USA 2006 · 155 min. · FSK: ab 16 Regie: Martin Scorsese Drehbuchvorlage: Alan Mak, Felix Chong Drehbuch: William Monahan Kamera: Michael Ballhaus Darsteller: Leonardo DiCaprio, Matt Damon, Jack Nicholson, Mark Wahlberg, Martin Sheen u.a. |
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Matt Damon & Leonardo DiCaprio |
Der eine bleibt, der andere geht. Als sich das Tor der Polizeikaserne hinter ihm schließt, blickt der junge Mann im Weggehen noch einmal zurück. Sein Blick trifft einen anderen, der seinen kreuzt. Zwei Blicke voller Sehnsucht, vielleicht sogar Neid, jeweils auf den Weg, den der jeweils andere jetzt einschlagen wird. Der Sehnsucht nach einem anderen Ort, dem Ort, an den sie eigentlich hingehören. Jetzt, noch ziemlich am Anfang von Andrew Laus Infernal Affairs, wissen die beiden Blickenden nicht, dass sie sich später wiederbegegnen werden, dass ihre beiden Schicksale so untrennbar miteinander verwoben sind, wie die ihrer Ersatzväter, des Gangsterbosses Sam (Eric Tsang) und des Polizei-Superintendenten Wong (Anthony Wong).
In einem Satz, der Infernal Affairs vorangestellt ist, ist von der »ewigen Hölle« die Rede; das gibt den Grundton des Films vor, der Martin Scorsese behagt haben müsste. The Departed der Titel seines Remakes, nach Cape Fear (1991) des zweiten, das Martin Scorsese überhaupt je gemacht hat, bezieht sich zuerst einmal auf die bei Begräbnissen zitierte Formel »for the faithful departed«, die »Dahingeschiedenen« also. Es schwingen aber neben der Todesahnung noch zwei andere Bedeutungen in dem Wort mit: Die »Abreise«, der »Abschied« zum einen, der Bezug auf Menschen, die sich aus einem Abschnitt ihres Lebens »verabschiedet« haben und die Bedeutung des Abweichens, Wegdriftens. »Departed« sind auch diejenigen, die vom Weg abgekommen sind
Sie könnten sich so gut verstehen: Zwei Männer, die in einer fremden Haut stecken, in einer falschen Welt leben, aus der sie nicht heraus können und die doch nichts mehr wünschten als das. Sie möchten etwas sein, was sie nicht sind, nicht sein dürfen, was der andere ist, ihr Gegenüber. Aber einfach tauschen können sie auch nicht. Denn sie haben, außer ihrem Schicksal, doch so gar nichts miteinander gemeinsam.
Eine Doppelgänger-Geschichte, Dr. Jeckyll & Mr. Hide in einer Person und das gleich zweimal, eine Story über Schizophrenie und Gewalt, über Wahrheit und Lüge, über Familienverbände. Doktor Freud aus Wien lässt grüßen, nicht nur, weil beide Männer im Zentrum dieses Films von der gleichen Frau geliebt werden, einer Psychologin auch noch, die den einen behandelt und mit dem anderen liiert ist, die ebenso falsch spielt wie alle hier. Sondern weil eine Frage im Zentrum steht: Wie wird man zu dem, was man ist, und wie wehrt man sich dagegen, das zu werden, was man nicht ist?
»I don’t want to be a product of my environment – I want my environment to be a product of me«, ist der allererste Satz des Films. Es könnte auch der letzte sein. Der ihn sagt, ist Frank Costello, irischer Gangsterboss in South-Boston, ist Jack Nicholson, Schauspieler aus L.A,. der nichts mehr tut, als recht undiszipliniert sich selbst und Karikaturen seiner Rollen zu spielen, und sähe man nicht so gern dabei zu, wäre es fürchterlich.
Der Film zeigt zwar die Konfrontation der zwei Seiten der menschlichen Seele, aber auch, wie schon sein Vorbild, dass es letztendlich nicht die Umwelt ist, und nicht die Gene, die den Weg eines Menschen bestimmen, sondern seine Entscheidung, eine in Freiheit getroffene Wahl. Jedenfalls ist das die implizite, dem Plot zugrunde liegende These. Gerade in der Ähnlichkeit, ja Austauschbarkeit der beiden Hauptfiguren zeigt sich auch der Unterschied zwischen ihnen. Der eine hat sich als Materialist entworfen, der andere als Idealist, und entsprechend handeln sie dann. Der Film zeigt aber auch, dass jede Entscheidung ihre Konsequenzen hat, dass es einen Nullpunkt nicht gibt, sondern man immer nur im Rahmen seiner Bestände rechnen kann.
Andrew Laus Hongkong-Thriller Infernal Affairs (i.O.: Wu jian dao, 2002) war in Deutschland nur auf Festivals im Kino zu sehen, später dann als DVD. In Asien ist er mehr als Kult: Einer der ersten Klassiker des jungen Jahrhunderts, der bereits zwei Fortsetzungen inspirierte, von der Kritik gefeiert und mit Meisterwerken wie Der Pate verglichen wurde.
The Departed ist also ein Remake. Und sehr selten ist ein Remake so nahe dran an seiner Vorlage: Ganze Einstellungen und Montagefolgen, die wichtigsten Handlungsorte und Sequenzen der Vorlage hat Scorsese so derart 1:1 übernommen, dass die Behauptung, Scorsese kenne den Vorläufer nicht, ganz offenkundig gelogen ist. Das Ergebnis ist trotzdem ein typischer, fast zu »typischer« Scorsese-Film geworden: über Gangsterwelten, den Aufstieg in ihnen, Männerbünde, über Befehl und Gehorsam, Loyalität und Verrat, und über die Gewalt, die dem zugrunde liegt, über böse Väter und adoptierte, sich emanzipierende, die Väter verratende Söhne: Die Bostoner Polizei will einem irischen Gangstersyndikat das Handwerk legen, einen »Fall bauen« der gerichtsverwertbar ist. Dazu schleusen sie einen der ihren, Billy Costigan (Leonardo DiCaprio), als V-Mann beim Mafiaboss Costello ein: »Do you want to be a cop or act like a cop?« Billy stammt aus einer Gangsterfamilie, gilt also bei Costello als vertrauenswürdig. Was die Polizei erst im Laufe der Zeit erkennt: Auch bei ihnen steckt eine »Ratte«: Colin Sullivan (Matt Damon), ein kühl-arroganter Aufsteiger, das Junggenie der Einheit, vorgesehen für höhere Aufgaben, und daher bald der Mann, der auserwählt wird, die undichte Stelle im Polizeiapparat zu finden – sich selbst. Zugleich sucht er verzweifelt nach der Identität des getarnten Polizisten bei seinem wahren Boss Costello, der ihn vor Jahren in die Polizeieinheit einschleuste, Karriere machen ließ, um ihm zu dienen.
Die aus Hongkong stammende Grundidee ist so simpel wie genial, und die einzige Frage ist eigentlich nur, warum vorher noch niemand darauf gekommen ist: Zwei Undercoveragenten auf verschiedenen Seiten, sollen ausgerechnet jeweils den V-Mann der anderen Seite ausschalten. Ein kompliziertes Spiel der Symmetrien und Entsprechungen also, bei dem die Beteiligten wie im Schach die Züge der anderen Seite und ihre Varianten möglichst weit vorausberechnen müssen – allerdings unter extremem Zeitdruck. Ein Nervenspiel, unter Todesgefahr.
Und eine intellektuelle Herausforderung. Denn auf der Handlungsoberfläche entwickelt sich ein so rasantes wie komplexes Sprachspiel: Wenn der Undercover-Polizist die Polizei über einen kriminellen Deal informiert, informiert der Undercover-Gangster seinen Boss, dass die Polizei vom Deal weiß. Woraufhin der Undercover-Polizist die Polizei informiert, dass der Gangsterboss weiß, dass die Polizei vom Deal weiß. Woraufhin der Undercover-Gangster seinen Boss informiert, dass
die Polizei weiß, dass er weiß, was die Polizei weiß und so fort. Und unter der Handlungsoberfläche entfaltet sich zuvor überdies das Drama aller Reflexion: »Wenn ich A mache, macht der Gegner B. Daraufhin mache ich C. Weil der Gegner aber weiß, dass ich auf B C mache, und er das vermeiden will, macht er stattdessen D, weil ich aber mit D statt mit B rechne, mache ich wiederum E statt A.« Ad infinitum.
Philosophie pur also, denn es geht nicht allein um die paradoxe Logik
strategischen Handelns, sondern um Erkenntnistheorie: Was kann ich wissen? Was darf ich hoffen? Was soll ich tun? Drunter gehts nicht, ihr Freunde des Einfachen, Leichten, der »reinen Unterhaltung«, denn ohne eine – und zwar die einzige richtige – Antwort auf diese Fragen gibt es für Costigan und Sullivan keine Überlebenschance.
Die Hongkong-Vorlage ist ein kühles Balett; ein Gedicht aus visuellen Zeichen, sich fortschreibend in blaugrauen Farben, reduzierten Szenen, lakonischen Dialogen – alles wird hier Andeutung und Rhythmus, Choreographie und Grafik, reine Eleganz.
Nichts an The Departed ist interessanter, als was er uns darüber verrät, was Hollywood mit Geschichten macht. Wie es sie verändert. Wie es Dichte zerdehnt. Zweideutiges vereindeutigt. Und wie Scorsese in
diesem Film alle Theorien widerlegt, die ihn zum Independent und großen Widerständigen gegen Hollywoods Regeln erklären. Dass ist er vielleicht auch. Aber nicht in diesem Film.
Das Formale, Coole wird psychologisiert, aufgeheizt. Laus Romantik des Lakonischen ersetzt Scorsese durch eine Romantik des Barocken: Der Jazz, das Musikalische der Vorlage wird monumentalisiert, verwandelt in einen Roman; alles ist langsamer, epischer, schwerblütiger, voller Ornamente; grelle
Farben, Rottöne prägen die Bilder; kaum etwas wird angedeutet, alles wird ausgesprochen. Und psychologisiert, bis hin zu den Erektionsproblemen von Colin als Synonym für seine Schuld. Billy hat die nicht, weil er zwar nicht glücklich, aber mit sich im Reinen ist. Diese Differenz im Unglück, die es auch bei Lau gibt, wird von Scorsese betont. Und dass er die drei Frauenfiguren der Vorlage zu einer einzigen verschmolz, die auch noch Psychologin ist, betont diese
Psychologisierung noch. Die Ärztin fungiert als Meta-Psyche, als der Ort wo alle Spaltungen zusammenfallen.
Die Coolness ist ganz in die Dialoge verlagert – »There is no one so full of shit like a cop, except a cop on TV«, »I am the guy who does his job. And you must be the other guy.« –, in Dialoge, die fast ein wenig zu smart und jedenfalls eine Nummer zu groß sind. Wenn der Nicholson-Gangsterboss Shakespeare zitiert – »Heavy lies the crown« –, wenn er aus dem Off doziert: »No one gives it to you, you have to take it.« oder »Cops or criminals – when you are facing a loaded gun what’s the difference?« dann kann man das eigentlich nicht mehr wirklich ernst nehmen. »Cui bono?« – »Cui gives a shit?« So reden Menschen nur in Hollywoodfilmen und in die Lust am Zuhören mischt sich bald auch das Gefühl der Übersättigung. So ist The Departed für Kenner des Originals auch ein bisschen ärgerlich, weil man dann weiß, dass es bei aller Qualität noch besser ginge.
Trotzdem in vieler Hinsicht ein gut gemachter Film. Ein Männerfilm, der Machorituale entlarvt und zugleich feiert, und in dem ganz wörtlich bis auf eine Frau nur Männer vorkommen. Und darum auch ein Frauenfilm, weil bis in kleine Nebenrollen lauter tolle Darsteller mitwirken: Mark Wahlberg und Alec Baldwin spielen eigentlich am allerbesten, Matt Damon ist so gut wie noch nie, spielt seinen richtig unangenehmen Schurken als verkappten Schwulen: Mit immer ein bisschen übertriebenen Macho-Gesten, die nur dazu dienen, sich selbst und allen anderen die eigene Männlichkeit zu beweisen. Und zu DiCaprio und Nicholson muss man eigentlich nichts mehr sagen.
Wo Infernal Affairs sehr genau, sehr differenziert, sehr intelligent die Geschichte Hongkongs zwischen 1991 und 2002 miterzählt, komplexe Milieuzeichnungen bietet – auch deshalb kam es zum Vergleich mit Der Pate –, findet sich bei Scorsese so gut wie nichts von alldem. Zu Recht hat man bei diesem Regisseur immer wieder gelobt, dass seine Filme auch
amerikanische Geschichtspanoramen sind. Sie gehen weit über die dichte Beschreibung des italoamerikanischen Lebens und seiner Gangsterbanden in Mean Streets und Goodfellas hinaus. In Casino erzählt
Scorsese von Las Vegas und der Ökonomie des Glücksspiels, in The Age of Innocence und Gangs of New York von seiner Heimatstadt. Ähnliches dürfte man in diesem Fall auch erwarten, eine Gangstergeschichte unter den Iren in South Boston schrie geradezu danach. Denn das vom Rest der Stadt
abgetrennte Armenviertel war Ort eines der größten Kriminalskandale nach dem Krieg: Der irische Mafioso Whitey Bulger hatte dort, offenbar gedeckt von seinem Bruder im Parlament und korrupten Beamten in der Bostoner Polizei und im FBI, rund zwei Jahrzehnte unbehelligt hausen können – ein unausgesprochenes Vorbild für Costello. Doch außer oberflächlicher Folklore fehlt von der historisch-politischen Dimension alles im Film. Die Darstellung Bostons beschränkt sich auf ein
paar Postkartenblicke, den Innen- und manchen Außenräumen sieht man das Studio noch von der letzten Kinoreihe aus an, und zu den Iren hat Scorsese gar nichts zu sagen. Die erste Szene spielt auf die Rassenunruhen der 60-er an, doch danach verschwinden diese aus dem Film.
Immerhin ein wenig linksliberales Augenzwinkern erlaubt sich Scorsese in Bezug auf die Gegenwart: Wahlbergs Ermittler Dignam, freilich der Unsympath unter den »guten« Polizisten, äußert Despektierliches über
den Irakkrieg. Und Baldwins Capt. Ellerby, ein Erzreaktionär, ruft hysterisch »Patriot Act, Patriot Act – I love it!«, als seine neue Form von Mobilfunküberwachung eingerichtet wurde. Doch das bleibt Beiwerk, im Kern ist The Departed ein zeit- und ortloser Film. Ein Film, der sich nur auf andere Filme bezieht, der nur funktioniert unter der Voraussetzung, dass man andere Filme von Scorsese kennt, dass man die Stars kennt – mit anderen Worten ein
epigonales Stück Kino.
In Zentrum des kollektiven Bewusstseins trifft aber der Schluss des Films. Nachdem Sullivan mit viel Glück siegreich aus der irrwitzigen Konstellation hervorgegangen ist, nachdem nicht nur Costigan und sein Mentor (Martin Sheen), sondern auch Costello auf der Strecke geblieben sind, sollte ihm eigentlich, wie im Hongkong-Vorbild, eine bürgerliche Beamtenkarriere sicher sein. So erzählte es Lau, unverstellt mitten ins Herz einer korrupten Polizei und der Hongkonger Verhältnisse zielend. Für die Volksrepublik China und für Malaysia war in solches Ende nicht tragbar, und Lau, der auch sein eigener Produzent ist, hatte sicherheitshalber eine alternatives Ende gleich mitgeliefert, in denen der Böse ganz zum Schluss doch noch in Handschellen abgeführt und die Welt vermeintlich in Ordnung ist. Doch dieser Schluss war für Scorsese offenbar zu seicht, das eigentliche Ende aber zu amoralisch unamerikanisch. Also bringt hier der Film ein einziges Mal eine grundlegende Veränderung im Handlungsablauf – und zugleich einen uramerikanischen Schluss: Selbstjustiz, verübt von Dignam, der sich in der halben Stunde, in der er aus dem Film verschwunden war, offenbar eine unregistrierte Waffe besorgt hat, um wie eine Rachegott ex machina wieder aufzutauchen und an Sullivan die alttestamentarische Rache/Strafe der Gesellschaft stellvertretend zu vollziehen.
Diese dramaturgisch bemühte Wendung negiert nicht nur das buddhistische Fazit aus Infernal Affairs: »Das ewige Sein ist die höchste Strafe« ins Katholische-Reaktionäre eines Schuld&Sühne-Dramas über Falschspieler; sie brennt gemeinsam mit dem bemüht humoristischen Schlussbild einer Ratte auch sämtliche Schwächen von The Departed ins Bewusstsein: Die im letzten Viertel eskamottierten Minimalanfoderungen der Handlungslogik, ein für Scorsese ungewöhnliches Desinteresse an formaler Eleganz und der abgrundtiefe Nihilismus des Plots.
Kleine Nachbemerkung über Filmkritik, nur um Missverständnissen vorzubeugen: Wenn oben gesagt wird, dass dieser Film nichts als Kino sei, dann bedeutet das nicht, dass er gerade deswegen gut wäre – a la: endlich mal ein Film, der wirklich reine Unterhaltung ist. Das Argument lautet vielmehr umgekehrt: Wenn etwas nur Unterhaltung ist, ist es auch keine Unterhaltung. Zudem ist es bestimmt nicht beabsichtigt, dass der Film nichts zu sagen hat. Scorsese würde das
jedenfalls, Interviews belegen es, bestreiten.
Überdies sagen natürlich Filme, die beabsichtigt/unbeabsichtigt nichts zu sagen haben, trotzdem eine Menge. In diesem Fall zum Beispiel über Hollywood und über einen Regisseur, der zwar gerade handwerklich vieles besser macht, als der Rest der Welt, aber seine beste Zeit, werkgeschichtlich gesehen, vermutlich hinter sich hat.
Der Film Infernal Affairs sowie das dazugehörige, ebenfalls überaus lohnenswerte Prequel Infernal Affairs II, jeweils von Andrew Lau und Alan Mak, ist in verschiedenen, in der Regel guten Ausstattungen auch in Deutschland als Doppel-DVD erhältlich (von Ascot Elite Home Entertainment GmbH), mit Audiokommentaren – deutsche Untertitel wie
Synchronisation lassen allerdings zu wünschen übrig. Günstig erhältlich etwa bei »Zweitausendeins«. Mehr als 10 Euro sollte man nicht bezahlen.
Den dritten Teil Infernal Affairs III gibt es einstweilen nur als britische Import-DVD, einzeln bzw. als Dreierbox auch in Großbritannien bei Tartan Video oder direkt aus Asien im Versandhandel.