der Vergan­gen­heit verstummt. Die Spannung zwischen dem Mäzen und dem Künstler wächst. Harrison, gespielt von Guy Pearce, wirkt in seiner ganzen Exzentrik immer wieder recht kari­ka­tu­ren­haft. Über­zeichnet. Besonders bei seiner ersten Begegnung mit László und seinem Cousin Attila, bei der er mit seinem Hang zum Thea­tra­li­schen wie ein Gestörter herum­brüllt und die Archi­tekten aus der Biblio­thek raus­schmeißt. Dann auf einmal erscheint er recht besinn­lich und adäquat. Sein Charakter schwankt zwischen groß­spu­riger Gönner­schaft und Prag­ma­tismus, Arroganz und Bewun­de­rung für Lászlós Talent. Er erscheint wie ein Chamäleon oder ein mani­pu­la­tiver Schi­zo­phre­niker mit Größen­wahn

Adrien Brody, der bereits in Der Pianist von Roman Polanski den polnisch-jüdischen Künstler im besetzten Polen spielte, brilliert erneut mit inten­siver, verletz­li­cher Darstel­lung eines innerlich zerris­senen Mannes, dessen Verzweif­lung sich in brutaler Wut entlädt. Eine fesselnde schau­spie­le­ri­sche Leistung!

Trotz der Komple­xität der Figuren wirken sie in ihrer Gegenü­ber­stel­lung ziemlich stereotyp: Van Buren als wohl­ha­bender Auftrag­geber trinkt teuren Whiskey, raucht Zigarren und treibt mit einem selbst­ge­fäl­ligen Lächeln Macht­spiel­chen mit seinem »Schütz­ling«. László wiederum ist der leidende Künstler par excel­lence: miss­ver­standen, emotional zerrissen, dem Alkohol und der Selbst­zer­störung nahe.

Auf der formalen Ebene ist der Film perfekt gestaltet. Kunstvoll veran­schau­licht die Kamera jede emotio­nale Regung der Haupt­fi­guren. Kame­ra­mann Lol Crawley variiert geschickt zwischen Panora­ma­ein­stel­lungen, um das Baupro­jekt fest­zu­halten, und den intimen Nahauf­nahmen der Prot­ago­nisten. Die atem­be­rau­benden Aufnahmen von Carrara-Marmor sind ein visueller Genuss. Selbst der Nachspann verläuft kunstvoll diagonal. Mit diesem Film schreibt sich der Regisseur in die Reihe der großen Regis­seure ein. Allein der Vergleich mit solch einem hoch­heilig ange­se­henen Film wie Citizen Kane erscheint wie »cine­as­ti­sche Blas­phemie«, wie Michael Haber­lander einst in seiner Kritik zu Paul Thomas Andersons There Will Be Blood schrieb. Apropos, Anderson: Auch seine Einflüsse sind im Brutalist nicht zu übersehen, sowohl stilis­tisch als auch erzäh­le­risch.

Auf narra­tiver Ebene unter­nimmt Corbet den kühnen Versuch, zahl­reiche komplexe Themen wie Holocaust-Erfah­rungen, und Trau­ma­be­wäl­ti­gung, Identität, Emigra­ti­ons­er­fah­rung und Fremdsein – insbe­son­dere als jüdischer Emigrant sowie Künst­ler­sein in einer prag­ma­ti­schen Welt und insgesamt das Wesen der Kunst in einem Werk zu umreißen. Dies ist eine gewaltige Aufgabe selbst für einen über­langen Film. So bleibt die Holocaust-Erfahrung Lászlós kaum ange­tastet. Erst im Epilog des Films, der raffi­niert auf die Archi­tektur-Biennale in Venedig 1980 verlegt ist, werden seine Bauwerke mit der Erfahrung von Buchen­wald von seiner Nichte Zsófia vergli­chen – ein geschickter narra­tiver Bogen, der den Film in sich geschlossen erscheinen lässt.

In diesem Film scheint Brady Corbet unter anderem nicht nur die Heraus­for­de­rungen eines Archi­tekten zu reflek­tieren, der in einer prag­ma­ti­schen Welt für seine Visionen kämpft, sondern auch die eines Filme­ma­chers, der seine Kunst gegen äußere Erwar­tungen behaupten muss. Wie die Archi­tektur ist auch das Kino ein Balan­ceakt zwischen Ästhetik, Funktion und Ausdruck – und Corbets Film selbst wird zum Sinnbild dieses kreativen Ringens: Monu­mental und kompro­misslos.