USA/F/GB/NL 2017 · 107 min. · FSK: ab 12 Regie: Christopher Nolan Drehbuch: Christopher Nolan Kamera: Hoyte van Hoytema Darsteller: Fionn Whitehead, Tom Glynn-Carney, Jack Lowden, Harry Styles, Aneurin Barnard u.a. |
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Durchaus pathetisch, unbedingt heroisch |
»We shall fight in France, we shall fight on the seas and oceans, we shall fight with growing confidence and growing strength in the air, we shall defend our island, whatever the cost may be, we shall fight on the beaches, we shall fight on the landing grounds, we shall fight in the fields and in the streets, we shall fight in the hills; we shall never surrender.«
Winston Churchill, 4.Juni 1940
Vielleicht ist er der Churchill des Kinos: Einer, der immerzu den Leuten Rätsel aufgibt, den viele nicht mögen, zu flirrend, zu genial, ein konservativer Revolutionär und ein revolutionärer Konservativer, ein rationaler Romantiker und ein romantischer Rationalist – und das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit. Denn auch Christopher Nolan, der 1970, am 30. Juli, in London geboren wurde, wo er auch größtenteils aufwuchs und studierte, ist wie Winston Churchill das Kind eines Engländers und einer Amerikanerin. Heute hat er einen britischen und einen amerikanischen Pass, und es mag der Rezeption seines Films in den USA helfen, dass ihn dort manche als einen der ihren ansehen.
Und das obwohl Dunkirk ohne Frage der britischste Film Nolans ist, seit seinem Debüt Following. Die Darsteller sind ebenso Briten, wie es sich beim Drehort um den Originalschauplatz handelt.
Auch in einer anderen, noch wichtigeren Hinsicht erweist sich Nolan, sowieso ganz gewiss einer der interessantesten Filmemacher des Gegenwarts-Kinos, als ein Pedant im allerbesten Sinne, als ein konservativer Filmemacher: Lassen wir das hervorragende Handwerk einmal beiseite. Zu Nolans eigener Handschrift gehört zum einen die Wahl des Filmmaterials: Nolan hat auf klassischem, also analogem Material gedreht, zudem in so monumentaler wie heute seltener 70mm-Auflösung. Die ist bekanntlich kaum bezahlbar, wenn man nicht Tarantino oder eben Nolan heißt – nur einem Topmann wie diesen immer interessanteren, immer erfolgreicheren Hollywood-Regiestars wird 70mm überhaupt zugestanden. Dies ist schon Grund genug, diesen Film unbedingt in analoger Projektion und im IMAX-Kinoformat zu genießen, das bei IMAX veränderte Framing kommt aber natürlich dazu. Muss man noch hinzufügen, dass es den Film selbstverständlich nur in 2-D gibt – Nolan wird nicht müde zu betonen, dass er 3-D für modischen Schnickschnack hält.
Das Material hat aber noch eine andere, eine zweite Wirkung, und die ist wichtiger. Weil 70mm teuer und selten ist, muss viel mehr Genauigkeit in den Dreh gelegt werden. Beim digitalen Drehen selbst kann viel mehr Material »verschossen« und der Film dann im Schnitt montiert werden – 70mm erfordert mehr Sorgfalt und Konzentration in der Vorbereitung, und andere Planung. 70mm führt auch dazu, dass der Film mehr »Bild« ist, weniger Inhalt, Story und Plot. Das verändert neben dem Dreh auch die Seh-Erfahrung des Publikums. Um ein vielleicht schiefes Bild zu benutzen: Dies ist eine Art Bio-Kino. So wie Bio-Fleisch oder Bio-Milch in der Regel mehr Geschmack und höhere Qualität bieten, und auch der gemeine Konsument diesen Qualitätssprung erkennt, so bietet auch analoges Material und erst recht 70mm mehr Kino, als seine digitalen Schrumpfformen.
Die zweite unverwechselbare Nolan-Touch ist, wie bei diesem Regisseur immer verschachtelte Erzählstruktur, und der Umgang mit Zeit: Die Uhr tickt hier permanent, wie ein Metronom, aber eines, das uns antreibt, nicht beruhigt. Drei grundsätzlich verschiedene, verdreht und verdrechselt ineinander verschobene Zeitebenen – »I. the mole – one week«; »II. the sea – one day«; »III. the air – one hour« – und in ihnen mehrere Handlungsstränge, die auch noch a-chronologisch verquirlt werden: Manchmal wird die Zeit gedehnt, sodass wir das Gleiche aus immer neuen Perspektiven sehen, und dann wieder wird alles doch noch zusammengeführt zu einem Punkt – man kann das manieriert finden, es angesichts der Spannung des Geschehens für unnötig halten, aber es macht diesen Film zu einer noch dichteren, ungemein intensiven Erfahrung. Denn Nolan zersplittert seine Erzählung. Es geht nicht um »Plot«, schon gar nicht um eine Handlung, sondern um den Augenblick und die Bilder. In sie sollen wir eintauchen, auch darum das riesige IMAX-Format und darum die Textur des analogen Korns, wir sollen den Film fühlen und uns in ihm drin fühlen, wir sollen uns überwältigen lassen.
Diese Erzählstruktur ist für sich genommen trotzdem gar nicht weiter komplex, sondern, wenn man das Muster erstmal verstanden hat, ganz einfach. Ja es stimmt, was mir Nolan-Skeptiker immer wieder im Gespräch entgegnen: Nolan ist auch ein Poser. Nolan ist ein Kontrollfreak. Er ist immer eine Spur zu kontrolliert, zu kalt. Ein Rationalist, der nicht rational genug ist, dem Zufall und den Gefühlen ihr Recht zu geben. Einer, der auch sich selber nicht ganz über den Weg zu trauen scheint. Aber das führt auch zu großartigen Ergebnissen: Bei keinen zweiten Regisseur ist beispielsweise Hans Zimmer so gut, wie bei Nolan. Das war bereits in Interstellar so.
Nolan ist auch ein Streber, der Vorbildern nacheifert. Aber recht hat er, und er sucht sich die richtigen aus: Zwei Meister aller Klassen der Filmgeschichte, Alfred Hitchcock und Stanley Kubrick, der Engländer und der Wahlengländer, sind erkennbar die Vorbilder für diesen Film.
Ein weiteres Vorbild ist Atonement. Dieser Film von Joe Wright nach Ian McEwans Roman, ein Film über den man mit guten Gründen streiten kann, obwohl er die zehn Jahre seit seiner Premiere besser überstanden hat, als so manches, dieser Film mündet in eine erstaunliche, im Zusammenhang mit dem Rest dieses Films erratische, vielleicht gerade darum aber ungemein bewegende, angemessene Schlusssequenz: Eine fünf Minuten lange, aus einer einzigen großartigen Einstellung und perfekter Choreographie bestehende und perfekte choreographierte Kamerafahrt zeigt die ganze Katastrophe, zeigt, wie die männliche, von James McAvoy gespielte Hauptfigur, am Strand von Dünkirchen versucht ein Boot zu finden, das sie nach England bringt, zeigt ein karnevaleskes Chaos aus Wahnsinn und Weltflucht und Pathos und Delirium und Widerstandsgeist, zeigt das, was Nolan auch zeigen will, aber ganz anders, zeigt einen ganzen Film, den wir noch sehen wollen, erst recht nach Nolans Film, den wir aber auch schon gesehen haben, in diesen fünf Minuten, und der der einzige ist, der Nolans Film vielleicht etwas entgegenzusetzen hat.
Dies ist einer der besten Filme des Jahres. Aber schon jetzt ist er der meistüberschätzte. Auf der für solche Dinge immer sehr hilfreichen Website Metacritic erfährt man, dass der Film 94 % von 100 Prozent Zustimmung bei den englischsprachigen Kritikern bekommt: Von 52 Kritiken sind 51 positiv. Das ist natürlich himmelweit übertrieben. Ein derart einhelliges Urteil schreit nach Protest und nach Relativierung. In einer Welt, in der so ein Durchschnittsquatsch wie Spider-Man hochgejazzt wird zur Offenbarung für Pubertierende, und das nicht nur von ein paar altgewordenen Buberl-Kritikern und Valerian aus industriepolitischer Rücksicht nur verhalten besprochen wird, ist dann in den USA und Old Europe Dunkirk unisono ein »Masterpiece« – aber vor allem in den Augen von Kritikern, die darüber in einem »Deutsch« schreiben, als wäre man bei »Auto, Motor Sport« (»ein Kriegsfilm der Sonderklasse«) und bei denen keinerlei erkennbare Reflexion darüber stattfindet, warum gerade jetzt so ein Film gemacht wird. Der Film ist sehr gut, that’s it, aber erst diese zweite Frage beantwortet das einhellige Lob.
Es ist mitten in der Nacht, ein Sanitätsschiff fährt durch die See, aber das kümmert den Torpedo nicht, der fast lautlos unter der Wasseroberfläche auf das Boot zurauscht. Gerade noch hat es »tea and sympathy« gegeben, warmen Tee und ein paar menschliche Worte für die Verwundeten, Erschöpften. Die Klügeren von ihnen sind trotzdem in der Nähe des Ausgangs geblieben, in Sichtweite der Türen, die aus dem Schiffsrumpf nach draußen führen. Voller Vorahnung: »in case of«. Man weiß ja
nie...
Den meisten von ihnen nutzt auch das nichts – als der Torpedo mit lautem Krachen einschlägt, dauert es nur ein Sekunden, dann bricht die Hölle los. Schnell sind die meisten schon unter Wasser, kämpfen verzweifelt darum, doch noch heraus zu kommen – nur den wenigsten gelingt es. Und jetzt erinnert man sich wieder, dass es im Krieg ja ums Töten geht...
Diese Szene, etwa aus der Mitte des Films, ist besonders eindrucksvoll, weil sie das Massenhafte des Sterbens im Krieg deutlich sichtbar macht, die totale Unsicherheit der Situation, und weil sie zeigt, dass das Überleben oft nur von Zufällen abhängt, aber auch davon, etwas wachsamer zu sein, als andere.
Dunkirk ist ein Drama des Überlebens. Es geht natürlich um »Dünkirchen«, jene lange Woche Ende Mai, Anfang Juni 1940, als Adolf Hitlers Wehrmacht, nach dem Sieg im zum Blitzkrieg gewordenen »Westfeldzug« das britische Expeditionskorps in Frankreich eingeschlossen hatte. Während die Uhr für die Belagerten tickte, immer neue Sturzkampfflieger die wehrlosen Bodentruppen auf dem Strand mit Bombenteppichen überzogen, und weitgehend unbewaffnete Boote
versenkten, versuchten die Briten zu retten, was zu retten war: Mit unzureichender Luftunterstützung, und vor allem hunderten von kleinen zivilen Booten, die die überforderte britische Kriegsmarine unterstützten, versuchte man möglichste viele Soldaten zu evakuieren – am Ende gelang es, den Großteil der Soldaten zu bergen; 330.000 von 400.000 Mann, eine einzigartige, merkwürdige Schlacht, die den Verlauf des Krieges vielleicht nicht entschied, aber veränderte.
Aus
der Verzweiflung im Angesicht eines gnadenlosen Feindes, der auf Weltherrschaft und Vernichtung aller Gegner aus war, wurde das »Wunder von Dünkirchen«.
Wie und warum das möglich war, ist aber nicht das Thema von Christopher Nolans neuem Film. Oder vielleicht doch, aber auf ganz andere Weise, als erwartet. Der Regisseur von so unterschiedlichen Werken, wie dem Gedächtnissthriller Memento, der Batman-Trilogie und dem atemberaubenden Science-Fiction Interstellar, zeigt keine Generäle, die über Karten gebeugt Divisionen hin und herschieben, er zeigt keine Truppenbesuche Winston Churchills, und spekuliert auch nicht über Ursachen von Hitlers berüchtigtem »Haltebefehl«, über den bis heute die Militärhistoriker rätseln, weil er den Briten die existentiell notwendige Atempause verschaffte.
Dunkirk zeigt natürlich den Krieg, er zeigt Kampf und Sterben so realistisch, wie das eben geht in der Spielfilm-Nachempfindung. Aber dies ist kein Kriegsfilm. In seiner Form und Machart, in dem Effekt, den er auf den Zuschauer hat, und in den Gefühlen, die man empfindet, wenn man ihn sieht, erinnert Dunkirk viel mehr an einen Suspense-Thriller.
Dies ist ein Film, der seinen Zuschauern eine Ahnung davon geben will, wie man sich das
vorzustellen hat: Zweiter Weltkrieg, Dünkirchen, Stukaangriffe, Chaos oder Ordnung...
Ein gutes Dutzend exemplarische Figuren, alles Männer, nur Briten und ein Franzose, werden herausgepickt – ihre Schicksale repräsentieren das Ganze. Da ist der Spitfire-Pilot Collins (großartig: Jack Lowden), der in der Nordsee notlanden muss und sein Kollege Farrier (Tom Hardy), dem der Treibstoff auszugehen droht, und der irgendwann wählen muss zwischen der Rettung der Maschine und der eigenen Haut, oder der Verteidigung eines angegriffenen vollbeladenen Schiffes,
da sind der Fischer Dawson (Marc Rylance) und seine Söhne, die einen unterwegs aufgefischten traumatisierten Soldaten (Cillian Murphy) an Bord haben, da ist vor allem Tommy (Fionn Whitehead), der nicht ohne Grund so heißt, wie man zusammenfassend alle der prototypische britische Soldat im Zweiten Weltkrieg. Zu ihnen gehören viele mehr – Dunkirk ist ein Ensemblefilm, der hin und her zwischen den Schauplätzen wechselt, Querverbindungen zieht.
Nicht
vergessen darf man Commander Bolton (Kennegh Brannagh), den Kommandeur auf dem Strand, der hier nur zwischen schlechten Optionen, zwischen Pest und Cholera wählen kann.
Der Film, und das ist seine große Stärke, bleibt immer ganz Gegenwart. Nolan zeigt uns seine Hauptpersonen und in gewisser Weise erfahren wir einiges über sie. Aber genaugenommen, sind sie Stand-Ins, Stellvertreter, Figuren – keine Individuen. Wir erfahren quasi nichts über ihre Vorgeschichten, es gibt keine Psychologie, keine Motivationen. Nolan erklärt nichts, er zeigt und akzeptiert. Das ist seine Form von Humanismus.
Gleich die erste Szene gibt den Ton vor, zeigt, dass alles möglich ist: Ein Platoon von sechs britischen Soldaten geht durch eine menschenleer französische Stadt. Das Insert hat uns über die Kriegssituation orientiert. Nervosität steht in der Luft. Die sechs jungen Männer sind wachsam, zugleich in Not. Sie freuen sich über Wasser aus einem Gartenschlauch, einen Zigarettenstummel in einem offenen Fenster. Flugblätter des deutschen Feindes werden gesammelt, denn man braucht Klopapier. Plötzlich aus dem Nichts Schüsse, eine Maschinengewehrsalve, der erste geht zu Boden, der zweite. Der Feind? Nein – friendly fire. Franzosen, die genauso nervös sind, schießen auf ihre Verbündeten, weil sie sie offenbar nicht erkennen. Permanent sind hier alle unter Stress, immer kann alles passieren – man kann sich gut vorstellen, dass man es sich genau so vorstellen muss.
Eine zweite Erfahrung, die dieser Film uns mitteilt: Der Ton des Krieges. Die Verbindung von Stille und Lärm. Richtig still ist es fast nie, nur relativ leise. Und chocartig und kurz sehr laut. Der Normalzustand ist aber der, dass es keine richtige längere Stille gibt. Eine weitere Erfahrung: Es gibt auch keine Intimität. Keine Ruhe, keinen Rückzug. Das Problem der Briten von Dünkirchen ist trotzdem nicht, dass sie viel zu wenig Platz gehabt hätten, dass es etwa zu wenige Boote gegeben hätte, sondern, dass sie viel zu wenig Zeit hatten.
Einer der bewegensten Momente des Films ist auch der deprimierendste. Es ist der, als drei der Hauptfiguren am Stand im Sand sitzen, und sich ausruhen. Plötzlich sehen sie einen anderen Soldaten. Stück für Stück wirft er seine Sachen ab, und geht ins Wasser, immer weiter. Er hat kein Ziel, er kann einfach nicht mehr, und der Film begleitet ihn auf diesem letzten Weg distanziert, lakonisch.
Trotz alldem ist dies auch ein Film, der zeigen will, das Gewalt mitunter nötig ist, der für die Notwendigkeit des Kämpfens plädiert. Recht hat er. Dunkirk ist deshalb nicht nur ein Thriller, sondern insofern doch auch ein genuiner Kriegsfilm, weil er den Krieg nicht als bloßes Mittel nimmt, um etwas anderes zu tun, um eine moralische Fabel zu präsentieren, oder ein nationales Epos, oder gar um das zu probieren, womit noch jeder Kriegsfilm gescheitert ist: Um
gegen den Krieg zu plädieren. Nolan lässt sich auf den Krieg ein, er versucht den Krieg zu denken.
Den Krieg denken, heißt Gewalt denken, zu denken, wo Gewalt sinnvoll sein könnte. Es heißt diese Möglichkeit – sinnvolle Gewalt – überhaupt zuzulassen, moralisch, politisch, ästhetisch. Nolan täuscht uns über die Erschütterung, die Krieg bedeutet, über dessen Charakter als Zerstörerin des individuellen Lebens, keinen Augenblick hinweg. Aber manchmal muss es sein –
das ist die Einsicht, die Nolan uns nicht erspart.
Dunkirk ist ein widerständiger Film, er ist so widerständig, wie das Material auf dem er gedreht wurde. Die politische Botschaft geht mit der künstlerischen einher.
DIe Frage, »Warum dieser Film jetzt?« erfordert noch eine andere Antwort.
Die FAS schreibt in ihrer an sich sehr lesenswerten Rezension am Wochenende vor dem Start allen Ernstes folgende Sätze: »Das Besondere an Dünkirchen war eigentlich nur, dass die Briten so große Angst hatten, sagt ein Freund, der Geschichtslehrer ist. Dass wirklich 400000 britische Soldaten von den Deutschen getötet würden, sei völlig unrealistisch – die Eingeschlossenen hätten die Gefahr überschätzt. Das mit der Kommunikation war damals ja noch schwierig, deshalb haben sie den Flugblättern geglaubt, die zur Einschüchterung da waren.« Vom naiven Ton und der Besserwisserei mal abgesehen, ging es in »Dünkirchen« aber ja gar nicht darum, wieviel Todesangst die Briten hatten, sondern darum, dass sie weg wollten, dass sie nicht in Gefangenschaft kommen wollten. Und dass ihnen genau das gelang, als kaum einer mehr daran glaubte, und alles noch unter dem Schock der französischen Kapitulation stand, das war der erste Sieg gegen einen damals noch überlegenen Feind.
Das eigentlich Erstaunliche dieses durchaus pathetischen, ab und zu sentimentalen, unbedingt heroischen Films ist darum auch, dass der Heroismus und das Pathos des Films gerechtfertigt scheint. »All we did is survive« – »That’s enough.«
Dies ist ein Film über das politische Imaginäre. In seiner Quintessenz erinnert Dunkirk daran, dass die Briten einmal die Retter Europas waren – eine eindeutige politische Botschaft in Zeiten des Brexit. Eine Botschaft, die der Engländer Nolan genauso an seine eigenen Landsleute richtet, wie an die Kontinentaleuropäer.
Wie in einer Flaschenpost birgt dieser Film auch noch eine Erinnerung: Wenn er hier die vielen kleinen Rettungsboote zeigt, wenn er zeigt, wie Boote sinken, Menschen zu ertrinken drohen und sich verzweifelt an Rettungswesten klammern, dann muss man im Jahr 2017 schon sehr ignorant und abgestumpft sein, um nicht an die tausenden von Menschen zu denken, die derzeit gerade – jetzt, heute, gestern und morgen – im Mittelmeer ertrinken und an jene viele kleinen Boote, die heute Europas Ehre retten.
So ertappt man sich bei dem Wunsch, dass es heute einen wie Winston Churchill geben müsste, der seinerzeit die richtigen Worte fand, um aus der Niederlage einen moralischen Sieg zu formen, um eine ganze Nation umzudrehen, und aus hasenfüßigen Appeasement-Briten entschlossene Kämpfer zu formen, die sich nie ergeben würden. »We shall never surrender.«
Dies ist der Film, den wir brauchen – wenn auch nicht der, den wir verdient haben.