Präludium, Duell, Vendetta |
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Mediale Brechungen: Die Kunst der Farbe | ||
(Foto: Viennale | Mariano Llinás) |
Das argentinische Regiekollektiv El Pampero Cine steht vor allem für eins: Lange Filme.
Der bekannteste dürfte dabei La Flor von Mariano Llinás sein, auch im letzten Jahr sorgten sie erneut für Aufsehen: Laura Citarella legte ihren wundervollen, wundersamen Vierstünder Trenque
Lauquen vor.
Neben den ausladenden Laufzeiten steht bei beiden Projekten das Mysterium im Vordergrund, eine Seltsamkeit in der Welt, die jedoch nicht durch klassische Horror- oder Fantasymotive etabliert wird, sondern sich aus der Struktur der Filme heraus entwickelt, durch das Spannungsverhältnis von Realität und Fiktion erzeugt wird.
Um dieses Thema dreht sich nun auch Llinás' Mondongo Triptych, tatsächlich wird es diesmal sogar noch ein
bisschen experimenteller, noch ausgefallener.
Um dieses Konstrukt zu bewältigen, ein paar Worte zur Entstehungsgeschichte: Das in Buenos Aires ansässige Künstlerkollektiv »Mondongo« – hier im Film werden die beiden Rädelsführer und »Chefs« ins Zentrum gesetzt: Juliana Laffitte und Manuel Mendanha – fertigte vor ein paar Jahren ein bildliches Triptychon für Mariano Llinás an. Zu sehen sind er und zwei seiner Freunde, überhaupt waren die Künstler eng miteinander befreundet, über Jahre hinweg. Nun will Llinás das
Geschenk erwidern, auch er fertigt ein dreigeteiltes Kunstwerk an. Allerdings in filmischer Form.
Diese dreigeteilte Struktur ist dabei essentiell, die einzelnen Teile unterscheiden sich drastisch voneinander, müssen allerdings in der Gesamtheit genossen werden, um wirklich Sinn zu machen, um ihre volle Wirkung entfalten zu können.
Auf der Viennale war der Regisseur zu Gast, leitete den ersten Film verhältnismäßig lange ein. Das ist in diesem Fall auch wirklich vonnöten, der
Hintergrund erscheint essentiell, um überhaupt etwas mit dieser Merkwürdigkeit anfangen zu können. Es ist nämlich wichtig zu wissen, dass dieses Triptychon gewissermaßen die Freundschaft zu Mondongo beendete, die ehemaligen Weggefährten zu verbitterten Feinden transformierte.
Dies wird in diesen drei Filmen dokumentiert; essayistisch, experimentell, zuweilen beinahe nebensächlich.
Im einleitenden, kürzesten, Teil beginnt alles noch verhältnismäßig klassisch. Llinás dokumentiert die Arbeitsweise des Kollektivs, zu diesem Zweck setzt er zwei Situationen in Dialog. Zum einen den Schaffensprozess eines neuen Werks, eine Interpretation des theoretischen Sachbuchs »Kunst der Farbe« von Johannes Itten. Eine runde Kapelle errichten die beiden, die Wände geschmückt mit hunderten Plastilin-Blöcken, die einen feinen Farbverlauf zeichnen, und von Spiegeln an Boden und Decke ins Unendliche multipliziert werden. Situation 2 zeigt ein zeitlich unabhängiges Interview, das die Arbeitsweise des Kollektivs beleuchtet, offenlegt, wie omnipräsent und bestimmend die Materialwahl ist. So gibt es etwa Porträts, die den Charakter des Dargestellten allein durch das Material ausdrücken, so ist ein besonders heißblütiges Modell etwa durch Zündhölzer repräsentiert, die so arrangiert wurden, dass sich durch sie ein Gesicht ergibt.
Es ist über weite Strecken eine typische Kunstdokumentation; in unkommentierten Aufnahmen werden der Arbeitsprozess und die einzelnen Schritte verfolgt. Bereits hier scheint jedoch eine gewisse Spannung durch, Laffitte und Mendanha kommen nur im Interview zu Wort, die eigentliche (handwerkliche) Arbeit übernehmen Arbeiter und Arbeiterinnen, erst zur Qualitätskontrolle treten die Künstler in Erscheinung.
Zudem bindet Llinás immer wieder Laptop-Aufnahmen ein, die ein
abgetipptes, nachträglich verfasstes Skript des Gezeigten in den Film bringen, ihn merkwürdig verfremden und fiktionalisieren. Das bringt reihenweise Text/Bild-Brüche mit sich, eine filmische Durchlässigkeit. So werden wir Zeuge eines Werks, das sich im Bestehen begreift, durchlässig und unvollständig wirkt. Dazu noch der eingesetzte Soundtrack: Llinás spielt (wieder vom Laptop; auf YouTube) Teile des berühmten Vertigo-Soundtracks von Bernard Herrmann, verleiht den ruhigen Bildern so einen rätselhaften, spannungsgeladenen Charakter.
Er selbst tritt dann erst kurz vor Schluss in Erscheinung, reißt das Werk an sich. Es gibt eine ausschweifende Szene, die ihn am Laptop zeigt, einen weiteren Schaffungsprozess dokumentiert: Llinás schreibt (in Microsoft Word) ein längeres Gedicht, das den freundschaftlichen Bruch bereits vorwegnimmt und als Anklage und Revision des Dokumentarischen zu begreifen ist.
Das Präludium für das, was noch folgen soll.
Das Hauptwerk: Das beschließende Gedicht von Teil 1 wird hier als strukturelle Ausgangslage genommen, der Film bleibt in diesem Duktus. Es wird noch essayistischer, die Brüche auf Bild, Ton, Textebene häufen sich, der Laptop wird zum zentralen Charakter. Psycho ersetzt Vertigo, noch immer ist die permanente Musikbegleitung die treibende Kraft, die Struktur und Spannung in den Film bringt.
Zudem geschieht etwas auf der Handlungsebene: Der (bislang nur im Q&A erwähnte) Konflikt kommt zum Tragen. Llinás führt ihn feinsäuberlich ein, baut ein intertextuell zu begreifendes Duell auf, zeigt alte Aufnahmen von gemeinsamen Abenden, von Trinkgelagen und Karaokenummern. Dem gegenüber stellt er aktuelle Bilder und Videos, Szenen einer verlorenen Freundschaft. Diese sind überraschend emotional, der Regisseur entblößt sich regelrecht, zeigt sich in einem besonders
einschneidenden Moment wortlos und unter Tränen. Dankenswerterweise wird aber selbst in diesen privaten Momenten vermieden, den Film als Therapiestunde zu begreifen, immer wieder kommt der (verschmierte) MacBook-Bildschirm zum Tragen, unterbricht und verkürzt die Bilder, zeigt sie zuweilen gar im Schnittprogramm. Wie in Teil 1 entsteht dadurch eine verfremdende Durchlässigkeit, es geht nur sekundär um das Gezeigte. Der Rahmen ist zentral, das Dazwischen, das in seinen besten
Momenten mehr Wirkung zeigt als das, worauf es sich konzentriert. Es ist ein künstlerisches Ringen mit sich selbst, die Frage danach, wie man eine Geschichte erzählen soll – und kann. Dabei kommt wieder die Fiktion zum Tragen, Llinás scheint sich zu weigern, seinen Film als streng dokumentarisch zu begreifen, die dokumentarische Form als wahr und absolut wertzuschätzen. Abschweifend analysiert er den Portrait-Charakter in der Kunst, speziell der Malerei, nimmt sich Monet
vor, um Wege und Formen zu finden, die der Kunst gleichermaßen wie dem Modell gerecht werden. Trotz der Spielfreude steht dabei noch immer ein Wahrheitscharakter im Fokus, der allerdings nicht gleichbedeutend mit einer sklavischen Methodik und Annäherung ist. Dokument wird hier zur Fiktion, das Fiktive zum ausgedrückten Wahren – und nicht zuletzt zu einem Selbstporträt des Porträtierenden.
So entsteht in diesem wilden Mix eine Aufrichtigkeit, die den
verhältnismäßig gediegenen Aufbau des ersten Teils konterkariert, ihm in seinen einzelnen Motiven aber dennoch treu bleibt. Das wird – speziell in den schier unendlichen Laptop-Gedicht-Szenen – teilweise strapaziös, ist aber derart faszinierend und neu, dass man es nicht enden lassen will. Glücklicherweise geht es weiter, und endet in…
Im das Triptychon abschließenden und besiegelnden Teil nun macht sich Llinás frei von der handlungsbestimmenden Widmung und Portraitierung der ehemaligen Freunde. Zwar bleibt er der dokumentarischen Form treu, deutet sie hier jedoch um, lässt sie freier agieren und sich eines neuen Themas annehmen. Sie steht nicht mehr im Zeichen eines Erkenntnisgewinns im Sinne des übergeordneten und (bisher) bestimmenden Themas, sondern beginnt sich selbst zu betrachten.
Paradoxerweise bricht gerade in diesem Segment die Fiktion durch, mit der bislang lediglich geflirtet wurde. Llinás heuert eine Schauspielerin an, die fortan Juliana Laffitte verkörpert. Mit ihr schließt er einen Pakt, manifestiert das bereits stattfindende Duell. In Anzug und Monokel verliest er den Vertrag, um 5000 Schilling soll es gehen. Der Wettstreit: Wer fertigt die bessere Adaption des Buches »Die Kunst der Farbe« an. Wir erinnern uns, Mondongo tat dies bereits, Llinás sieht sich nun in der bequemen zweiten Position.
Er fertigt einen Essay-Film an, ergründet die Farbe im Kino, beinahe Godard’sche Züge nimmt das Geschehen dabei an. Es gibt Filmausschnitte, eingefärbt und mit Klassik unterlegt, rauschhaft werden sie montiert und gegeneinander ausgespielt. Das ist fabelhaft umgesetzt, erreicht sein Genie aber speziell darin, dass noch immer an den nun etablierten Methoden des Triptychons festgehalten wird. So entwickelt sich auch dieser Film nicht völlig aus sich heraus, wird immer wieder von Einblicken in den Schaffungsprozess durchbrochen, erneut entsteht kein »Ganzes«, sondern ein Konglomerat aus Ideen, Schaffensprozessen und deren Durchführung, es bleibt dabei ganz deutlich eine Dokumentation, ein Blick hinter das eigene Werk, das daraus noch eine größere Faszination und Kunstfertigkeit erreicht.
Man wird dieses Jahr keinen verspielteren Film betrachten können, kein Werk, das sich selbst mehr in Frage stellt, als Rätsel begreift. Dabei wird Llinás aber nie verbissen oder narzisstisch, stets kommt eine sanfte Wehmut und Komik zum Vorschein. So bekämpft er natürlich sein Betrachtungsobjekt, gerade dieser Teil ist dezidiert als seine Vendetta zu lesen, gleichermaßen bleibt das Triptychon aber zu jeder Zeit auch eine Annäherung. Ohne Mondongo wäre es nicht möglich, selbst in den abstraktesten Momenten findet keine vollständige Loslösung davon statt.
So entsteht ein wagemutiges Projekt, vollends aufrichtig, in seiner omnipräsenten Unsicherheit ebenso weitreichend wie intelligent. Ein Film, wie es ihn eigentlich nicht geben dürfte, ein konstanter Bruch mit sich selbst, ein Streit, der sich inhaltlich wie formal stets zu verschlingen droht. Es entsteht ein Blick hinter die Bilder, ein Werk hinter dem Werk, das jegliche Geschlossenheit von sich weist.
Ein Experimentalfilm im besten Sinne also, einer, der über seine Präsenz seinen Inhalt findet, reale Personen ebenso gegeneinander antreten lässt, wie die Fiktion gegen das Dokumentarische.
Was sich daraus ergibt, inwiefern dieses Konstrukt aufgelöst wird, muss selbst erfahren werden.
Und es wird nicht zuletzt auf ewig den Namen dessen tragen, was es formal wie inhaltlich kritisiert: Mondongo-Tiptychon.