Django – Ein Leben für die Musik

Django

Frankreich 2017 · 117 min. · FSK: ab 12
Regie: Etienne Comar
Drehbuch: ,
Kamera: Christophe Beaucarne
Darsteller: Reda Kateb, Cécile de France, Beata Palya, Bimbam Merstein, Gabriel Mirété u.a.
Am Ende gänzlich unbeschwingt...

Zelluloidblumen gegen Jazzvampire

Eine Lichtung im Wald, Reisende auf der Rast. Es wird gesungen und gegrillt, Karten werden gespielt, manche drehen noch eine Runde, andere sitzen. Alte und Kinder im Kreis von Vieh und Spann­wagen. Von draußen pirscht Bedroh­li­ches heran: Die Mündung einer Pistole taucht auf hinter einem Baum, ein Schuss fällt, tot ist da ein Junge, und dort ein junger Mann. In Panik stieben alle ausein­ander. Mehr Pistolen, und noch mehr Schüsse – Überfall am Lager­feuer: So beginnt ein Western. Dieser hier trägt den Titel Django – Ein Leben für die Musik. Aber der Wald ist in Frank­reich, die einge­kreisten Opfer sind keine Siedler, sondern Sinti, und die Todes­schützen keine Indianer, sondern deutsche Soldaten. Also gut, wir sind in keinem Western. Wir sind im Krieg, und gleich auf der Bühne, im Jahr 1943, Django Reinhardt ist schon ganz oben mit seiner Musik, man hat eine gute Zeit! Djangos Gitarre schwingt durch die Pariser Nacht, sein Spiel ist das Schnellste, das fällt sogar den deutschen Besatzern auf. Also soll Reinhardt als Rennpferd zur Erbauung der deutschen Truppen beitragen; prompt kommt das »Angebot« einer Deutsch­land­tour.

Die damit verbun­dene propa­gan­dis­ti­sche Verein­nah­mung ist offen­sicht­lich, denn in einem Katalog zur Maßre­ge­lung ihres Spiels wird den Band­mit­glie­dern mitge­teilt, was auf deutschen Bühnen alles no go wäre: Takt­schlagen mit dem Fuß, der Einsatz von Kuhglo­cken, generell jegliche »Neger­musik« im Programm. Darüber hinaus sollten Bass–Saiten mit dem Bogen gestri­chen werden – das Zupfen mit den Fingern: Eine Unsitte. Aber Django fürchtet nicht so sehr die Zensur, vielmehr inter­es­siert ihn, was die Deutschen zahlen. Und die verspre­chen gutes Geld. Erst als Louise, Djangos Geliebte, die blonde Gadji mit den Nazi–Kontakten, die Familie vor der drohenden Falle warnt, entschließt man sich zur Flucht in die Schweiz. Doch dazu bedarf es eines Schleu­sers, und der lässt am Ufer des Lac Leman auf sich warten. Hier passiert also erstmal lange nichts, während Django und seine Mutter ausharren in der Wagenburg anderer Zigeuner, Manouches wie sie, farblos und leblos wie sie, wie überhaupt alle Figuren bis zur Unper­sön­lich­keit weich­ge­zeichnet und distan­ziert sind in diesem Film, der so ruhig und still ist, dass genug Zeit ist, Theorien darüber aufzu­stellen, in was wir hier eigent­lich hinein­ge­raten sind.

Wir erfahren wenig bis gar nichts aus den voran­ge­gan­genen drei­und­dreissig Jahren im Leben dieses Django, und auch seine noch verblei­benden Zehn mit seinem Erfolg in Übersee sind Étienne Comar hier nicht wichtig. Es ist ja auch kein Biopic, weiss Gott, zum Glück. Der hier gezeigte wortkarge Mann ist, wenn schon kein Cowboy, so doch ein man on a mission. Reda Kateb begnügt sich damit, diesem sein Gesicht zu geben, Charles Bronson in gut gelaunt. Aus diesem Gesicht fällt ab und zu ein schnei­diger Satz: »Viel­leicht kenne ich nicht die Musik, aber die Musik kennt mich.« Das Wesen der Musik aber, der wilden unge­bremsten Mischung aus »Zigeu­ner­tra­di­tion«, ameri­ka­ni­schem Swing und Valse française, scheint Comar auch nicht wirklich zu inter­es­sieren. Auch die merk­wür­dige Geschichte von dem Reinhardt-Protegier Dietrich Schulz–Köhn, Ober­leut­nant der Wehrmacht und aber auch Jazz-Aficio­nado, passt hier nicht rein. Nein, in seiner Ausschnitt­haf­tig­keit scheint es um die Erzählung dieser einen Geschichte aus dem Jahr 1943 zu gehen, schluss­fol­gern wir, während Django mehr oder weniger aus Lange­weile oder um sich was dazu zu verdienen, beim Pfarrer der Gemeinde ein- und ausgeht – nein nein, er hat es nicht so mit dem Glauben, aber die Kirchen­orgel will gespielt werden, welche Geschichte nun eigent­lich gleich wieder? Und langsam kommt ein Verdacht auf.

Vor diesem seinem Regie­debüt trat Étienne Comar als Produzent in Erschei­nung, mit Filmen wie Timbuktu und OF GODS AND MEN, gefeiert für ihre besonnene Ruhe, gleich­zeitig aber sind es Filme mit einer aufwüh­lenden Opfer–Motivik. Und wenn wir davon ausgehen, dass die Sache mit dem »Angebot« der Konzert­reise pure Fiktion ist, zumal nicht über­lie­fert ist, dass eine derartige Offerte im echten Leben des Musikers zur Debatte stand, nimmt das Bild, das Comar inter­es­siert haben mochte, langsam Konturen an. Es ist die Geschichte von der Versu­chung des Django Reinhardt. Sicher, es wird betont, dass Django zwar keine mora­li­schen Maßstäbe an seine Entschei­dungen legte, vielmehr es ihm darum ging, eines klar­zu­stellen: »Django will dieselbe Gage wie Clark Gable!« Nun hockt Django aber erstmal am See und wartet auf ein Zeichen. Da kommt sie, die finale Forderung der Bösen: Ein gnädiges Konzert auf einer Ballparty in der Nazi–Villa am See ist unaus­weich­lich, Django fordert im Gegenzug diesmal aber Schutz für die Familie. Doch die Wagenburg wird brennen, und Django flieht über die Berge. Nur über diesen Herlauf, Versu­chung–Hingabe–Opfer, lässt sich der Schluss­ak­zent deuten: Die Über­le­benden der Familie lauschen andächtig in der Kathe­drale zu Paris Djangos »Zigeu­ner­messe«, jenem Werk, das er während seiner Wartezeit auf der Kirchen­orgel kompo­niert hatte, dessen Partitur aber verloren gegangen sein soll. Diese Geschichte endet also gänzlich unbe­schwingt, sie endet in demütiger Andacht.

Wie erfri­schend ist da im Vergleich doch Woody Allens Django Reinhardt–Remi­nis­zenz Sweet and Lowdown (1999), gerade wenn es um den peku­n­iären Aspekt geht, der dort ganz frei von einer römisch-katho­li­schen Motivik als trot­te­lige conditio humana ganz lakonisch um die Ecke kommt: Auf die Frage, woran er denn beim Spielen denke, gibt hier Sean Penn in der Rolle des Gitar­risten unum­wunden zu, dass er meistens darüber nachdenkt, wie schlecht er für seine Musik bezahlt wird. Eines aber muss Comars in aller Ange­staubt­heit und gotischer Nebu­lo­sität waberndem Django zugute gehalten werden: Auf zusätz­liche Filmmusik wird verzichtet. Was die Django Reinhardt–Umset­zungen anbe­trifft, so haben Warren Ellis von Nick Cave’s Bad Seeds und das dänische The Rosenberg Trio solide abge­lie­fert.

Kurz vor Schluss gerät Djangos Flucht über das Schnee­ge­birge noch einmal zum Zitat–Western: Charles Bronson als Trapper im Schnee von DEATH HUNT (Regie: Peter R. Hunt, 1981), und Django im Schnee von Snowhill bei Sergio Corbucci in Leichen pflastern seinen Weg (1968). Natürlich hat Django kein Pferd. Django hat noch nie ein Pferd gehabt, auch nicht der Ur–Django bei Corbucci (Django, 1966) und Lucio Fulci (DJANGO – SEIN GESANGBUCH WAR DER COLT, 1966), die schleifen dafür einen Sarg mit einem Maschi­nen­ge­wehr hinter sich her. Dass aber jeder Gitar­ren­koffer auch ein Gewehr­koffer ist, hat schon Robert Rodriguez bewiesen (El Mariachi, 1992, Desperado, 1995).
Wer dennoch an der Cowboy-Lesart von Django – Ein Leben für die Musik zweifelt, für den kommt zugu­ter­letzt die Sache mit der Hand ins Spiel, ange­fangen mit Djangos Vorläufer, dem Samurai in Akira Kurosawas Yojimbo – Der Leib­wächter (1961), dem gleich am Anfang des Films ein Hund mit einer abge­hackten mensch­li­chen Hand im Maul begegnet. Für Corbuccis Django ist das Motiv der zerstörten Hände essen­ziell. Trotz des Handicaps vermag Django seine Gegner, deren Aussagen, Verhalten und Kostü­mie­rung an den Ku-Klux-Klan denken lassen, zu schlagen. Djangos Hände bei Corbucci zitieren die römische Geschichte von Gaius Mucius Scaevola, der gegen den Druck seiner Feinde so standhaft war, seine Hände über einer offenen Flamme zu verbrennen. Scaevola ist auch der Name einer Zierblume, der blauen Fächer­blume. Und hier schließt wie ein Bumerang für alle Ungläu­bigen die Django–Mytho­logie ihren Kreis: Es waren Zier­blumen aus Zelluloid, die Django Rein­hardts linke Hand im Alter von 18 Jahren verkrüp­pelten! Zellu­loid­blumen, die seine Frau Bella zu verkaufen gedachte und im gemein­samen Wohnwagen aufbe­wahrte, und die so blitz­schnell wie Film­rollen entflammt ein Feuer entfachten, in dem Django schwerste Verbren­nungen erlitt, Ring­finger und Zeige­finger für immer dahin. Trotz oder gerade wegen dieses Handicaps ließ Django seine steifen Kritiker, hier im Film die Stil­fa­schisten der Nazis, natürlich alt aussehen. Das Kurio­seste an diesem Film ist die Blutleere der Nazis. Sie wirken wie Jazz­vam­pire, die tagsüber in dem Sarg liegen, den Django hinter sich herzieht.