31.10.2024

Präludium, Duell, Vendetta

Mondongo: Die Kunst der Farbe
Mediale Brechungen: Die Kunst der Farbe
(Foto: Viennale | Mariano Llinás)

Was passiert, wenn aus einer Widmung ein Streit wird, aus einer Hommage eine Kampfansage? Mariano Llinás’ neuestes Werk widmet sich dem Künstlerkollektiv »Mondongo«

Von Benedikt Guntentaler

Das argen­ti­ni­sche Regie­kol­lektiv El Pampero Cine steht vor allem für eins: Lange Filme.
Der bekann­teste dürfte dabei La Flor von Mariano Llinás sein, auch im letzten Jahr sorgten sie erneut für Aufsehen: Laura Citarella legte ihren wunder­vollen, wunder­samen Vier­s­tünder Trenque Lauquen vor.
Neben den ausla­denden Lauf­zeiten steht bei beiden Projekten das Mysterium im Vorder­grund, eine Selt­sam­keit in der Welt, die jedoch nicht durch klas­si­sche Horror- oder Fanta­sy­m­o­tive etabliert wird, sondern sich aus der Struktur der Filme heraus entwi­ckelt, durch das Span­nungs­ver­hältnis von Realität und Fiktion erzeugt wird.
Um dieses Thema dreht sich nun auch Llinás' Mondongo Triptych, tatsäch­lich wird es diesmal sogar noch ein bisschen expe­ri­men­teller, noch ausge­fal­lener.

Um dieses Konstrukt zu bewäl­tigen, ein paar Worte zur Entste­hungs­ge­schichte: Das in Buenos Aires ansässige Künst­ler­kol­lektiv »Mondongo« – hier im Film werden die beiden Rädels­führer und »Chefs« ins Zentrum gesetzt: Juliana Laffitte und Manuel Mendanha – fertigte vor ein paar Jahren ein bild­li­ches Tripty­chon für Mariano Llinás an. Zu sehen sind er und zwei seiner Freunde, überhaupt waren die Künstler eng mitein­ander befreundet, über Jahre hinweg. Nun will Llinás das Geschenk erwidern, auch er fertigt ein drei­ge­teiltes Kunstwerk an. Aller­dings in filmi­scher Form.
Diese drei­ge­teilte Struktur ist dabei essen­tiell, die einzelnen Teile unter­scheiden sich drastisch vonein­ander, müssen aller­dings in der Gesamt­heit genossen werden, um wirklich Sinn zu machen, um ihre volle Wirkung entfalten zu können.
Auf der Viennale war der Regisseur zu Gast, leitete den ersten Film verhält­nis­mäßig lange ein. Das ist in diesem Fall auch wirklich vonnöten, der Hinter­grund erscheint essen­tiell, um überhaupt etwas mit dieser Merk­wür­dig­keit anfangen zu können. Es ist nämlich wichtig zu wissen, dass dieses Tripty­chon gewis­ser­maßen die Freund­schaft zu Mondongo beendete, die ehema­ligen Wegge­fährten zu verbit­terten Feinden trans­for­mierte.
Dies wird in diesen drei Filmen doku­men­tiert; essay­is­tisch, expe­ri­men­tell, zuweilen beinahe neben­säch­lich.

Teil 1: Der Seil­tänzer (73 Minuten)

Im einlei­tenden, kürzesten, Teil beginnt alles noch verhält­nis­mäßig klassisch. Llinás doku­men­tiert die Arbeits­weise des Kollek­tivs, zu diesem Zweck setzt er zwei Situa­tionen in Dialog. Zum einen den Schaf­fens­pro­zess eines neuen Werks, eine Inter­pre­ta­tion des theo­re­ti­schen Sachbuchs »Kunst der Farbe« von Johannes Itten. Eine runde Kapelle errichten die beiden, die Wände geschmückt mit hunderten Plastilin-Blöcken, die einen feinen Farb­ver­lauf zeichnen, und von Spiegeln an Boden und Decke ins Unend­liche multi­pli­ziert werden. Situation 2 zeigt ein zeitlich unab­hän­giges Interview, das die Arbeits­weise des Kollek­tivs beleuchtet, offenlegt, wie omni­prä­sent und bestim­mend die Mate­ri­al­wahl ist. So gibt es etwa Porträts, die den Charakter des Darge­stellten allein durch das Material ausdrü­cken, so ist ein besonders heiß­blü­tiges Modell etwa durch Zünd­hölzer reprä­sen­tiert, die so arran­giert wurden, dass sich durch sie ein Gesicht ergibt.

Es ist über weite Strecken eine typische Kunst­do­ku­men­ta­tion; in unkom­men­tierten Aufnahmen werden der Arbeits­pro­zess und die einzelnen Schritte verfolgt. Bereits hier scheint jedoch eine gewisse Spannung durch, Laffitte und Mendanha kommen nur im Interview zu Wort, die eigent­liche (hand­werk­liche) Arbeit über­nehmen Arbeiter und Arbei­te­rinnen, erst zur Quali­täts­kon­trolle treten die Künstler in Erschei­nung.
Zudem bindet Llinás immer wieder Laptop-Aufnahmen ein, die ein abge­tipptes, nach­träg­lich verfasstes Skript des Gezeigten in den Film bringen, ihn merk­würdig verfremden und fiktio­na­li­sieren. Das bringt reihen­weise Text/Bild-Brüche mit sich, eine filmische Durch­läs­sig­keit. So werden wir Zeuge eines Werks, das sich im Bestehen begreift, durch­lässig und unvoll­s­tändig wirkt. Dazu noch der einge­setzte Sound­track: Llinás spielt (wieder vom Laptop; auf YouTube) Teile des berühmten Vertigo-Sound­tracks von Bernard Herrmann, verleiht den ruhigen Bildern so einen rätsel­haften, span­nungs­ge­la­denen Charakter.

Er selbst tritt dann erst kurz vor Schluss in Erschei­nung, reißt das Werk an sich. Es gibt eine ausschwei­fende Szene, die ihn am Laptop zeigt, einen weiteren Schaf­fungs­pro­zess doku­men­tiert: Llinás schreibt (in Microsoft Word) ein längeres Gedicht, das den freund­schaft­li­chen Bruch bereits vorweg­nimmt und als Anklage und Revision des Doku­men­ta­ri­schen zu begreifen ist.
Das Präludium für das, was noch folgen soll.

Teil 2: Porträt von Mondongo (122 Minuten)

Das Hauptwerk: Das beschließende Gedicht von Teil 1 wird hier als struk­tu­relle Ausgangs­lage genommen, der Film bleibt in diesem Duktus. Es wird noch essay­is­ti­scher, die Brüche auf Bild, Ton, Textebene häufen sich, der Laptop wird zum zentralen Charakter. Psycho ersetzt Vertigo, noch immer ist die perma­nente Musik­be­glei­tung die treibende Kraft, die Struktur und Spannung in den Film bringt.

Zudem geschieht etwas auf der Hand­lungs­ebene: Der (bislang nur im Q&A erwähnte) Konflikt kommt zum Tragen. Llinás führt ihn fein­säu­ber­lich ein, baut ein inter­tex­tuell zu begrei­fendes Duell auf, zeigt alte Aufnahmen von gemein­samen Abenden, von Trink­ge­lagen und Karao­ke­num­mern. Dem gegenüber stellt er aktuelle Bilder und Videos, Szenen einer verlo­renen Freund­schaft. Diese sind über­ra­schend emotional, der Regisseur entblößt sich regel­recht, zeigt sich in einem besonders einschnei­denden Moment wortlos und unter Tränen. Dankens­wer­ter­weise wird aber selbst in diesen privaten Momenten vermieden, den Film als Thera­pie­stunde zu begreifen, immer wieder kommt der (verschmierte) MacBook-Bild­schirm zum Tragen, unter­bricht und verkürzt die Bilder, zeigt sie zuweilen gar im Schnitt­pro­gramm. Wie in Teil 1 entsteht dadurch eine verfrem­dende Durch­läs­sig­keit, es geht nur sekundär um das Gezeigte. Der Rahmen ist zentral, das Dazwi­schen, das in seinen besten Momenten mehr Wirkung zeigt als das, worauf es sich konzen­triert. Es ist ein künst­le­ri­sches Ringen mit sich selbst, die Frage danach, wie man eine Geschichte erzählen soll – und kann. Dabei kommt wieder die Fiktion zum Tragen, Llinás scheint sich zu weigern, seinen Film als streng doku­men­ta­risch zu begreifen, die doku­men­ta­ri­sche Form als wahr und absolut wert­zu­schätzen. Abschwei­fend analy­siert er den Portrait-Charakter in der Kunst, speziell der Malerei, nimmt sich Monet vor, um Wege und Formen zu finden, die der Kunst glei­cher­maßen wie dem Modell gerecht werden. Trotz der Spiel­freude steht dabei noch immer ein Wahr­heits­cha­rakter im Fokus, der aller­dings nicht gleich­be­deu­tend mit einer skla­vi­schen Methodik und Annähe­rung ist. Dokument wird hier zur Fiktion, das Fiktive zum ausge­drückten Wahren – und nicht zuletzt zu einem Selbst­por­trät des Porträ­tie­renden.
So entsteht in diesem wilden Mix eine Aufrich­tig­keit, die den verhält­nis­mäßig gedie­genen Aufbau des ersten Teils konter­ka­riert, ihm in seinen einzelnen Motiven aber dennoch treu bleibt. Das wird – speziell in den schier unend­li­chen Laptop-Gedicht-Szenen – teilweise stra­pa­ziös, ist aber derart faszi­nie­rend und neu, dass man es nicht enden lassen will. Glück­li­cher­weise geht es weiter, und endet in…

…Teil 3: Die Kunst der Farbe (90 Minuten)

Im das Tripty­chon abschließenden und besie­gelnden Teil nun macht sich Llinás frei von der hand­lungs­be­stim­menden Widmung und Portrai­tie­rung der ehema­ligen Freunde. Zwar bleibt er der doku­men­ta­ri­schen Form treu, deutet sie hier jedoch um, lässt sie freier agieren und sich eines neuen Themas annehmen. Sie steht nicht mehr im Zeichen eines Erkennt­nis­ge­winns im Sinne des über­ge­ord­neten und (bisher) bestim­menden Themas, sondern beginnt sich selbst zu betrachten.

Para­do­xer­weise bricht gerade in diesem Segment die Fiktion durch, mit der bislang lediglich geflirtet wurde. Llinás heuert eine Schau­spie­lerin an, die fortan Juliana Laffitte verkör­pert. Mit ihr schließt er einen Pakt, mani­fes­tiert das bereits statt­fin­dende Duell. In Anzug und Monokel verliest er den Vertrag, um 5000 Schilling soll es gehen. Der Wett­streit: Wer fertigt die bessere Adaption des Buches »Die Kunst der Farbe« an. Wir erinnern uns, Mondongo tat dies bereits, Llinás sieht sich nun in der bequemen zweiten Position.

Er fertigt einen Essay-Film an, ergründet die Farbe im Kino, beinahe Godard’sche Züge nimmt das Geschehen dabei an. Es gibt Film­aus­schnitte, einge­färbt und mit Klassik unterlegt, rausch­haft werden sie montiert und gegen­ein­ander ausge­spielt. Das ist fabelhaft umgesetzt, erreicht sein Genie aber speziell darin, dass noch immer an den nun etablierten Methoden des Tripty­chons fest­ge­halten wird. So entwi­ckelt sich auch dieser Film nicht völlig aus sich heraus, wird immer wieder von Einbli­cken in den Schaf­fungs­pro­zess durch­bro­chen, erneut entsteht kein »Ganzes«, sondern ein Konglo­merat aus Ideen, Schaf­fens­pro­zessen und deren Durch­füh­rung, es bleibt dabei ganz deutlich eine Doku­men­ta­tion, ein Blick hinter das eigene Werk, das daraus noch eine größere Faszi­na­tion und Kunst­fer­tig­keit erreicht.

Man wird dieses Jahr keinen verspiel­teren Film betrachten können, kein Werk, das sich selbst mehr in Frage stellt, als Rätsel begreift. Dabei wird Llinás aber nie verbissen oder narziss­tisch, stets kommt eine sanfte Wehmut und Komik zum Vorschein. So bekämpft er natürlich sein Betrach­tungs­ob­jekt, gerade dieser Teil ist dezidiert als seine Vendetta zu lesen, glei­cher­maßen bleibt das Tripty­chon aber zu jeder Zeit auch eine Annähe­rung. Ohne Mondongo wäre es nicht möglich, selbst in den abstrak­testen Momenten findet keine volls­tän­dige Loslösung davon statt.

So entsteht ein wage­mu­tiges Projekt, vollends aufrichtig, in seiner omni­prä­senten Unsi­cher­heit ebenso weit­rei­chend wie intel­li­gent. Ein Film, wie es ihn eigent­lich nicht geben dürfte, ein konstanter Bruch mit sich selbst, ein Streit, der sich inhalt­lich wie formal stets zu verschlingen droht. Es entsteht ein Blick hinter die Bilder, ein Werk hinter dem Werk, das jegliche Geschlos­sen­heit von sich weist.

Ein Expe­ri­men­tal­film im besten Sinne also, einer, der über seine Präsenz seinen Inhalt findet, reale Personen ebenso gegen­ein­ander antreten lässt, wie die Fiktion gegen das Doku­men­ta­ri­sche.
Was sich daraus ergibt, inwiefern dieses Konstrukt aufgelöst wird, muss selbst erfahren werden.
Und es wird nicht zuletzt auf ewig den Namen dessen tragen, was es formal wie inhalt­lich kriti­siert: Mondongo-Tiptychon.