24.10.2024

Verlorene Liebe, geliebte Wiederholung

Volveréis
Szene aus Jonás Truebas Volveréis
(Foto: Viennale 24)

Doppelkritik: Hong sang-soo (By the Stream) und Jonás Trueba (Volveréis) widmen sich der Kunst und Überwindung sich neu und wieder zu verlieben.

Von Benedikt Guntentaler

Kunst­the­rapie (By the Stream)

Von Hong Sang-soo laufen dieses Jahr gleich zwei Filme auf der Viennale. Beide sind 2024 erschienen, der erste – A Traveler’s Needs – lief und gewann im Wett­be­werb der Berlinale. Es ist der pres­ti­ge­träch­ti­gere Film, hat mit Isabelle Huppert einen großen Namen, und ist trotz der schmalen Laufzeit von 90 Minuten ein fein säuber­lich struk­tu­riertes Werk mit klarem Thema. Der Sprache, und wie sie in Gedichten und dem Alltag mit sich selbst ringt.
Film zwei nun – By the Stream – erscheint auf den ersten Blick konfuser. Mit einer Laufzeit von 111 Minuten gehört er zu Hongs längeren Werken, auch die Struktur verläuft sich in Neben­säch­lich­keiten. Viele Charak­tere, die nicht (wie in A Traveler’s Needs) zu Bezugs­punkten der Prot­ago­nistin werden, sowie eine sich langsam entfal­tende Handlung, die immer wieder ausfasert, mehr die Ausgangs­lage bildet, als zum tatsäch­li­chen Mittel­punkt zu werden. Es geht um die Lehrerin Jeon-im (Kim Min-hee), die ihren Onkel Chu Si-eon (Kwon Hae-hyo) um Hilfe bittet. An der Kunst­uni­ver­sität, an der sie arbeitet, soll ein Thea­ter­s­tück insze­niert werden, der ange­dachte Regisseur (selbst im Studen­ten­alter) musste jedoch die Kontrolle abgeben, nachdem er gleich drei der teil­neh­menden Studen­tinnen gedatet hat. Gleich­zeitig.
Hae-hyo nun springt ein, eine komfor­table Wahl, schließ­lich war er selbst ein gefei­erter Darsteller und Regisseur, bis er in Ungnade fiel. Warum wird nicht genau klar, vermut­lich hängt es mit einer wie auch immer geäußerten Nähe zum Kommu­nismus zusammen.
An der Univer­sität dann trifft er auf Jeon-ims Vorge­setzte Jeong (Cho Yun-hee), die seine Arbeit vergan­gener Tage verehrt und erst auf die Idee kam, ihn an die Schule zu holen. Die Romanze liegt nahe, ebenso die damit verbun­dene kompli­zierte Drei­ecks­be­zie­hung.

Es ist also ein über­ra­schend gewöhn­li­cher Plot für einen Hong-Film, eine klas­si­sche Liebes­ge­schichte. Dabei bleibt es aber natürlich nicht. So sehr der Film auf den ersten Blick im klas­si­schen Erzähl­kino verhaftet ist, so sehr führt er die nun schon jahrelang etablierten Trade­marks Hongs fort, schlägt nach dem heiteren und wirklich sehr lustigen Auftakt (Jeongs Flirt­ver­suche, die Rückkehr eines etablierten Regis­seurs an eine Amateur­bühne) eine düstere, melan­cho­li­sche Route ein.
Der verzwei­felte (Theater-)Regisseur, die Verbin­dung des privaten und künst­le­ri­schen Raums, das sind wohl­be­kannte Themen im Oeuvre des Koreaners, diesmal jedoch setzt er sie besonders subtil ein, entwi­ckelt sie langsam aus der Handlung heraus, kaum merklich nimmt der Film eine schwer­mü­tige Poesie an. Es geht um das Vergan­gene, das das Zukünf­tige auf immer zu bestimmen droht, um einen Moment im Leben, der so einschnei­dend ist, dass das Danach nur noch eine Verhand­lung und Bekämp­fung dessen sein kann, ein stets sich-selbst-befragen, ein Ringen mit der eigenen Identität, die stehen bleibt, sich – anders als der titel­ge­bende Stream – nicht mehr linear nach vorne bewegt.

Fest­ge­macht werden diese schei­ternden Trans­for­ma­ti­ons­mo­mente an repe­ti­tiven Gesprächen an Restau­rant- und Küchen­ti­schen, stets verbunden mit einem ins Exzessive glei­tenden Alko­hol­konsum. Sogar für Hong-Verhält­nisse wird viel getrunken in diesem Film, es sind die Momente, in denen sich die Figuren (versuchen) näher zu kommen. Das Trinken als singulärer, körper­li­cher Akt hat dabei stets einen feier­li­chen Charakter, man prostet sich zu, schenkt sich gegen­seitig nach, provo­ziert und simuliert eine perma­nente Feier. Zwischen jedem Glas aber scheint die Zeit still zu stehen, trinkt man nicht (sondern ist betrunken), hat man sich bereits nichts mehr zu sagen, tauscht Floskeln aus, fängt wieder an, in die Erzäh­lungen der Vergan­gen­heit zu rutschen – bis zum nächsten Glas. Die Feier wird hierbei als gewohn­heits­mäßiger Mecha­nismus entlarvt, als Selbst­be­s­tä­ti­gung und Mutmache, ein Auto­ma­tismus, der vorgibt glücklich zu sein, ohne es dabei werden zu müssen. Wer zusammen trinkt, ist verbunden, muss sich nicht mit einem Davor oder Danach beschäf­tigen, löst sich auf in der Welt.
Jeong (viel­leicht die einsamste Figur in diesem Film voll von Verlo­renen) bringt es auf den Punkt, wenn sie von ihren Reisen erzählt: Steht sie vor der ersehnten, fremden Land­schaft, hält das Glück nur Sekunden, die Einsam­keit kehrt zurück und sie sehnt sich – natürlich – nur nach dem nächsten Glas.

In diesem Modus fährt der Film fort, insze­niert mit Hongs typischen stilis­ti­schen Entschei­dungen: Digi­tal­ka­mera, die lange Einstel­lungen festhält, die einem strikten Realismus verhaftet sind, der nicht davor zurück­schreckt Über­be­lich­tungen oder Ruckler in der Tiefen­schärfe abzu­bilden. Wie immer wirkt dies auf den ersten Blick wahllos, findet aber gerade darin eine alltäg­liche, direkte Poesie, wie sie im zeit­genös­si­schen Kino nur Hong darstellen kann. Verändert werden die Szenen immer wieder durch Zooms, die das Bild neu rahmen, und in einer gleich­blei­benden Kulisse neue Zugriffe ermög­li­chen, die natürlich bereits zuvor enthalten waren, aber erst durch den Perspek­ti­ven­wechsel offen­sicht­lich werden.

So entspinnt sich ein kalei­do­sko­pi­sches Werk, das sich durch seinen neben­säch­li­chen Charakter stets selbst zu hinter­fragen scheint. Aus der Schwermut gibt es dabei keinen Ausweg, nur die Erkenntnis, dass es so nicht weiter­gehen kann, überträgt sich auf den Zuseher. Wer in der Vergan­gen­heit verhaftet bleibt, der bleibt glei­cher­maßen bei sich selbst stehen, bis es keinen anderen Zugang zur Welt geben kann. Selbst die Kunst erscheint dann nurmehr thera­peu­tisch, ein einziges Rück­be­sinnen auf sich selbst, auf das, was gewünscht und/ oder verloren ist.
Ein Teufels­kreis also, dabei selbst aber nur perspek­ti­visch; genau wie Hongs Zooms, die stets ein Bild im Bild frei­zu­legen im Stande sind.

Es ist (erneut) ein sehr schöner Film geworden.

+ + +

Das Gefühl im System (Volveréis)

Gänzlich anders verhält es sich in Jonás Truebas neuestem Werk.
Hier ist die Handlung schneller zusammen gefasst: Nach einer 14-jährigen Beziehung beschließen sich Ale (Itsaso Arana) und Alex (Vito Sanz) zu trennen. Ausgehend von einer Idee von Ales Vater wollen sie anläss­lich dieses neuen Lebens­ab­schnitts eine große Feier veran­stalten. Es ist der makabre Versuch einer fest­li­chen Beendung dieser Liebes­be­zie­hung, die bei Freunden und Familie auf Unver­s­tändnis stößt. »Ihr werdet wieder zusam­men­kommen«, so der Schluss fast aller Gesprächs­partner.

Genau wie bei Hong wird diese Handlung als Ausgangs­lage begriffen, um darüber die Figuren zu erkunden. Dies geschieht auf eine ebenso poetische, wenn­gleich tonal gänzlich unter­schied­liche Weise. Trueba hat einen ungemein verspielten, lebens­lus­tigen Film gedreht, der seine eigene Media­lität immer wieder in die Struktur mit aufnimmt. Ale ist Film­re­gis­seurin, Alex Schau­spieler. Sie arbeiten zusammen, haben einen neuen Film gedreht. Dieser wird immer wieder einge­spielt, es ist dabei völlig unklar, auf welcher Hand­lungs­ebene wir Zuschauer uns dabei befinden. Anders als bei den meisten Meta­filmen wird dabei dankens­wer­ter­weise aber nicht die Beziehung von Kunst und Realität ins Zentrum gerückt, viel mehr entsteht ein struk­tu­reller Wirbel, der es aktiv unter­bindet, die Frage nach der Wirk­lich­keit zu stellen.

Wie häufig bei Trueba stehen dabei philo­so­phi­sche Texte im Vorder­grund, die in Gesprächen aufge­bracht und fortan formal verhan­delt werden. Diesmal hat er sich einem besonders schönen Thema gewidmet: Dem Exis­ten­zia­lismus im Kontrast zum Hege­lia­ni­schen System. Kier­ke­gaard wird hierbei als Lebens­rat­geber herbei­ge­zogen, »Die Wieder­ho­lung« ist das Buch des Films. Ebenso wie im Denken des dänischen Philo­so­phen das über allem stehende, voll­endete und alles bestim­mende System emotional kriti­siert und durch­setzt wird, bricht Volveréis seine filmische Form immer und immer wieder auf, um Anmutung über Logik zu stellen, das evozierte Gefühl, und damit die Poesie, gegen die Ratio­na­lität und (formale) Geschlos­sen­heit ankämpfen zu lassen. So gibt es abrupte Achsen- und Zeitsprünge, an einer Stelle wird gar ein Großteil des Films »zurück­ge­spult«.

Parallel zu By the Stream finden wir dabei Charak­tere vor, die rein in der Vergan­gen­heit leben, präziser in der (noch bestehenden) Beziehung verhaftet sind, sie im Grunde nicht loslassen wollen. Anders als bei Hong wird dieser Zustand jedoch nicht tragisch begriffen, sondern als reflexive Möglich­keit, als Kier­ke­gaaard’sche Wieder­ho­lung, die – darin womöglich wieder rational – einen Neuanfang der Beziehung mit neuem Blick ermög­licht, ein Sich-Verlieben in eine Person, die man ja bereits liebt.
Besonders inter­es­sant wird dies in einem intimen Moment verhan­delt, in dem die beiden alte Urlaubs­vi­deos betrachten. Diese wurden digital gedreht, jedoch mit einem (imitierten) Super-8-Filter überlegt. Es ist die Täuschung der Einma­lig­keit, die über das (falsche) analoge Bild vermit­telt wird, der Drang und die Hoffnung auf einen singulären Moment, in diesem Fall des Frisch-verliebt-Seins. Umso schöner natürlich ist die Wieder­auf­nahme dieses Gefühls, das zwar in der Vergan­gen­heit liegt, dabei aber weder final, noch unwie­der­holbar, noch absolut ist.

Gewis­ser­maßen stellt dieser Film also die Antithese zu By the Stream dar, auch in seinen Feier-Szenen ist er mitreißend und schön, dem Alkohol haftet auch hier etwas Tragi­sches an, etwas jedoch, das noch immer als ästhe­ti­sches Mittel begriffen wird, noch längst entfernt vom trüben Selbst­zweck des Gegen­films. Eine weitere Parallele: Beide Regis­seure arbeiten mit einem Ensemble von Stamm­schau­spie­lern, beide wissen genau, wie sie ihre Gesichter und Körper zu insze­nieren haben, Hong dabei passend subtil, mehr in Nuancen, Gestiken und Bewe­gungen, Trueba sogar noch extremer, wie die Haut etwa belichtet ist, wie die Haare fallen, wie nah die Kamera sich den Gesich­tern nähert, zeugt alles von einem jahre­langen Vertrauen und einer genauen Studie.

So entsteht ein lebens- (und kunst­frohes) Werk, das ein buntes (das grelle Rot kennt man von Almodóvar, hier jedoch sind die Farben noch zu keinen Symbolen redigiert, sondern dürfen frei die Kulissen bestimmen) Porträt Spaniens entwirft, weit entfernt von jeglichem Kitsch, und die Liebe in all ihren Schat­tie­rungen begreift.
Und es ihr zugesteht, sich wieder­holen zu dürfen.