Zeit in Stein |
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Monumental & epochal | ||
(Foto: Viennale | Brady Corbet) |
215 Minuten, Ouvertüre, Pause, Epilog, 70mm. The Brutalist schreit Monumentalfilm, die Presse nimmt es dankend an, lobpreist die große Rückkehr zum klassischen Erzählkino, zu einer amerikanischen Produktion, die sich endlich wieder auf ihre Wurzeln besinnt, sich in eine Tradition stellt, die für viele Jahre die Definition »Spielfilm« lieferte, die Kamera, Schauspiel und Handlung ins Zentrum stellt, und sie erzählen lässt. Eine epische Handlung, einen
visuellen Roman, strukturiert und für sich stehend, mit Abstand zur Postmoderne, zur postdramatischen Form, zu den Metaspielereien und Selbstbezügen, die die Moderne prägte und prägen.
Endlich wieder traditionelles Kino heißt es, endlich wieder klassische Geschichten und Gefühle, Melodrama, Monument, Magie.
Das ist der Film dann glücklicherweise nicht geworden.
Es ist ein oberflächlich klassisches Werk, das stimmt, doch Corbet spielt mit diesem Format, diesem Anspruch, lässt die Tradition seine Bilder bestimmen, arrangiert sie aber dennoch so, dass sie mit jener in den Dialog treten, sich selbst bewusst werden, und über die klassische Form hinausgehen, beginnen, um sich selbst zu kreisen, und damit sich und die ihnen zugrunde liegende Struktur anfangen zu zersetzen, zu überwinden, um schlussendlich in der Moderne zu landen.
Dafür
lässt er sich Zeit, das Neue kann nicht ohne das Alte bestehen, und so beginnt The Brutalist tatsächlich sehr traditionell. Es macht hier Sinn von einem Teil 1 und 2 zu sprechen, man muss den Film in seiner Struktur analysieren, um ihn zu durchdringen – und natürlich die gewaltige Laufzeit zu bewältigen. Teil 1 endet dabei seltsamerweise nicht bei der Pause – und damit dem Ende von Kapitel 1 – sondern nach dem im Film einsetzenden Zugunglück.
Hier wechselt der Ton, die Dramaturgie, die Regie ihren Ton, führt weg vom behutsamen, strikt linearen Anfang.
Dieser erzählt zunächst eine Ankunftsgeschichte, eine Immigration nach Amerika, nötig durch den zweiten Weltkrieg. Dem jüdischen Architekten László Tóth (Adrien Brody) gelingt die Flucht in die Staaten, seine Familie (Frau und Nichte) muss er zunächst zurücklassen. In Pennsylvania angekommen, heuert er im schlichten Möbelgeschäft seines Cousins an, verdingt sich dort mit kleinen Aufträgen. Durch einen Zufall gelangt er an Aufträge, seine eigenwillige architektonische
Handschrift – László studierte in Dessau an der Bauhaus-Universität – vergrault erst einen schwerreichen Kunden, bringt ihm später jedoch dessen Zutrauen ein. Für ihn soll er ein monumentales Gebäude errichten, ein Stadtzentrum, das als Kirche, Sporthalle, Bibliothek und Auditorium gleichzeitig fungieren soll. Der Unternehmer (Guy Pearce in der Rolle des Harry Van Buren) möchte das Gebilde seiner verstorbenen Mutter widmen, verspricht im Gegenzug László die sichere
Ankunft seiner Familie, einen komfortablen Schlafplatz und – natürlich – Geld.
Diese Ausgangslage wird behutsam entwickelt, Corbet nimmt sich ausgesprochen viel Zeit für lange Gespräche, Charakterisierung der Nebenfiguren (besonders schön: Joe Alwyn als durchtriebenes, selbstgefälliges Söhnchen), schwelgerische VistaVision-Aufnahmen des Van-Buren-Anwesens.
Hier ist der Hang zur Tradition am deutlichsten zu spüren, es ist eine breit angelegte Hinführung zu einem großen Drama, einer Familien- und Geflüchtetengeschichte, die in ihren Ansätzen bereits alles enthält, die großen Fragen und Konflikte von Sekunde Eins an in sich trägt, nun dazu übergehen wird, jene final zu entwickeln und ausbrechen zu lassen. Damit geht eine ungeheure Schwermut einher, man fühlt sich als Betrachter wie zwischen den Bildern, hängt im Ungesagten fest, weiß, dass es kommen wird, der Bruch, der Rassismus, die zerstörerischen Klassenunterschiede, doch noch erlaubt es uns Corbet, auf dem poetischen Grat der Vorsehung zu wandern. Lacht László, plant er seine Kunst, dann ist das schön, dann sehen wir ein Kind, das noch alles vor sich hat, das ungeahnt folgender Komplikationen seine Träume und Zukunft beschreibt, sich dem vordergründigen Amerika hingibt.
In diesem melancholischen Modus wird lange verharrt, es ist der Zauber eines jeden Anfangs, der darin verborgen liegt, und damit natürlich der bittersüße amerikanische Traum, der trotz unseres Wissens über seine Unmöglichkeit in so verheißungsvollen Bildern zum Ausdruck kommt, wie es kaum ein anderes Land ermöglicht.
Hier ist der Film poetisch und traurig, gleichsam sehr freundlich seinem Publikum gegenüber, es ist genau das, was man erhofft, eine Befriedigung all der Punkte und Sehnsüchte, die eingangs erwähnt wurden. Dieses Konstrukt beginnt dann zu bröckeln, ganz allmählich, doch hier bereits uninteressanter, wenn etwa die rassistischen Ideologien der amerikanischen Großbürger wörtlich durchzuscheinen beginnen, das sorgsam etablierte Konstrukt ebenso planmäßig eingerissen
wird.
Man kennt diese Mechaniken ja bereits, man weiß, was kommt, gerade das ermöglicht schließlich erst die Konzentration und Traumhaftigkeit der Hinführung.
Wir befinden uns zu dieser Zeit bereits im zweiten Kapitel des Films, der Duktus der Klassik wird (noch) aufrecht erhalten. Und dann geschieht das Zugunglück…
Hier näher auf die Handlung einzugehen, soll vermieden werden, es ist auch nicht vonnöten, anhand ihrer den Film zu interpretieren. Viel mehr ist es die Struktur, die mit dem Zug entgleist, die feinsäuberliche Erzählung, die aus den Fugen gerät, anekdotischer und sprunghafter wird, die Fabel/Analogie/Familiengeschichte des Anfangs verlässt.
Krude und wild offenbart sich The Brutalist nun, fliegt über die erzählte Zeit, wechselt die Orte und Bezugspunkte, wird seinen Figuren sehr bewusst nicht mehr gerecht. Es ist die Verweigerung im begrenzten Raum, im einstudierten Konstrukt, die Antworten auf alles zu finden, gewissermaßen eine Selbstaufgabe, die sich nun vielmehr auf ihre Struktur als ihre Story zu berufen scheint, sich selbst versucht in der Historie zu begreifen – und damit über sich selbst hinausgreift.
Der Film wird rätselhafter, obwohl seine verhandelten Themen weiterhin konzentrierter zu Tage treten. Der Judenhass wird bildlich wie sprachlich ganz konkret behandelt, die aufgebauten Zwischenräume durchbrochen (oder besser: durchschrien), es wird viel offensichtlicher mit den enthaltenen Streitfragen umgegangen. Dadurch erfolgt auch eine Abkehr von der anfänglich evozierten Poesie, alles wirkt zu schnell und hektisch, zu wörtlich und forciert.
Gerade darin liegt dann jedoch die Stärke und das Genie des Films. Dieser Suhl aus Themen und Handlungen, aus Orten und Zeit, bricht mit der betulichen Monumentalromantik; Corbet verortet seinen Film woanders, löst sich von der Offenkundigkeit seiner Geschichte und verhandelt darüber den Charakter eines Monuments an sich.
Das Gemeindezentrum nämlich ist Lászlós Rache an der Welt, sein Kommentar, seine Hinwendung, sein Werk, das alle Zeiten überleben, zu einem Mahnmal werden soll, zur Kirche der Verstoßenen, zum Kerker der Ignoranten – ein Monument eben.
Doch es frisst ihn auf, lässt ihn – László – selbst immer kleiner werden, entfremdet ihn von sich und seiner Umwelt. Es ist losgelöst vom Subjekt, ein eigenständiger, stummer Schrei in die Historie hinein. Ein Werk, das nicht der
Gegenwart gewidmet ist, vielmehr der Zukunft, etwas, was vielleicht erst in Jahren erklärt und wertgeschätzt werden wird. Dies wird speziell im (einen erneuten Bruch erzeugenden) Epilog deutlich.
Demgegenüber setzt Corbet Lászlós Ehefrau, Erzsébet Tóth (Felicity Jones), die in ihrer Arbeit – ihrem Handwerk – scheitert, sie wird der Welt kein Monument hinterlassen, lediglich degradierende Artikel in Frauenzeitschriften, eine Lippenstift-Empfehlung wird ihr Stempel in der Historie bleiben.
Sie allerdings handelt im Jetzt, konfrontiert die Menschen, die ihr Leid antun, stellt sich dem Unrecht unmittelbar und unverblümt entgegen. Sie wird etwas verändern in
der Welt, in der Gegenwart, in ihrem Umfeld – etwas, das zwar vergessen sein wird, doch direkte Folgen mit sich bringt, das keine glücklich Fügung der Zukunft für sich beanspruchen muss, um zu gelten.
Diese Konstruktion des großen Werks, das alle Zeit überdauert, das in der Welt steht, um irgendwann, irgendwo Bedeutung zu erlangen wird somit zum Hauptthema dieses (vorgetäuschten) Monumentalfilms. Die Frage, die sich Corbet stellt, ist eine fundamentale: In welcher Zeit
bewegen wir uns, für welche Zeit erschaffen wir, welche wollen wir verändern?
Dieses Thema begreift er spielerisch, der analoge Dreh in 70mm ist kein Gimmick, keine Show, die formale Rückbesinnung auf die Vergangenheit wird so umso spielerischer verhandelt, ebenso, wie er seinen Film gliedert, wann er traditionell, wann überschwänglich erzählt, wann er in Muster verfällt, wann er frei arbeitet, wann er didaktisch vorgeht, wann assoziativ und träumerisch (es gibt eine ganz wunderbare, ganz sonderbare Italien-Episode in diesem Film).
Corbet gelingt das große Kunststück, den Zuschauer so absolut einzulullen und in Sicherheit zu wiegen, dass er die Spielfreude, die darin liegt, beinahe nicht erfasst – und sich bis zuletzt in einem klassischen Hollywoodfilm wähnt. Erst danach kommen die Fragen, die zig offenen Enden, die Brüche, die Unklarheiten, die Bilder, die eigentlich ja doch nicht hineinpassen, zum Tragen.
In diesem Sinne hat die allgemeine Rezeption Recht, wenn sie von einer Wiedergeburt des großen Kinos spricht. Nur geht damit keine Klarheit, keine Einfachheit, keine Linearität und schon gar kein zufriedenstellendes Ende einher.
The Brutalist ist große Kunst, ein enigmatisches, merkwürdiges Werk, das sich stets maskiert, sich weigert, zu dem zu werden, was es vorgibt zu sein. Und darum: Eine meisterhafte Erzählung ist.