31.10.2024

Für immer Godard

Exposé du film annonce du film Scénario
Entstehungsprozess als Mise en abyme
(Foto: Viennale | Jean-Luc Godard)

Ein Endpunkt: Die Viennale zeigt den letzten Film des größten europäischen Regisseurs und rahmt ihn in eine Rückschau und Erinnerung ein

Von Benedikt Guntentaler

Scénarios (18 Minuten): Das ist er nun tatsäch­lich, der letzte Film des großen Jean-Luc Godard.
Einen Tag vor seinem (selbst­ge­wählten) Tod durch eine Schweizer Ster­be­hilfe gab er die letzten Anwei­sungen an sein einge­schwo­renes Stammteam. Jean-Paul Battaggia und Fabrice Aragno standen ihm bis zuletzt künst­le­risch zur Seite, produ­zierten, filmten (Aragno) und schnitten seine Filme. Gezeigt wurde Scénarios dann auch im Doppel mit einem kleinen anek­do­ti­schen Oneshot-Kurzfilm über 36 Minuten: Exposé du film annonce du film Scénario.
Jener zeigt Godard vor circa drei Jahren bei der Arbeit zum Film Scénario, der dann später zum erwähnten Hauptwerk des Nach­mit­tags wurde (aller­dings im Plural, mit ange­fügtem »s«). Er präsen­tiert seine Idee seinen Koope­ra­teuren, hat dazu ein Büchlein ange­fer­tigt, das die Struktur erfasst und mit Bildern und Texten präsen­tiert. So entsteht eine Art »Trailer«, von JLG selbst kommen­tiert.

Der Film offenbart einen womöglich einma­ligen Einblick in die Arbeits­weise dieser Koryphäe und Licht­ge­stalt des Kinos, stellt eine intime Betrach­tung eines merklich alt gewor­denen Godards in seinem Arbeits­zimmer dar.
Natürlich wirkt er ganz anders, als man ihn vermutet, diesen schier unmensch­lich großen Kinogott. Immer wieder fuchtelt er mit einem blauen BIC-Feuerzeug herum, erklärt langsam und ausführ­lich seine Gedanken hinter dem Portfolio, das fein säuber­lich gear­beitet ist, doch scheinbar niemals abge­schlossen, noch während der Aufnahme struk­tu­riert es Godard um, fügt eine Seite ein, erklärt manche Bilder für nichtig, andere für Platz­halter, bei manchen scheint er sich selbst noch nicht ganz sicher, warum genau sie ihren Platz im »Trailer« gefunden haben. Dabei unter­bricht er sich wieder­holt, zündet seine Zigarre an, schweift ein wenig in eigene Gedanken ab. Man bemerkt sein Alter, an manchen Stellen muss ihm auf die Sprünge geholfen werden.

Es ist faszi­nie­rend, diesen kleinen Ausschnitt zu verfolgen, zu bemerken, wie sehr Godard in Bildern und Zitaten denkt, ständige Verknüp­fungen und Asso­zia­tionen herstellt. Es erklärt dann auch gut sein expe­ri­men­telles Spätwerk, seine Essay­filme, die immer mehr ins Zentrum rückten. Entzau­bert wird dabei nichts, sie sind zu komplex, Godard allen anderen stets einen Gedanken voraus. Besonders deutlich wird dabei, wie spie­le­risch er vorgeht, wie eben nicht alles sklavisch zusam­men­hängt, sondern über allem ein poeti­scher Ausdruck betont wird. Das Portfolio ist liebevoll gestaltet, selbst ein kleines Kunstwerk, ein Teil des nicht enden wollenden Godard’schen Gedan­ken­stroms. Fein säuber­lich hat er die Seiten numme­riert, die Über­schriften genau­es­tens ausge­richtet, die Fotos sind gute Drucke, die Idee also bereits unbedingt mit der Ausfüh­rung verbunden. Das erklärt womöglich die Vielzahl an reali­sierten Projekten, ein Konzept zu haben, das reicht Godard nicht aus, es muss schon auch verwirk­licht werden.

So dann auch der voran­ge­stellte – aller­letzte – Kurzfilm, sein Schwa­nen­ge­sang. Es ist erneut ein Essayfilm, in zwei Teile geglie­dert, der Stand­bilder, Text und Video-/Filmclips mitein­ander vermengt. Die Länge bedingt dabei eine gewisse Reduktion, ohnehin ist es aber voll­kommen zwecklos, dieses Werk singulär zu kriti­sieren. Es ordnet sich ein, in einen nun über Jahre andau­ernden Arbeits­zy­klus, der in sich so form­voll­endet erscheint, dass man ihn lediglich an- oder ablehnen kann. Wer Godard schon länger verfolgt, der wird sich auch diesmal (neu-)verlieben, die hinter­grün­dige Rahmung lässt Scénarios dabei besonders poetisch erscheinen. Eigene Film­szenen kommen zum Einsatz (die viel­leicht schönste Szene aus dem bril­lanten Allemagne Neuf Zéro, genau wie der Maestro selbst, der von seinem Bett aus in die Kamera raunt. Dabei ist der Tod stets präsent, im Kino wie im echten Leben, einmal mehr schreckt er nicht vor dras­ti­schen Szenen aus den Fern­seh­nach­richten zurück.)

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Es entsteht eine doch sehr melan­cho­li­sche Stimmung im Öster­rei­chi­schen Film­mu­seum, das mit seinen schwarzen Wänden, seinem schwarzen Vorhang, wie ein ange­mes­sener Ort erscheint.
Nach den Filmen betritt Kame­ra­mann Fabrice Aragno die Bühne, der sehr sympa­thisch und ruhig von seiner zwan­zig­jäh­rigen Zusam­men­ar­beit und gemein­samen Zeit mit »Jean-Luc« berichtet. Für ihn war Godard wie ein kleiner Junge, der nie ganz erwachsen wurde, nur klüger und belesener, der bis zum Schluss (und von Beginn an) künst­le­risch arbeitete, stets gegen bestehende Regeln ankämpfte und mit ihnen spielte. Filme machen, das war – laut Aragno – auch eine Befreiung, von den Gedanken, den steten Verknüp­fungen und Refe­renzen, die schlichtweg zu Godard gehörten. Das Gespräch, seine Erzäh­lungen, werden dabei nie senti­mental, »that’s life« sagt Aragno zum Tod des Wegge­fährten, sein Blick verharrt nahezu permanent auf dem Boden. Nur einmal wird er ein wenig brüchig, auf eine Frage, wie Godard nun dies oder jenes beab­sich­tigte, entgegnet er (übersetzt): »Da müssen Sie die Fische fragen.«
Es ist ein schöner Gedanke, zumal das Meer – gerade im Spätwerk – immer zentraler wurde.

Doch wer erwartet schon eine klare Antwort Godards, dessen enig­ma­ti­scher Bilder-Reigen, dessen struk­tu­relle Sprünge und Auslas­sungen noch immer ihres­glei­chen suchen.
So bleibt sein Schaffen noch immer so präsent wie zu Lebzeiten, gerade die dies­jäh­rige Viennale verdeut­licht das in aller Klarheit.
Noch am selben Morgen, vor Scénarios, konnte die Kino-Extra­va­ganz Adieu au langage (2014) in 3D bestaunt werden. Auch hier führte Aragno die (zwei) Kameras, es ist eines von Godards bewun­derns­wer­testen und wildesten Werken. Sein damaliger Stil – bereits essay­is­tisch, jedoch noch verknüpft mit fiktio­nalen Spiel­szenen – kommt auch hier zum Tragen, wird formal und technisch aller­dings auf eine neue Stufe gehoben. Die 3D-Tech­no­logie ermöglich wahn­wit­zige Kame­ra­be­we­gungen, die zeitweise Bilder über­ein­ander legen, oder inein­ander gleiten lassen. Behandelt wird dabei die Unmög­lich­keit der objek­tiven Kommu­ni­ka­tion, des einen Blicks auf die Welt. Dies fügt sich gut ein in das Bild, das dieser Nach­mittag von Godard kreiert, das Ergründen der Welt auf subjek­tiven, immer das Neue suchenden Wegen.

In diese Tradition setzen sich nun die nächsten Regis­seure. Der Eröff­nungs­film C'est pas moi, von Leos Carax (wohl die direk­teste Anleihe) wurde bereits bespro­chen, doch den »Godard-Touch« findet man im Programm der dies­jäh­rigen Viennale immer wieder. Besonders schön – und modern – in Tú me abrasas von Matías Piñeiro, der genau wie Godards 3D-Film die Sprache in den Fokus nimmt, sie auf ihrem Weg durch Trans­for­ma­tionen verfolgt. So entsteht eine Genea­logie der Über­set­zungen, in andere (Landes-)Sprachen, in Bilder, in Rhythmen, und nicht zuletzt Gedanken. Ebenfalls essay­is­tisch, doch viel schwel­ge­ri­scher und geerdeter, sowie mit einem gewissen DIY-Ansatz verbunden, entfaltet sich ein eindrück­li­ches, lite­ra­ri­sches, sehr privates Werk.

Man müsste hier nicht aufhören, könnte weitere Bespiele anführen, die Godard aufleben lassen, ihn imitieren oder nach­ei­fern; jedoch: es wären zu viele.
Godard ist aus dem Kino nicht wegzu­denken, und das seit seinem ersten Film. Viel­leicht niemand hat diese Kunst so stetig, unauf­haltsam und komplex hinter­fragt, geliebt und kriti­siert wie er.
Mit ihm stirbt ein Teil des Kinos, niemand wird diesen Stil, diese jahrelang geschärfte Methode jemals ersetzen können. Doch sie bleibt auf andere Weise bestehen, ist so in dieser Kunstform verhaftet, hat sich selbst in sie einge­schrieben, dass sie unmöglich vollends verschwinden wird.

Das zeigt nicht zuletzt die Viennale, die Jean-Luc Godard einen ange­messen Abschied bereitet – 2 Jahre nach seinem Tod. Es fühlt sich an, als wäre er erst diese Woche geschehen.