Courage

Deutschland 2021 · 90 min. · FSK: ab 12
Regie: Aliaksei Paluyan
Drehbuch:
Kamera: Tanja Hauriltschik, Jesse Mazuch
Schnitt: Behrooz Karamizade
Filmszene »Courage«
Rot-weiße Proteste gegen die schwarze Mauer der Martialität
(Foto: Courage / MITTEL PUNKT EUROPA FILMFEST)

Meditation über den Mut

Der Dokumentarfilm Courage ist mehr als ein Portrait der Protestbewegung in Belarus

Drei Menschen aus Belarus. Denis, Maryna und Pavel. Als Schau­spieler im Belarus Free Theatre machen sie poli­ti­sches Theater und Oppo­si­ti­ons­ar­beit mit ästhe­ti­schen Mitteln. Sie sind Akti­visten, junge gebildete, welt­of­fene Menschen, die plötzlich in den Strudel des Teils der Politik geraten, der auf der Straße statt­findet, fernab von den Bühnen des bürger­li­chen Schau­spiel­hauses.

Diese drei sind mutig, sie haben die Courage, zu wider­stehen. Sie stehen im Zentrum eines Films, der so heißt: Courage, geschrieben und insze­niert von Aliaksey Paluyan. Die drei stehen dort stell­ver­tre­tend für all die anderen Tausende und Zehn­tau­sende, die gerade aufstehen gegen das System Luka­schenko und alles, was es reprä­sen­tiert: Willkür der Macht, Verach­tung für den Rechts­staat, Korrup­tion und Bruta­lität.

Dann kommen die Wahlen und der vorher­seh­bare Betrug, die ebenfalls erwart­baren Proteste, ihre Eska­la­tion und die harte Gegen­re­ak­tion von Polizei und den gefürch­teten OMON-Spezi­al­kräften. Menschen werden in Gefäng­nissen und Haft­an­stalten verhaftet und gefoltert. Keiner der Film-Prot­ago­nisten hat das Pech, einge­sperrt zu werden, aber andere Theater-Kollegen schon.

Courage zeigt den Alltag der Protest­be­we­gung. Das ist manchmal etwas redundant, zumal dann, wenn man schon ähnliche Filme gesehen hat, die zum Beispiel vom arabi­schen Frühling erzählen, vom Maidan in Kiew, von den Protesten in Hongkong, in Latein­ame­rika oder vor gut zehn Jahren an der Wall­street. Die Bilder selbst und die Leiden­schaft der Personen gleichen sich. Aber das Gefühl der Unge­wiss­heit wird durch die Tatsache noch hervor­ge­hoben, dass der Ausgang bislang unbekannt ist.

Zugleich stellen alle drei Akteure unter­schied­lich formu­lierte, aber in der Substanz gleiche Frage: Ob die Hoffnung stärker ist als die Angst? Ob Wider­stand aussichtslos ist? Ob sie im Land bleiben oder gehen sollen? Immerhin haben sie – und das zeigt die privi­le­gierte Stellung dieser demons­trie­renden Künstler – im Gegensatz zu den meisten Bela­russen das Glück, die Verbin­dungen zu haben, um die Grenzen nach Polen oder in die Ukraine passieren zu können.

Es gibt aber auch Momente, die diffe­ren­zieren: Eltern Verhaf­teter, die nicht wissen, was mit ihren Lieben passiert ist. Die humanen Reak­tionen der jungen Poli­zisten, die ihren Job eigent­lich nicht mögen und denen es unan­ge­nehm ist, ihre Mitbürger zu verprü­geln. Paluyan hatte das Privileg, am Ort des Gesche­hens und der Emotionen zu sein, und er nutzt diese Gele­gen­heit.

Auf einer zweiten, tiefer liegenden Ebene ist dies auch eine Medi­ta­tion über den Mut, über das Wesen der Coura­gierten, derje­nigen Menschen, die irgend­wann beschließen, aufzu­stehen und sich etwas nicht mehr gefallen zu lassen. Man sollte diese Courage weder mit klas­si­schem Heldentum verwech­seln, noch mit schlichter Wutbür­gerei, auch nicht mit Verzweif­lung und schon gar nicht mit Dummheit – obwohl alle diese Begriffe einem hier ab und an auch in den Sinn kommen.

Der Mut, um den es hier geht, ist ein Mut des Alltags, es ist ein fluider, flexibler Mut. Es ist das Agieren im Hier und Jetzt und im Nahbe­reich des Persön­li­chen – und tatsäch­lich trifft ihn der Begriff der Zivil­cou­rage am besten.

Es ist ein Mut, der Risiken kalku­liert und abwägt. Auch das Risiko, sich selbst und die eigenen Werte zu verraten, sich selbst treulos zu werden. Das Risiko, seelisch zu verwahr­losen unter einer Tyrannei, das Risiko zu erkalten, weil man Herz und Verstand abge­schaltet hat.