Kanada/Frankreich 2012 · 113 min. · FSK: ab 12 Regie: David Cronenberg Drehbuch: David Cronenberg Kamera: Peter Suschitzky Darsteller: Robert Pattinson, Juliette Binoche, Sarah Gadon, Mathieu Amalric, Jay Baruchel u.a. |
Die ganze Welt kondensiert in einem einzigen Tag, in einem einzigen Charakter und jenem Strom aus Gedanken und Gefühlen, der durch dessen Bewusstsein rinnt. Der Kanadier David Cronenberg präsentiert in seinem neuesten Werk eine Geschichte, die sich anfühlt, wie ein Trip. Don DeLillo, spätestens seit seinem Roman »Underworld« (1997) einer der wichtigsten amerikanischen Gegenwartsautoren, schrieb die Vorlage 2003: Cosmopolis handelt von einem Tag im Leben eines Börsenmilliardärs. Ein Herzkammerspiel des Finanzkapitalismus. Ein Börsencrash kommt vor, die universale Gier, mehrere Attentate, ein ungenannter US-Präsident, der allgemeine Sicherheitswahn der Gesellschaft, eine Protestbewegung, die der von »Occupy« verblüffend ähnelt, der Cyberspace und vor allem viel, viel Geld.
Aus heutiger Sicht ist Cosmopolis ein prophetischer Roman, eine apokalyptische Reise ins Herz der Finsternis unserer Gegenwart, aber vor der großen Krise. Trotzdem verlangt das Buch nicht automatisch nach einer Verfilmung. Denn in Sprache und Bildern ist dies zwar ein Breitwandpanorama des Finanzkapitalismus, die Handlung hingegen gleicht eher einem Kammerspiel. Wie soll man verfilmen, was sich zu großen Teilen im Kopf eines einzigen Menschen abspielt, der sich mit einer Carrara-Marmor-getäfelten riesigen Stretch-Limo auf einer Odyssee durch Manhattan befindet, seinen Friseur aus Kindheitstagen trifft, und dazwischen von seiner Geliebten besucht wird, einem Arzt und diversen Mitarbeitern, mit denen dieser merkwürdige Passagier Strategien diskutiert und ansonsten auf mehreren Bildschirmen im Auto das Welt- und Börsengeschehen verfolgt?
Diese Hauptfigur heißt Eric Packer – ein Kannibale im Anzug. Ein reicher Mann; einer der reichsten der Welt, der Menschen gnadenlos über die Klinge springen lässt, der mit seinem und dem Leben der Anderen spielt, wie eine Katze mit der Maus. In Manhattan residiert Packer in einem luxuriösen Appartement, das unter anderem ein Haifischbecken birgt und einen Spielsalon – bezeichnende, symbolische Orte, repräsentativ für diesen Finanzhai, der im Casinokapitalismus
mit Milliarden jongliert.
Räume sind zentral in diesem Film. Wer aber jetzt erwartet hätte, dass Cronenberg, der Regisseur von modernen Klassikern wie Videodrome, Crash, eXistenZ die
Assoziationsströme der Vorlage in ein Bett aus reißerisch-grellen Bildern gießen würde, sieht sich getäuscht: Dies ist ein sinnlicher Film, zugleich aber ein überaus reduzierter. Die beschriebenen Wohnverhältnisse werden nur erwähnt, nicht aber gezeigt, obwohl sie einen großartigen visuellen Hintergrund für das von Cronenberg intendierte Dekadenzportrait geliefert hätten.
Cronenberg betont dagegen den Kammerspielcharakter und konzentriert sich ganz auf den einen, zentralen Symbolraum der Story, jene weiße Limousine, in der Packer sich aufhält: Geborgen wie in einem metallischen Mutterbauch hat er hier alles, sogar eine Toilette. Das Auto trennt Packer von der Welt, schützt ihn vor den unmittelbaren sinnlichen Gewissheiten des Außen, hält ihn zu allem auf Distanz. Auch der Ton des Films ist dumpf gehalten, abgeschottet, trocken, die ganze
Atmosphäre des Films ist seltsam aseptisch, was bei Cronenberg natürlich kein Zufall ist, sondern Beschreibung einer Lebensweise, die sich längst völlig vom Rest der Welt losgelöst hat, und die raumschiffgleich durch ihren eigenen Orbit kreist. Das riesige Auto wird zum treffenden Symbol des Kapitalismus in seiner egozentrischen Phase, der »i-Ökonomie« des individuellen Fressens und Gefressenwerdens. Und vor allem ist dies das Entscheidungszentrum des Niedergangs.
Unter
den Cronenberg-Figuren ähnelt Packer daher am stärksten »Spider«, jenem merkwürdigen Alptraumreisenden, der sich im Netz eigener Obsessionen verheddert hat, und der zugleich seine Welt so gestaltet, wie sie ihm gefällt. Cronenbergs Packer ist solipsistisch und ich-fixiert. Cosmopolis ist Cronenbergs »Der Fremde«, sein American Psycho, seine Version von Shame – eine existentialistische Parabel um einen Einsamen, sozial Gestörten, der sich in Phantasiewelten zurückzieht. Ein smarter Einfall war es, den Part des Eric Packer mit Robert Pattinson zu besetzen. Gäbe es einen besseren Darsteller für einen Spekulanten, als einen, der in der Rolle eines Vampirs weltberühmt geworden ist? So wie Pattinson in Cosmopolis nun aussieht,
würden den Twilight-Star nicht einmal alle Fans erkennen: Glatt, nichtssagend, so unschuldig wie ein Zombie. Daneben bleib vor allem Samantha Morton im Gedächtnis, die eine Strategin spielt, die sich mit Packer einen langen Schlagabtausch der Argumente liefert, die dem Film seine Basis geben. Etwa: »Geld hat seine narrativen Qualitäten verloren, wie einst die Malerei. Geld führt nur noch Selbstgespräche.« Und Sarah Gadon, die Idealbesetzung als Erics Frau
Elise. Beide bilden den Rahmen eines bitteren Abgesangs und bedrückenden Portraits des modernen Kapitalismus und der (A-)Moral eines dekadenten Westens.
Wie DeLillo ist Cronenberg als Künstler ein Postmodernist – überaus reflektiert und ungemein sinnlich zur gleichen Zeit, mit Stilen und Haltungen spielend, ein neobarocker Experimentalist. Durch »Cosmopolis« zieht sich jenseits seiner Oberfläche ein deutlicher Diskurs über Öffnungen, Löcher, Passagen zwischen Innen und Außen, sowie über Symmetrien und Asymmetrien und deren Interaktion. Dass die Märkte asymmetrisch sein können, ohne dass dies eine
Fehlentwicklung ist, die wie von einer unsichtbaren Hand schnell selbst korrigiert wird, wird hier zu einer zentralen, auch ästhetischen Einsicht. Von einer »Ästhetik der Interaktion« ist einmal die Rede. Es geht bei alldem letztlich um die Frage, ob eine Affinität und Interaktion besteht zwischen den Bewegungen – dem »Leben« – des Marktes und denen der übrigen Welt, und ob diese sich darstellen lässt. Sind die Börsenkurse deren seismographisch genaue Darstellungen,
oder ein Wahngebilde, das quasi-religiös verabsolutiert wird? Die Antwort, die Cronenberg gibt, ist eindeutig: Cosmopolis zeigt »Kapitalismus als Religion« (Walter Benjamin), oder besser noch: Als Sekte, deren Kulte und dunklen Rituale vom Geist der Selbstvernichtung getragen sind.
Am Ende seiner Reise durch die Stadt und in die Nacht wird Packers Auto besudelt und beschmiert sein, mit Graffiti und Parolen, und voller Dellen. Wie ein zerstörter Tempel.