Histoire(s) de Carax |
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Frei schwebend zwischen den Zeiten und Künsten | ||
(Foto: Viennale | Leos Carax) |
Es hätte eine Ausstellung werden sollen. Das Centre Pompidou fragte an: »Wo sind Sie, Leos Carax?« – und jener antwortete mit einem 42-minütigen Essay-Film, der in Cannes seine Premiere feierte, und nun die 62. Viennale eröffnete.
Das ist nun schon ein paar Tage her, wie nahezu jeder Film wurde C'est pas moi, (Ich bin’s nicht) jedoch ein zweites Mal gezeigt. Diesmal in Anwesenheit von Denis Lavant, der im Anschluss für ein
Q&A bereitstand, und von seiner langjährigen Beziehung zu Carax erzählte, der ihm einige seiner schönsten Rollen schenkte. Häufig stand dabei das Körperliche im Vordergrund, Lavants artistische Bewegungen, seine Anfänge als Pantomime und Zirkuskünstler werden immer wieder präsent, zeigen ihn in expressiven Körperhaltungen oder ausschweifenden Tanzszenen. Diesen Duktus scheint er auch abseits der Kamera nicht ablegen zu wollen, wild gestikulierend steht Lavant auf der Bühne,
verneigt sich beim Applaus beinahe zu den Zehenspitzen, tanzt regelrecht mit dem Mikrofon herum. Ähnlich viel Freude hat er beim Filmgespräch, gibt so ausschweifende Antworten, dass die Übersetzerin gar nicht hinterherkommt, ihn hin und wieder bremsen muss. C'est pas moi und Carax sind ihm wichtig, daran besteht zu keiner Sekunde ein Zweifel.
Im Film selbst dann ist er ebenso präsent wie im Kinosaal, allerdings viel weniger lebendig. Nur eine Szene musste er drehen, einen Spaziergang als seine immer wiederkehrende Rolle des Monsieur Merde, der Rest mit ihm sind Rückblicke auf alte Zusammenarbeiten, Szenen aus frühen Carax-Filmen. C'est pas moi, wird vom Festival als Essay-Film beworben, als völlig freie Form, die eine Assoziationskette, einen Stream of Consciousness ebenso darstellen soll, wie sie als ein Selbstporträt des Regisseurs angedacht ist. So kommt Carax selbst immer mal wieder vor, erzählt von seinem Leben und dem seiner Eltern, von seiner Beziehung zu seiner Tochter und seiner eigenen Rolle in der Familie. Schnell wird jedoch klar, dass diese persönliche Ebene nur der Grundbaustein bleiben wird. C'est pas moi entwickelt sich schnell zu einer Reflexion über das Kino, eine Huldigung, eine Liebeserklärung, doch auch eine etwas wehmütige Anklage, ein schwarzes Gedicht.
Imitiert wird dabei der Stil von Godards monumentalen Histoire(s) du Cinéma. Überhaupt ist Godard zu jeder Zeit präsent in diesem Film, seine Texteinblendungen werden formal eins zu eins übernommen, seine scheinbar willkürliche Strukturierung des Werks in poetische Kapitelnamen, seine Einfärbung von Filmmaterial, all das kommt auch hier zum Tragen. Dennoch ist es keine bloße Kopie, Carax geht etwas methodischer vor, der persönliche Ansatz erdet den Film gewissermaßen, zudem werden, wie bereits angedeutet, immer wieder Filmszenen aus seinem Œuvre eingeschoben. Diesen gesteht er die längste Laufzeit zu, was konzeptuell durchaus Sinn macht, ein wenig jedoch den Fluss des Werks stört, die schier unaufhaltsame Wucht der voranschreitenden Gedanken entschärft, und Tempo aus dem Film nimmt. Sieht man darin zunächst noch poetische Aufhebungsmomente, werden diese Passagen mit der Zeit doch etwas anstrengend, zumal sie nicht ausgespielt werden, sondern auf Tonebene immer wieder unterbrochen oder neu kontextualisiert werden.
Zudem geraten manche geistige Sprünge dann doch etwas abrupt, wie wild wird noch Putin und der bestehende Russland-Ukraine-Krieg ins Rennen geworfen, jedoch in drei Minuten abgehandelt und nie wieder aufgegriffen. Dieses Beispiel zeigt sehr gut, wie fragmentarisch Carax hier zu Werke geht, selten hat man das Gefühl eines abgeschlossenen Werk-Charakters, viel mehr dient C'est pas moi als knapp dreiviertelstündiger Einblick in den Kopf des Regisseurs.
Darin findet sich dann auch viel Schönes, besonders dann, wenn er filmgeschichtlich arbeitet, seine Bewunderung für das (alte) Kino zum Tragen kommt. Gerade sprachlich findet er immer wieder anregende Zugänge; »Die Leinwand verzeiht dir alles«, »Die Kamera als Gottes Blick«, »Ich war immer daran interessiert Déjà-Vus zu erschaffen« (sinngemäß). In Verbindung mit altem und neuem Filmmaterial, fiktional wie dokumentarisch, entsteht dadurch ein Zugriff auf die Welt, der viel weiter reicht, als lediglich bei einer Schwärmerei für den Film zu verharren.
Carax zeigt, wie die Historie den Film bedingt, wie sie immer und immer wieder in ihm verhandelt wird, und dadurch das Kino selbst zu einem geschichtlichen Artefakt wird, zu einem Weg, die Welt zu denken und zu verstehen. Film, das ist für ihn so mächtig, so schön, so an der Vollkommenheit kratzend, dass selbst ein Film über den Film eine Poesie besitzt, die diese Kunstform rechtfertigt. Mehr Liebeserklärung geht nicht, auch wenn immer wieder ein gewisser Pessimismus über das
digitale Zeitalter, über die eben doch bestehende Manipulation und Verfälschung des Blicks durchscheint.
Es ist ein wunderbarer, kluger Blick auf das eigene Schaffen, das dieses stets einordnet und vergleicht, in einer Tradition begreift, mit der es zwar kokettiert, zu der es aber doch immer wieder zurückkehrt.
Lavant erwähnte im Interview, ihm sei die Bezeichnung »Hommage an das Kino« zu kurz gegriffen. Der Film behandle darüber hinaus noch ganz andere Themen: Die Literatur, die Geschichte, Politik, Frauen, Männer etc.
Jedoch: Eben das macht es erst zu einer Hommage an das Kino.