24.10.2024

Histoire(s) de Carax

C'est pas moi
Frei schwebend zwischen den Zeiten und Künsten
(Foto: Viennale | Leos Carax)

Ich bin’s nicht: In seinem neuen mittellangen Film »C'est pas moi« widmet sich der französische Regisseur Leos Carax seinem eigenen Werk, befragt dazu Godard und die Historie

Von Benedikt Guntentaler

Es hätte eine Ausstel­lung werden sollen. Das Centre Pompidou fragte an: »Wo sind Sie, Leos Carax?« – und jener antwor­tete mit einem 42-minütigen Essay-Film, der in Cannes seine Premiere feierte, und nun die 62. Viennale eröffnete.
Das ist nun schon ein paar Tage her, wie nahezu jeder Film wurde C'est pas moi, (Ich bin’s nicht) jedoch ein zweites Mal gezeigt. Diesmal in Anwe­sen­heit von Denis Lavant, der im Anschluss für ein Q&A bereit­stand, und von seiner lang­jäh­rigen Beziehung zu Carax erzählte, der ihm einige seiner schönsten Rollen schenkte. Häufig stand dabei das Körper­liche im Vorder­grund, Lavants artis­ti­sche Bewe­gungen, seine Anfänge als Pantomime und Zirkus­künstler werden immer wieder präsent, zeigen ihn in expres­siven Körper­hal­tungen oder ausschwei­fenden Tanz­szenen. Diesen Duktus scheint er auch abseits der Kamera nicht ablegen zu wollen, wild gesti­ku­lie­rend steht Lavant auf der Bühne, verneigt sich beim Applaus beinahe zu den Zehen­spitzen, tanzt regel­recht mit dem Mikrofon herum. Ähnlich viel Freude hat er beim Film­ge­spräch, gibt so ausschwei­fende Antworten, dass die Über­set­zerin gar nicht hinter­her­kommt, ihn hin und wieder bremsen muss. C'est pas moi und Carax sind ihm wichtig, daran besteht zu keiner Sekunde ein Zweifel.

Im Film selbst dann ist er ebenso präsent wie im Kinosaal, aller­dings viel weniger lebendig. Nur eine Szene musste er drehen, einen Spazier­gang als seine immer wieder­keh­rende Rolle des Monsieur Merde, der Rest mit ihm sind Rück­blicke auf alte Zusam­men­ar­beiten, Szenen aus frühen Carax-Filmen. C'est pas moi, wird vom Festival als Essay-Film beworben, als völlig freie Form, die eine Asso­zia­ti­ons­kette, einen Stream of Conscious­ness ebenso darstellen soll, wie sie als ein Selbst­por­trät des Regis­seurs angedacht ist. So kommt Carax selbst immer mal wieder vor, erzählt von seinem Leben und dem seiner Eltern, von seiner Beziehung zu seiner Tochter und seiner eigenen Rolle in der Familie. Schnell wird jedoch klar, dass diese persön­liche Ebene nur der Grund­bau­stein bleiben wird. C'est pas moi entwi­ckelt sich schnell zu einer Reflexion über das Kino, eine Huldigung, eine Liebes­er­klärung, doch auch eine etwas wehmütige Anklage, ein schwarzes Gedicht.

Imitiert wird dabei der Stil von Godards monu­men­talen Histoire(s) du Cinéma. Überhaupt ist Godard zu jeder Zeit präsent in diesem Film, seine Text­ein­blen­dungen werden formal eins zu eins über­nommen, seine scheinbar will­kür­liche Struk­tu­rie­rung des Werks in poetische Kapi­tel­namen, seine Einfär­bung von Film­ma­te­rial, all das kommt auch hier zum Tragen. Dennoch ist es keine bloße Kopie, Carax geht etwas metho­di­scher vor, der persön­liche Ansatz erdet den Film gewis­ser­maßen, zudem werden, wie bereits ange­deutet, immer wieder Film­szenen aus seinem Œuvre einge­schoben. Diesen gesteht er die längste Laufzeit zu, was konzep­tuell durchaus Sinn macht, ein wenig jedoch den Fluss des Werks stört, die schier unauf­halt­same Wucht der voran­schrei­tenden Gedanken entschärft, und Tempo aus dem Film nimmt. Sieht man darin zunächst noch poetische Aufhe­bungs­mo­mente, werden diese Passagen mit der Zeit doch etwas anstren­gend, zumal sie nicht ausge­spielt werden, sondern auf Tonebene immer wieder unter­bro­chen oder neu kontex­tua­li­siert werden.

Zudem geraten manche geistige Sprünge dann doch etwas abrupt, wie wild wird noch Putin und der bestehende Russland-Ukraine-Krieg ins Rennen geworfen, jedoch in drei Minuten abge­han­delt und nie wieder aufge­griffen. Dieses Beispiel zeigt sehr gut, wie frag­men­ta­risch Carax hier zu Werke geht, selten hat man das Gefühl eines abge­schlos­senen Werk-Charak­ters, viel mehr dient C'est pas moi als knapp drei­vier­telstün­diger Einblick in den Kopf des Regis­seurs.

Darin findet sich dann auch viel Schönes, besonders dann, wenn er film­ge­schicht­lich arbeitet, seine Bewun­de­rung für das (alte) Kino zum Tragen kommt. Gerade sprach­lich findet er immer wieder anregende Zugänge; »Die Leinwand verzeiht dir alles«, »Die Kamera als Gottes Blick«, »Ich war immer daran inter­es­siert Déjà-Vus zu erschaffen« (sinngemäß). In Verbin­dung mit altem und neuem Film­ma­te­rial, fiktional wie doku­men­ta­risch, entsteht dadurch ein Zugriff auf die Welt, der viel weiter reicht, als lediglich bei einer Schwär­merei für den Film zu verharren.

Carax zeigt, wie die Historie den Film bedingt, wie sie immer und immer wieder in ihm verhan­delt wird, und dadurch das Kino selbst zu einem geschicht­li­chen Artefakt wird, zu einem Weg, die Welt zu denken und zu verstehen. Film, das ist für ihn so mächtig, so schön, so an der Voll­kom­men­heit kratzend, dass selbst ein Film über den Film eine Poesie besitzt, die diese Kunstform recht­fer­tigt. Mehr Liebes­er­klärung geht nicht, auch wenn immer wieder ein gewisser Pessi­mismus über das digitale Zeitalter, über die eben doch bestehende Mani­pu­la­tion und Verfäl­schung des Blicks durch­scheint.
Es ist ein wunder­barer, kluger Blick auf das eigene Schaffen, das dieses stets einordnet und vergleicht, in einer Tradition begreift, mit der es zwar koket­tiert, zu der es aber doch immer wieder zurück­kehrt.

Lavant erwähnte im Interview, ihm sei die Bezeich­nung »Hommage an das Kino« zu kurz gegriffen. Der Film behandle darüber hinaus noch ganz andere Themen: Die Literatur, die Geschichte, Politik, Frauen, Männer etc.
Jedoch: Eben das macht es erst zu einer Hommage an das Kino.