Für immer Godard |
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Entstehungsprozess als Mise en abyme | ||
(Foto: Viennale | Jean-Luc Godard) |
Scénarios (18 Minuten): Das ist er nun tatsächlich, der letzte Film des großen Jean-Luc Godard.
Einen Tag vor seinem (selbstgewählten) Tod durch eine Schweizer Sterbehilfe gab er die letzten Anweisungen an sein eingeschworenes Stammteam. Jean-Paul Battaggia und Fabrice Aragno standen ihm bis zuletzt künstlerisch zur Seite, produzierten, filmten (Aragno) und schnitten seine Filme. Gezeigt wurde Scénarios dann auch im Doppel mit
einem kleinen anekdotischen Oneshot-Kurzfilm über 36 Minuten: Exposé du film annonce du film Scénario.
Jener zeigt Godard vor circa drei Jahren bei der Arbeit zum Film Scénario, der dann später zum erwähnten Hauptwerk des Nachmittags wurde (allerdings im Plural, mit angefügtem »s«). Er präsentiert seine Idee seinen Kooperateuren, hat dazu ein Büchlein angefertigt, das die Struktur erfasst und mit Bildern und Texten präsentiert. So
entsteht eine Art »Trailer«, von JLG selbst kommentiert.
Der Film offenbart einen womöglich einmaligen Einblick in die Arbeitsweise dieser Koryphäe und Lichtgestalt des Kinos, stellt eine intime Betrachtung eines merklich alt gewordenen Godards in seinem Arbeitszimmer dar.
Natürlich wirkt er ganz anders, als man ihn vermutet, diesen schier unmenschlich großen Kinogott. Immer wieder fuchtelt er mit einem blauen BIC-Feuerzeug herum, erklärt langsam und ausführlich seine Gedanken hinter dem Portfolio, das fein säuberlich gearbeitet ist,
doch scheinbar niemals abgeschlossen, noch während der Aufnahme strukturiert es Godard um, fügt eine Seite ein, erklärt manche Bilder für nichtig, andere für Platzhalter, bei manchen scheint er sich selbst noch nicht ganz sicher, warum genau sie ihren Platz im »Trailer« gefunden haben. Dabei unterbricht er sich wiederholt, zündet seine Zigarre an, schweift ein wenig in eigene Gedanken ab. Man bemerkt sein Alter, an manchen Stellen muss ihm auf die Sprünge geholfen werden.
Es ist faszinierend, diesen kleinen Ausschnitt zu verfolgen, zu bemerken, wie sehr Godard in Bildern und Zitaten denkt, ständige Verknüpfungen und Assoziationen herstellt. Es erklärt dann auch gut sein experimentelles Spätwerk, seine Essayfilme, die immer mehr ins Zentrum rückten. Entzaubert wird dabei nichts, sie sind zu komplex, Godard allen anderen stets einen Gedanken voraus. Besonders deutlich wird dabei, wie spielerisch er vorgeht, wie eben nicht alles sklavisch zusammenhängt, sondern über allem ein poetischer Ausdruck betont wird. Das Portfolio ist liebevoll gestaltet, selbst ein kleines Kunstwerk, ein Teil des nicht enden wollenden Godard’schen Gedankenstroms. Fein säuberlich hat er die Seiten nummeriert, die Überschriften genauestens ausgerichtet, die Fotos sind gute Drucke, die Idee also bereits unbedingt mit der Ausführung verbunden. Das erklärt womöglich die Vielzahl an realisierten Projekten, ein Konzept zu haben, das reicht Godard nicht aus, es muss schon auch verwirklicht werden.
So dann auch der vorangestellte – allerletzte – Kurzfilm, sein Schwanengesang. Es ist erneut ein Essayfilm, in zwei Teile gegliedert, der Standbilder, Text und Video-/Filmclips miteinander vermengt. Die Länge bedingt dabei eine gewisse Reduktion, ohnehin ist es aber vollkommen zwecklos, dieses Werk singulär zu kritisieren. Es ordnet sich ein, in einen nun über Jahre andauernden Arbeitszyklus, der in sich so formvollendet erscheint, dass man ihn lediglich an- oder ablehnen kann. Wer Godard schon länger verfolgt, der wird sich auch diesmal (neu-)verlieben, die hintergründige Rahmung lässt Scénarios dabei besonders poetisch erscheinen. Eigene Filmszenen kommen zum Einsatz (die vielleicht schönste Szene aus dem brillanten Allemagne Neuf Zéro, genau wie der Maestro selbst, der von seinem Bett aus in die Kamera raunt. Dabei ist der Tod stets präsent, im Kino wie im echten Leben, einmal mehr schreckt er nicht vor drastischen Szenen aus den Fernsehnachrichten zurück.)
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Es entsteht eine doch sehr melancholische Stimmung im Österreichischen Filmmuseum, das mit seinen schwarzen Wänden, seinem schwarzen Vorhang, wie ein angemessener Ort erscheint.
Nach den Filmen betritt Kameramann Fabrice Aragno die Bühne, der sehr sympathisch und ruhig von seiner zwanzigjährigen Zusammenarbeit und gemeinsamen Zeit mit »Jean-Luc« berichtet. Für ihn war Godard wie ein kleiner Junge, der nie ganz erwachsen wurde, nur klüger und belesener, der bis zum
Schluss (und von Beginn an) künstlerisch arbeitete, stets gegen bestehende Regeln ankämpfte und mit ihnen spielte. Filme machen, das war – laut Aragno – auch eine Befreiung, von den Gedanken, den steten Verknüpfungen und Referenzen, die schlichtweg zu Godard gehörten. Das Gespräch, seine Erzählungen, werden dabei nie sentimental, »that’s life« sagt Aragno zum Tod des Weggefährten, sein Blick verharrt nahezu permanent auf dem Boden. Nur einmal wird er ein wenig
brüchig, auf eine Frage, wie Godard nun dies oder jenes beabsichtigte, entgegnet er (übersetzt): »Da müssen Sie die Fische fragen.«
Es ist ein schöner Gedanke, zumal das Meer – gerade im Spätwerk – immer zentraler wurde.
Doch wer erwartet schon eine klare Antwort Godards, dessen enigmatischer Bilder-Reigen, dessen strukturelle Sprünge und Auslassungen noch immer ihresgleichen suchen.
So bleibt sein Schaffen noch immer so präsent wie zu Lebzeiten, gerade die diesjährige Viennale verdeutlicht das in aller Klarheit.
Noch am selben Morgen, vor Scénarios, konnte die Kino-Extravaganz Adieu au langage (2014) in 3D bestaunt werden. Auch hier führte Aragno die (zwei) Kameras, es ist eines von Godards bewundernswertesten und wildesten Werken. Sein damaliger Stil – bereits essayistisch, jedoch noch verknüpft mit fiktionalen Spielszenen – kommt auch hier zum Tragen, wird formal und technisch allerdings auf eine neue Stufe gehoben. Die 3D-Technologie ermöglich wahnwitzige Kamerabewegungen, die zeitweise
Bilder übereinander legen, oder ineinander gleiten lassen. Behandelt wird dabei die Unmöglichkeit der objektiven Kommunikation, des einen Blicks auf die Welt. Dies fügt sich gut ein in das Bild, das dieser Nachmittag von Godard kreiert, das Ergründen der Welt auf subjektiven, immer das Neue suchenden Wegen.
In diese Tradition setzen sich nun die nächsten Regisseure. Der Eröffnungsfilm C'est pas moi, von Leos Carax (wohl die direkteste Anleihe) wurde bereits besprochen, doch den »Godard-Touch« findet man im Programm der diesjährigen Viennale immer wieder. Besonders schön – und modern – in Tú me abrasas von Matías Piñeiro, der genau wie Godards 3D-Film die Sprache in den Fokus nimmt, sie auf ihrem Weg durch Transformationen verfolgt. So entsteht eine Genealogie der Übersetzungen, in andere (Landes-)Sprachen, in Bilder, in Rhythmen, und nicht zuletzt Gedanken. Ebenfalls essayistisch, doch viel schwelgerischer und geerdeter, sowie mit einem gewissen DIY-Ansatz verbunden, entfaltet sich ein eindrückliches, literarisches, sehr privates Werk.
Man müsste hier nicht aufhören, könnte weitere Bespiele anführen, die Godard aufleben lassen, ihn imitieren oder nacheifern; jedoch: es wären zu viele.
Godard ist aus dem Kino nicht wegzudenken, und das seit seinem ersten Film. Vielleicht niemand hat diese Kunst so stetig, unaufhaltsam und komplex hinterfragt, geliebt und kritisiert wie er.
Mit ihm stirbt ein Teil des Kinos, niemand wird diesen Stil, diese jahrelang geschärfte Methode jemals ersetzen können. Doch sie bleibt auf
andere Weise bestehen, ist so in dieser Kunstform verhaftet, hat sich selbst in sie eingeschrieben, dass sie unmöglich vollends verschwinden wird.
Das zeigt nicht zuletzt die Viennale, die Jean-Luc Godard einen angemessen Abschied bereitet – 2 Jahre nach seinem Tod. Es fühlt sich an, als wäre er erst diese Woche geschehen.