Cinema Moralia – Folge 335
Liebe und Schönheit |
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Szene aus dem Viennale-Eröffnungsfilm C'est pas moi von Leos Carax | ||
(Foto: Vienneale 24) |
Das hat es noch nie gegeben: Ein nur 41-Minuten langer Film als Eröffnungsfilm eines Filmfestivals. Aber jetzt geschieht es auf der Viennale und mit diesem genialen und vollkommen angemessenen Move beginnt sich Eva Sangiorgi, seit 2018 die Direktorin der Viennale, tatsächlich als legitime Nachfolgerin von Hans Hurch zu etablieren. Denn es geht nicht um Filmlänge und Repräsentanz und Staatstragendes, sondern es geht um Cinephilie, um Liebe zum Kino, besser gesagt zum Film auf
allen Kanälen und Plattformen und Distributionsmöglichkeiten. Godard auf dem Smartphone mag eine Barbarei sein, ist aber immer noch besser, als eine ganze Netklicks-Serie auf der großen Leinwand.
Und 41 Minuten Carax sind besser als das Gesamtwerk vieler Kinoregisseure.
So einen Film wie C'est pas moi von Leos Carax, den morgigen Eröffnungsfilm der
diesjährigen Viennale hätte sonst nur Godard hinbekommen – und mit diesem Film etabliert sich Carax als der einzige legitime Nachfolger von Jean Luc Godard.
»Beauty imposes the blink of an eye.« »Schönheit erzwingt den Wimpernschlag« – es ist eine Ironie, scheint uns Leos Carax zu sagen, dass die Welt von uns verlangt, dass wir aufhören zu sehen, um weiter zu schauen.
Wie kann jemand, der Bilder macht, wie kann ein Filmemacher, dies beherzigen? Indem er auf das zurückgreift, was bereits gefilmt wurde, auf bereits existierende Bilder, indem er sich dafür entscheidet, keine neuen Bilder zu schaffen, von einigen wenigen Ausnahmen
abgesehen. In einem Wimpernschlag sehen wir nun, was wir schon gesehen haben, aber mit einem neuen Blick: Das Licht hat sich verändert, die Musik auch, alles ist anders. Als klare Hommage an Jean-Luc Godard, dessen Typografie und Stimme er imitiert, begibt sich Carax in C'est pas moi auf eine persönliche, essayistische Reise durch sein eigenes Kino und sein eigenes Leben, die beide eng miteinander verwoben, möglicherweise identisch sind und von Liebe und
Schönheit angetrieben werden, den einzigen beiden Motoren, die zählen. Indem er von Bild zu Bild springt, lässt Carax seine eigene Geschichte als Künstler, die jüngste Geschichte der Bilder und ihres Verfalls und seine anhaltende Auseinandersetzung mit dem Kino Revue passieren. Und mit einer Frau: Katerina Golubeva, Schauspielerin und Mutter seiner Tochter. Es ist ein Film, der in vielerlei Hinsicht gelesen werden kann: eine Hymne, ein Psalm, ein schöner und enthusiastischer
Abschied. Male Gaze at its best.
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Zur Zeit brodelt alles, kocht über in der Filmszene, wir kommen nicht hinterher, sammeln nur die Lumpen auf der Straße ein: Wir müssen über die Filmförderung schreiben, über die desaströse Lage des deutschen Films, über die tolle Münchner Nachwuchsfilmemacherin Sophie Mühe, die in Frankfurt einen Preis bekam, und die nicht weniger tolle Margarethe von Trotta, die ebenfalls einen Preis bekam, und über unser Gespräch mit ihr. Alles in den nächsten Wochen. Genauso dann über Köln, über European Work in Progress und den damit zusammenhängenden International Film Distribution Summit und über so manches mehr.
Wirklich: Alles sobald wie (mir) möglich!
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Das Pogrom vom 7. Oktober 2023, das größte Massaker an Juden in der Welt seit dem Ende des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs, hat auch die deutsche Kultur verändert.
Für die Filmwelt ist der Einschnitt ein besonders zentraler: Was sich schon vorher, etwa bei den Ereignissen rund um die »documenta XV« und die zeitgleiche Berliner Tagung »Hijacking History« gezeigt hatte, wurde nun unübersehbar: Film und bewegte Bilder sind zu einer Waffe sowohl für die Täter als auch für Parteigänger und Interpreten im Kampf um Deutungshoheit geworden.
Indem die Mörder vom 7. Oktober ihre Taten fotografierten und live filmten und diese Bild- und Tondokumente in Echtzeit global verbreiteten, setzten sie Film bewusst als Waffe ein. Sie wollten ein visuelles Signal in alle Welt schicken, wollten Juden wie Nichtjuden mitteilen: »Wir wollen das jüdische Volk mit größtmöglicher Brutalität ausrotten.«
Der Film wurde zum privilegierten Medium der »genozidalen Botschaft« (Dan Diner) der Täter der Hamas.
Dieser Einsicht stellt sich die Welt des Films – Filmemacher, Kuratoren und Festivals, Filmkritik und Filmvertrieb – bisher kaum. Sie wird nicht reflektiert, diskutiert, und bleibt dementsprechend konsequenzlos.
Stattdessen wird auch das Feld des Films, werden Filmfestivals, Filmdebatten und die Filme selbst zum Schauplatz der verschärften Fortsetzung bekannter Debatten.
Auch infolge des »Visual Turn« und der heute zentralen Bedeutung bewegter Bilder in Popkultur und Social-Media-Kommuniktion herrschen Uniformierung und Einschüchterung vor. Und Konformitätsdruck. Nicht nur in der allzu ideologisch formatierten failed city Berlin.
Dem widmet sich jetzt eine hochkarätig besetzte Veranstaltung in Stuttgart: Nicht das Kino, sondern die Fakultät für Architektur initiierte diese Tagung über Antisemitismus im kulturellen Feld, die das Kino, das deutsche, und sein Umfeld verändern wird, obwohl es um dieses Kino nicht zentral geht. Ich habe die Ehre, daran teilzunehmen – mit Freunden, unter Gleichgesinnten, was auch wieder nicht allen gefallen wird. Gut so! Denn um Gefälliges geht es als Allerletztes.
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Wir freuen uns auf Wien, wir freuen uns auf neue Filme, auf Liebe und Schönheit!