31.10.2024

Zeit in Stein

The Brutalist
Monumental & epochal
(Foto: Viennale | Brady Corbet)

Nach Coppolas »Megalopolis« die nächste Americana des Jahres: Brady Corbet erzählt von der Ankunft in Amerika, vom Antisemitismus und dem Kapital, von Kunstwerken, die die Zeit überleben (wollen)

Von Benedikt Guntentaler

215 Minuten, Ouvertüre, Pause, Epilog, 70mm. The Brutalist schreit Monu­men­tal­film, die Presse nimmt es dankend an, lobpreist die große Rückkehr zum klas­si­schen Erzähl­kino, zu einer ameri­ka­ni­schen Produk­tion, die sich endlich wieder auf ihre Wurzeln besinnt, sich in eine Tradition stellt, die für viele Jahre die Defi­ni­tion »Spielfilm« lieferte, die Kamera, Schau­spiel und Handlung ins Zentrum stellt, und sie erzählen lässt. Eine epische Handlung, einen visuellen Roman, struk­tu­riert und für sich stehend, mit Abstand zur Post­mo­derne, zur post­dra­ma­ti­schen Form, zu den Meta­spie­le­reien und Selbst­be­zügen, die die Moderne prägte und prägen.
Endlich wieder tradi­tio­nelles Kino heißt es, endlich wieder klas­si­sche Geschichten und Gefühle, Melodrama, Monument, Magie.

Das ist der Film dann glück­li­cher­weise nicht geworden.

Es ist ein ober­fläch­lich klas­si­sches Werk, das stimmt, doch Corbet spielt mit diesem Format, diesem Anspruch, lässt die Tradition seine Bilder bestimmen, arran­giert sie aber dennoch so, dass sie mit jener in den Dialog treten, sich selbst bewusst werden, und über die klas­si­sche Form hinaus­gehen, beginnen, um sich selbst zu kreisen, und damit sich und die ihnen zugrunde liegende Struktur anfangen zu zersetzen, zu über­winden, um schluss­end­lich in der Moderne zu landen.
Dafür lässt er sich Zeit, das Neue kann nicht ohne das Alte bestehen, und so beginnt The Brutalist tatsäch­lich sehr tradi­tio­nell. Es macht hier Sinn von einem Teil 1 und 2 zu sprechen, man muss den Film in seiner Struktur analy­sieren, um ihn zu durch­dringen – und natürlich die gewaltige Laufzeit zu bewäl­tigen. Teil 1 endet dabei selt­sa­mer­weise nicht bei der Pause – und damit dem Ende von Kapitel 1 – sondern nach dem im Film einset­zenden Zugun­glück. Hier wechselt der Ton, die Drama­turgie, die Regie ihren Ton, führt weg vom behut­samen, strikt linearen Anfang.

Dieser erzählt zunächst eine Ankunfts­ge­schichte, eine Immi­gra­tion nach Amerika, nötig durch den zweiten Weltkrieg. Dem jüdischen Archi­tekten László Tóth (Adrien Brody) gelingt die Flucht in die Staaten, seine Familie (Frau und Nichte) muss er zunächst zurück­lassen. In Penn­syl­vania ange­kommen, heuert er im schlichten Möbel­ge­schäft seines Cousins an, verdingt sich dort mit kleinen Aufträgen. Durch einen Zufall gelangt er an Aufträge, seine eigen­wil­lige archi­tek­to­ni­sche Hand­schrift – László studierte in Dessau an der Bauhaus-Univer­sität – vergrault erst einen schwer­rei­chen Kunden, bringt ihm später jedoch dessen Zutrauen ein. Für ihn soll er ein monu­men­tales Gebäude errichten, ein Stadt­zen­trum, das als Kirche, Sport­halle, Biblio­thek und Audi­to­rium gleich­zeitig fungieren soll. Der Unter­nehmer (Guy Pearce in der Rolle des Harry Van Buren) möchte das Gebilde seiner verstor­benen Mutter widmen, verspricht im Gegenzug László die sichere Ankunft seiner Familie, einen komfor­ta­blen Schlaf­platz und – natürlich – Geld.
Diese Ausgangs­lage wird behutsam entwi­ckelt, Corbet nimmt sich ausge­spro­chen viel Zeit für lange Gespräche, Charak­te­ri­sie­rung der Neben­fi­guren (besonders schön: Joe Alwyn als durch­trie­benes, selbst­ge­fäl­liges Söhnchen), schwel­ge­ri­sche VistaVi­sion-Aufnahmen des Van-Buren-Anwesens.

Hier ist der Hang zur Tradition am deut­lichsten zu spüren, es ist eine breit angelegte Hinfüh­rung zu einem großen Drama, einer Familien- und Geflüch­te­ten­ge­schichte, die in ihren Ansätzen bereits alles enthält, die großen Fragen und Konflikte von Sekunde Eins an in sich trägt, nun dazu übergehen wird, jene final zu entwi­ckeln und ausbre­chen zu lassen. Damit geht eine ungeheure Schwermut einher, man fühlt sich als Betrachter wie zwischen den Bildern, hängt im Unge­sagten fest, weiß, dass es kommen wird, der Bruch, der Rassismus, die zerstö­re­ri­schen Klas­sen­un­ter­schiede, doch noch erlaubt es uns Corbet, auf dem poeti­schen Grat der Vorsehung zu wandern. Lacht László, plant er seine Kunst, dann ist das schön, dann sehen wir ein Kind, das noch alles vor sich hat, das ungeahnt folgender Kompli­ka­tionen seine Träume und Zukunft beschreibt, sich dem vorder­grün­digen Amerika hingibt.

In diesem melan­cho­li­schen Modus wird lange verharrt, es ist der Zauber eines jeden Anfangs, der darin verborgen liegt, und damit natürlich der bitter­süße ameri­ka­ni­sche Traum, der trotz unseres Wissens über seine Unmög­lich­keit in so verheißungs­vollen Bildern zum Ausdruck kommt, wie es kaum ein anderes Land ermög­licht.

Hier ist der Film poetisch und traurig, gleichsam sehr freund­lich seinem Publikum gegenüber, es ist genau das, was man erhofft, eine Befrie­di­gung all der Punkte und Sehn­süchte, die eingangs erwähnt wurden. Dieses Konstrukt beginnt dann zu bröckeln, ganz allmäh­lich, doch hier bereits unin­ter­es­santer, wenn etwa die rassis­ti­schen Ideo­lo­gien der ameri­ka­ni­schen Groß­bürger wörtlich durch­zu­scheinen beginnen, das sorgsam etablierte Konstrukt ebenso planmäßig einge­rissen wird.
Man kennt diese Mecha­niken ja bereits, man weiß, was kommt, gerade das ermög­licht schließ­lich erst die Konzen­tra­tion und Traum­haf­tig­keit der Hinfüh­rung.
Wir befinden uns zu dieser Zeit bereits im zweiten Kapitel des Films, der Duktus der Klassik wird (noch) aufrecht erhalten. Und dann geschieht das Zugun­glück…

Hier näher auf die Handlung einzu­gehen, soll vermieden werden, es ist auch nicht vonnöten, anhand ihrer den Film zu inter­pre­tieren. Viel mehr ist es die Struktur, die mit dem Zug entgleist, die fein­säu­ber­liche Erzählung, die aus den Fugen gerät, anek­do­ti­scher und sprung­hafter wird, die Fabel/Analogie/Fami­li­en­ge­schichte des Anfangs verlässt.

Krude und wild offenbart sich The Brutalist nun, fliegt über die erzählte Zeit, wechselt die Orte und Bezugs­punkte, wird seinen Figuren sehr bewusst nicht mehr gerecht. Es ist die Verwei­ge­rung im begrenzten Raum, im einstu­dierten Konstrukt, die Antworten auf alles zu finden, gewis­ser­maßen eine Selbst­auf­gabe, die sich nun vielmehr auf ihre Struktur als ihre Story zu berufen scheint, sich selbst versucht in der Historie zu begreifen – und damit über sich selbst hinaus­greift.

Der Film wird rätsel­hafter, obwohl seine verhan­delten Themen weiterhin konzen­trierter zu Tage treten. Der Judenhass wird bildlich wie sprach­lich ganz konkret behandelt, die aufge­bauten Zwischen­räume durch­bro­chen (oder besser: durch­schrien), es wird viel offen­sicht­li­cher mit den enthal­tenen Streit­fragen umge­gangen. Dadurch erfolgt auch eine Abkehr von der anfäng­lich evozierten Poesie, alles wirkt zu schnell und hektisch, zu wörtlich und forciert.

Gerade darin liegt dann jedoch die Stärke und das Genie des Films. Dieser Suhl aus Themen und Hand­lungen, aus Orten und Zeit, bricht mit der betu­li­chen Monu­men­tal­ro­mantik; Corbet verortet seinen Film woanders, löst sich von der Offen­kun­dig­keit seiner Geschichte und verhan­delt darüber den Charakter eines Monuments an sich.

Das Gemein­de­zen­trum nämlich ist Lászlós Rache an der Welt, sein Kommentar, seine Hinwen­dung, sein Werk, das alle Zeiten überleben, zu einem Mahnmal werden soll, zur Kirche der Verstoßenen, zum Kerker der Igno­ranten – ein Monument eben.
Doch es frisst ihn auf, lässt ihn – László – selbst immer kleiner werden, entfremdet ihn von sich und seiner Umwelt. Es ist losgelöst vom Subjekt, ein eigen­s­tän­diger, stummer Schrei in die Historie hinein. Ein Werk, das nicht der Gegenwart gewidmet ist, vielmehr der Zukunft, etwas, was viel­leicht erst in Jahren erklärt und wert­ge­schätzt werden wird. Dies wird speziell im (einen erneuten Bruch erzeu­genden) Epilog deutlich.

Demge­genüber setzt Corbet Lászlós Ehefrau, Erzsébet Tóth (Felicity Jones), die in ihrer Arbeit – ihrem Handwerk – scheitert, sie wird der Welt kein Monument hinter­lassen, lediglich degra­die­rende Artikel in Frau­en­zeit­schriften, eine Lippen­stift-Empfeh­lung wird ihr Stempel in der Historie bleiben.
Sie aller­dings handelt im Jetzt, konfron­tiert die Menschen, die ihr Leid antun, stellt sich dem Unrecht unmit­telbar und unver­blümt entgegen. Sie wird etwas verändern in der Welt, in der Gegenwart, in ihrem Umfeld – etwas, das zwar vergessen sein wird, doch direkte Folgen mit sich bringt, das keine glücklich Fügung der Zukunft für sich bean­spru­chen muss, um zu gelten.
Diese Konstruk­tion des großen Werks, das alle Zeit über­dauert, das in der Welt steht, um irgend­wann, irgendwo Bedeutung zu erlangen wird somit zum Haupt­thema dieses (vorge­täuschten) Monu­men­tal­films. Die Frage, die sich Corbet stellt, ist eine funda­men­tale: In welcher Zeit bewegen wir uns, für welche Zeit erschaffen wir, welche wollen wir verändern?

Dieses Thema begreift er spie­le­risch, der analoge Dreh in 70mm ist kein Gimmick, keine Show, die formale Rück­be­sin­nung auf die Vergan­gen­heit wird so umso spie­le­ri­scher verhan­delt, ebenso, wie er seinen Film gliedert, wann er tradi­tio­nell, wann über­schwäng­lich erzählt, wann er in Muster verfällt, wann er frei arbeitet, wann er didak­tisch vorgeht, wann asso­ziativ und träu­me­risch (es gibt eine ganz wunder­bare, ganz sonder­bare Italien-Episode in diesem Film).

Corbet gelingt das große Kunst­stück, den Zuschauer so absolut einzu­lullen und in Sicher­heit zu wiegen, dass er die Spiel­freude, die darin liegt, beinahe nicht erfasst – und sich bis zuletzt in einem klas­si­schen Holly­wood­film wähnt. Erst danach kommen die Fragen, die zig offenen Enden, die Brüche, die Unklar­heiten, die Bilder, die eigent­lich ja doch nicht hinein­passen, zum Tragen.

In diesem Sinne hat die allge­meine Rezeption Recht, wenn sie von einer Wieder­ge­burt des großen Kinos spricht. Nur geht damit keine Klarheit, keine Einfach­heit, keine Linea­rität und schon gar kein zufrie­den­stel­lendes Ende einher.

The Brutalist ist große Kunst, ein enig­ma­ti­sches, merk­wür­diges Werk, das sich stets maskiert, sich weigert, zu dem zu werden, was es vorgibt zu sein. Und darum: Eine meis­ter­hafte Erzählung ist.